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Die Schwärze der Nacht war in der Zwischenzeit über Seoul hereingebrochen und obwohl es eigentlich nie wirklich dunkel wurde in der stets hell erleuchteten Stadt, mochte Kevin es trotzdem nicht sonderlich, nachts unterwegs zu sein. Heute war er jedoch nicht alleine. Sunwoo war bei ihm.
Der Junge war den ganzen Nachmittag nicht mehr von seiner Seite gewichen und hatte sich auch nicht abschütteln lassen, nachdem sich Kevin von seinen Freunden verabschiedet hatte und sich eigentlich auf den Heimweg machen wollte. »Ich kann dich doch unmöglich alleine lassen, am Ende wirst du wieder ausgeraubt«, hatte er mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht gemeint und war gleich darauf flink Kevins Faust ausgewichen, mit der er ihn gegen die Schulter hatte boxen wollen.
Missmutig hatte Kevin ihm hinterher gesehen, ehe er schliesslich eingewilligt hatte, dass der Jüngere ihn nach Hause begleitete. Er hätte es ja sowieso getan, ganz gleich, was Kevin auch gesagt hätte.
Ein wenig lächerlich kam er sich dabei jedoch schon vor. Eigentlich sollte er es sein, der den anderen nach Hause brachte, immerhin war er auch der Ältere von ihnen beiden, doch als er dies zur Sprache gebracht hatte, hatte Sunwoo bloss erbost den Kopf geschüttelt. Bei ihm müsse man sich schliesslich keine Sorgen machen, dass er unterwegs beklaut wurde. Daraufhin war für ihn die Diskussion auch schon beendet gewesen.
Kevin hatte sich geschlagen gegeben und eigentlich, wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann machte es ihm auch gar nichts aus. Wahrscheinlich waren es einfach ihre unsinnigen Gesellschaftsregeln, die sich wohl zu tief in seinem Kopf eingenistet hatte, die ihn denken liessen, dass es nicht richtig war so rum. Doch wenn er jetzt so darüber nachdachte, dann war eigentlich nichts Falsches daran, nicht wahr?
Auch nicht daran, dass sie absichtlich einen Umweg gingen, damit sie nicht ganz so früh schon zu Hause waren. Dass hiess, Kevin war es, der Sunwoo ein paar Häuserblocks weiter lotste, als eigentlich notwendig, um zu seiner Wohnung zu gelangen, doch bisher hatte dieser noch überhaupt nicht realisiert, was Kevin da gerade veranstaltete, aber selbst wenn, so glaubte er kaum, dass sich er daran stören würde.
Irgendwann – viel zu früh – standen sie dann aber doch vor dem Eingang zu dem Wohnblock in dem Kevin gemeinsam mit seiner Schwester lebte. »Hier wohnst du also?«, fragte der Jüngere unnötigerweise und Kevin nickte nur. »Nette Gegend«, fand Sunwoo und sah sich nachdenklich um. Kevin verzog das Gesicht. »Ach komm, wenn ich daran denke wo du aufgewachsen bist, dann ist das hier alles andere als nett.« Er übertrieb absichtlich ein wenig. Es war im Grunde genommen kein schlechter Ort zum Leben. Ihre Wohnung lag recht zentral, man kam nahezu überall hin, nur war eben alles was es hier so gab nicht wirklich schön anzusehen. Das hässliche grau der Betonblocks war die vorherrschende Farbe in ihrer Strasse und liess diese dementsprechend trist wirken und wenn man aus dem Fenster sah, dann war das eben auch schon alles, was es zu sehen gab.
Sunwoo lachte. »Stimmt, ich wollte bloss höflich sein«, gab er zu und stupste ihn leicht mit dem Ellbogen in die Seite. »Na komm, wir sollten reingehen«, meinte er und wollte sich schon in Bewegung setzen, doch anstelle davon, dass Kevin ihm folgte, sah er ihm bloss verdattert hinterher. »Wir?«, fragte er unsicher. Er hatte gedacht, dass sich ihre Wege hier trennten, doch Sunwoo hatte wohl andere Pläne.
»Du weisst doch unterdessen, dass ich keine halben Sachen mache«, sagte er und schüttelte dabei den Kopf, als könne er es nicht fassen, dass Kevin je daran gezweifelt hatte. Gleich darauf war der ungläubige Ausdruck jedoch auch schon wieder dem verschlagenen Grinsen gewichen, welches Kevin bereits zu genüge auf dessen Gesicht gesehen hatte.
