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Als er am nächsten Tag die Werkstatt betrat, wartete Sunwoo dort bereits auf ihn. In der Hand hielt er Kevins Geldbeutel mit dem er ihm fröhlich zuwinkte. Kevin traute seinen Augen kaum. Er wusste nicht wieso, aber bis gerade eben hatte er noch nicht so ganz daran geglaubt, dass er sein Portemonnaie je wiedersehen würde. Schon wieder ein Punkt, in dem er Sunwoo falsch eingeschätzt hatte.

»Hier«, sagte Sunwoo, sobald Kevin ihn erreicht hatte und streckte ihm den Geldbeutel entgegen. Kevin griff danach und verstaute ihn dann in seinem Rucksack. »Danke«, murmelte er kaum hörbar, doch als er Sunwoos Grinsen bemerkte, wusste er, dass dieser ihn trotzdem gehört hatte.

»Es steckte übrigens in deiner Hosentasche, war ziemlich leicht dort ranzukommen«, informierte ihn Sunwoo – aus welchem Grund auch immer. Kevin gab ein missmutiges Brummen von sich, was den amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen allerdings nur noch verstärkte.

»Wenn du mir wieder sagen willst, dass ich ein leichtes Opfer bin, dann lass es doch bitte«, bat Kevin den Jungen leicht genervt, worauf dieser überrascht eine Augenbraue hochzog. »Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte er verwundert. Kevin verdrehte bloss die Augen.

»Eine ziemlich grosse. Hört auf den Namen Sunwoo«, gab er zurück und bedachte ihn mit einem mehr als nur vielsagenden Blick. Beinahe augenblicklich verzogen sich die Lippen des Jungen zu einem perfekten Schmollmund. War ja klar, dachte Kevin und natürlich sah Sunwoo damit auch noch gut aus. Vermutlich wusste er das auch, irgendwoher musste ja das Selbstbewusstsein kommen, welches der Junge hier an den Tag legte.

»Hey, das ist gemein«, beschwerte er sich in weinerlichem Tonfall. »Ich wollte dir damit doch lediglich die Fakten aufzeigen. Ich könnte dir genau jetzt etwas klauen und du würdest es nicht einmal bemerken.« Kevin hob wenig beeindruckt eine Augenbraue. »Versuch es doch«, forderte er ihn ein wenig zu selbstsicher heraus. Er würde ihm keine Chance lassen, ihn noch ein zweites Mal auszurauben. Als er ihm vor ein paar Tagen seinen Geldbeutel entwendet hatte, war er abgelenkt gewesen, das war jetzt nicht der Fall. Er würde den Jungen, wenn nötig, nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.

Sunwoos Mundwinkel zuckten amüsiert nach oben. »Also eigentlich«, er griff langsam in seine Hosentasche und zog daraus ein Smartphone hervor, welches Kevin ohne Zweifel als sein eigenes identifizierte, »habe ich das bereits.« Er lächelte sein verschlagenes Lächeln, während Kevin ihn nur fassungslos anstarrte.

Wann war er ihm bitte nahe genug gekommen, um ihm sein Smartphone aus der Hosentasche zu ziehen? Und wieso hatte er das nicht bemerkt? Ihm wurde zeitgleich heiss und kalt. Sunwoos dreckiges Lachen drang nur wie durch Watte zu ihm durch.

Seine Gedanken überschlugen sich und doch war sein Kopf wie leergefegt. »Wie?«, krächzte er heiser. Sunwoo lachte nur leise. »Ein Magier verrät nie seine Tricks«, meinte er geheimnisvoll, doch Kevin hatte keine Lust auf diese kleinen Spielchen. »Du bist kein Magier, du bist ein dreckiger kleiner Dieb«, stellte er richtig, worauf sich Sunwoo gespielt schockiert an die Brust griff. »Du verletzt mich, Hyungseo. Ich dachte wir sind Freunde.«

»Wir sind keine...« Freunde. Das Wort blieb ihm im Hals stecken, als in genau diesem Moment sein Handy zu klingeln begann. »Gib das her«, zischte er und ging drohend einen Schritt auf den Jungen zu. Dieser wich jedoch augenblicklich zurück. »Na, na, na«, meinte er kopfschüttelnd und blickte dabei viel zu interessiert auf das Display, auf dem gerade der Name des Anrufers aufleuchten musste. Kevin versuchte unterdessen verzweifelt ebenfalls einen Blick darauf zu erhaschen, damit er wenigstens abschätzen konnte, wie gross der Schaden war, wenn Sunwoo an seiner Stelle ans Telefon ging, denn genau das war dieser gerade im Stande zu tun.

»Deine Mutter«, meinte Sunwoo mit einem verschlagenen Lächeln auf den Lippen. »Ich denke ich sollte rangehen, wäre doch unhöflich sie einfach zu ignorieren.« Ohne noch eine Reaktion von Kevin abzuwarten, hob er ab und hielt sich dann das Smartphone ans Ohr. Wie versteinert sah Kevin ihm dabei zu und betete, dass Sunwoo jetzt bloss nichts Dummes sagen würde, denn bekanntlich konnte er das ja gut.

»Frau Moon«, rief Sunwoo erfreut, sobald Kevins Mutter sich meldete. Kevin hielt sich eine Hand vor die Augen, er konnte sich das nicht mitansehen. »Tut mir leid, Kevin ist es gerade nicht möglich mit ihnen zu sprechen. Nein, wir sind wirklich sehr beschäftigt. Ja werde ich ihm sagen. Auf wiedersehen.« Er legte auf und grinste Kevin an. »Deine Mutter klingt wirklich nett.«

Kevin starrte ihn an. »Hast du eine Ahnung, wie das gerade geklungen hat?«, fragte er tonlos, worauf Sunwoo unschuldig den Kopf schüttelte. »Nein wie denn?«, fragte er frech. Kevin gab ihm keine Antwort darauf.

Seine Mutter interpretierte bereits seit Jahren in jede noch so kleine Interaktion, in die Kevin mit einem anderen Mann verwickelt war etwas hinein und das würde sie ganz sicher auch jetzt wieder tun. Wieso sollte auch sonst jemand anderes bei ihm ans Telefon gehen? Ja, wieso.

»Gib mir mein Handy zurück«, blaffte er den Jungen an. Dieser allerdings schien den Ernst der Lage noch nicht ganz begriffen zu haben – oder es war ihm schlichtweg egal. »Wieso sollte ich das tun?«, erwiderte er lächelnd, worauf Kevin laut aufstöhnte. »Gib es mir jetzt einfach wieder!«, fauchte er gereizt.

Das Lächeln rutschte Sunwoo wie in Zeitlupe aus dem Gesicht. Stattdessen blieb eine ausdruckslose Maske zurück. »Du verstehst anscheinend wirklich keinen Spass«, stellte er fest, ehe er ihm ohne noch ein weiteres Wort sein Smartphone in die Hand drückte und auf dem Absatz kehrt macht.

Kevin starrte ihm hinterher. Was war denn jetzt bitte sein Problem? Er schüttelte irritiert den Kopf. Hatte er irgendetwas nicht mitbekommen oder vielleicht etwas gesagt, mit dem er ihn verletzt hatte? Er wusste es wirklich nicht.

Das Handy in seiner Hand vibrierte und lenkte Kevins Gedanken dadurch von Sunwoo weg. Er warf einen schnellen Blick auf das Display, nur um die Flut an Nachrichten, allesamt von seiner Mutter, zu sehen. Ohne auch nur eine davon zu lesen, steckte er sich das Smartphone wieder in die Hosentasche und machte sich stattdessen an die Arbeit.

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