18 - zweite Chance

Yoongi hat etwas Mühe, Namjoon nochmal aufzustöbern. Erst in den frühen Morgenstunden des entscheidenden Mittwochs kann er ihn in der Tankstelle ansprechen. Kim Namjoon ist natürlich nicht begeistert - weder von den Bedingungen noch von der klaren Ansage noch davon, dass er jetzt grademal noch dreizehn Stunden Zeit hat, seinen Bewährungshelfer davon zu überzeugen, dass dieser Termin wichtiger ist als alle, die er schon im Kalender drinstehen hat. Aber es ist genau, wie Tae es vorausgesagt hat. Namjoon hat auch am Dienstag keine andere Bleibe gefunden und darum jetzt die Uhr im Nacken. Er hat praktisch keine andere Wahl. Also sagt er zu.

Ich fahre heute schon früher zur Baustelle, weil wir uns gemeinsam einstimmen wollen. Jeongguk klebt an Yoongi und hat offensichtlich Angst. Yoongi kann mal wieder seine Gefühle sehr gut verbergen. Hobi und Jin beschließen, dass sie als ruhigere Exemplare in der Gruppe wohl am ehesten in ein Zimmer zusammenpassen, falls Namjoon einziehen sollte. Denn falls Namjoon heute seine Chance nutzt, will trotzdem erstmal niemand mit ihm das Zimmer teilen.
Taehyung und Jeongguk beschließen, dass sie sich Werkzeug und Gartengerät schnappen und sich mal ein bisschen eingehender mit den Resten des alten Pavillons hinten im Park beschäftigen wollen. So machen sie ganz wo anders viel Lärm und kriegen bestimmt nichts davon mit, was sich hier im Pförtnerhaus abspielt. Das dürfte für die Nerven aller Beteiligten am gesündesten sein.

Jin dagegen wird tun, was ihm immer am besten hilft -  er wird für 'hinterher' für alle, die noch da sind, kochen. Das macht ihm Spaß, beruhigt ihn. Und er fühlt sich nicht auf dem Präsentierteller, falls der Sozialarbeiter von Namjoon durchs Haus laufen und ihn in der Küche entdecken sollte.
Ich habe einfach meine Bürokleidung anbehalten, nur die Pumps gegen bequemere Schuhe getauscht. Ich möchte, dass der "Anstandswauwau" mich als Besitzerin und Entscheidungsträgerin ernst nimmt. Hektisch räumen die Jungs ihre persönlichen Sachen aus dem Gemeinschaftsraum, fegen den Flur - alles Übersprungshandlungen, um die Nervosität zu kaschieren. Aber mich freuts, dass sie in dieser Sache alle so den Verstand beieinander haben und an einem Strang ziehen.

Als das erlösende Klingeln vom Tor durch den Flur schallt, schnappen sich die beiden Jüngsten ihr Werkzeug und verschwinden den Hang rauf. Jin stellt ein großes Tablett mit Wasser, Gläsern, Kaffee, Tassen und ein paar Keksen auf die Kommode und huscht wieder in die Küche. Ich setzte mich vor Kopf an den Tisch, so dass ich alles gut im Blick habe. Yoongi und Hoseok sehen sich an und atmen tief durch. Dann geht Yoongi den Gästen entgegen.
Eigentlich hängt für uns ja nichts dran. Wir könnten es uns leicht machen und Kim Namjoon einfach wegschicken. Aber wie Tae es gespürt hat - alle hier haben eine zweite Chance bekommen und bringen es trotz ihrer Abneigung gegen 'den Neuen' nicht über sich, diesen einfachen Weg zu gehen.
Ich bin ziemlich stolz auf euch, Jungs! Auch wenn ich den Kerl selbst überhaupt nicht leiden kann.

Kurz darauf geht die Tür auf, nacheinander treten der Sozialarbeiter, unser arroganter Bewerber und Yoongi den Raum. Ich hätte das nie für möglich gehalten, aber ich habe augenblicklich Mitleid mit Namjoon.
Der Mann vom Amt ist klein, wahrscheinlich kurz vor der Rente und echtes koreanisches konservatives Urgestein. Von seiner strammen Haltung über sein Brillengestell bis zu seinen Blicken, die er missmutig durch den Raum schweifen lässt, schreit alles an ihm: ich lasse mich nicht verarschen und mir nicht auf der Nase rumtanzen. Hier entscheide ich.
Na wunderbar - da wird der ganze Spaß doch gleich NOCH komplizierter.

