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Die Stimmung war angespannt. Es hatte bereits damit begonnen, als sein ältester Freund ihn in eine kurze, aber herzliche Umarmung gezogen hatte. Jacob war es vermutlich gar nicht erst aufgefallen, aber Sunwoo schien ihn am liebsten erdolchen zu wollen. Hatte er nicht gestern noch behauptet, dass er wirklich schlecht darin war, den eifersüchtigen Freund zu mimen? Nun, überraschender Weise konnte er das doch ganz gut.
Kevin war kurz davor ihm unsanft seinen Ellenbogen in die Seite zu rammen, doch in dem Moment wandte sich Jacob, der sich zuvor mit seiner Mutter unterhalten hatte, wieder ihnen zu und so hielt er sich zurück. Vorerst.
»Also, was macht das Studium?«, wollte er an Kevin gewandt wissen. Dieser hielt die Luft an. Er konnte Sunwoos Blick förmlich spüren, wie er sich nun nicht mehr in Jacob bohrte, sondern auf ihm selbst lag. Er hatte dem Jüngeren irgendwann gestanden, weshalb er in der Werkstatt arbeitete und ihm auch gesagt, dass er seinen Eltern bisher verschwiegen hatte, dass er sein Studium abgebrochen hatte, doch dass er es seinem besten Freund verschwiegen hatte, schien ihn zu überraschen.
Dabei war es doch nicht weiter verwunderlich, nicht wahr? Er und Jacob standen sich längst nicht mehr so nahe und wenn es den Älteren wirklich interessiert hätte, dann hätte er ja auch mal nachfragen können und nicht erst jetzt aus Höflichkeit und weil man das eben so machte.
»Läuft ganz gut«, meinte er deswegen nur unbestimmt und Jacob nickte. Sie waren nie wirklich gut in Smalltalk gewesen, vielleicht war das der Grund, weshalb sie sich auseinandergelebt hatten, weil ihre gegenseitigen Nachrichten und die immer seltener werdenden Anrufe fast nur noch daraus bestanden hatten.
Bevor die Stille zwischen ihnen allerdings noch peinlicher werden konnte, trat seine Mutter an sie heran. »Wie wäre es, wenn ihr bei dem schönen Wetter ein wenig rausgeht, hm? Ihr könntet ja zusammen Schlitten fahren, so wie früher«, schlug sie vor. Kevin rollte entnervt mit den Augen. »Wir sind keine Kinder mehr, Mom«, stöhnte er auf. Wie kam sie nur immer auf sowas?
»Also ich finde die Idee eigentlich gar nicht so schlecht. Das könnte doch lustig werden«, warf Jacob dazwischen, worauf Kevin ihn erstaunt ansah. Er schien das tatsächlich ernst zu meinen, denn er warf Kevin ein aufforderndes Grinsen zu und suchte dann überraschenderweise bei Sunwoo nach Zustimmung. Dieser zögerte kurz, nickte aber dann ebenfalls.
»Er hat Recht«, meinte er und für einen kurzen Moment verschwand sogar der feindselige Ausdruck in seinem Gesicht, mit dem er den Älteren zuvor bedacht hatte. Kevin war also überstimmt worden, doch wenn er jetzt so darüber nachdachte, dann fand er die Aussicht darauf mit seinem ältesten Freund und Sunwoo gemeinsam im Schnee herumzutollen gar nicht mehr so schlecht.
Das hiess bis sich auch noch die Horde Kinder dazu entschloss mit ihnen mitzukommen. Na toll, sie würden also mehr oder weniger babysitten. Mit deutlich weniger Euphorie als noch zuvor, zog Kevin sich seine Winterklamotten über und ging dann, während sie darauf warteten, bis auch die Kinder sich fertig angezogen hatten, zusammen mit Jacob in den Keller hinunter, wo die ganzen Schlitten mit denen sie früher immer den Hügel hinter ihrem Haus hinuntergesaust waren, zuletzt verstaut hatten. Nach kurzem Suchen wurden sie tatsächlich fündig.
»Ah, wie neu«, meinte Jacob breit grinsend, während er den Staub, der sich über die Jahre darauf angesammelt hatte von dem Schlitten wischte. Kevin zwang sich ebenfalls zu einem schiefen Lächeln. »Ich kann kaum glauben, dass wir das wirklich tun«, meinte er und sah kopfschüttelnd auf die Schlitten. »Oh komm schon, früher hattest du doch auch deinen Spass daran.« Darauf konnte Kevin tatsächlich nichts erwidern.
Als sie wieder nach oben kamen, war der Rest von ihnen auch fertig angezogen und so stapften sie zusammen los, den Hügel hinauf. Sunwoo ging dabei an seiner Seite, so als wolle er sichergehen, dass Kevin nicht noch einmal mit Jacob alleine war. Vielleicht war das allerdings auch nur ein verrückter Gedanke von Kevin, doch der missbilligende Blick, den der Junge seinem Freund zugeworfen hatte, als sie aus dem Keller gekommen waren, hatte eigentlich Bände gesprochen.
