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Sie wurden bereits erwartet, als sie endlich von der Gepäckausgabe kamen. Kevin entdeckte seine Eltern sofort. Sie waren aber ehrlich gesagt auch mit dem riesigen Schild aus Pappkarton, welches sie in die Luft hielten und auf dem in grossen Lettern Home Sweet Home stand. Sie hatten es mal wieder übertrieben, aber Kevin hatte auch nichts anderes erwartet gehabt.

Schnell lief er auf sie zu und rannte die letzten paar Meter, bis er sie erreichte und liess sich noch im selben Moment von seiner Mutter in eine knochenbrechende Umarmung ziehen. »Ihr seid endlich wieder Zuhause!«, rief sie und zog auch Stella, die etwas länger gebraucht hatte in ihre Arme. Ihr Vater stand mit verschränkten Armen daneben und beschwerte sich darüber, dass seine beiden Kinder offenbar ihre Mutter lieber hatten, als ihren Vater, worauf Kevin ihm augenrollend gegen die Schulter boxte. »Und dann werden sie auch noch gewalttätig«, wetterte er, doch er lachte dabei und zog anschliessend erst seinen Sohn und dann seine Tochter in die Arme.

»Schön das ihr wieder da seid«, brummte er und wuschelte ihnen beiden einmal kräftig über den Kopf. Kevin versuchte ihn halbherzig davon abzuhalten, während Stella über ihre zerstörte Frisur weinte. Das ganze Wiedersehen verlief so natürlich und derart unbeschwert, dass er Sunwoo dabei beinahe vergass, der ein wenig abseits von ihnen verloren in der Gegend herumstand.

Hastig ging er zu ihm hinüber und griff nach einem fragenden Blick, den der Jüngere mit einem kaum sichtbaren Nicken beantwortete nach dessen Hand. »Ehm Mom, Dad, das ist Sunwoo«, stellte er den Jungen vor. Die Überraschung war ihnen deutlich anzusehen, selbst wenn seine Mutter ihn ständig am Telefon damit genervt hatte, dass er doch seinen Freund mitbringen sollte, so hatte offenbar keiner von ihnen damit gerechnet, dass Kevin tatsächlich in Begleitung hier auftauchen würde. Er grinste still in sich hinein, das geschah ihnen ganz recht.

Es war schliesslich seine Mutter, die sich als erstes aus ihrer Starre befreite. Mit einem breiten Lächeln ging sie auf Sunwoo zu. »Sunwoo, freut mich dich kennenzulernen«, sagte sie herzlich und zog auch ihn in eine kurze Umarmung. Ein wenig überrumpelt starrte der Junge sie an, ehe auch er sich zu einem Lächeln durchrang. »Freut mich ebenfalls, auch wenn wir schon am Telefon das Vergnügen hatten.«

»Oh ja, ich erinnere mich lebhaft«, erwiderte sie schmunzelnd und zwinkerte ihm zu. »Ich hoffe ich habe euch beide nicht bei etwas gestört.« Kevin wäre bei dem anzüglichen Grinsen auf ihrem Gesicht am liebsten im Erdboden versinken. Seine Mutter hatte schlimmere Fantasien als jeder Teenager.

Es war sein Dad, der ihn vor einer noch peinlicheren Situation bewahrte, indem er entschlossen in die Hände klatschte. »Nun denn, lasst uns fahren, dann schaffen wir es vielleicht noch rechtzeitig zum Essen«, forderte er sie auf und griff dann nach einem der Koffer. Der Rest von ihnen folgte ihm.

Sehr zu Kevins Erstaunen hatte sein Vater es geschafft einen Parkplatz ganz in der Nähe zu ergattern und so erreichten sie den alten Range Rover, seiner Eltern in Rekordzeit. Der Wagen wies bereits einige Gebrauchsspuren auf, doch laut seinem Vater funktionierte er noch immer einwandfrei. Kevin hätte gerne einmal einen Blick unter die Motorhaube geworfen.

Sie verstauten ihr Gepäck im Kofferraum und stiegen dann ein, seine Eltern vorne, sie anderen quetschten sich auf die Rückbank, Kevin wurde trotz seiner lautstarken Proteste in die Mitte gepackt, wo er jetzt eingeklemmt zwischen Sunwoo und seiner Schwester hockte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös ihn diese unglaubliche Nähe zu dem Jüngeren machte. Das im Flugzeug war eins gewesen, doch jetzt sassen sie wirklich beinahe aufeinander drauf.

Er versuchte sich von der vorbeiziehenden Landschaft ablenken zu lassen und das funktionierte auch eine Zeit lang ganz gut, zumindest bis Sunwoo vorsichtig nach seiner Hand tastete, die in seinem Schoss lag. Er drehte hastig den Kopf und blickte in die sanften braunen Augen, die ihn fragend ansahen. Kevin holte tief Luft und drückte dann als Zustimmung kurz seine Hand. Er verschränkte ihre Finger miteinander und konnte dann gerade noch sehen, wie sein Vater seinen Blick mit einem zufriedenen Lächeln vom Rückspiegel abwandte.

Er schluckte kurz. Er hatte ganz vergessen, dass sie ja jetzt unter Beobachtung standen. Vielleicht hatte er die Sache ja doch nicht so ganz durchdacht und plötzlich war er sich auch gar nicht mehr so sicher, ob das alles wirklich eine gute Idee war. Dummerweise wurde ihm auch jetzt gerade erst bewusst, was es wirklich bedeutete, dass Sunwoo hier mit ihm in Kanada war. Er würde ihn von jetzt an wahrscheinlich ständig irgendwie um sich haben.

Wenn der Junge sein Herz zu Hause in Seoul mal wieder aus dem Takt gebracht hatte, dann hatte er ganz einfach auf Abstand gehen können, doch jetzt würde ihm das nicht mehr möglich sein. Für die nächsten zwei Wochen war sein Herz also quasi permanentem Stress ausgesetzt sein, verursacht durch diesen unverschämten Jungen, der sich einfach so ungefragt in sein Leben geschlichen hatte.

Er starrte auf ihre ineinander verhakten Finger. Eigentlich sollte er bei dem Anblick nichts fühlen, es war nur ein Spiel, in dem Sunwoo anscheinend so viel besser war als er. Er hatte schon recht gehabt, er war gut in seiner Rolle. Selbst Kevin hätte ihm abgenommen, dass der verträumte Blick mit dem er ihn gerade anschaute echt war. Es war doch echt unfair. Wieso fiel es dem Jungen bloss so leicht, anderen Leuten etwas vorzuspielen?

Als hätte Sunwoo seine Gedanken gelesen, war dieses Mal er derjenige, der Kevins Hand kurz drückte. Er lächelte ihm aufmunternd zu und beugte sich dann zu ihm hinüber, so nahe, dass Kevin seinen warmen Atem auf seiner Wange spüren konnte. »Du schaffst das schon«, wisperte er ihm ins Ohr, ehe er seinen Kopf auf Kevins Schulter ablegte. »Ich bin müde«, sagte er lauter und als Kevin zu ihm hinuterschielte, konnte er sehen, dass es ihm sichtlich schwerfiel, seine Augen offenzuhalten. Kein Wunder, soweit Kevin das mitbekommen hatte, hatte Sunwoo im Flugzeug kein Auge zugetan.

Er strich ihm vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, liess seinen Blick etwas länger als nötig auf dem schlafenden Jungen verharren, ehe er wieder aus dem Fenster sah, wo die Landschaft mit jedem weiteren Kilometer den sie zurücklegten, wieder etwas mehr nach Heimat aussah.

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