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Kevin war auf dem Land aufgewachsen, etwas das er immer sehr zu schätzen gewusst hatte und auch wenn er seinen Umzug in eine Grossstadt nicht bereute, so kam er immer wieder gerne hier hin zurück. An keinem anderen Ort auf der Welt fühlte Kevin sich so unendlich leicht und befreit von allem, was ihm in dem Moment gerade auf den Schultern lastete – zumindest war das normalerweise so.
Er wusste nicht ob es daran lag, dass er einen Teil seiner Sorgen mit nach Hause genommen hatte – Sunwoo –, doch gerade merkte er noch nicht sonderlich viel von dem ersehnten Gefühl der inneren Ruhe. Er stand viel eher kurz vorm Durchdrehen, er hasste sich selbst und seine dummen, unüberlegten Entscheidungen. Wie hatte er nur für eine Sekunde denken können, dass es eine gute Idee war, Sunwoo seiner gesamten Verwandtschaft als seinen Freund zu präsentieren? Wieso hatte er nie an die ganzen Fragen gedacht, die darauf folgen würden?
Das Ganze fing schon damit an, wie sie sich kennengelernt hatten. Wahrscheinlich nahm keiner der Anwesenden ihnen ihre zusammengestammelte Geschichte ab, die sie sich gerade eben vor versammelter Meute ausgedacht hatten. Wieso mussten bei ihrer Ankunft aber auch schon so gut wie alle ihre Verwandten anwesend sein? Was suchten die eigentlich schon hier? Die kamen doch auch jedes Jahr früher. Kevin hatte sie schon früher gerne als Parasiten bezeichnet und diese Meinung hatte sich auch über die Jahre nicht geändert.
Besonders nervig war seine Tante Susan gewesen, die einfach nicht aufgehört hatte Sunwoo und ihn zu löchern, auch mit Dingen, die sie wirklich überhaupt nichts angingen. Selbst Sunwoo hatte irgendwann so gewirkt, als wäre ihm sichtlich unwohl, dabei war er eigentlich viel besser in solchen Dingen, Kevin hatte schon oft dabei zugesehen, wie er andere Leute um den Finger wickelte, während er ihnen irgendwelche Lügen auftischte.
Als Kevin dann schliesslich genug davon hatte, hatte er Sunwoo kurzerhand gepackt und ihn dann hinter sich her in sein altes Zimmer geschleift. Der vermutlich einzige Ort, an dem sie heute ihre Ruhe finden würden. Obwohl man von Ruhe nicht wirklich sprechen konnte, nicht bei Kevin. Denn während sich Sunwoo gleich auf sein Bett geschmissen hatte, tigerte er nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit nervös in seinem Zimmer herum.
Irgendwann richtete sich Sunwoo auf, Kevin hielt inne und musterte ihn kritisch. Er sah noch immer ziemlich erschöpft aus, aber ob das nun am fehlenden Schlaf lag oder doch eher an Tante Susan konnte er nicht sagen. Wahrscheinlich letzteres. »Deine Verwandtschaft ist ziemlich anstrengend.« Ganz bestimmt letzteres.
Er warf dem Jüngeren einen gequälten Blick zu. »Glaubst du wir werden auffliegen?«, fragte er nervös und spielte dabei mit dem Saum seines Pullovers herum, weil er sich irgendwie beschäftigen musste, wenn er nicht völlig ausflippen wollte. Er biss sich nervös auf die Unterlippe, während er auf eine Antwort von Sunwoo wartete.
Dieser schüttelte entschlossen den Kopf und grinste verschmitzt. »Du hast Glück, ich kenne mich zufällig bestens mit anstrengenden Verwandten aus«, sagte er und zwinkerte ihm zuversichtlich zu. Wirklich zu Kevins Beruhigung beitragen tat dies zwar nicht, doch es war schön zu wissen, dass wenigstens einer von ihnen an sie glaubte.