Yoongi versucht, Hoseok und mich vorzustellen. Mit Misstrauen blickt der Mann ihn an und schneidet ihm das Wort ab.
"Ich denke, wir können wieder gehen. Ein Anwesen in dieser Lage, das grade saniert wird, lockt bestimmt allerlei Gesindel an, aber wenn der Besitzer weiß, dass Sie hier sind, dann fresse ich einen Besen. Das ist Hausfriedensbruch, und ich werde Sie sofort alle anzeigen. Bei so einem Pack werden wir ganz bestimmt KEINEN Häftling unterbringen. Das ist ja wohl die Höhe!"

Yoongi und Hoseok straffen die Schultern. Yoongi postiert sich an der Tür, Hoseok geht auf den Mann zu, verbeugt sich höflich lächelnd und spricht ihn mit eiseskalter Stimme an.
Was für ein Kontrast zum Inhalt seiner Worte! Junge, du bist spitze.
"Guten Tag und herzlich willkommen, Herr ..."
Der Mann ist zu perplex, um nicht zu antworten.
"Kim. Kim Jaein. Beamter im Sozialdezernat Nord der Stadt Seoul."
"Wir freuen uns, dass Sie da sind, Herr Kim. Mein Name ist Jung Hoseok, ich bin offiziell polizeilich hier gemeldet, für die Sanierung fest angestellt und - nebenbei bemerkt - keinesfalls Gesindel. Darf ich Ihnen die Besitzerin des Anwesens vorstellen? Frau Cho Cornelia hat bereits ihre Kindheit hier verbracht und will die Villa mit unter anderem unserer Hilfe wieder in alter Pracht erstrahlen lassen. Darum wurde dieses Nebengebäude saniert - damit wir nicht so weite Anfahrtswege haben."
Ohne mit der Wimper zu zucken, hält Hoseok ihm seinen frischen Personalausweis unter die Nase.

Überrumpelt und sprachlos dreht sich der Mann zu mir um. Mustert mich von oben bis unten. Ich ignoriere das, verbeuge mich, halte ihm meine Hand hin, die wiederum er ignoriert, und lade ihn ein, sich zu setzen. Ich bin auch ohne Pömps größer als er, und das scheint ihm erstmal Respekt einzuflößen. Er setzt sich.
"Danke für die Vorstellung, Hoseok."
Ich sollte mir nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen!
"Wie bereits erwähnt - ich bin Cho Cornelia Sarang Namja. Meine Mutter war Deutsche, mein Vater Südkoreaner. Ich bin hier in Seoul geboren und nach dem Tod meiner Eltern auf diesem Anwesen bei meinem Onkel aufgewachsen. Anfang des Jahres habe ich das alles hier geerbt und will nun den letzten Willen meines Onkels umsetzen, dass die Villa und das Gelände einem sinnvollen wohltätigen Zweck meiner Wahl gewidmet werden sollen."

Der Mann starrt mich sprachlos an, ich mache es Hoseok nach, schiebe meinen Ausweis über den Tisch zu ihm und schwinge weiter die wichtig-Keule.
Der soll gefälligst sachlich entscheiden und nicht Namjoon und uns seine Klischeesauce übergießen.
"Ich bin studierte Betriebswirtschaftsingenieurin und arbeite als insurance senior consultant bei der Versicherungsgesellschaft Hanwha Daehan Life Insurance in Gangnam-Du.
Es ist durchaus in meinem Interesse, dass hier fortan vertrauenswürdige Menschen leben und ein Auge auf alles haben können. Sonst schlupft hier noch irgendwelches Gesindel unter."

Peinlich Stille.

"Ich weiß noch nicht, welchem Zweck ich das Anwesen widmen oder ob ich vielleicht selbst hier leben will. Aber es erscheint mir ausgesprochen kontraproduktiv, eine Hand voll junger Männer mit Träumen auf die Straße zu setzen, um dann hier etwas Wohltätiges zu tun. So lange ich nichts anderes entschieden habe, sind mir alle Menschen willkommen, die Hilfe brauchen, um wieder auf die Füße zu kommen."
Schweigen. Räuspern. Die Jungs, sogar Kim Namjoon lehnen sich innerlich zurück, signalisieren Gelassenheit und warten gespannt ab, was jetzt kommt. Der Beamte windet sich.

