48 - nächster Versuch

Gut, dass ich mittwochs nur kurz arbeite. Ich bin ganz schön müde, denn die Sitzung mit ihren vielen Facetten hat natürlich in mir weiter gearbeitet. Also gönne ich mir nach der Arbeit zu Hause ein bisschen Powernapping und arbeite dann die Hausaufgaben des vergangenen Abends ab. Telefonate, mehrere Schreiben, ausführliche Notizen. Ich fertige ein Protokoll der Zusammenkunft an und schicke es allen Beteiligten, damit sie es kontrollieren und ergänzen können.

Zwischendrin ruft mich Jimins Chef an und bestätigt, was ich ihm gestern schon angemerkt habe. Er möchte den Auftrag gerne annehmen und dafür im Schwerpunkt Jimin einsetzen.

"Da der Junge erst relativ wenig Berufserfahrung, aber dafür um so mehr ein gutes Händchen und Kreativität hat, biete ich folgendes Verfahren an: ich persönlich arbeite mit ihm gemeinsam einen Plan für den Park aus. Den gleichen wir so lange mit Ihnen und dieser Kunsthistorikerin ..."
"Dr. Lee."
"Genau, mit Ihnen und Dr. Lee ab, bis alle zufrieden sind. Im unteren, sichtbaren Gelände lasse ich Jimin zusammen mit einem weiteren Kollegen die nötigen Herbstarbeiten machen, denn da ist jede Menge zu tun, damit wir im Frühjahr so richtig loslegen können. Für den Winter rege ich an, dass wir beide gemeinsam ihm den Führerschein ermöglichen, damit er problemlos zwischen Firma und Anwesen pendeln und auch die Entsorgung von Grünmüll mit einem Dienstwagen selbständig leisten kann. Könnten Sie sich vorstellen, sich daran zu beteiligen?"

Ich gebe ihm voller Begeisterung mein Okay und bitte ihn, Jimin jetzt gleich über dieses Angebot zu unterrichten, damit er heute Abend nicht davon überrumpelt wird.
"Ich freue mich sehr, Sie mit im Team zu haben. Nicht zuletzt, weil es Jimin den Übergang erleichtern wird. Ich warte jetzt erstmal ab, wie es Jimin heute Nachmittag hier ergeht. Dann sehen wir weiter. Wir hören uns!"
Wow! Irre, wie viel dieser eine Abend in der großen Runde schon bewegt hat. Ich könnte den Mann knutschen! Jetzt freue ich mich noch mehr auf nachher, wenn Jimin kommt.
Hm. Wenn er da ist, sollten wir endgültig festlegen, welche und wie viele Oldtimer wir wo und wie zur Pförtnerei stellen wollen. Wo war noch die Mappe mit den Maßen?

Ich gruschele in meinen Papierbergen und finde die Unterlagen ganz unten im Stapel, weil es darum ja gestern nicht gegangen war. Bei einem Blick auf die Bilder klingelt etwas in meinem Kopf, aber ich kann es nicht greifen.
Von den Waggons sind sicherlich zwei noch zu brauchen, und mehr will ich da auch gar nicht haben. Noch überhaupt nicht klar ist mir, wie wir diese riesigen Dinger aus dem Schrottplatz raus, hierher und hier dann an ihre Plätze kriegen sollen. Da muss ich mal Sejin fragen, denn irgendwie müssen sie ja auch zu ihm auf den Berg gekommen sein. Schienen liegen da jedenfalls nicht!
Schienen. Dort liegen ganz viele Schienen! Die sind bestimmt nicht mehr für den öffentlichen Gebrauch zugelassen. Aber ...