Kevin tat dies jedenfalls nicht. Er rieb sich gestresst über die Stirn. Sunwoo erhob sich von seinem Bett und kam auf ihn zu. »Mach dir bitte nicht so viele Sorgen, ich habe dir gesagt, dass ich gut darin bin anderen etwas vorzuspielen, sie werden uns aus der Hand fressen, glaub mir.« Er hatte während er gesprochen hatte nach seiner Hand gegriffen, etwas das er mittlerweile bereits so selbstverständlich tat, dass Kevin es nicht einmal mehr als unangenehm empfand, sondern es ihn tatsächlich dazu brachte, für ein paar Sekunden durchzuatmen.
»Ich werde es versuchen«, versprach Kevin steif, auch wenn er genau wusste, dass er das nicht konnte. Wahrscheinlich war er dazu geboren worden, um sich Sorgen zu machen, das lag wohl einfach in seiner Natur.
Der Jüngere schüttelte grinsend den Kopf. »Wie wäre es, wenn du erstmal versuchst dich ein wenig zu entspannen, hm?« Kevin öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch er schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben, weil ihm nichts Gescheites darauf einfiel. Erst hatte er ihn ankeifen wollen, er solle sich doch selbst entspannen, doch wenn er den Jungen so betrachtete, dann wirkte dieser bereits so als wäre er tiefentspannt.
Er presste seine Lippen aufeinander und starrte den Jüngeren unwirsch an. Der hatte es schliesslich leicht, ihm konnte es schlussendlich egal sein, wie die ganze Sache hier ausging, für ihn stand ja auch nichts auf dem Spiel. Er schnaubte, worauf Sunwoo leise auflachte.
»Ich kann dir auch dabei helfen«, flüsterte er und Kevin zuckte kaum merklich zusammen, als er die leichte Veränderung in seinem Tonfall bemerkte. Angespannt beobachtete er den Jüngeren, dessen Augen plötzlich nicht mehr warm, sondern dunkel und verlangend waren.
Ohne es zu bemerken hielt Kevin den Atem an, als die Hände des Jungen über seine Seiten wanderten und anschliessend auf seiner Hüfte liegen blieben. Er war sich nicht sicher, ob Sunwoo das gerade ernst meinte, doch der lustverhangene Blick des Jüngeren sprach in seinen Augen Bände.
Schnell griff er nach Sunwoos Handgelenken und zog sie sanft, aber bestimmt von sich weg. »Ich schlafe nicht mit Minderjährigen«, sagte er leise und sah dem Jungen dabei fest in die Augen. Darin konnte er eindeutige Überraschung erkennen. Er starrte ihn für ein paar Sekunden vollkommen fassungslos an, dann begann er lauthals zu lachen.
Kevin stockte und runzelte die Stirn. »Echt jetzt? Das ist es was dich davon abhält?«, fragte der Jüngere noch immer ungläubig zwischen zwei Lachern und in dem Moment realisierte Kevin, dass er einen Fehler begangen hatte.
Sunwoo wurde plötzlich ganz ernst. »Was wenn ich volljährig wäre?«, fragte er mit rauer Stimme und Kevin wurde auf einmal ganz heiss, als der Junge, dessen Handgelenke er noch immer umfasst hielt, seine Finger in seine Unterarme grub. »Was würdest du dann tun?« Seine Stimme war mittlerweile nicht einmal mehr ein Flüstern, doch seine Botschaft war trotzdem laut und deutlich bei Kevin angekommen.
Er beugte sich zu ihm vor, obwohl alles in ihm sich dagegen sträubte und küsste ihn, hart und unnachgiebig. Es hatte nichts mit ihrem letzten Kuss gemeinsam und schon gar nicht mit dem davor, dieser hier war nicht sanft oder gefühlvoll, sondern hungrig und voller Verlangen, doch bevor einer von ihnen diesem hätte nachgeben können, trat Kevin auch schon wieder einen Schritt nach hinten. Er keuchte, während er in Sunwoos Gesicht nach einem Anzeichen dafür suchte, dass er ihn mit seiner Aktion verschreckt hatte. Er fand keines.
»Ich hoffe ich konnte dir damit deine Frage beantworten«, hauchte er, bevor er aus dem Zimmer stürzte und sich an seinen Verwandten vorbei nach draussen schlich. Er brauchte frische Luft.
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