Adoptionstag
Stay with me
„Hey, aufstehen! Steh auf, es ist Besuchstag! Hopp, hopp! Es will dich zwar eh keiner haben, aber erscheinen musst du trotzdem, also STEH AUF!", schreit mir meine Betreuerin Abigail ins Ohr, sodass ich sofort aufschrecke und mich angsterfüllt umsehe. Aber wie gesagt, es ist nur Abigail, sodass ich eigentlich keine Angst haben müsste, aber es ist Angewohnheit. Sie liebt es jedenfalls, mich zu ärgern und zu triezen, wo sie nur kann.
Da ich weiß, dass sie mich der Belustigung halber nur 5 Minuten vor Treffen weckt, spurte ich ins Bad und kämme meine langen, braunen Locken. Schnell putze ich meine Zähne, ziehe eine meiner zerlumpten Hosen und einen ausgebleichten Pullover an und verlasse schleunigst den Raum, der sich seit 2 Monaten mein Zimmer schimpft. Gerade als ich die Treppe runter rennen will, stoße ich mir jemandem zusammen. Aber nicht mit irgendwem. Nein, mit Dustin. Er schikaniert mich, wo er kann und er weiß, wie viel Angst ich vor ihm habe. Er ist 16 Jahre alt, zwei Jahre älter als ich und gehört zu den BadBoys hier im Heim. Sie bilden den Schlägertrupp, der unter anderem von Abigail eingesetzt wird um Bestrafungen für Zuspätkommen oder ähnlichem vorzunehmen. Mit den Jungs möchte man sich nicht anlegen.
„Na, du Missgeburt. Auf dem Weg zum Frühstück? Schade, dass das heute für dich ausfallen muss.", beginnt er abfällig, sodass mir die Tränen in die Augen steigen. Er wird mich wieder verprügeln.
„Oh, muss die Kleine heulen? Schade nur, dass mich das nicht stört."
Schon landet die erste Faust in meiner Magengrube, sodass ich, mich vor Schmerzen krümmend, aufstöhne. Er und seine Kumpanen prügeln noch knapp eine Viertelstunde auf mich ein, bis ich weinend am Boden liege und mich vor Schmerzen kaum zu rühren wage. Lachend ziehen die Fünf ab, aber natürlich nicht ohne mir nochmal einen kräftigen Tritt in den Bauch, gegen den Kopf oder sonst wohin zu geben. Schluchzend rappele ich mich auf und humpele in mein Zimmer, wo ich mich, so schnell es geht ins Bad einsperre. Dort beginne ich, mich auszuziehen, um meine Verletzungen zu begutachten. Mein Brustkorb, wie auch mein Bauch beginnen bereits blau zu werden und auch Gesicht und Rücken haben einiges abbekommen. Über meiner linken Augenbraue ist eine kleine Platzwunde, meine Nase sieht gar nicht gut aus und auch mein rechter Kiefer schwillt bereits zu. Na toll. Da ich eh nichts habe, womit ich die Schmerzen mindern könnte, ziehe ich mich wieder an, kämme mir nochmals durch die Haare und kugele mich auf meinem Bett zusammen. Schmerzfrei ist diese Position zwar nicht gerade, aber sie ist meine Schutzhaltung. Sie ist antrainiert. Lange hört man nur das Geschnatter der Besucher, die sich unten die hübschen, klugen, talentierten, schlauen Kinder anschauen, die nur darauf warten, mitgenommen zu werden. Mich will eh keiner.
Plötzlich wird die Türklinke runter gedrückt und die Tür einen Spalt weit geöffnet. Amalie, die Heimleiterin steckt ihren Kopf zur Tür herein.
„Hier ist eine Band, die dich gerne kennenlernen würde.", meint sie und stößt die Tür weiter auf. Hervor kommen 5 Jungs. Angsterfüllt weiten sich meine Augen, ich rutsche in die hinterste Ecke meines Bettes und sehe mir die Jungs an. Zwei Blonde, zwei Braunhaarige und ein Schwarzhaariger.
