-September-

Ich rannte durch die Dunkelheit. Ich schrie seinen Namen, lauter und immer lauter. Ich schlitterte die Felsen hinunter, kämpfte mich durch Büsche und Brennnesseln, die mir den Weg zu erschweren versuchten. Doch sie konnten mich nicht aufhalten. Ich hatte ein Schutzschild. Ich jagte durch die Gruft wie ein wildes Raubtier, das seiner Beute dicht auf den Fersen war. Ich fegte alles nieder, was mich behinderte. Ich hatte ein Ziel, das ich um jeden Preis bekäme.

Angst. Adrenalinkick.

Ich preschte aus dem Dickicht. Vor mir befand sich eine flache Ebene. Die Wiese, einige Meter vor dem Felsen.
Ich erkannte den Umriss einer Person, die auf dem Rücken lag. Er war bis hierher gefallen, unkontrolliert durch stachelige Büsche und über die harte Erde gerollt.

>>Adam!<<, kreischte ich, >>Adam!<<
Ich warf mich neben ihn auf die Knie. Ich streckte eine Hand nach ihm aus, als wäre er ein weit entfernter Traum, den ich nicht vergessen wollte, nach dem ich deshalb griff. Ich wollte ihn schütteln, ihn in den Arm nehmen, mir einreden, dass alles gut werden würde, dass das gerade nicht passiert war. >>Du-<<
Er packte mich am Handgelenk. >>Ich liebe dich, Haydan.<<

Stille legte sich über uns. So lange, dass ich fürchtete, ihn verloren zu haben. Zum Glück drückte sich kurz darauf ein rhythmisches Röcheln aus seiner Kehle. Er war noch hier.
Ein tiefer Schluchzer durchzog meine Brust, als ich begriff. Nach allen Andeutungen, die er gemacht hatte. >>Das war dein Wille, oder? Du bist gesprungen, nicht abgerutscht.<<

Er seufzte gelassen, und das, obwohl er wohl gerade im Sterben lag. Ich konnte nicht auf die Schnelle feststellen, was ihm fehlte, aber dass er bewegungsunfähig war, das konnte ich klar erkennen. Einige Knochen waren mit Sicherheit gebrochen. Ich hätte schwören können, sie knacken zu hören, als er aufgeprallt war.

Seine Stimme zitterte, als er mir antwortete:
>>Es tut mir leid, dass du das sehen musstest. Das war dumm von mir. Das wollte ich nicht. Ich habe dir eigentlich einen Brief geschrieben, in dem ich mich verabschiede und...<<

Ich konnte es nicht länger bezeugen. Ich verschränkte meine Finger in seinen und ließ meiner Hilflosigkeit freien Lauf, sodass selbst die Milane über diesem Ort mein Entsetzen spürten. Ich ertrank in einem Sturm, der mich in sich gefangen hielt, wie ich es schon so oft erlebt hatte, und der dennoch vollkommen neu war. Er ließ mich den Rest der Welt vergessen, meine Tränen zerspringen und meinen Geist schweben.

Nur wir zählten in diesen Minuten.

>>Warte<<, flüsterte er in die Nachtluft hinein. Er zog sich mit der freien Hand seine Mütze vom Schopf, die er bei dem Sturz irgendwie aufbehalten hatte. Diese Geste musste ihm enorme Kraft kosten, doch er ließ sich nichts anmerken.

Adam setzte sie mir schlecht gezielt auf die Haare. Ich bekam es irgendwie hin, mich für einen Moment von ihm zu lösen und sie geradezurücken. Sie war kuschelig und roch nach feuchtem Laub und Erinnerungen.

Diese spielten sich wie ein vergilbter Film der Neunziger in meinem Gehirn ab. Sein freches Grinsen, seine raue, beruhigende Stimme, seine herzlichen Umarmungen, die unsere Bindung zueinander so flammend gemacht hatten.
>>All die schönen Momente, die wir hatten. All die Scheiße, die wir gemeinsam durchgestanden haben. Muss das jetzt enden? Warum? Warum? Was ist los? Ich kann nicht, Adam, ich kann dich nicht-<<

Er schüttelte den Kopf und biss dabei die Zähne zusammen. Leid. Entsetzliches Leid zerfraß ihn. Es war, als würde ich zum ersten Mal die Dunkelheit in seinen magischen Augen, sehen, die erkaltete, verschlossene Seele darin, die nun aus ihm herausbrach.
>>Mach dir keine Vorwürfe. Ich hätte meinen Schmerz nicht damit betäuben sollen, mich und andere zu verletzen. Er war zu stark. Doch dann kamst du und... verzeih mir.<<

Er hustete und ich strich behutsam über seine Wange. Meine Hand verkrampfte sich mehr und mehr in seiner. >>Tu ich. Hier und jetzt. Danke für alles, das du getan hast. Für alles, das du mir beigebracht hast.<<
>>Hab' ich dir denn überhaupt geholfen?<<
>>Du Idiot! Du hast mein ganzes Leben besser gemacht. Merkst du denn nicht, wie wertvoll du bist? Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, dich zu retten!<<

Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen. Ein ehrliches Lächeln. >>Ich weiß nicht... Wo ich anfangen soll. Ich bin kaputt. Warst du auch. Du hast dennoch so viel für mich getan. Du hast mich ermutigt, zu einem anderen Menschen zu werden, an mir zu arbeiten. All diese tollen Erlebnisse mit dir... Ich hätte mir früher Hilfe suchen sollen, Haydan, ich... Verzeih mir. Warum zum Fick bin ich überhaupt gespr-<<

Ein Schauer durchzuckte ihn wie ein Blitz und er stöhnte spitz auf.
>>Nein, bitte! Fabian, ich-<<
>>Ist schon gut, es ist alles gut. Ich bin bereit dafür<<, keuchte er.

>>Das meine ich nicht.<< Meine Tränen tropften auf das weiche Gras unter uns. >>Ich dich auch.<<

Er richtete seine wunderschönen Augen auf den Nachthimmel. Auf die Unendlichkeit des Universums. Als wäre es seine nächste geniale Idee, die er in die Tat umsetzen wollte.
>>Sieh nur, Haydan<<, sagte er.
>>Die Sterne.<<

Und seine Augen erstarrten.

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