"Verzeihen Sie vielmals, Frau Cho. Ich wollte Ihnen und Ihren Mitarbeitern keineswegs zu nahe treten. Das ist ein peinliches Missverständnis."
Schweigen. Räuspern.
Nenn das 'Missverständnis' ruhig beim wahren Namen, du Ekel. Das ist Diskriminierung vom Feinsten. Aber so leicht machen wir es dir nicht.
Zum ersten Mal zeigt unser Bewerber ein feines Lächeln, das ehrlich und ... ziemlich ansprechend aussieht. Die jungen Männer setzen sich. Ich zwinge mich, weiter dem Beamten zuzuhören. Der drückt entschlossen seinen Rücken durch.
"Die Unterbringung von entlassenen Strafgefangenen, die keine dauerhafte eigene Adresse vorweisen können, sieht normalerweise ein bestimmtes, gesetzlich geregeltes Verfahren vor. Dafür brauche ich einige Angaben von Ihnen, und der Delinquent muss zu Ihrer Sicherheit seine Vergangenheit offenlegen. Darüber hinaus sollten Sie keine Gelder offen rumliegen lassen."

Der Mann grabbelt in einer Aktentasche, die mir bisher noch gar nicht aufgefallen war, und zieht ein mehrseitiges amtlich aussehendes Formular heraus. Ich schaue schnell in alle Gesichter. Namjoon ist angespannt und hält die Luft an. Hoseok ist schlagartig stinksauer.
Und Yoongi sieht irgendwie ... so entschlossen aus, als ob ... und so ... wie ... seiner Sache sehr sicher? Naja, immerhin beschäftigt er sich seit Jahren mit sowas.
Strukturiert und geschäftsmäßig schaltet er sich ein, bevor der Bewährungshelfer wieder zu Wort kommen kann.
"Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Vorverurteilungen bei uns weder üblich noch gewünscht noch gesetzlich erlaubt sind. Ich bin sicher, Sie kennen den Paragraphen besser auswendig als ich, in dem steht, dass dem NICHT-MEHR-Delinquenten, sprich aus der Haft entlassenen Menschen für die Zeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft absolute Diskretion zusteht, um eben jene schädliche Vorverurteilung auszuschließen."
Yoongi??? Woher weißt du denn sowas? ... Egal. Kommt gut.

Der Beamte weiß nicht mehr weiter. Das gibt Hoseok die Gelegenheit, den Staffelstab zu übernehmen.
"Falls wir uns nachher, ohne ihr Beisein wohlbemerkt, dazu entschließen sollten, Kim Namjoon in unsere Wohngemeinschaft aufzunehmen, wird er wie alle anderen auch seine persönliche Geschichte erst dann erzählen, wenn er dazu bereit ist. Wir alle wissen nur voneinander, dass wir einmal zu oft in unseren Leben über unsere eigenen Füße gefallen sind. Mehr geht uns nicht an. Hier darf leben, wer sich in die Gemeinschaft fügt, sich an ein paar Spielregeln hält und erkennbar keinen Bock hat, jemals wieder Scheiße zu bauen.
Stellen Sie also bitte den Ihnen anvertrauten Mann nicht bloß sondern uns ihre Fragen. Und bitte beachten Sie dabei, dass wir freie Menschen sind, die nicht zur Auskunft verpflichtet sind."
Hoseoks Blicke in Namjoons Richtung sprechen Bände. Ihm ist das alles zu kompliziert und anstrengend, aber Ungerechtigkeit erträgt er nunmal gar nicht.

"Aber ... dann kann ich diesem Konstrukt nicht zustimmen!"
Namjoon wird weiß um die Nase, und Yoongi wird sauer.
"Zeigen Sie uns den Paragraphen des Sozialgesetzbuches, in dem steht, dass zufällige Mitbewohner dazu verpflichtet sind, einem Amt, mit dem sie noch nie in Konflikt gekommen sind, ihre Lebensumstände offen zu legen. Diese Informationen als Voraussetzung für die Findung einer Unterkunft zu verlangen, ist absolut gesetzeswidrig. Und das wissen Sie auch."
Hilflos sieht der strenge Mann seine Felle davonschwimmen. Also versucht er, das zu überspielen und wendet sich direkt an mich.