Die Klingel in meinem Kopf wird lauter. Und energischer. Und setzt sich schließlich durch.
Schnell schaue ich mir nochmal unsere Skizzen von der Parkseite an. Am Haupttor wird ein Parkplatz für Gäste eingerichtet. Auch ich werde dort vermutlich parken, denn in der Pförtnerei wird die Werkstatt letzten Endes wahrscheinlich in weitere Räume umgewandelt werden. Wie wir Jimins Bus hinter das Pförtnerhaus schaffen sollen, haben wir auch noch nicht überlegt. Oder davor? Durch das schmale Tor an dem Ende der Grundstücksmauer passt der jedenfalls nicht. Vielleicht ... wenn wir das linke, kleine Tor verbreitern, kann der Bus jedenfalls reinfahren. Wenn die Waggons vorher kommen, ... Aber das wird ein mörderisch großer und auch noch mobiler Kran sein müssen. Der macht das Gelände endgültig kaputt.

Die Klingel meldet sich wieder.
Aber wenn wir auf diesem Abschnitt den Berg hoch Schienen verlegen, dann könnte man die Waggons da raufschieben! Also: erst Schienen verlegen, dann zwei Waggons hoch, dann das Carport. Gemütlicher Außenbereich mit Grill, Küchengarten, Pförtnerei - und ganz unten Jimins Bus. Und ein Platz für seinen Dienstwagen.
Und drumrum Hecken und Bäume so angepflanzt, dass der ganze Streifen blickdicht von der Straße und vom Park mit der Villa abgeschirmt ist.

Meine Euphorie verleiht mir Flügel. Ich packe sofort alle wichtigen Notizen und Unterlagen zusammen und mache mich auf zum Bukhansan. Ich fahre zum letzten Mal die bescheuerte Umleitung und dabei auch an Yoongis Institut vorbei. Aber erspähen kann ich ihn nicht.
Lass ihn los, Nelli! Er geht seinen Weg. Aber eben nicht mit mir. Und das ist in Ordnung so.
Glücklich bin ich darüber nicht. Ändern kann ich es auch nicht. Also zwinge ich mich zur Konzentration auf den Verkehr und die neuen Ideen.

Die Baustelle ist für heute schon verlassen, aber die Jungs müssten heute eigentlich schon alle da sein. Tae sitzt am Rondell in der Sonne, liest was und schaut immer wieder runter zur Straße, damit er Jimin sofort sieht. Alle anderen sind irgendwo. Also marschiere ich direkt in den Gemeinschaftsraum und lasse die urdeutsche Kuhglocke Radau machen. Die anderen kommen aus ihren Löchern gekrochen und sehen mich fragend an.
"Alle Mann mitkommen, wir setzen uns zu Tae. Ich hab Neuigkeiten."
Namjoon kriegt eine Umarmung und einen Kuss, dann mache ich auf dem Absatz kehrt und marschiere wieder raus. Joonie kann grade noch meine Hand erwischen, damit wir zusammen laufen.

Gehorsam und neugierig folgen mir alle, wir setzen uns zu Taehyung auf die Freitreppe zum Portal, und ich fange sofort an zu sprudeln.
"Leute der Abend gestern hat meinen Geist beflügelt. Erstens: Jimins Chef wird den Auftrag für den Park dauerhaft übernehmen und dafür Jimin fest hier einsetzen.
Zweitens: er will Jimin dafür den Führerschein machen lassen, damit nicht immer jemand anderes hin und her fahren muss.
Drittens: ihr seid alle mehr oder weniger erwachsen und solltet alle einen Führerschein haben. Ich werde also eine Fahrschule suchen, die euch alle über den Winter schult, so dass ihr bis zum Frühjahr alle mobil seid. Es wird dann für die gesamte WG genau ein Auto geben, aber im Absprachen einhalten seid ihr gut, das wird gehen. Dazu kommt dann für Jimin ein Dienstfahrzeug.

Viert..."
Die Jungs jubeln, und Hoseok bremst mich sofort.
"Mensch, hol doch mal Luft. Sonst haben wir gar keine Zeit, uns richtig zu freuen.
Sag mal - was haben deine Eltern und dein Onkel eigentlich für Jobs gehabt, dass dir IMMER noch nicht das Geld ausgeht? Ich sage nicht nein zu dem Angebot, auch wenn ich langsam wirklich das Bedürfnis habe, dir auch mal was zurückzuzahlen."
Ich will protestieren.
"Pscht! Keine Widerrede! Ich spreche wahrscheinlich für alle hier, wenn ich sage: es muss sich so anfühlen, als hätte ich einen wesentlichen Anteil am Gelingen. Verstehst du das?"
Die versammelte Mannschaft nickt synchron. Wir müssen alle lachen.

