Kapitel 9


Zu Hause wartete schon die nächste Überraschung auf mich, denn als ich die Wohnung betrat, schlug mir Kaffeeduft entgegen, was mich die Stirn runzeln ließ. Mum und ohne Anlass Kaffee kochen? Das passte nicht. Folglich musste sie Besuch haben, den sie gut leiden konnte, denn für irgendwelche Leute, die ihr nur sauteures Zeug andrehen wollten, hatte sie meistens nur billiges Wasser übrig, wenn überhaupt. Leise legte ich meine Tasche unter die Garderobe und wollte mich zur Küche vorschleichen, um heimlich zu sehen, wer die Ehre hatte (um entscheiden zu können, ob ich mich blicken lassen wollte oder nicht), doch Mum hatte anscheinend schon das Klicken der Wohnungstür gehört, denn auf einmal sagte sie: „Das muss mein Sohn sein. Er spielt in einer Band, deshalb kommt er Freitags immer etwas später heim."

Innerlich fluchend wollte ich mich schleunigst in mein Zimmer verdrücken, doch nun trat meine Mutter auf den Gang – und ich war erstaunt: Sie strahlte übers ganze Gesicht, was schlichtweg viel zu selten vorkam, ihre Augen leuchteten und ihre Wangen waren gerötet – sie sah ... glücklich aus. „Niall, setzt dich doch bitte zu uns"."

Nicht, dass ich es meiner Mum nicht gönnte, glücklich zu sein – im Gegenteil, ich wünschte es ihr von ganzem Herzen, sie hatte es einfach viel zu schwer gehabt in ihrem Leben, obwohl sie so ein toller Mensch war – aber das hier ließ mich doch ziemlich misstrauisch werden. Kaum war ich in Reichweite, hatte sie mich schon voller Elan in die Küche gezogen. „Yaser, das ist mein Sohn Niall. Niall, das ist Yaser. Ich habe ihn vor ein paar Wochen auf diesem Konzert kennengelernt, auf dem ich mit meinen Freundinnen war."

Der dunkelhaarige Mann am Tisch erhob sich und hielt mir lächelnd eine Hand hin, die ich automatisch ergriff und seinen kräftigen Händedruck erwiderte. „Hallo, Niall. Ich hab schon viel von dir gehört."

Er war mir auf Anhieb sympathisch. „Ich würde gerne dasselbe über Sie sagen, aber genau genommen wusste ich nicht mal, dass es Sie gibt", gab ich grinsend zurück, woraufhin mir Mum einen Klaps gegen die Schulter verpasste. „Niall!"

Yaser schüttelte nur lachend den Kopf. „Lass ihn, Maura. Er ist nur ehrlich." Er zwinkerte mir schalkhaft zu. „Schön, dich kennenzulernen."

„Gleichfalls." Und das war mein voller Ernst. Ich mochte ihn wirklich. Und der Chemie zwischen den beiden nach zu urteilen, schienen sie einander sehr nahe zu sein, was bedeutete, dass meine Mum nach meinem Arschloch von Dad endlich wieder einen Schritt nach vorne getan hatte und einem anderen Mann eine echte Chance gab.

„Du kannst mich ruhig duzen", bot Yaser mir an, während er meiner Mum zuvorkam und uns allen Kaffee einschenkte, was Mum mit einem erfreuten Lächeln quittierte. Ich spürte Freude in mir aufsteigen. Nach meinem Dad, von dem sie nach Strich und Faden betrogen worden war und sogar ein paar mal Schläge hatte einstecken müssen, war sie so von ihren schlechten Erfahrungen mit Männern geprägt, dass sie sich schutzsuchend in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und sich lange nicht hinausgewagt hatte. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich sie mühsam dazu überredet hatte, ihre Freundinnen zu diesem Konzert zu begleiten – ich hätte gleich Verdacht schöpfen müssen, als sie so überaus gut gelaunt nach Hause gekommen war. Wie der Zufall es wollte, kam sie genau in diesem Augenblick darauf zu sprechen, indem sie erzählte: „Niall ist im Prinzip auch der Grund, dass wir uns überhaupt kennengelernt haben. Ich hatte eigentlich gar keine rechte Lust auf das Konzert, aber er hat mich praktisch gezwungen."

Ich merkte, wie ich bis unter die Haarwurzeln rot anließ. „Du übertreibst! So schlimm war ich auch wieder nicht."

„Oh doch", widersprach sie vergnügt. „Du hast damit gedroht, deine Busfahrkarte zu schreddern und für den Rest deiner Schulzeit immer zu Fuß nach Hause zu gehen."

