Kapitel 22
Zayn hatte mir angeboten, mit ihm nach Hause zu kommen, und ich hatte zu meinem eigenen Erstaunen zugestimmt. Der Gedanke, jetzt alleine in der leeren Wohnung zu sitzen und im Chaos meines Gehirns zu versinken, ließ mein eigenes Zuhause nicht gerade verlockend erscheinen.
„Hier sind wir." Er parkte den Wagen in der Einfahrt eines kleineren Hauses und grinste. „Ich wohne nicht mehr bei meinem Vater, also kann uns auch keiner nerven."
Mit offenem Mund starrte ich aus dem Fenster. Wie konnte ein Neunzehnjähriger neben einem Auto auch noch ein eigenes Haus haben? „Du wohnst hier .... alleine?"
„Ich wollte nicht mehr zu Hause wohnen. Ich habe dir doch von meinem Vater und seinem ehemaligen Alkoholproblemchen erzählt. Ich hab es trotz der Besserung nicht mehr dort ausgehalten. Mein Vater ist trotz allem jetzt wieder ein wichtiges Tier in der Stadt, wenn man es so nennen kann, und hat darauf bestanden, mir meine Unterkunft zu finanzieren. Ich habe eigentlich abgelehnt, aber wenn er meint ... ich habe jedenfalls keinen Kontakt mehr zu ihm. Mit seiner Säuferei hat er erst schon Mum vergrault, und dann ging unser ganzes Leben den Bach runter." Er seufzte. „Tut mir leid. Ich habe noch nie wirklich darüber gesprochen."
Ich lächelte ihn an. „Du kannst gerne darüber reden. Ich bin ein guter Zuhörer."
„Daran zweifle ich nicht." Er legte mir kurz eine Hand aufs Knie, bevor er die Tür öffnete und ausstieg. Obwohl das vermutlich nur eine unbewusste Geste gewesen war, die Kumpels untereinander eben so machten, schlug mein Herz schneller und ich musste schlucken. Wieso genoss ich es so, wenn Zayn mich berührte? Ich verschob den Gedanken in den hinteren Bereich meines Gehirns, und folgte Zayn nach draußen.
Während er die Tür aufschlos und aufschwingen ließ, meinte er: „Es wäre toll, wenn Josh meinen Wohnort nicht erfahren würde, sonst kann ich gleich wieder ausziehen." Er grinste mir schalkhaft zu, als ich eine Ach nee-Miene zog. Nachdem er mir gesagt hatte, ich solle es mir im Esszimmer am Tisch bequem machen, verschwand er für ein paar Minuten im Bad, sodass ich genug Zeit hatte, von meinem Platz aus den Raum einzuscannen. Ich wusste ja nicht, was ich von Zayn erwartet hatte, aber seine Wohnung sah aus wie jede andere: Gewöhnliche Einrichtung, hell gestrichene Wände, hier und da ein wenig Chaos ... Es freute mich, dass Zayn offenbar auch keinen Ordnungsfimmel hatte, denn ich war ein absoluter Chaosmensch. In meinem Zimmer herrschte so ein Durcheinander, dass sich außer mir niemand mehr drin auskannte, aber genau das war ja meine Absicht.
„Möchtest du was trinken?" Frisch gekleidet und gewaschen kam Zayn wieder herein und lief schnurstracks in die Küche, um einen Schrank nach Gläsern zu öffen. Ich kam nicht umhin, ihn unauffällig zu mustern. Er trug jetzt lockere, blaue Jeans, die ihm gerade so auf den Hüften saß, dass man einen Blick auf seine Boxershorts erhaschen konnte, ein schwarzes T-Shirt (welche Farbe auch sonst) und sein dunkles Haar glänzte noch leicht feucht.
Schnell wandte ich den Blick ab, als er sich mit fragendem Gesicht zu mir umdrehte, aber aus dem leichten Zucken seiner Mundwinkel schloss ich, dass er durchaus wusste, worüber ich nachgedacht hatte. Wie um mich zu retten hob er die Wasserflasche hoch, und ich nickte zustimmend – meiner Stimme konnte ich im Moment ohnehin nicht so ganz trauen.
Nachdem wir eine Weile schweigend dagesessen hatten, wagte ich zu fragen: „Wie ist dein Vater jetzt so? Tur mir leid, das geht mich eigentlich nichts ..."