"Verstanden, das war dir immer wichtig. Mein Vermögen verrate ich nicht. Ich überleg mir was für eure Beteiligung. Aber ich nehme das nicht sofort an! Seht es als Hypothek für die Zukunft. Solange ihr in Ausbildungen, Therapien und Zwangsmaßnahmen steckt, will ich kein Geld von euch. Außer ..."
Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf.
"Wir könnten es so handhaben, dass ihr für das Auto dann Kilometergeld zahlt. Davon werden die Versicherung, Steuer und das Tanken finanziert. Das dürfte am Gerechtesten sein. Was meint ihr?"
Allgemeines Nicken und Strahlen bestätigt meinen Vorschlag.
"Okay - weiter."

"Stooop! Für wen gilt das mit dem Führerschein? Und wie kriegen wir das zeitlich hin?"
"Ich werde versuchen, für sagen wir mal zwei Tage die Woche für euch einen Fahrlehrer nebst Auto zu engagieren. An einem Tag ist Theorie, an allen Tagen Fahrstunden, mehrere hintereinander weg. Die Reihenfolge passt ihr dann euren individuellen Terminen an. Die Theorie findet hier statt, teilnehmen werden - wenn ihr das wollt! - Hoseok, Jimin, Taehyung und fürs Mofa Jeongguk. Der Rest muss bei dir ja noch warten."
Guk hibbelt ganz begeistert.
"Cool! Das wäre für uns alle noch jahrelang nicht drin gewesen. Danke!"

"Darf ich jetzt das Thema wechseln und zu viertens kommen?"
"Das scheint ja echt wichtig zu sein."
Namjoon grinst mich an, und alle anderen fangen schon wieder an zu lachen.
"ViErTeNs!!! Ich habe eine Idee, wie wir die Waggons hinter die Pförtnerei kriegen, ohne dafür den halben Park abzuholzen."
Jetzt habe ich ihre volle Aufmerksamkeit.
"Sammelt doch bitte mal einen ganzen Haufen grader Stöcke, auch ein paar lange, dazu bunte Blätter und ein paar Ranken."
Schwupp sind alle auseinander gespritzt und klauben Stöcke vom Boden auf. Ich durchwühle so lange meine Handtasche nach brauchbaren Gegenständen. Schnell hat sich ein beachtlicher Berg 'Irgendwas' beim Rondell angesammelt. Ich betrachte die Stöcke einen Moment und lege dann los.

"Das hier unten ist die Mauer mit Zaun zur Straße, im Westen. Die äußeren Stöcke markieren die Grundstücksgrenze, und der gebogene da, das ist die Hecke zur Pförtnerei. Und natürlich zieht sich das Gelände nach Osten den Hang hoch, aber uns geht es ja grade nur um den unteren Teil."

Schnell stehen alle neben mir und folgen meiner kreativen Stockmalerei.
"Die Eingangstore sind hier, rechts das große, wo wir bisher immer durchgefahren sind. Und links das kleine Tor mit dem Fußweg zum Pförtnerhaus. Mit den Blättern habe ich einfach mal die Grundstücksbreite geviertelt."

Ich zücke meinen Führerschein und irgendein Anschreiben.
"Das sind die Villa und die Pförtnerei."

"Und jetzt passt auf. Das linke, kleinere Tor wird so verbreitert, dass die beiden Waggons, der Bus und eventuelle Autos durchpassen. Dann verlegen wir die Schienen, die auf dem Schrottplatz rumliegen, da an der Pförtnerei vorbei den Hang rauf und schieben die beiden Waggons an ihren Platz. Auf diese Weise muss nämlich kein Megakran in den Park, der alles kaputt macht. Das sieht dann so aus. Danach folgt Jimins Bus, der an seinen Platz fahren kann. Schwupp - alles ist drin, alles kann raus."
Ich lege ein paar Papierstreifen ab, um die drei Fahrzeuge darzustellen.