"Frau Cho, könnten wir dann bitte zur Sache kommen und die Angelegenheit vernünftig regeln? Sie werden sicher eine Entscheidung von solcher Tragweite nicht diesen jungen Leuten überlassen wollen."
Oh Mann - du gehst mir echt gewaltig auf den Keks!
"Warum denn nicht? Das sind die gebrannten, durchs soziale Netz gefallenen Menschen. Die müssen hier miteinander leben. Herr Kim hat dann eine offizielle Adresse, wird einen Mietvertrag unterschreiben, sich an die Regeln anpassen und nach und nach zur Ruhe kommen, während er überlegt, was er jetzt eigentlich mit seinem weiteren Leben anfangen will. Ich habe da nichts allein zu entscheiden."

"Ja, aber ..."
"Sehr verehrter Herr Kim Jaein, könnten Sie jetzt bitte mit belastbaren Fakten aufwarten und dann uns überlassen, ob wir bereit sind, Herrn Kim Namjoon hier aufzunehmen? Herr Jung ist bei der Hitze den ganzen Tag lang auf dem Dach rumgeturnt, und ich habe einen langen Bürotag hinter mir. Entscheiden Sie bitte, ob Sie einem Aufenthalt von Kim Namjoon in diesem Hause grundsätzlich zustimmen. Und entscheiden Sie weise. Ich vermute, Ihr Amtsvorsteher wäre nicht grade begeistert, wenn die Stadt Seoul noch länger einen vermeidbaren Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt finanzieren müsste. ... Noch einen Kaffee?"
So. Jetzt habe ich all mein Pulver verschossen.

Namjoon ist während des gesamten Gesprächs immer blasser geworden und durch zahllose Gefühlszustände getaumelt.
Der weiß bestimmt überhaupt nicht mehr, woran er ist. Am Montag haben wir ihn rausgeworfen, jetzt brechen wir eine Lanze für ihn. Und ihm ist klar, dass seine eigentliche Hürde noch kommt - das Gespräch mit uns allein.
Herr Kim Jaein erhebt sich, steckt das Formular zurück in seine Tasche. Der kurze Griff an sein Jacket verrät, dass er sich vergewissert, ob er sein Handy bei sich trägt.
"Würde es Ihnen etwas ausmachen ... Dürfte ich kurz einmal ..."
Die deutschen Gene für Offenheit und Direktheit gehen mit mir durch.
"Die Toilette finden Sie hinter dieser Tür, dann dem Gang nach rechts ganz bis zum Ende folgen. Das meinten Sie doch, oder?"
Rot wie eine reife Tomate flüchtet er in Richtung Badezimmer.

Kaum ist die erste Tür hinter ihm zugefallen, kann Kim Namjoon sich nicht mehr zurückhalten.
"Äh. Träume ich? Warum kämpfen Sie so für mich?"
Ach - Hoseok.
"Weil selbst solche arroganten Arschlöcher wie du ein Recht auf Gerechtigkeit haben? Weil wir von ihm ein Ja brauchen, damit wir nachher Nein sagen können? Suchs dir aus. Mir fällt noch mehr ein."
Kim Namjoon ist schlagartig wie ausgewechselt. Seine Augen verengen sich, wütend nimmt er die Herausforderung an.
"Du weißt ganz genau, dass ich keine andere Wahl habe, als mich an eure albernen Spielregeln zu halten. Wo sind denn eure viel beschworene Freiheit und Gerechtigkeit, wenn ich hier nicht mal rauchen darf? Du Schoßhund einer reichen Diva hast doch überhaupt kein Rückgr..."

Sofort springt Yoongi dazwischen. Leise und klar.
"Jetzt pass mal auf, mein lieber Freund. Du bist echt ungeschickt. Was glaubst du, wirst du damit erreichen, wenn du uns und Frau Cho beleidigst? Ja, du hast recht, du hast nur die Wahl zwischen hier sozial und erwachsen werden. Oder da wieder durch schwedische Gardinen glotzen. Wir sind keine Schoßhündchen von Frau Cho, weil sie uns im Gegensatz zu dir mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet. Wenn sie entscheiden würde, wärst du längst da zur Tür raus, weil dein Benehmen am Montag wahrlich schon gereicht hat. Aber sie überlässt es uns, weil wir es mit dir aushalten müssen. Du dagegen bist die Marionette deines narzisstischen Selbstbildes. Krieg dich auf die Kette oder geh."
Namjoon schweigt betroffen.