„Ist schon okay." Er schenkte mir ein kleines Lächeln. „Es wird ohnehin Zeit, dass ich mal darüber spreche. Er war schon immer nicht der angenehmste Zeitgenosse. Vor ein paar Jahren hatte Mum schließlich endgültig genug von ihm und ist ausgezogen. Meine Geschwister und mich hat sie einfach zurückgelassen." Seine Stimme verriet seine Verletztheit über diese Tatsache. „Mein Vater hat daraufhin zu trinken begonnen. Er hat seinen Job verloren, das Geld versoffen und hat sich wie die Axt im Walde aufgeführt. Am liebsten wäre ich natürlich abgehauen, aber ich konnte meine Geschwister nicht mit ihm alleine lassen, also blieben wir, bis er sich vor ungefähr einem Jahr irgendwie wieder gefangen hat. Er hat seinen tollen, gut bezahlten Job zurückbekommen und hat aufgehört zu trinken und Scheiß zu verzapfen. Meine Geschwister waren über diesen Wandel natürlich wunschlos glücklich und haben sich sofort wieder eingelebt, aber ich konnte diesen Mann einfach nicht mehr sehen, also bin ich pünktlich zu meinem achtzehnten Geburtstag ausgezogen." Nervös knetete er die Hände. „Ich habe seitdem nicht mehr mit ihm gesprochen."
„Und deine Geschwister?", fragte ich sanft nach und widerstand dem Bedürfnis, seine Hand zu nehmen und zu drücken.
Zayn zuckte die Schultern. „Ich treffe mich manchmal mit ihnen. Sie bitten mich, wieder nach Hause zu kommen, aber ich will einfach nicht. Ich kann die Erinnerung an ihn in diesem fürchterlichen Zustand nicht vergessen. Und wie er uns behandelt hat. Ich bin ohne ihn besser dran."
„Du wirkst ziemlich einsam." Nun konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und legte über den Tisch hinweg meine Hand auf seine. Überrascht betrachtete er unsere Hände, dann lächelte er bitter. „Ich bin kein einfacher Zeitgenosse, wie du sicher schon festgestellt hast. Ich hasse es, unter Leuten zu sein. Lieber bin ich alleine und denke nach oder zeichne. Himmel!" Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Wieso erzähle ich dir das eigentlich alles?"
„Weil ich es wissen wollte", erwiderte ich wahrheitsgemäß.
Er musterte mich einen Augenblick lang und schien mit sich zu kämpfen. „Ich habe dir noch etwas verschwiegen. Über Josh."
Unwillkürlich hielt ich Atem an und spürte mein Herz heftig gegen die Rippen pochen. „Was?"
„Ich hab dir doch gesagt, dass er sich Leute sucht, die er nur ausnutzt und dann fallenlässt. Das war nicht die komplette Wahrheit."
Meine Nervosität erreichte ein Höchstmaß. Was war so schlimm, dass er es mir vorenthalten hatte?
Als Zayn einsah, dass ich nichts sagen würde, seufzte er tief. „Er sucht sich gerne Leute aus, die mir ... naja, die mir gewissermaßen etwas bedeuten."
Blank starrte ich ihn an. „Dann ... bedeute ich dir also etwas?".
„Sieht ganz so aus."
Ich sah auf unsere Hände hinab, deren Finger sich mittlerweile unbewusst miteinander verschränkt hatten. Vor ein paar Tagen hätte ich so etwas niemals von mir gegeben, aber er bedeutete mir ebenfalls etwas. Es mochte ziemlich unsinnig klingen, immerhin hatte ich mich am Wochenende das erste Mal wirklich mit ihm unterhalten, aber es gab da etwas, das eine Anziehung zwischen uns schuf. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht von ihm fernhalten.