Gespannt auf ihre Reaktion schaue ich die Jungs an. Die wollen grade alle auf einmal losreden, da bremst uns Tae.
"Jimin ist da."
Schnell steht er auf und geht dem unsicheren Freund entgegen, der, noch in Gärtnerklamotten, abwartend am großen Tor steht. Wir anderen werden still und üben uns in Geduld.

Als die beiden bei uns angekommen sind, versucht Tae, Jimin zu beruhigen.
"Mach dir keine Sorgen. Die sind alle nur deshalb hier, weil Nelli was mit uns besprechen wollte. Und ich hab nun mal hier gesessen, um auf dich zu warten. Wir freuen uns sehr auf dich."
Jimin wird rot, bleibt aber scheu und stumm. Jeongguk trifft dann den richtigen Ton, indem er die Situation gekonnt überspielt.

"Wir haben grade überlegt, wie wir die beiden Waggons und deinen Bus eigentlich aufs Gelände und an ihre Plätze kriegen. Du kommst genau richtig. Magst du mal mit auf den Grundstücksplan kucken?"
Die Gruppe rutscht ein paar Schritte zur Seite, damit Tae und Jimin auch gut auf den Plan blicken können. Jimin zögert noch. Dann traut er sich zu reden.
"Ich ... es fällt mir ziemlich schwer, weil ihr so viele seid. Aber mein Chef hat mir vorhin verraten, dass ich hier wohnen und arbeiten kann, wenn ich das will. Also will ich das lernen. Hier zu sein. Auch wenn ihr viele seid."

Himmel, der Junge ist Gold. So mutig!
"Danke für dein Vertrauen, Jimin. Wir wissen, dass das ein großer Schritt für dich ist. Schau mal, was wir uns überlegt haben."
Mithilfe der groben Stockmalerei zeigen wir ihm das Gelände und die Idee mit den Schienen. Sein Blick wird ganz konzentriert, mehrfach dreht er sich zur Pförtnerei oder zum Zaun an der Straße um, starrt wieder auf das Blatt Papier.
"Das mit den Schienen ist schon mal genial. Man könnte ..."
Er dreht sich wieder um und flitzt plötzlich den Hang runter.
"Mooooment ..."

Wir lassen ihn rennen, schauen uns gegenseitig an und verkneifen uns den Jubel. Nur ein superfettes Grinsen macht sich auf allen Gesichtern breit. Und Tae flüstert uns was zu.
"Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen bin."
Wir drehen uns alle um und versuchen zu verstehen, was Jimin da unten macht. Er steht mitten auf der Straße, sieht abschätzend nach links und rechts. Peilt über seinen Daumen, schreitet den Zaun ab. Dann blickt er zur Villa hoch, schaut nach dem Sonnenstand, dreht sich dabei.
Guk fängt an zu kichern.
"Ich höre es bis hier oben rattern in seinem Hirn. Ich weiß nur noch nicht, was."

Jimin holt etwas aus der Tasche seiner Arbeitshose. Er scheint zu schreiben. Wir stehen alle wie gebannt. Jetzt geht er durch das große Tor wieder rein, an den Müllcontainern vorbei und stellt sich ein Stück vom Zaun entfernt mitten in die Wildnis. Wieder schaut er rauf und runter, links und rechts, peilt mit dem Daumen zur Villa, macht sich erneut Notizen. Und dann kommt er einfach den Hang wieder raufgestiefelt, mitten durchs Gemüse. Er schaut sich dabei ein paar alte Bäume an und läuft zügig zu uns. Er sieht begeistert, gradezu erfüllt und sehr zufrieden aus. Wir halten es vor lauter Neugierde kaum noch aus.

Aber er spannt uns weiter auf die Folter.
"Nelli, waren die ursprünglichen Straßen und Wege übers Gelände genau da, wo jetzt die Schotterpisten sind? Und sollen die da auch wieder hin?"
"So ungefähr, ja. Du machst uns echt neugierig. Was hast du vor?"
Er schaut wieder ganz unsicher.
"Ist das in Ordnung, wenn ich das noch nicht verrate? Ich würde das gerne erst mit meinem Chef besprechen. Und ich muss viel mehr wissen über barocke Gärten, welche Pflanzen die damals bevorzugt haben, ob da in der Art der Bepflanzung ein Sinn verborgen ist. Sowas alles."