Aus dem hinteren Flur sind Schritte zu hören.
"Ach - und dein Anstandswauwau kommt grade zurück von seiner Chefbefragung. Also hol tief Luft und sag uns deine Antwort nachher."
Yoongi und Hoseok beschäftigen sich mit ihren Kaffeetassen, ich zücke mein Handy und tue wichtig. Und Namjoon stürzt grade noch rechtzeitig zum offenen Fenster, damit der Wauwau sein Gesicht nicht sieht. Er braucht einen Moment, bis er sich wieder unter Kontrolle hat. Im nächsten Moment öffnet sich die Tür, Kim Jaein kommt leise herein und setzt sich auf seine Stuhlkante.

"Wenn es Ihnen allen recht ist, würde ich das abenteuerliche Experiment gerne wagen. Mehr als schiefgehen kann es nicht. Ich bin dann morgen um die selbe Zeit wieder hier, um zu kontrollieren, ob Herr Kim Namjoon eingezogen und integriert ist, und ob tatsächlich ein Mietvertrag existiert."
Er greift nach seiner Aktentasche und sieht Namjoon großväterlich streng an.
"Und Sie versauen sich diese Chance nicht. Wir hatten schon genug Scherereien mit Ihnen.
Meine Dame, meine Herren - ich empfehle mich."
Schade, für die perfekte Wirkung fehlt ihm noch eine Melone auf dem Kopf.
Er vollführt einen möglichst würdevollen Abgang und ist verschwunden.
Endlich!

Wir atmen auf. Yoongi geht auf Namjoon zu.
"Ich weiß, es ist schwer, aber du musst jetzt über deinen Schatten springen. Ist er mit dem Auto oder mit dem Bus da? Wenn Bus, dann sieh zu, dass du hinterherkommst, untertänig schweigst, deine Ohren auf Durchzug stellst und ihn begleitest, bis sein Bus abgefahren ist. Sei einfach höflich und komm dann zurück. Los!"
Man sieht Namjoon an, dass er Yoongi einen Vogel zeigen will. Aber dann macht er doch auf dem Absatz kehrt und spurtet seinem Bewährungsverhinderer hinterher.

Zu dritt bleiben wir übrig, sehen uns an und schütteln alle Anspannung von uns ab. Intuitiv entfährt mir ein gestöhntes "na, fröhliche Weihnachten". Und Yoongi knurrt die geschlossene Tür an.
"Wenn er sich bis Weihnachten nicht stark verändert hat, feiern wir das sowieso ohne ihn."
Ich gebe mir einen Ruck. Hier muss es weitergehen.
"Hobi, könntest du Jin fragen, wie weit er ist? Und dann rechtzeitig unsere beiden Maulwürfe holen?"
"Klar! Juchu - was NORMALES tun."
Weg ist er.
Ja, das ist ziemlich treffend formuliert.

"Yoongi? Wie geht es Ihnen mit diesem chaotischen Termin?"
"Beschissen? Mir kann er nichts, Hobi hat seinen Tunnelblick und Jin ist auf dem Weg nach draußen. Aber Tae ist sehr leicht zu verletzen und zu verunsichern. Und Guk ... ich bin stolz auf jeden Tag, der schneller rumgeht als die Lunte brennt. Die beiden können wir im Grunde nicht miteinander alleine lassen."
Wo er recht hat, hat er recht.
"Dann sollten wir uns wohl als nächstes mit einer sinnvollen Beschäftigung für Jeongguk auseinandersetzen. Egal, wo Namjoon in den nächsten Monaten Nachhilfe in Sozialkompetenz bekommt. Guk braucht jedenfalls einen stützenden Rahmen."
"Sehe ich auch so."

Es ist einer der sehr seltenen Momente, in denen Yoongi mich direkt ansieht.
"Aber ich bin jetzt in einer Zwickmühle. Namjoon hat natürlich eine Chance verdient, denn im Knast lernt er nur noch mehr Arschsein. Aber er hat noch lange nicht kapiert, worum es wirklich geht. Er glaubt, dass er uns einfach so benutzen kann, um sein eigenes Ding durchzuziehen. Und ... Guk verlässt sich drauf, dass ich für ihn Nein sage ..."

