Der Erste Streit
Grinsend stelle ich die Nudeln auf den Tisch, hänge die Topflappen wieder zurück an den Haken und öffne Manuel die Tür.
Mein Freund lächelt mich schwach an und drückt mir einen Kuss auf die Strin, ehe er an mir vorbeiläuft und seine Schuhe auszieht.
"Essen ist fertig."
Manu nickt, hängt seine Jacke an die Garderobe und geht dann mit mir ins Esszimmer, wo er sich an seinen gewohnten Platz setzt.
Normalerweise essen wir erst später, aber in den letzten Wochen leidet Manuel ziemlich unter seiner Arbeit und steht ständig unter Stress. Er schläft nicht mehr ordentlich und macht Überstunden.
Ich packe Manu eine Portion Nudeln auf den Teller, gieße ein bisschen Soße drüber und stelle ihm den Teller wieder hin. Das Gleiche mache ich bei mir und sitze ihm nun gegenüber. Kurz ist es still, bis ich das Besteck von Manuel höre, wie es über den Teller kratzt.
"Danke."
Mein Lächeln sieht er wahrscheinlich nicht, weil er so konzentriert auf seinen Teller ist. Aber er merkt, dass mein Blick auf ihm liegt.
Er schiebt die Nudeln hin und her und scheint nicht wirklich so, als würde er Hunger haben.
"Hast du keinen Hunger?"
Ohne den Blick zu heben schüttelt Manu den Kopf.
"Hast du auf der Arbeit gegessen?"
Wieder schüttelt er den Kopf und schaut flüchtig zu mir.
"Bitte iss etwas Manu. Du bist in letzter Zeit viel zu lange wach und zu viel unterwegs um nichts zu essen."
Widerwillig schiebt mein Freund sich eine Gabel mit ein paar Nudeln in den Mund und kaut langsam. Dankend schaue ich ihn an und er lächelt leicht.
"Glaubst du nicht, das Ganze wird langsam zu viel? Könntest du nicht einmal mit deinem Chef reden? Ihm sagen, dass du mit der ganzen Arbeit nicht klarkommst?"
Sofort schüttelt Manuel wieder den Kopf, schluckt das Essen herunter und schaut nun auf.
"Dann werde ich sofort gefeuert."
"Wie wäre es denn mit einem anderen Job?", schlage ich vor.
"Kein anderer bezahlt so gut", argumentiert er.
Nun schweigen wir.
Schauen auf die Teller vor uns und auch ich habe nun kein Appetit mehr. Er hat ja recht.
Mein Lohn ist durchschnittlich und es würde reichen, wenn er irgendeinen kleinen Job beginnt, aber es ist besser, ein wenig mehr Geld zu haben und zu sparen.
Aber wenn das so weitergeht, werde ich persönlich für ihn kündigen. Ich werde nicht dabei zusehen wie mein Freund in sich zerfällt, nur weil er seiner Arbeit nachgeht.
"Gut, dann kündige vorerst nicht, aber sorg dafür, dass sich etwas ändert. Außerdem denke ich, dass du eine Auszeit brauchst. Was hälst du davon, wenn wir nächstes Jahr zusammen Urlaub machen? Du dich erholen kannst und ein bisschen Abstand von der Arbeit bekommst."
Manus rote Augen schauen von seinem Teller auf. Er sieht wenig begeistert aus.
"Du hast so viel zu tun und siehst echt fertig aus. Wir könnten im Frühjahr vielleicht für zwei Wochen weg. Und wenn es nur Frankreich, die Schweiz oder Österreich ist. Einfach mal weg von der Arbeit."
Mein Freund senkt den Blick wieder. Seine Augenringe sehe ich nun noch deutlicher und sein Blick trübt sich.
Er lässt die Gabel auf den Teller sinken und spielt mit seinen beiden Händen.
"Ich glaube, das ist keine so gute Idee", meint er dann vorsichtig. Seine Stimme tut in meinen Ohren weh. Sie ist schwach und leise. Erfüllt von Schmerz. Seelischem Schmerz.
"Warum nicht?", frage ich und lege mein Besteck ebenfalls nieder.
"Wer weiß, was bis dahin passiert ist."
"Was soll das heißen? Denkst du wir trennen uns vorher?" Meine Stimme ist erfüllt von Vorwurf und ich kann ihn beim besten Willen nicht nachvollziehen.
"Es lohnt sich einfach nicht Pläne zu schmieden, Patrick."
"Weil wir so wie so nicht zusammen bleiben oder was? Weißt du, Manu, wenn das alles hier für dich nur irgendein Zeitvertreib und nichts Ernstes ist, dann sag es mir und hör auf mit mir zu spielen. Denn für mich ist das Ganze hier viel mehr als das."
Ich gehe aus dem Esszimmer, ziehe mir meine Schuhe und Jacke an und verlasse die Wohnung.
Schnell laufe ich die Treppen hinunter und aus dem Haus.
Draußen ist es kälter geworden und die Sonne steht nicht mehr weit entfernt vom Horizont.
Mit der Kapuze über dem Kopf und dem Blick auf dem Boden laufe ich durch die Straßen von Köln.
In mir herrscht ein Chaos von Gefühlen. Verwirrung.
Warum will Manu nicht mit mir in den Urlaub?
Glaubt er wirklich, dass wir keine Pläne machen sollten? Weil wir nächstes Jahr nicht mehr zusammen sind?