Jeongguk will laut protestieren, aber Hoseok hält ihm sofort den Mund zu. Ich antworte stattdessen ganz ruhig.
"Es fällt uns zwar schwer, aber du wirst wissen, was du tust. Du bist hier der Fachmann."
Jimin lächelt verlegen.
"Danke. Eine wichtige Eigenschaft des Parks kann ich ruhig schon verraten. Schaut euch bei unserem Modell mal an der Straße die Blätter an - und dann die Lage der Villa zum gesamten Gelände."
Gehorsam folgen wir seiner Hand mit den Augen.
"Fällt euch da was auf?"

Erstmal stehen wir natürlich alle auf dem Schlauch, so sehr wir uns auch anstrengen. Dann kommt plötzlich Leben in Hoseok.
"Irre! Dass mir das nicht gleich aufgefallen ist."
"Was denn?", rufen alle durcheinander.
"Nelli hat das Gelände da unten am Zaun mit den Blättern geviertelt. Seltsamerweise steht die Villa nicht genau in der Mitte zwischen den Grundstücksgrenzen. Aber! Die Hecke links trennt optisch genau ein Viertel ab, und dadurch steht die Villa bei den restlichen drei Vierteln doch genau in der Mitte. Und du, Jimin, bist grade zur Straße gerannt, um zu kontrollieren, ob das in der Realität auch so ist."

Wieder wollen alle durcheinanderreden, weshalb Jimin nur schüchtern nickt. Aber man sieht ihm die Freude an, dass Hoseok ihn verstanden hat.
"Ich ... glaube, ich mag grade mal den Chef anrufen."
Er holt sein altes Handy aus einer der vielen Hosentaschen und wählt die Nummer seiner Firma.
"Lass dir Zeit. Gut Ding will Weile haben. Wir gehen dann schon mal rüber und machen uns ans Abendessen."
Wir lassen Jimin mit dem Handy allein. Nur Tae bleibt bei ihm stehen und klopft ihm anerkennend auf die Schulter.

Während wir gemeinsam ein Abendessen aus verschiedener Pasta und Saucen vorbereiten, tauschen wir uns aus. Hoseok deckt den Tisch für alle und kommt dann wieder in die Küche.
"Seht ihr das auch so, dass Jimin sich deshalb auf den Park gestürzt hat, weil ihm das Sicherheit verleiht? Er war so in seinem Element, wusste genau, was er da tut. Das fand ich ziemlich beeindruckend."
Hobi - er hat mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen.
"Ich habe das genauso wahrgenommen. Er war in seinem Metier, hat sich wohl dabei gefühlt. Dann geht offensichtlich eine ganze Menge. Ich könnte platzen vor Glück, dass er den Mut aufbringt, dieses Abenteuer zu wagen."
Jin sieht mich streng an.
"Das mit dem Platzen lässt du bitte bleiben. Wer soll denn hinterher die ganze Küche putzen?!?"

Jin gießt grade die verschiedenen Nudeln ab und füllt sie in Schüsseln mit Deckeln, da hören wir die Stimmen von Jimin und Taehyung näherkommen. Guk ist schon wieder nicht zu bremsen, was uns andere zum Schmunzeln bringt. Kaum sind die beiden Freunde zur Tür rein, stürzt Guk sich auf sie.
"Und? Was hat dein Chef gesagt? Was willst du aus dieser Symmetrie machen?"
Jimin zuckt zusammen und wird starr. Taehyung legt dem Stürmer die Hand auf die Brust und hält ihn am langen Arm von sich weg.
"Gaaaaanz ruhig, Brauner. SO kriegst du bestimmt nichts aus uns raus."
Schmollend gibt sich unser Jüngster geschlagen.