Sarkastisch hob ich einen Mundwinkel an und griff nach dem Zucker. „Du hättest mich es ja einfach durchziehen lassen können."

„So ein Quatsch." Sie fuhr mit einer Hand durch meine mühsam hergerichteten Haare und zerstörte somit die ganze Frisur, worauf ich sie wütend anblitzte und gespielt pingelig ihre Hand auf den Tisch zurückplatzierte. „Das konnte ich dich nicht machen lassen. Sonst hätte ich dich vermutlich irgendwo auf der Straße vom Boden aufsammeln müssen, weil du so klein bist und von den anderen überrannt wirst."

Obwohl die Witze ganz schön auf meine Kosten gingen, konnte ich nicht anders als mitzulachen, schon alleine deswegen, weil die von Mum einfach viel zu selten und somit ganz schön kostbar waren – noch ein Zeichen, dass sie dabei war, endlich wieder echtes Glück im Leben erfahren zu dürfen.

Wir unterhielten uns noch eine Weile über belanglose Dinge, bis ich mich von Yaser verabschiedete und den Raum verließ, da ich das Gefühl hatte, dass die beiden insgeheim ein wenig Zeit unter sich verbringen wollten, auch wenn sie beteuerten, dass ich doch noch sitzenbleiben sollte.

Doch kaum hatte ich die Tür meines Zimmers hinter mir geschlossen, kehrte das mulmige Gefühl zurück, das mich die ganze letzte Woche verfolgt und nur die vergangene Stunde in Ruhe gelassen hatte. Josh Devine war in mich verliebt. Holy Shit! Die halbe Schülerschaft würde vermutlich morden, um an meiner Stelle sein zu können – wenn andere wüssten, wie entsetzt ich über Joshs Liebesgeständnis war, würden sie Mund und Augen aufreißen und mich empört mit einem Kissen ersticken, weil ich den begehrtesten Typen der Schule verschmähte.

Kurzerhand griff ich nach meinem Handy, um mich auf andere Gedanken zu bringen, doch das ging gewaltig nach hinten los, denn leider war WhatsApp geöffnet und somit eine neue Nachricht von Josh, in der er sich erkundigte, ob unser Treffen auf der Party am Abend noch in meinem Sinne war.

Konnte mir dieser Typ denn keine Ruhe lassen? Gott, und ich hatte ihm mit meinem gottverdammten VIELLEICHT möglicherweise auch noch Hoffnungen gemacht, die er sich nicht machen sollte, immerhin war ich zu hundert Prozent davon überzeugt, dass ich garantiert nichts von ihm wollte, oder? Okay, streicht das oder. Jetzt hätte ich die Party am liebsten erst recht abgesagt, aber da ich so mühevoll Liam dazu überredet hatte und es noch dazu ein kleines Bandtreffen darstellen sollte, hätte es nicht gerade ein gutes Licht auf mich geworfen, also antwortete ich mit einem kurz angebundenen „klar", stellte mein Handy auf stumm und verbannte es in die Hosentasche, damit ich es nicht mehr sehen musste.

Ratlos ließ ich mich mit meiner Gitarre aufs Bett fallen und begann, irgendeine willkürliche Melodie zu zupfen, bis plötzlich meine Mum ins Zimmer platzte und sich übers ganze Gesicht strahlend neben mich setzte. „Und? Was sagst du zu ihm?" Begeistert hopste sie auf und ab, sodass ich schnell meine Gitarre in Sicherheit brachte, bevor sie mir aus der Hand fallen und das Zeitliche segnen konnte. „Magst du ihn? Meinst du, er wäre was für uns? Sag doch endlich was!"

Lachend richtete ich mich auf. „Mum, ich mag ihn. Er ist freundlich, offen und witzig ... was soll ich noch mehr sagen? Außerdem, selbst wenn ich ihn nicht gemocht hätte, hätte ich ihm auch eine Chance gegeben. Weißt du eigentlich, wie lange ich dich schon nicht mehr richtig glücklich erlebt habe?"

Mum starrte mich für einen Moment nur an, dann stiegen ihr zu meiner Bestürzung Tränen in die Augen, doch bevor ich etwas hinzufügen konnte, hatte sie mich in eine feste Umarmung gezogen. „Vielen Dank, Niall. Ich bin so froh, dass du ihn magst. Und ..." Sie biss sich verlegen auf die Lippe. „ Ich bin auch froh, einen Sohn wie dich zu haben. Ohne dich hätte ich wahrscheinlich nie wieder ins normale Leben zurückgefunden."

Lächelnd erwiderte ich die Umarmung. „Kein Grund, so emotional zu werden, Mum."