Leider können wir unser Gespräch nicht zu Ende führen, denn Jin kommt mit dem großen Reistopf aus der Küche, stellt ihn auf den Tisch und verschwindet wieder - und der vergnügt schmunzelnde Hoseok betritt von der anderen Seite her den Raum, zwei ziemlich eingealberte und total verdreckte Jungs im Schlepptau.
"Wurde höchste Zeit. Die zwei haben grade 'Rapunzel, lass dein Haar herunter' gespielt. Ich konnte nur nicht so genau erkennen, wer Rapunzel und wer Prinz war."
Das hellt unsere Stimmung wieder ein bisschen auf. Jin streckt nochmal den Kopf aus der Küchentür und quatscht einfach mit.
"Ist doch ganz einfach. Der mit den kürzeren Haaren ist der Prinz."
"Mist!"
Schlagartig streicht Jeongguk seine langen Zotteln nach hinten und zieht sich die Arbeitsjacke über den Kopf.

Tae kichert ausgelassen, denn seit er regelmäßig zu seinen Eltern fährt, war er auch schon einmal beim Friseur. Mit gespitzten Lippen geht er auf Guk zu, der mit einem lauten "Iiiiiihhh!" ins Bad flüchtet.
Ich lehne am offenen Fenster und halte mir inzwischen den Bauch vor Lachen.
So gefallt ihr mir viiiieeeel besser, Jungs. Was ein Unterschied zum Anfang!

Auf einmal nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung draußen wahr. Ein schneller Blick in die Runde - Namjoon steht hinter der Hecke. Darum sehe ich auch sein Gesicht nicht. Aber ich ahne, was in ihm vorgeht. Er muss sich entscheiden zwischen bleiben und abhauen. Zwischen ab und zu mal kindisch und albern sein oder stur sein Egoding durchziehen und dabei ganz schön einsam sein. Er bekommt unsere Solidarität gegenüber dem Aufpasser und kauft damit auch unseren Gegenwind ein, wenn er sich nicht einfügt. Wieder tut er mir ein bisschen leid - aber nur ein ganz kleines Bisschen. Ich kann erkennen, dass Namjoon sich aufmacht, um die Hecke zu laufen, und wende mich schnell wieder dem Raum zu. Er soll sich nicht beobachtet fühlen.

Guk taucht wieder auf und schnappt sich eine Wasserflasche. Dann stutzt er. Er sieht verunsichert aus, weil er die durchwachsene Stimmung spürt.
"Was war denn eben?"
Hoseok knurrt richtig, was ich bei ihm noch nie erlebt habe. Die bevorstehende Entscheidung lastet schwer auf uns allen.
"Kurzfassung: der Bewährungshelfer ist noch um Längen unsympatischer als der Kandidat, weshalb wir ihn sogar verteidigt haben."
Reicht. Ich mache schnell das Time Out-Handzeichen. Eine Minute später klingelt es an der Haustür.
"Stellt schon mal das Essen auf den Tisch."

Diesmal gehe ich raus, um den seltsamen Bewerber reinzuholen.
"Darf ich Ihnen eine Frage stellen, bevor wir zu den anderen gehen? Sie wissen, Sie müssen nicht antworten."
Kim Namjoon nickt zögerlich.
"Ist Ihnen bewusst, WIE unglaublich und überflüssig beleidigend Ihr ganzes Auftreten und Ihre Sprache sind?"
Der große Mann vor mir wird rot und beißt die Zähne zusammen.
Also nicht ...
"Die fünf Menschen, die hier in diesem Haus schon leben, sind nicht alles Straftäter. Aber sie sind durch die Bank einmal zu oft verraten, ausgestoßen oder sogar traumatisiert worden. Ich werde nicht dulden, dass Sie einen von ihnen verletzen, erniedrigen, ausnutzen, sich bedienen lassen oder ähnliches grob unsoziales Verhalten an den Tag legen. Das ist meine einzige Bedingung. Aber die sollten Sie sehr ernst nehmen. Dann können Sie von mir aus bleiben."
Mit immer noch zusammengebissenen Zähnen nickt er wieder. Also gehen wir vom Flur zurück ins Wohnzimmer.

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19.1.2023    -    20.3.2024

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