'Januar'

Sowie ich die Entscheidung gefasst hatte, schrieb ich los. Ich schrieb mir die ganzen Prügeleien, Chat-Gruppen und schäbige Lacher von der Seele, die sie gebrochen hatten. All die Pein und die Demütigungen, welche mich zerfraßen, all die Scherben, die ich schlucken musste.

Ich hämmerte die Wörter in die Tastatur meines Handys, fühlte alles, was ich fühlen musste.

Doch nicht in meinem Blog. Sondern bei ihm.
Denn ich hatte realisiert, dass ich mich nicht einen Tag länger auf writeyourself und die Mitleids-Floskeln unbekannter Menschen stützen wollte. Ich musste endlich einen erlösenden Schritt wagen, den ich schon seit Monaten, vielleicht schon seit Jahren hätte tätigen sollen: Mich jemandem wirklich anzuvertrauen.

Das Gestirn am kalten Nachthimmel funkelte, ich hatte mich unter meiner warmen Bettdecke verkrochen. Mein Herz trommelte aufgeregt gegen meinen Brustkorb, ich versuchte, ruhig zu bleiben und die Buchstaben mit meinen zittrigen Fingern zu treffen.

Mama interessierte sich nicht mehr für mich, seit mein Vater gestorben war. Sie trauerte unfassbar, ich wusste, dass sie das tat, aber sie merkte nicht, wie sehr sie mich damit verletzte. Wie ich unter dem Druck zusammenbrach, den sie mir machte- bloß nicht aufzufallen, ihr bloß keine weiteren Schmerzen einzubrocken.

Weil sie verstanden hatte, was Hass bedeutete, als man ihr vor zwei Jahren mitgeteilt hatte, dass ihr Mann umgebracht worden war. Kaltblütig ermordet wie ein Schädling in einem modrigen Keller.
Weil ihr mit Pauken und Trompeten klar wurde, dass Papa aufgrund seiner Herkunft hier nicht willkommen war.
Weil sie in diesem Moment realisiert hatte, dass die Welt scheiße unfair ist.

Während ich schrieb, kam mir der Gedanke, dass sie all das tat, um mich nicht auch zu verlieren. Aber mich anzupassen, klein zu machen und die Schuld für die Vorurteile anderer auf mich zu nehmen, waren nur die nächsten Erwartungen, welche ich nicht erfüllen konnte.

Wie oft hatte ich mir schon gewünscht, dass mir endlich etwas diese Last abnahm, dass mich endlich jemand verstehen würde.
Irgendjemand. Irgendein noch so fernes Lebewesen in den Weiten dieser Galaxie, in der wir alle nur ein Schatten unserer Selbst sein durften. Doch was, wenn ich dafür auf diesen Jemand zugehen musste?

>>Ihre Nachricht wurde erfolgreich gesendet.<<

>>Tell me why are we
So blind to see
That the ones we hurt
Are you and me?<<
-Coolio// Gangsta's Paradise

Mir fiel ein unsäglicher Stein vom Herzen, als du positiv reagiertest. Du hast Geduld gezeigt und dir einige Sachen erklären lassen. Auf gewisse Dinge bin ich zu diesem Zeitpunkt nicht näher eingegangen, das hatte seine Gründe in der Vergangenheit.
Doch für alles, das ich dir anvertraute, zeigtest du echtes Verständnis.

Du warst seit unserem ersten Aufeinandertreffen zweifelsfrei ein anderer Mensch geworden. Das waren wir beide.

Die Monate vergingen wie im Flug. Ich konnte dich offen um Rat fragen, wenn meine Mitschüler mir wieder Probleme bereiteten, mein Zögern wurde immer kürzer, mein Herz immer offener. Du warst wie ein Komet, der bei mir einschlug, und der nach dem anfänglichen Schaden eine blühende Wiese hinterließ.

Wir telefonierten sogar ab und zu, das ging durch diesen Chat nämlich.

Ich konnte deiner Stimme stundenlang lauschen. Mein Bauch fühlte sich an, als wäre er in Watte eingebettet, wenn du mir von deinem Tag erzähltest. Ich sagte dir sogar einmal, wie schön ich sie fand, worauf du nur amüsiert lachtest.

Ich frage mich, ob du deine Stimme auch so sehr gemocht hast wie ich.

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