Der Erste Kuss

Ein paar Wochen sind vergangen. Manuel und ich haben uns mindestens zweimal in einer Woche getroffen. Und heute ist es so weit. Ich will ihn fragen, ob er mit mir zusammen sein will.

Meine Hände zittern alleine bei dem Gedanken an das, was heute bevorsteht. Meine Knie werden weich und mein Magen dreht sich. Jedes Mal, wenn ich daran denke, wird mir schlecht und ich möchte mich am liebsten übergeben. Und trotzdem will ich es wagen. Ich überwinde die Übelkeit und schaue positiv in die Zukunft. Rede mir ein, dass Manu zustimmt. Wir heute ein Paar werden und vielleicht eine ziemlich lange Zeit zusammen verbringen.

Ich halte die Luft an, als ich die Straßenbahn betrete, die mich zum Rhein bringt, wo ich Manuel gleich treffe. Es ist spät am Abend. Heute sollen besonders viele Sternschnuppen am Himmel zu sehen sein. Und da wir beide Sterne so sehr mögen, habe ich mir diese Nacht ausgesucht um ihn zu fragen. Immerhin hat das Alles hier auch mit Sternen angefangen. Da kann man es auch fortführen.

Seufzend greife ich nach einer Stange um nicht umzufallen, sobald die Bahn losfährt und schaue mich um. Es sind hauptsächlich junge Leute unterwegs, die wahrscheinlich irgendwelche Freunde treffen wollen oder feiern gehen wollen. Auch ein paar ältere Menschen sind in der Bahn und sehen so aus, als würden sie gerade von der Spätschicht oder Überstunden kommen. Die meisten schauen einfach aus dem Fenster, hören Musik und hängen in ihren Gedanken fest. Der eine wackelt mit seinem Knie, der andere tippt mit seinen Fingern an den Fensterscheiben. Ein Mädchen weiter hinten hat ihren Kopf an der Schulter des Jungens, vermutlich ihr Freund oder ihr Bruder, wobei sie sich ganz und gar nicht ähneln, gelehnt und hat ihre Augen geschlossen.

Wenn ich Glück habe, könnte ich gleich genau das machen. Mit Manuel in die Straßenbahn steigen, neben ihm sitzen und während ich seine Hand halte, meinen Kopf auf seiner Schulter stützen. Meine Augen würden mir zufallen und er würde mich vorsichtig und mit seinem herzlichen Grinsen wecken.

Die Bahn ruckelt und ich schrecke auf. Ich schaue einmal auf die kleine Anzeige und stelle fest, dass ich an der nächsten Station aussteigen muss. Kurz darauf hält die Bahn, öffnet ihre Türen und ich verlasse sie.
Immer noch wackeln meine Knie und mein Magen fährt Karussell. Ein schreckliches Gefühl.

Mit unregelmäßiger Atmung, schwitzenden Händen und viel zu viele Gedanken laufe ich zum Treffpunkt, wo Manuel bereits auf mich wartet.
Als ich seine Silhouette sehe, atme ich einmal tief durch und setze ein Lächeln auf. Auch er lächelt als er mich sieht und steht von dem kleinen Geländer, auf dem er sitzt, auf und begrüßt mich.

"Hast du an alles gedacht?"

Manu nickt und deutet auf den Rucksack, den er auf seinem Rücken trägt. Ohne etwas zu sagen nehme ich seinen Arm und laufe mit ihm Richtung Rheinufer, wo man die Sterne wahrscheinlich am besten sehen kann.

Irgendwann lasse ich ihn los und wir laufen einfach schweigend nebeneinander her. Er schaut wieder hinauf in die Sterne. So wie immer.

Wir suchen uns einen geeigneten Platz, wo Manu eine Decke ausbreitet, die er in seinem Rucksack hatte. Dann packt er alles aus, was sich in seinem Rucksack so befindet. Hauptsächlich Essen und Trinken.
Wir haben beschlossen, dass er sich darum kümmert. Weil bei mir immer etwas schiefgeht, wenn ich in der Küche stehe. Und weil wir beide keinen großen Hunger auf zu viel Salz, Kohle oder irgendeine Pampe haben, hat er sich dazu bereit erklärt, Essen zu besorgen.

Nach einer Zeit, in der wir gegessen haben und uns über unsere vergangene Woche unterhalten haben, stütze mich mit meinen Armen auf dem nassen Gras hinter mir ab und lege den Kopf in den Nacken. Manuel neben mir verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf und schaut nach oben.

Es ist still. Nur das Rauschen des Flusses ist zu hören. Wir beide starren in den schwarzen Himmel, in der Hoffnung eine Sternschnuppe zu sehen.

"Da war eine", flüstert Manuel neben mir.

Seine Augen leuchten und ich grinse.

"Jetzt darfst du dir was wünschen", meine ich.

Kurz schließt er seine Augen, beißt sich auf die Lippen und grinst dann. Fragend schaue ich ihn an.

"Vergiss es! Ich verrate dir nicht, was ich mir gewünscht habe."

"Warum nicht?"

"Dann geht es nicht in Erfüllung. Außerdem ist es peinlich."

Er wendet den Blick von mir ab und schaut wieder zu den Sternen. Obwohl es dunkel ist, kann ich mir denken, dass er rot wird.

"Ich verspreche dir, ich werde nicht lachen."