„Du bist aus irgendeinem Grund der einzige Mensch, mit dem ich reden kann, ohne aggressiv zu werden. Alle anderen machen mich schon wütend, indem sie nur da sind. Und Josh ... ich hasse ihn einfach. Schon immer. Dafür, was er in der Vergangenheit getan hat, und dafür, was er schon die ganze Zeit versucht, dir anzutun. Er und seine Gang sind die Schlimmsten. Du willst es ihm vielleicht nicht zutrauen, aber dieser Mensch hat schon getötet. Seelisch und körperlich. Andere mit seinen miesen Mitteln ihrer Existenz beraubt, seine Opfer psychisch zerstört. Wenn du wüsstest, was er schon alles getan hat. Du würdest dich lieber vor einen Zug werfen, als dich mit ihm abzugeben. Weißt du ... die derzeitige Situation mit dir erinnert mich an etwas." Er verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse und fuhr geistesabwesend mit seinem Daumen über meinen Handrücken. „Es gab schonmal einen Jungen, der mir etwas bedeutet hat ... mehr als nur etwas bedeutet. Ich war dabei, mich in ihn zu verlieben, um es richtig auszudrücken. Das war genau während des Kampfs um den Anführerposten, wenn du dich erinnerst, was ich dir erzählt habe." Als ich bejahend nickte, fuhr er fort: „Josh hat das natürlich sofort gegen mich verwendet, indem er sich an ihn herangemacht hat. Dieser Junge wusste nichts von den Gangangelegenheiten. Er wusste, dass sie existierten, hätte aber niemals damit gerechnet, dass ich da mit drin hänge. Ich wollte ihn unbedingt von Josh fernhalten, er war nicht so resistent gegen ihn wie du es bist. Irgendwann war ich so verzweifelt, dass ich ihm von der Gang und ihren Machenschaften erzählt habe. Heilige Scheiße!" Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und wischte sich den Schweiß von der Stirn, der sich dort im Laufe seiner Erzählung angesammelt hatte. „Ich mache die gleichen Fehler wie damals! Jedenfalls hat Josh das irgendwie mitbekommen und dass dieser Junge darüber nachgedacht hat, einfach zur Polizei zu gehen, machte die Situation auch nicht besser. Aber jetzt, da er die Gesichter einiger Gangmitglieder kannte, die zu Joshs engsten Kreis gehörten, haben sie ihn ..." Er schluckte schwer. „Sie haben ihn irgendwie verschwinden lassen. Ich weiß nicht wie, wer oder was, aber er ist plötzlich verschwunden und nie wieder aufgetaucht." Wie aus dem Nichts rann ihm plötzlich eine einzelne Träne über die Wange und tropfte auf den Tisch, wo sie im Licht der Lampe über uns leicht silbern schillerte. „Scheiße. Jetzt hab ich dir auch alles erzählt. Bitte versprich mir, dass Josh davon nichts erfahren wird."
„Mach ich nicht", war das Einzige, das ich herausbrachte. Mein Kopf drehte sich und mein Hirn fühlte sich überfüllt an, als könnte es jeden Moment vor zuviel Information platzen.
„Es geht mir hier nicht um mich, Niall", fuhr er mit belegter Stimme vor. „Wenn er mich aus dem Weg räumen könnte, hätte er es schon lange getan. Ich glaube, der Einfluss meines Vaters hält ihn davon ab, irgendetwas zu tun. Aber andere Leute ... vor allem, wenn sie auch noch ein Druckmittel darstellen ... da schreckt er vor nichts zurück."
Schweigend studierte ich sein Gesicht, während sein Blick mich anflehte, ihm Glauben zu schenken. „Ich werde vorsichtig sein", meinte ich unsicher. „Gibt es noch etwas, das ich über Josh wissen sollte?"
Zayn öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder und biss sich auf die Lippe. „Nein", erwiderte er schließlich. „Es war ohnehin ein Riesenfehler, dich in alles einzuweihen." Abrupt schob er seinen Stuhl zurück. „Ich sollte dich wohl besser heimfahren." Wie um dieser Aussage zu widersprechen, ließ nun ein überraschender Donnerschlag regelrecht das Gebäude erzittern, und strömender Regen begann auf das Dachflächenfenster in der Küche zu prasseln. „Oder auch nicht?", fügte Zayn mit einem schiefen Grinsen hinzu und deutete auf das Unwetter. „Vielleicht hätte ich dem Wetterbericht ein einziges Mal in meinem Leben Glauben schenken sollen."
Ich musste lachen, obwohl mir nach Zayns langer Geschichte eigentlich nicht gerade danach zu Mute war. „Dann sitze ich wohl hier fest. Außerdem müsstest du mich nicht fahren, ich kann zu Fuß auch gehen."
„Ja klar." Er tippte sich an die Stirn. „Meinst du etwa, ich lasse dich bei dem Wetter allein in den Straßen herumrennen? Wahrscheinlich lauert dir schon irgendwo J..." Er verstummte. „Vergiss es. Wenn es dir nichts ausmacht, sitzt du wohl wirklich hier fest, wenn du es so nennen magst."
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NOCH MEHR ZIALL IN SICHT!! *-*
Ich freu mich immer totaaaal über Votes und Feedback, das ist einfach das Beste, was man als Schreiber bekommen kann <3
Diesen Teil habe ich nicht korrekturgelesen, eine fiese Bio-Klausur hält mich davon ab -.-
Bis zum nächsten Kapitel!
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