"Besser. Können wir erst essen und nach barocken Gartenanlagen googeln? Danach können wir wahrscheinlich mehr verraten."
Noch nie haben diese Kerle so schnell um einen Tisch gesessen. Ich habe das Bedürfnis zu bremsen, damit Jins Kochkünste auch gewürdigt werden.
"Boah - sind wir hier im Schweinestall, oder warum schlingt ihr so? Wenn das Essen an eurer Zunge vorbeirauscht, schmeckt ihr doch gar nichts. Und dafür ist es zu schade!"
Danach essen alle gesitteter weiter und loben die verschiedenen Saucen, aber die Ungeduld ist deutlich zu spüren.

Jimins Gesicht spricht Bände. Er isst leise und wenig, genießt aber offensichtlich, was er isst. Er beteiligt sich nicht an den Gesprächen, hört aber aufmerksam zu und lächelt manchmal. Es wirkt, als ob er ganz bewusst jede Minute, jedes Detail im Raum, jeden der Anwesenden wahrnimmt und sich selbst immer wieder sagt:'Es ist okay, dass ich hier drin bin. Er ist okay, dies ist okay, das ist okay, ...'
Manchmal frage ich mich, wie er das eigentlich in der Gärtnerei und in der Berufsschule geschafft hat. Vielleicht wird er es mir doch eines Tages erzählen.

"So. Barocke Gärten?"
"Barocke Gärten!"
In Windeseile ist der Tisch abgedeckt und die Küche aufgeräumt. Da uns das Talent von Yoongi, Projektoren zu improvisieren, abgeht und außerdem ja seine Lupe nicht mehr hier ist, stellt Joon sein Laptop so auf die Kommode, dass möglichst viele was sehen können, wenn sie sich knubbeln. Jimin hockt sich näher ran, auf seine Knie, die anderen schieben dahinter ihre Stühle zusammen. Ich freue mich, dass sich alle so dafür interessieren, und rufe eine Seite über die Gärten von Versailles auf.

Nach ein ganz paar erhellenden Informationen über das Barock in Europa drücke ich Jimin die Maus in die Hand. Er und Taehyung kriechen förmlich in den Bildschirm rein, so begierig sind sie, dazuzulernen.

Jimin wechselt bald zu Bildern und findet Unmengen. Originalgrundrisse von alten Gärten, Touristenflyer, um sich heute orientieren zu können, Wasserspiele, symmetrisch angelegte Wege, Sitzecken und kleine versteckte Winkel. Gepflanzte Labyrinthe oder bunte Bilder. Manchmal zoomt er ein Bild ran und notiert sich die Pflanzen, die er erkennen kann. Dann wieder macht uns Tae bei einer Luftaufnahme auf große Strukturen aufmerksam, die man vom Boden aus gar nicht wahrnimmt. Nach einer ganzen Weile lässt Jimin ein bestimmtes Bild auf dem Screen stehen und dreht sich zu uns um.

"Das wird ein schöner Park. Diese alten Anlagen sind zwar viel größer als dieses Gelände, aber da fällt uns bestimmt was ein. Ich hab schon tausend Ideen."
Jeongguk mault.
"Willst du immer noch nichts verraten?"
"Nur eine grundsätzliche Sache kann ich euch noch zeigen. An dem Stockmodell."
Wie gut, dass Namjoon heute nicht arbeiten muss. Sonst müssten wir jetzt schon bald los.

Gemeinsam gehen wir wieder nach draußen. Jimin ist weiter konzentriert und ganz in seinem Element. Schnell schnappt er sich am Modell weitere Gegenstände und erklärt uns mehr.
"Hier ist das Rondell, das rote Blatt. Genau mittig. Der Zaun ist zur Zeit an beiden Grenzen völlig zugewuchert. Aber bei der Auffahrt kann ich erkennen, dass das nicht immer so war. Ich glaube, dass da direkt zwischen Zaun und Fahrweg eine Art Allee gestanden hat. Und das würde sehr gut zu den langen Graden dieser Gärten passen. Alles andere an den Seiten würde ich entfernen und stattdessen Rasen, kleine Beete und schön geschnörkelte Bänke zwischen die Bäume machen."
"Mit der Allee hast du recht, genau so war es mal. Ich dachte allerdings, dass wir jetzt rechts den ganzen Hang rauf Parkbuchten hinmachen für Gäste bei Veranstaltungen."