»Das ist wirklich nicht nötig«, wimmelte er schnell ab und konnte dabei nicht verhindern, tatsächlich ein wenig verlegen zu werden. Das ging dann doch ein wenig zu weit. Natürlich sah Sunwoo das anders. »Ich bestehe darauf!«, beharrte er und Kevin wusste, dass es Zeitverschwendung gewesen wäre, mit Sunwoo zu diskutieren.
Ein weiteres Mal gab er sich geschlagen. Er seufzte und schloss die grosse Eingangstür auf, ehe sie gemeinsam die Treppenstufen hinaufliefen. Sie lebten im fünften Stock, doch Kevin zog in der Regel die Treppe trotz allem dem alten, klapprigen Fahrstuhl vor. Es wäre nicht das erste Mal, dass dieser stecken blieb und Kevin war heilfroh, dass ihm selbst das noch nie passiert war.
Als sie ihr Ziel schliesslich erreicht hatten, blieb Kevin unschlüssig vor der Tür stehen. »Danke fürs nach Hause bringen, schätze ich.« Ein leichter Rotschimmer legte sich über seine Wangen, von dem er einfach hoffte, dass der Junge ihn nicht bemerkte. Dieser lächelte ihm jedoch bloss mit einer abwinkenden Handbewegung zu. »Keine Ursache«, meinte er. »Und ich nehme dir auch den kleinen Umweg nicht übel.« Er zwinkerte ihm zu und Kevin schnappte nach Luft.
»D-das...«, setzte er an, doch Sunwoo lachte bloss. »Wir sehen uns dann Montag«, verabschiedete er sich von ihm. Kevin nickte bloss. Richtig, Montag. Das hiess, dass ihm morgen ein schrecklich langer Sonntag bevorstand, an dem er nichts so recht mit sich anzufangen wusste.
Er öffnete die Tür, die sehr zu seiner Verwunderung, jedoch gar nicht richtig verschlossen gewesen war und wäre beinahe mit Stella zusammengestossen. »Tut mir leid, ich wollte nicht lauschen«, entlarvte sich diese gleich selbst. Sie hatte die Hände in die Höhe gehoben und war automatisch zwei Schritte zurückgewichen. Kevin sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Wenn das nicht mal wieder Zufall war.
»Ich fange jedoch an zu glauben, dass die Vermutungen unserer Mutter doch richtig sind«, fügte sie noch schnell hinzu, wohl um zu verhindern, dass Kevin etwas dazu sagen konnte. Dieser blinzelte ein paar Mal. »Das war bloss Sunwoo«, sagte er dann und dachte augenblicklich wieder an den Vorschlag der dieser ihm noch vor ein paar Tagen gemacht hatte. Es war doch interessant und zeitgleich beängstigend zu erfahren, dass sie seine Schwester bereits überzeugt hätten und das ohne es überhaupt zu wollen.
Stella legte nachdenklich den Kopf schief. »Dieser Sunwoo scheint in letzter Zeit sehr präsent in deinem Leben zu sein«, meinte sie und warf ihm dabei einen vielsagenden Blick zu. Kevin wurde heiss und kalt zugleich und er wischte sich nervös seine feuchten Handflächen an seiner Jeans ab. »Wir haben uns bloss zufällig getroffen«, beeilte er sich zu sagen. Nicht dass Stella noch auf die Idee kam, sie hätten sich für heute irgendwie verabredet oder so.
Dass sein Argument nicht sonderlich ausschlaggebend war, erkannte er bereits an Stellas zweifelndem Gesichtsausdruck. »Und dann bringt er dich nach Hause?«, fragte sie wenig überzeugt. Kevin schluckte nervös. »Ist es denn verboten, einen Freund nach Hause zu begleiten?«, erwiderte er trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.
Seine Schwester zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Es war bloss eine Feststellung, kleiner Bruder, bei deiner Reaktion könnte man ja glatt glauben, dass da tatsächlich mehr zwischen euch ist.« Sie liess diese Aussage so im Raum stehen und wandte sich von ihm ab. Kevin starrte ihr hinterher. Sie hatte vollkommen unrecht. Es lag daran, dass sie Sunwoo nicht kannte, beschloss er. Sie würde anders denken, wenn sie ihn erstmal in natura erlebt hätte.
Er zog seine Schuhe aus und ging dann in sein Zimmer, wo er damit begann die Stunden bis Montag zu zählen.
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