Sie ließ mich los und musterte mich prüfend. „Du hast doch heute irgendwas."

Erschrocken fuhr ich zusammen. „Was?"

„Du bist seltsam. Schon die ganze Woche durch."

Okay, wieder einer der Momente, in denen ich feststellen musste, dass meine Mutter mich besser kannte, als ich angenommen hatte. Ich wich ihrem eindringlichen Blick aus und zupfte nervös an der Bettdecke herum. „Wie kommst du darauf?"

Gespielt genervt verdrehte sie die Augen und seufzte. „Niall, erstens bin ich deine Mutter, und zweitens bin ich nicht blind. Dich bedrückt doch irgendetwas. Und jetzt behaupte nicht, dass du nur eine schlechte Note geschrieben hast, ich merkte es sofort, wenn du lügst."

„Und was, wenn ich nicht darüber reden will?" Ich war mir bewusst, dass meine Stimmung leicht kläglich klang, doch das war mir im Moment ziemlich egal.

Mum zog die Augenbrauen hoch. „Seit einer Woche beobachte ich dich schon und warte darauf, dass du endlich von dir aus mit mir sprichst. Ich kann's nicht mehr mitansehen."

Hilflos warf ich die Arme in die Luft und suchte nach Worten. „Ich ..."

„Lass mich raten. Du bist verliebt", riet sie ins Blaue hinein, womit sie schon erschreckend nahe an die Realität herankam, nur eben genau verkehrt herum.

„N-nein", murmelte ich, den Blick nach wie vor fest auf die Decke gerichtet. „Ich nicht."

Erst sah sie mich fragend an, dann schien ihr ein Licht aufzugehen. „Jemand ist in dich verliebt".

Zögernd nickte ich.

„Aber du nicht in ihn."

Wieder wortloses Nicken, während mir das Blut ins Gesicht schoss.

„Steigere dich doch nicht so rein. Die Liebe ist kompliziert".

Jetzt konnte ich mir ein Grinsen nicht vergreifen. „Seit wann bist du Liebesphilosophin?"

Sie gab mir einen Klaps. „Hey! Immerhin bin ich ein paar Jährchen älter als du!" Dann wurde sie wieder ernst. „Ich merke dir schon an, dass du partout nicht darüber reden willst, aber merk dir eines: Lass dich zu nichts zwingen, sondern mache das, was du für richtig hältst. Ich habe in meinem Leben genug Fehler gemacht, vor denen ich dich bewahren möchte." Mit traurigem Gesichtsausdruck strich sie mir ein letztes Mal über den Rücken und erhob sich seufzend, und da ging mir auf, dass sie über meinen Vater sprach. „Mum ..."

„Schon gut, Niall". Sie lächelte mir matt zu, bevor völlig unvermittelt wieder dieses freudige Leuchten in ihre Augen trat. „Bei Yaser bin ich mir todsicher: Er ist der Richtige."

„Ich weiß", erwiderte ich, während ich ebenfalls aufstand. „Hat er eigentlich auch Kinder oder so?"

Auf einmal begann sie von einem Ohr zum anderen zu grinsen. „Er hat sogar vier".

Mir klappte die Kinnlade runter. „Vier?!"

„Ja, drei Mädchen und einen Jungen. Der Junge müsste ungefähr in deinem Alter sein. Ich weiß allerdings nicht mehr genau, wie er heißt, ich kann dir nur den Nachnamen sagen. Der lautet ...".

„Nein nein!", unterbrach ich sie. „Ich lasse mich überraschen, wer in naher Zukunft mein Halbbruder wird, bevor ich möglicherweise meine Meinung noch ändere."

„So schlimm wird er schon nicht sein." Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Ich muss los zur Arbeit, ich habe heute Nachtschicht. Bis morgen!"

Nachdem sie den Raum verlassen hatte, ließ ich mich erschöpft wieder auf das Kissen zurückfallen und starrte nachdenklich an die Decke. Sie hatte recht. Wieso machte ich mich wegen Josh so verrückt? Wenn ich nichts von ihm wollte, dann war das eben so, deswegen sollte ich mir kein so schlechtes Gewissen einreden.

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Nach einer etwas längeren Pause das nächste Kapitel ... nicht gerade spannend, aber immerhin erfährt man ein paar Infos über Nialls Familie. Und tja ... wer wohl der Freund seiner Mutter ist? :D Ich weiß, voll klischeehaft, aber irgendwie musste ich das mit reinpacken :D

Whatever, danke fürs Lesen! <3 Lasst mir doch ein klitzekleines Vote und ein Kommi da ;) Ich freue mich immer wieder drauf, sie zu beantworten! <3

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