Kurz überlegt Jimin.
"Dazu habe ich auch eine Idee. Erstmal: Auf der anderen Seite des Grundstücks beim kleinen Haus fängt direkt nach dem Zaun der Wald an. Da könnten wir also innerhalb auch einiges entfernen, um uns noch mehr Spielraum, Luft und Licht hinter der Hecke zu verschaffen."
Wieder folgen wir alle gespannt Jimins Erläuterungen, während er mehrere Efeuzweige ablegt.

"Den Parkplatz würde ich tatsächlich hier vorne anlegen. Innen, parallel zum Zaun, und dahinter zum Garten hin abgegrenzt durch eine Hecke aus Bäumchen, die zu verschiedenen Jahreszeiten blühen. Die halten wir dann genau so kurz, dass über Autos und Hecke hinweg das Rondell und die Villa gut zu sehen sind."
Ich bin verblüfft. Das leuchtet mir sofort ein, denn so stört der Streifen an der Seite nicht, das wäre sonst ziemlich breit den ganzen Hang hoch. Und die Autos sind so optisch von der Parkanlage und von der Villa abgetrennt.

"Und darum schlage ich vor, dass wir getreu der Symmetrie vor der Hecke einen schmaleren Weg anlegen und ebenfalls eine Reihe Bäume mit Bänken setzen. Das sieht dann so aus.
Diese Barockgärten auf den Bildern sind alle streng symmetrisch angelegt, die Bäume in Form gestutzt, die Beete haben ihre Ordnung. Wenn wir den Hang so anlegen wie hier, sieht er von der Straße oder von oberhalb der Bäumchenreihe mit Blick zur Villa ganz akkurat aus. Die beiden Alleen rechts und links rahmen ein Rechteck, das gestaltet werden kann."

Wir alle schweigen beeindruckt. Dann bekommt Jimin spontanen Applaus. Verlegen macht er einen Schritt rückwärts.
"Ich ... dachte ja nur ..."
"Keine falsche Bescheidenheit. Du hast so schnell die Chancen dieses Geländes erfasst. Ich freue mich jetzt schon drauf."

"Äh, Leute ..."
Jin hebt den Blick.
"Habt ihr mitgekriegt, dass es dunkel geworden ist? Ich nicht."
Tatsächlich ist die Dämmerung ziemlich weit fortgeschritten. Das Stockbild ist nur noch schwer zu erkennen. Schnell machen wir ein paar Bilder davon.
Satte Zufriedenheit macht sich in der Runde breit. Und Jimin strahlt.
Das ist glaube ich ein schöner Abschluss für den Abend.
"Wisst ihr was? Ich kann nichts mehr aufnehmen. Und Jimin muss morgen wieder früh raus. Sollen wir es für heute dabei belassen?"
Bevor es ganz dunkel wird, sammle ich schnell das Schreiben und meinen Führerschein wieder ein. Wir schlendern zurück zur Pförtnerei, wo sich Jimin noch ein paar Notizen macht.

Kurz darauf fahren Namjoon und ich Jimin nach Hause. Angenehmes Schweigen herrscht im Auto. Bis ich schließlich vor dem Schrottplatz anhalte und Jimin leise sein Schweigen bricht.
"Das ... war ein schöner Abend. Und ich glaube, ... jetzt ... hab ich etwas weniger Angst. Für euch ... bin ich nicht ... dumm und unfähig."
Ich halte die Luft an.
Ob ihm bewusst ist, dass er ganz oft Minihäppchen seiner Geschichte offenbart? Ich vermute, nein.
Seine Augen glitzern im Schein der Lampe am Tor, als er mich ansieht.
"Danke! Danke, dass ich endlich nicht mehr allein bin."
Dann macht er blitzschnell die Autotür auf und verschwindet in der Dunkelheit hinter seinem Bus.

........................
21.3.2023 - 24.3.2024

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