„Hallo, ich bin Aaron und wie heißt du?", beginnt der kleinere der Blonden.
„Hana.", antworte ich schüchtern und warte auf eine Reaktion.
„Hübscher Name. Ich bin Alexander und das sind Caleb, Liam und Dylan.", erklärt der schwarzhaarige Mann und zeigt nacheinander auf die anderen. Sie sind alle um die 20, schätze ich.
„Was ist mit deinem Gesicht passiert?", will wieder Aaron wissen.
Schnell lasse ich meine Haare vor mein Gesicht fallen und dränge mich weiter in die Ecke. Das darf keiner erfahren! Dustin würde mir nur noch mehr weh tun, als er es eh schon tut.
„Ich bin die Treppe runter gefallen.", lüge ich und schaue auf meine Bettdecke. Mir ist klar, dass sie mir nicht glauben, aber es ist besser als die Wahrheit.
„Wie alt bist du?", fragt Liam.
„Ich bin 14."
Ich sehe in 5 ungläubige Gesichter.
„Was ist denn?", frage ich verunsichert.
„Du siehst mindestens aus, wie 16.", meint Caleb, der bisher noch nichts gesagt hat.
Unsicher schaue ich ihn an. Ist das gut oder schlecht?
Scheinbar nichts von beidem.
„Und warum seid ihr hier?", frage ich.
„Wir wollen ein Mädchen adoptieren und unten... naja, die haben sofort angefangen zu kreischen, zu schreien und wollten Autogramme, dann haben wir eher durch Zufall erfahren, dass das nicht alle Mädels waren und ja... Würdest du von uns adoptiert werden wollen?", erklärt Alexander und sieht mich abwartend an.
Nein! Das ist mein erster Gedanke, der mir sofort in den Kopf schießt. Das sind 5 Jungs. JUNGS! Ich kann das nicht. Das geht nicht.
„Hast du Angst?", fragt Dylan vorsichtig.
Lügen bringt nichts, das weiß ich. Deshalb nicke ich vorsichtig, ziehe den Kopf ein und warte auf den Schmerz. Doch nichts passiert. Langsam hebe ich meinen Kopf ein wenig an und sehe in fünf erschrockene Gesichter.
Alexander hockt sich vor mein Bett und sieht mich an.
„Bitte glaube uns, wir würden nie jemanden schlagen, okay. Glaub mir, wir tun weder dir noch jemandem anderen weh. Wir würden uns freuen, wenn du dich für uns entscheiden würdest."
Die anderen Jungs nicken zustimmend und lächeln mich an.
Los du Angsthase! Oder hast du Schiss?
Ich höre seine Stimme in meinen Gedanken.
Ich habe Recht und das weißt du! Du bist ein nichtsnutziger Angsthase! Keiner will dich versteh das endlich! Sie nehmen dich nur aus Mitleid und geben dich dann wieder zurück! Keiner braucht dich und niemand will dich! Gib's auf!
Weinend presse ich meine Hände auf die Ohren, summe leise ein altes Kinderlied und wiege mich hin und her. Es soll aufhören! Er soll weg gehen!
Ich weiß, dass du mich vermisst! Du weißt auch, dass du mich brauchst!
„Nein! Geh weg!", schreie ich und öffne meine verweinten Augen wieder. Vor mir knien Aaron, Dylan und Caleb und schauen mich besorgt an. Alexander und Liam sind weg. Aaron kommt vorsichtig auf mich zu. Will er mich schlagen? Ich schreie auf und rücke noch weiter in die Ecke, bis ich die Wand in meinem Rücken spüre.
„Nein, bitte nicht!", flehe ich und spüre, wie Tränen meine Wangen hinunter rinnen.
„Hey, keiner tut dir etwas. Alex und Liam sind unten mit Amalie und machen den Papierkram fertig. Wir wollten dir beim Packen helfen.", sagt der Blonde.