"Oh, guck!" Er streckt seine Hand aus und ignoriert meiner Aussage von vorher. "Da war noch eine. Jetzt wünsch du dir etwas."

Mir etwas wünschen?

Das ist leicht.

Auch ich schließe meine Augen und denke ganz fest an meinen Wunsch.

Bitte lass ihn ja sagen.

Immer wieder wiederholt sich der Satz in meinem Kopf, damit der Wunsch auch erhört wird.
Irgendwann, als ich mir sicher bin, dass niemand diesen Wunsch überhört hat, öffne ich meine Augen wieder und schaue zu Manuel, der mich aufgeregt und neugierig mustert.

"Willst du wissen, was ich mir gewünscht habe?"

Meine Stimme hat an Kraft verloren. Sie ist nur noch ein Flüstern und wäre Manuel nicht so nah bei mir, hätte er die Frage sicherlich überhört.

"Aber wenn du sie mir verrätst, geht es nicht in Erfüllung." Seine Stimme ist genauso leise wie meine.

"Mein Wunsch handelt aber von dir."

Manu grinst, seine Augen leuchten auf und er wird erneut rot. Dann dreht er sich auf die Seite und schaut zu mir auf.

"Was hast du dir gewünscht?"

Seine Augen machen mich nervös. Jetzt ist es soweit. Jetzt frage ich ihn.
Und wenn ich Glück habe, wurde mein Wunsch erhört.

"Ich habe mir gewünscht, dass du ja sagst, wenn ich dich frage, ob du mein Freund sein willst. Eine Beziehung mit mir führen willst."

Mein Atem stockt.
Mein ganzer Körper hält still.
Er zeigt keine Reaktion. Er liegt bloß da, grinst und seine Augen glänzen.
Ein wenig beschämt schaue ich weg.
Es scheint nicht so, als würde er zustimmen wollen.
Ich vernehme ein Rascheln und dann den Atem von Manuel neben mir.

"Patrick?"

Seine Stimme summt knapp neben mir und vorsichtig drehe ich mich zu ihm. Er hat sich aufgesetzt, trägt immer noch das selbe Grinsen und Leuchten in den Augen.
Sein Gesicht ist mir näher als gedacht. Mein Herz pocht wie verrückt.

"Dein Wunsch geht in Erfüllung."

Nun setzt mein Herz aus. Das Blut rauscht durch meinen Körper und ich erwidere sein Grinsen.
Ich kann nicht glauben, was gerade passiert. Zu sehr fühlt sich das alles wie ein Traum an.

Manu nimmt meine Hand in seine und Gänsehaut bildet sich auf meinem ganzen Körper. Die kleinen Härchen auf meinen Armen stellen sich auf und eine Welle der Wärme strömt durch meinen Körper.
Bevor ich richtig reagieren kann, nähert Manuel sich meinem Gesicht, schaut mich durch seine verführerischen Augen an und lässt mich unregelmäßig atmen. Er hat seinen Mund leicht geöffnet, wechselt mit seinem Blick ständig zwischen meinen Lippen ind meinen Augen hin und her.
Man bemerkt seine Unsicherheit durch mein Erstarren deutlich, aber ich kann nichts machen. Ich bin unfähig mich zu bewegen. Dafür ist er mir viel zu nah.

"Mach schon."

Meine Stimme ist kratzig, nur ein Hauchen und kaum hörbar. Trotzdem scheint er es verstanden zu haben, was ich an seinen nach oben zuckenden Mundwinkeln erkenne, und schon liegen seine Lippen auf meinen.

Mein Körper beginnt zu kribbeln, wird erfüllt von Leben und ich bin wieder in der Lage mich zu bewegen. Seine Lippen sind weich und passen perfekt zu meinen.

Bevor ich überhaupt richtig beginnen kann, löst sich Manu und schaut mich an. Fragend und unsicher.
Seine stumme Frage beantworte ich, indem ich meine Hand in seinen Nacken lege und ihn an mich ziehe. Der Kuss jetzt ist viel leidenschaftlicher als der vorherige und gibt mir erneut einen Funken leben. Meine Hand fährt in seine Haare und die andere lege ich auf seine Schulter, um ihn sanft nach unten zu ziehen. Es wird anstrengend sich einhändig abzustützen und so ist das ganze angenehmer. Manu stützt sich also über mich, ohne den Kuss zu lösen. Seine eine Hand stützt er neben meiner Taille und die andere liegt auf meiner Brust. Die langen Haare fallen ihm leicht ins Gesicht und kitzeln mich an der Wange.

Aufgrund von Luftmangel lösen wir uns und schauen uns in die Augen. Verharren in unserer Position. Sein Gesicht schwebt knapp über meinem, seine Augen sehen aus, als wäre er benebelt und trotzdem strahlen sie eine beeindruckende Freude aus. Ich betrachte jeden einzelnen Fleck seines Gesicht und spüre seinen unregelmäßigen, leichten Atem auf meinem Mund. Manu tut es mir gleich und beißt sich dabei auf die Lippe, was ihn noch attraktiver macht.

"Soll ich dir was verraten?", fragt er leise und ich nicke, da ich unfähig bin etwas zu sagen. Sein Aussehen raubt mir den Atem und ich bin immer noch zu überwältigt von dem Kuss gerade.

"Mein Wunsch ist gerade in Erfüllung gegangen."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top