Auch jetzt hatte Kevin wieder den Eindruck, dass dem Jüngeren Jacobs Anwesenheit so gar nicht passte und als dieser ihm einmal ein wenig zu nahe kam, griff Sunwoo augenblicklich nach seiner Hand und umschloss sie fest mit seiner. Kevin störte sich nicht wirklich daran, viel eher begann er wie der hoffnungslos verknallte Idiot der er war zu grinsen. Er benötigte dringend Hilfe.
Oben angekommen, überliessen sie die Schlitten erstmal den Kindern, die sich auch sofort begeistert den Hügel hinunterstürzten. Aufmerksam beobachteten sie das Treiben, um im Notfall einzugreifen, doch sehr zu Kevins Erleichterung verlief alles ohne grössere Zwischenfälle. Ab und an purzelte ein Kind durch den Schnee, doch wenn das der Fall war, dann stand es hinterher gleich wieder auf und kletterte dann erneut den Hügel hinauf, um das Ganze zu wiederholen.
»Schon lustig, wir waren früher mal genauso«, sagte Jacob irgendwann grinsend und Kevin nickte zustimmend. »Stimmt, aber du warst der Schlimmere von uns beiden, ehrlich du warst unersättlich, wenn unsere Eltern nicht irgendwann gesagt hätten, dass es Zeit war aufzuhören, dann wärst du vermutlich die ganze Nacht über Schlitten gefahren«, erinnerte er sich und lachte, Sunwoos giftigen Blick ignorierte er dabei geflissentlich.
Glücklicherweise kam in dem Moment ein kleiner Junge direkt auf sie zu, seine Wange waren gerötet, doch er strahlte übers ganze Gesicht, als er Sunwoo das Zugseil seines Schlittens in die Hand drückte. »Jetzt du«, befahl er, worauf der Jüngere Kevin einen leicht panischen Blick zuwarf. »Aber ich bin noch nie–«, setzte er an, wurde jedoch von Jacob unterbrochen. »Ach so viel kannst du dabei gar nicht falsch machen«, meinte dieser und zwinkerte ihm aufmunternd zu. Der Griff um Kevins Hand verkrampfte sich.
»Wir können auch zusammen, wenn du dich nicht traust«, flüsterte Kevin ihm ins Ohr. Der Junge warf ihm einen gequälten Blick zu, nickte dann aber ergeben. »Ja bitte«, wimmerte er, auch wenn es ihm ein kleines bisschen peinlich zu sein schien.
Gemeinsam setzten sie sich auf den Schlitten. Sunwoo schlang seine Arme von hinten um Kevins Oberkörper und presste sein Gesicht gegen seinen Rücken. »Ich kann da gar nicht hinsehen«, murmelte er und entlockte Kevin damit ein leises Lachen. Er und Jacob waren früher noch viel steilere Hügel runtergefahren, das hier war im Grunde genommen erst die Anfängerpiste, doch das sagte er dem Jüngeren nicht.
Er stiess sich ab und schon sausten sie den Hügel hinunter. Kevin jauchzte als der Fahrtwind ihm ins Gesicht wehte, während Sunwoo sich panisch an ihm festklammerte. Sie waren schon fast unten, als plötzlich eines der Kinder ihren Weg kreuzte. »Pass auf!«, schrie Sunwoo, der das Mädchen ebenfalls entdeckt hatte.
Kevin wusste nicht wie, aber irgendwie schaffte er es tatsächlich den Schlitten im letzten Moment herumzureissen, sodass sie an dem Mädchen vorbeizischten, jedoch verloren sie dabei den Halt und fielen einer nach dem anderen in den weichen Schnee. Kevin stöhnte auf als Sunwoo auf seinem Brustkorb landete. Er blinzelte und sah den Jüngeren besorgt an, doch der wirkte sehr zu seiner Verwunderung viel eher belustigt. »Das war eine interessante Erfahrung«, meinte er grinsend und stützte sich neben Kevins Schulter im Schnee ab. Dieser nickte bloss. »Ich weiss, tut mir leid, dass es so geendet hat«, erwiderte er. Noch immer pumpte das Adrenalin unaufhaltsam durch seine Adern. Sein Herz klopfte wie verrückt, doch das schob er dann eher auf die plötzliche Nähe zwischen ihnen, derer er sich gerade jetzt erst so richtig bewusst wurde.
Er konnte Sunwoos heissen Atem auf seinem Gesicht spüren, als dieser sich ein wenig zu ihm herunterbeugte. »Mit dir würde ich es immer wieder tun«, hauchte er und dann, völlig unerwartet, küsste er ihn.
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