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Sunwoo war den restlichen Tag über nicht wieder aufgetaucht. Kevin wusste nicht, ob er jetzt froh darüber sein sollte oder er eher ein schlechtes Gewissen haben musste, weil er ihn vertrieben hatte. Weil er ihn vielleicht vertrieben hatte, korrigierte er sich selbst. Wer wusste schon, was wirklich in dem Kopf des Jungen vor sich gegangen war, als er sich aus dem Staub gemacht hatte.

Als Kevin jedenfalls Jaesang darüber informiert hatte, hatte dieser nur mit den Schultern gezuckt und gemeint, dass er schon wieder auftauchen würde – früher oder später. In Sunwoos Fall wohl eher später. Wahrscheinlich hatte er wieder irgendwelchen hilflosen Passanten oder anderen leichten Opfern, die Brieftasche geklaut. Eigentlich konnte es Kevin ja auch egal sein. War es aber nicht. Verdammt.

Er steckte fluchend den Schlüssel ins Schloss seiner Wohnungstür, nur um dann zu bemerken, dass diese bereits aufgeschlossen war. Also war Stella bereits vor ihm zu Hause. Er stiess die Tür auf, hinter der bereits seine Schwester, die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkt.

»Schwesterherz«, sagte er gedehnt, seine Begeisterung hielt sich dabei deutlich in Grenzen. Er sah sie fragend an. Zwar hatte er bereits eine leise Ahnung, was der Grund dafür sein könnte, weshalb sie ihn hier auf dem Flur abfing, auch wenn er hoffte, dass er damit falsch lag.

»Ich hatte gerade einen ziemlich aufgeregten und wirklich interessanten Anruf von unserer Mom«, meinte Stella, während sie ihm einen vielsagenden Blick zuwarf. Kevin verdrehte die Augen. Natürlich hatte er Recht gehabt. Was war das nur mit seiner Familie und seinem Liebesleben? Irgendwie schien immer gleich jeder alles stehen und liegen zu lassen, wenn es auch nur den geringsten Anlass zu der Vermutung gab, dass Kevin nun endlich doch noch einen Kerl abbekommen hatte. So kam es ihm zumindest vor.

»Ich hoffe doch sehr, dass du ihr nicht verheimlicht hast, dass du seit neustem einen Freund hast, denn dann hättest du mir das ja auch verschwiegen.« Der vorwurfsvolle Unterton in der Stimme von seiner Schwester bestätigte seine Gedanken nur noch mehr. »Lässt du mich vielleicht erstmal hereinkommen?«, fragte er und schob sich dann auch schon an Stella vorbei, bevor diese auch nur darüber nachdenken konnte.

»Also stimmt es nicht?«, rief seine Schwester ihm hinterher, als er erst in sein Zimmer schlurfte, wo er lustlos seinen Rucksack aufs Bett warf und dann weiter Richtung Wohnzimmer pilgerte. »Kevin?!« Wie eine Furie folgte sie ihm auf den Fersen, doch Kevin beachtete sie gar nicht und liess sich stattdessen erschöpft auf die Couch fallen. Er legte einen seiner Arme über die Augen und am liebsten wäre er einfach genauso in dieser Position eingeschlafen. Keine nervigen Fragen, keine Gedankenfetzen, die hauptsächlich von Sunwoo handelten, sondern einfach nur Ruhe.

Er hörte wie sich Stella auf der Höhe seines Kopfes neben dem Sofa auf den Boden kniete. »Jetzt sag schon«, wisperte sie und pikste ihn in die Wange. Seufzend hob Kevin seinen Arm und blinzelte sie an. »Was glaubst du denn? Sunwoo musste anscheinend beweisen, dass er wirklich gut ist in dem was er tut und hat mir mein Handy geklaut.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre nicht sonderlich viel dabei. Stella nickte langsam. »Also war er es am Telefon?«, fragte sie nachdenklich.

Kevin stöhnte leise auf. »Habe ich das nicht gerade eben in meine Antwort impliziert?«, erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue. Dieses Mal war es an Stella, die Schultern hochzuziehen. »Ich wollte nur ganz sichergehen«, gab sie zurück.

»Wieso interessiert ihr euch eigentlich alle so sehr für mein Liebesleben«, grummelte er kaum hörbar, doch Stella schien ihn dennoch laut und deutlich verstanden zu haben. »Wir finden nur, dass es mal wieder Zeit für dich wird, dass du jemanden hast. Ich meine, du bist jetzt schon seit einer ganzen Weile single. Seit der Sache damals mit Jacob warst du doch nie wieder in einer Beziehung und das ist jetzt wie lange her? Fünf Jahre?« Eigentlich waren es sechs.

»Das gibt euch trotzdem kein Recht dazu, euch ständig einzumischen«, erwiderte Kevin müde. Er war Beziehungen in den letzten Jahren ganz bewusst aus dem Weg gegangen. Als er noch in Kanada war, weil er schon damals von seinen Plänen nach Seoul zu ziehen wusste und er keine Lust darauf hatte, eine Fernbeziehung zu führen, die zerbrach ja am Ende doch nur, und als er dann schliesslich in Korea war... aus demselben Grund?

Sein Leben befand sich momentan in einer Art Schwebezustand, er wusste nicht so Recht, was er damit anfangen sollte, welchen Weg er einschlagen sollte. Vielleicht würde er in einem Jahr nach Kanada zurückkehren, wer wusste das schon, aber wäre es da nicht unsinnig, wenn er jetzt etwas mit jemanden anfing, der Korea vielleicht auf gar keinen Fall verlassen wollte? Kevin hatte nicht vor, dieses Risiko einzugehen und sich am Ende das Herz brechen zu lassen.

»Du hast Recht und es tut mir leid«, entschuldigte sich seine Schwester und in an dem Blick in ihren Augen konnte Kevin ihr ansehen, dass sie es ernst meinte. »Frieden?«, fragte sie und Kevin lachte leise. »Wir haben uns doch gar nie gestritten«, gab er kopfschüttelnd zurück, bevor er ihre ausgestreckte Hand ergriff. »Frieden«, bestätigte er und zwinkerte ihr zu. Sie lachten gemeinsam.

Stella wuschelte ihm durch seine Haare. »Jetzt musst du das alles nur noch Mom erklären«, sagte sie und warf ihm einen mitleidigen Blick zu. Kevin stöhnte bei dem Gedanken darauf laut auf. »Erinnere mich bitte nicht daran«, bat er und richtete sich auf dem Sofa auf. Er hatte bisher sämtliche ihrer Anrufe ignoriert, doch anhand der unzähligen Nachrichten, die er am Nachmittag kurz überflogen hatte, konnte er entnehmen, dass sie eine Person mehr für Weihnachten eingerechnet hatte.

Stella erhob sich ebenfalls und ging in die Küche hinüber, wo sie heisses Wasser überstellte. »Jetzt nur mal ganz theoretisch, dieser Sunwoo, wäre der nicht vielleicht etwas für dich?«, rief sie ihm über das Surren des Dampfabzuges hinweg zu. Kevin starrte sie völlig entgeistert an. »Oh Himmel nein, ganz bestimmt nicht«, sagte er viel zu schnell, worauf Stella bloss mit den Schultern zuckte. »Na wenn du das sagst.«

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