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Kevin hatte sich völlig umsonst Sorgen gemacht, als Sunwoo an diesem Nachmittag zusammen mit seinem Vater losgezogen war, um gemeinsam mit ihm einen Weihnachtsbaum zu besorgen. In Seoul kaufte man seine Weihnachtbäume auf dem Markt, was laut Kevins Dad ein ziemlich unspektakuläres Unterfangen war. Richtige Männer sollten ihre Bäume selbst fällen, hatte er gemeint und Sunwoo dann gefragt, ob er schon mal einen Baum gefällt hatte. Hatte er selbstverständlich nicht, er war schliesslich in einer Grossstadt gross geworden, doch Kevin wurde in dieser Unterhaltung sowieso übergangen.
Er wurde übrigens auch nicht gefragt, ob er vielleicht mitkommen wollte. Als ob das kein Grund dafür war, besorgt zu sein! Sein Vater konnte sonst was mit dem Jungen anstellen, Kevins Fantasie war da keinerlei Grenzen gesetzt, was nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken war, dass er vor ein paar Jahren mal mitbekommen hatte, wie sein Dad den damaligen Freund seiner Schwester mit ihnen in den Wald geschleift hatte – es war ebenfalls kurz vor Weihnachten gewesen –, nur um diesen dann einmal so richtig in die Mangel zu nehmen. Einen Monat darauf war die Beziehung zerbrochen und Kevin war bis heute davon überzeugt, dass dies die Schuld seines Dads war. Er hatte ihn verschreckt.
Nicht, dass es bei Sunwoo ähnlich laufen könnte, dafür müssten sie zuerst einmal zusammen sein, doch das würde nie passieren. Nein, Kevins Angst bestand eher darin, dass Sunwoo vor lauter Panik alles gestehen könnte, denn er wusste sehr genau, wie furchteinflössend sein Vater sein konnte.
Dementsprechend nervös tigerte er also durch das Wohnzimmer, wo der Baum später stehen sollte. Er hatte zuvor auf Anweisung seiner Mutter bereits den ganzen Baumschmuck aus dem Keller geholt, doch seither war er deutlich unterbeschäftigt. Immer wieder trat er an das Fenster heran, in der Hoffnung draussen in ihrer Einfahrt den Range Rover seines Vaters zu entdecken.
»Junge, du machst mich noch ganz kirre! Jetzt hör auf dich verrückt zu machen und hilf deiner Mutter mal lieber in der Küche!« Kevin wäre vor lauter Schreck beinahe an die Decke gesprungen. Dort in der Tür stand seine Mutter, sie trug eine dunkle Schürze, auf der deutlich die Spuren von Mehl zu sehen waren. An ihrem Blick konnte Kevin erkennen, dass sie keine Ausreden duldete, weshalb er sich schliesslich einen Ruck gab und ihr in die geräumige Küche folgte.
Wortlos nahm er die Schürze entgegen, die sie ihm reichte und begann anschliessend damit, Sterne aus dem bereits vorbereiteten Teig auszustechen. Im Hintergrund dudelten Weihnachtlieder vor sich hin und irgendwann begann Kevin damit, leise mitzusummen. Als er aufsah konnte er sehen, wie seine Mutter lächelte. Schnell senkte er seinen Blick wieder. Er konnte die Röte auf seinen Wangen deutlich fühlen.
»Dein Vater wird ihn schon nicht vergraulen«, meinte seine Mutter nach einer Weile, wohl weil sie gemerkt hatte, dass Kevin noch immer deutlich angespannt war. Als ob das seine einzige Sorge war. Irgendwann im Verlauf des Jahres würde er seine Eltern sowieso darüber informieren, dass sie sich getrennt hatten, aber das konnte er ihr ja wohl schlecht jetzt schon erzählen.
»Ich mag ihn übrigens«, fügte sie hinzu, nachdem Kevin nichts darauf erwidert hatte. Dieser blinzelte sie überrascht an. »Ehrlich?«, fragte er verdattert, weil er irgendwie nicht damit gerechnet hatte und auch weil er sich ein wenig Sorgen machte, dass von nun an jeder seiner weiteren Partner mit dem Jungen verglichen werden würde – ausgerechnet mit ihm.
Andererseits freute es ihn aber auch ein wenig. Er lächelte selig in sich hinein, während er weiter Sterne ausstach, die ihn irgendwie an Sunwoo erinnerte. Sie waren etwa ähnlich unerreichbar wie der Junge auch und doch schienen sie alle um sie herum zu verzaubern.
Diese Theorie sollte sich Kevin übrigens bereits kurz darauf bestätigen, als er vom Flur her das ausgelassene Lachen seines Dads vernahm und kurz darauf Sunwoo neben ihm in der Küche auftauchte, der ihn mit leuchtenden Augen anstrahlte. Er hauchte Kevin einen sanften Kuss auf die Wange, ehe sich auch sein Vater zu ihnen gesellte.
»Dafür, dass er das angeblich noch nie gemacht hat, hat er sich erstaunlich gut geschlagen«, meinte er und klopfte Sunwoo anschliessend anerkennend auf die Schulter. Dieser wirkte auf einmal ganz verlegen. Er war es nicht gewohnt, dass ihm jemand ein Kompliment machte. Kevin war ein ganz kleines bisschen stolz auf ihn.
Sein Vater verschwand wieder aus der Küche, Sunwoo hingegen blieb noch und schlang stattdessen seine Arme um Kevins Hüfte, während er seinen Kopf auf dessen Schulter ablegte. Kevin fühlte eine ungewohnte Welle der Zuneigung für den Jungen in sich aufsteigen und er hätte in diesem Moment nur zu gerne die Zeit angehalten.
»Ich bin froh, dass du hier bist«, wisperte er so leise, dass er zuerst glaubte, dass Sunwoo ihn gar nicht gehört hatte. Es dauerte eine Weile, bis sich der Jüngere plötzlich ein wenig enger an ihn schmiegte. »Ich auch«, flüsterte er mindestens genauso leise und Kevins Herz klopfte bei diesen Worten auf einmal wieder unglaublich schnell, so schnell, dass Kevin sich Sorgen machte, es könnte aus dem Takt kommen, stolpern, fallen, so wie er bereits vor langer Zeit, viel länger als er es zugeben würde, für Sunwoo gefallen war.
Und auch wenn er wusste, dass ihm das Herz gebrochen werden würde, war er froh, er war so unendlich froh, dass Sunwoo hier war, bei ihm. Sie würden ihr Weihnachten gemeinsam verbringen, auch wenn es wahrscheinlich furchtbar werden würde, so wie es jedes Jahr furchtbar wurde, wenn seine Verwandtschaft zusammenkam, doch das wäre dieses Jahr egal, weil Sunwoo da war. Sunwoo in den er sich absolut hoffnungslos und unwiderruflich verliebt hatte.
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