Widersprechen bringt nichts, das würde nur Schläge bedeuten. Also stehe ich unter Schmerzen auf und gehe zu meinem Schrank. Meine drei Pullover und die zwei Hosen lege ich auf das Bett, dann gehe ich ins Bad, hole Zahnbürste, Zahnpasta, Bürste und Haargummis und den ganzen Rest, packe alles in eine Stofftüte und setze mich wieder auf mein Bett. Ungläubig starren dir drei mich an.
„War das alles?", fragt Dylan. Vorsichtig nicke ich. Das ist alles, was ich habe.
„Gut, willst du dich noch von jemandem verabschieden, oder nicht?", will Caleb jetzt wissen. Schnell schüttele ich meinen Kopf und meine braunen Haare fliegen durch die Luft. Hier gibt es niemanden, der mich vermissen würde. Dylan nimmt meine Tasche und geht mit Caleb und Aaron vor während ich mich nochmal in meinem Zimmer umschaue. Viel verändert hat sich nicht. Es ist noch genau so kahl, wie vorher. Schnell folge ich den Jungs die Treppe runter, warte aber vor der Tür, da sie scheinbar noch etwas mit Amalie klären.
Plötzlich werde ich von hinten gepackt und an die Wand geschleudert.
„Was machst du Missgeburt hier unten? Abigail hat dir Ausgangssperre verhängt, weil du nicht zum Frühstück kamst.", zischt Dustin an mein Ohr. Ängstlich dränge ich mich an die Wand und schaue auf den Boden. Seine Hand kommt meinem Gesicht unglaublich nah, ich spüre den Schmerz an meinem Kinn, wo seine Faust mich trifft. Tränen steigen mir wieder in die Augen.
Du hast es doch verdient, du Schlampe! Hör auf, zu flennen! Sei leise, du Hure und halt still. Du weißt doch auch, dass du es verdient hast!
Wieder schießt seine Faust auf mich zu, trifft dieses Mal meine Nase, die sofort zu bluten beginnt. Aua! Zum dritten Mal holt er aus, ich schließe die Augen und warte auf den Schmerz, der aber ausbleibt. Zögernd öffne ich diese wieder und blicke auf eine skurrile Szene. Caleb hält Dustins Hand fest im Griff und dreht eben diesen zu sich.
„Wag es dich noch einmal jemanden zu schlagen!", zischt Caleb den verschüchterten Dustin an.
„Geht es dir gut?", fragt er an mich gewandt. Dumme Frage!
„Ja, geht.", flüstere ich und drehe den Kopf zur Seite. Sie dürfen meine Tränen nicht sehen.
„Na dann, komm, wir gehen."
Ich gehe also mit ihm zur Tür und warte auf die anderen, die sich gerade von Amalie verabschieden.
„Vielen Dank Ihnen.", meint die Heimleiterin und winkt noch einmal zum Abschied. Wofür bedankt sie sich? Dass sie mich endlich los ist, oder was?
Ich habe doch gesagt, dass jeder froh ist, dich weg zu haben! Akzeptiere es endlich, du Nichtsnutz!
'Sei still!'
Gemeinsam gehen wir zu einem schwarzen Van mit getönten Scheiben. Mein Verstand schaltet viel zu langsam, die Angst gewinnt. Ich dränge mich immer weiter weg, um so viel Platz zwischen mich und den Wagen zu bringen. Nein, bitte nicht. Bitte!
„Hey, alles gut. Das ist nur unser Auto. Dir wird nichts passieren! Beruhige dich bitte!", meint Aaron, der sich vor mich gekniet hat.
Ich atme zwei Mal tief ein und nicke dann. Mir bleibt ja eh nichts anderes übrig. Langsam, als könnte es mich anspringen nähere ich mich dem Fahrzeug und steige auf die Rückbank. Das mulmige Gefühl in meiner Magengegend verschwindet nicht.
„Alles aussteigen!", schreit plötzlich Liam, der am Steuer sitzt. Kerzengerade sitze ich auf meinem Sitz und blicke ängstlich in die Runde.
Also öffne ich die Tür und staune nicht schlecht.
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