Wut durch sein Ablehnen. Dass er mir nicht erklärt was los ist. Wut auf mich.
Trauer. Er ist mein Freund. Will aber nicht mit mir in den Urlaub und hat gerade gesagt, dass wir uns bald trennen. Als hätte er jetzt mit mir Schluss gemacht.
So wirklich sicher, was ich nun fühlen soll, bin ich mir nicht.
Mein Kopf hängt in dieser Gewitterwolke fest und wird immer wieder von den verschiedenen Wärmen und Kälten überrollt, während meine Füße mich von ganz allein zu der Wohnung von Sebastian tragen.
Dort klingele ich und warte bis das Rauschen aus der Sprechanlage kommt.
"Hallo?", höre ich die Stimme von meinem besten Kumpel, die von dem Rauschen beinahe übertönt wird.
"Hey, Patrick hier. Machst du auf?"
Ohne eine weitere Antwort gibt die Tür ein Summen von sich und ich drücke die Tür auf. Die wenigen Treppenstufen lasse ich schnell hinter mir und komme im dritten Stock an, wo Sebastian bereits in der Tür auf mich wartet.
Stumm lässt er mich eintreten und führt mich ins Wohnzimmer.
"Eis oder Tee?"
Gute Frage.
Ich bin mir nicht sicher. Jedes Mal, wenn bei mir etwas nicht stimmt, laufe ich zu Sebastian. Er hat immer ein offenes Ohr für mich.
Und jedes Mal stellt er mir diese eine Frage. Um einschätzen zu können wie es mir geht. Was in mir vorgeht.
Er kennt mich nämlich schon so lange, dass er weiß, was von den beiden ich wann wähle.
Sebastian hat beobachtet, dass ich Eis esse, wenn ich frustriert bin.
Und anscheinend habe ich das Verlangen danach Tee zu trinken, wenn ich mich über jemanden aufrege. Lästere und mir alles, was mir in letzter Zeit auf die Nerven ging, von der Seele rede.
Hilflos schaue ich ihn an.
Bis jetzt konnte ich immer eine Antwort geben. Und jetzt kann ich mich nicht entscheiden.
"Oh man, so schlimm?"
Mit den Zähnen knirschend nicke ich und wende meinen Blick ab. Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter.
"Gib mir fünf Minuten."
Dann verlässt er das Wohnzimmer und ich bin alleine. Erschöpft lasse ich meinen Kopf an die Lehne des Sofas nieder und schaue auf die Regale neben dem Fernseher. Dort stehen verschiedene Dekorationen wie kleine Pflanzen, Bilder oder Bücher, die Sebastian wahrscheinlich nie gelesen hat.
Ich erblicke ein Buch, das mir allzu bekannt vorkommt. Vor ein paar Wochen habe ich es ihm geliehen. Es handelt von den Sternen. Irgendeine Autorin hat ihre Interpretationen und Gedanken zu den Sternen aufgeschrieben. Und ich fand es faszinierend. Habe es an einem Tag verschlungen und es geliebt. Also drückte ich es Sebastian in die Hand. Damit er endlich versteht, was an den Sternen so toll ist. Aber so wie ich ihn kenne hat er noch keine Seite davon gelesen. Und wird es auch nie.
"Du kannst das Buch wieder mit nach Hause nehmen. Mein letztes Date war ein kompletter Reinfall wegen diesem blöden Ding", meckert mein Kumpel, stellt eine dampfende Tasse und einen Becher Eis auf den Tisch und lässt sich neben mich auf das Sofa fallen.
"Mein Date war vollkommen begeistert, als sie das Buch gesehen hat und wollte mit mir über die Sterne philosophieren. Und als ich ihr dann gebeichtet habe, dass das Buch nicht meins ist war die Stimmung im Eimer."
Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und ich schaue zu Sebastian.
"Also, was ist passiert?"
Ich erzähle ihm was in den letzten Wochen passiert ist.
Kurz mustert Sebastian mich nachdenklich und kratzt sich am Kopf.
"Weißt du, Palle, ein weiser Mann hat mal gesagt, dass alles nicht so ist wie es scheint. Man müsste näher hinsehen um alles erkennen zu können."
Ich rolle mit den Augen. Das habe ich zu ihm gesagt, als ich ihm das Buch gegeben habe. Er hat mich gefragt, was so interessant an diesen blöden leuchtenden Punkten sei und das habe ich geantwortet.
"Ich will nicht sagen, dass du dich hineinsteigerst", spricht Sebastian weiter, "aber ich denke, dass Manu seine Gründe hat. Und du beurteilst das gerade ziemlich oberflächlich. Ich meine, nehmen wir mal als Beispiel Manus lange Abwesenheit. Er sagt dir, er ist bei der Arbeit, könnte aber auch überall sein. Kein Arbeitgeber lässt seine Mitarbeiter einen Monat lang von morgens bis abends arbeiten. Darf er gar nicht. Und ich will damit auf keinen Fall behaupten, dass Manuel dich betrügt oder so, dafür liebt er dich viel zu sehr, aber vielleicht beschäftigt ihn irgendetwas. Etwas, wofür er Zeit für sich alleine braucht. Und als Ausrede nimmt er die Arbeit."
Ich mag Sebastian wirklich sehr, aber so etwas schlaues habe ich noch nie von ihm gehört. Auch wenn viele seiner Ratschläge oft hilfreich waren.
Und auch noch nie hatte ich das Gefühl, dass mein bester Freund so viel Recht hat wie in diesem Moment.
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