Kapitel 5

Susi wohnte in einem großen Hochhaus, gleich um die Ecke.
Davor spielten Kinder Fußball und schrien sich laut an. Irgendwo bellte ein Hund und der Lärm der Straße war zu hören. Trotzdem schien es eine sichere Gegend zu sein. Es wurden viele Bäume angepflanzt und Blumen spriesten hier ebenfalls. Ein paar alte Männer spielten ein Brettspiel und Hausfrauen unterhielten sich vor der Tür.

Sie grüßten Susi auch freundlich. Nur uns scannten sie skeptisch.

Typisch. Man kannte sich hier. Jeder Fremde wurde genausten beobachtet, falls es später Ärger geben sollte. War bei unserem Hochhaus nicht anders. Hier galt es noch mehr zusammen zu halten, weil das Geld knapp und die Arbeit schwer war.

Wir liefen fünf Stöcke hoch und ich musste schon leicht schnaufen. Sport war noch nie meine Stärke gewesen. Die anderen Beiden schien es nichts auszumachen. Typisch. Susi öffnete eine Tür und wir gingen rein.

Der Flur war ziemlich schlicht, abgesehen von einem riesigen Spiegel an der Wand und das Regal, mit verrückten und auffälligen High Heels.

"Er ist in meinem Schlafzimmer.", sagte Susi und verschwand in einem Raum.

Namjoon schien sich bestens auszukennen und lief den Gang entlang. Die letzte Tür mit einem Schild auf dem "Queen" stand, öffnete er. Nun bemerkte man, wer die Besitzerin der Wohnung war. Die Wände waren pastelrosa gestrichen. Ein rießiges Bett stand im Mittelpunkt, mit einer Menge Kissen. Überall waren Perücken und Klamotten. Es war ein ordentliches Chaos.

Vom Bett kam ein Laut und Namjoon ging ohne Umschweif darauf zu. Ich blieb wie erstarrt an der Tür stehen.

Keine Ahnung wieso, aber ich fühlte mich absolut fehl am Platz. Als hätte das alles nichts mit mir zu tun. Als wäre Chung-Hee nicht mein Bruder und ich nur ein Beobachter der ganzen Sache. Diese Emotionen verwirrten mich. Ich wollte ihn doch die Meinung sagen, ihm klar mache, was er uns allen angetan hatte. Und jetzt stand ich bloß dumm rum und traute mich nicht mal Luft zu holen.

Wieso?

Der Rapper riss ruckartig die flauschige Decke weg. Zum Vorschein kam ein ziemlich dünner Körper, mit mehreren blauen Flecken. Da mein Bruder nur eine Short und ein Shirt trug konnte man sie bestens sehen.

"Chung-Hee steh auf.", sagte Namjoon kalt. Seine Stimme war noch tiefer als sonst. Er schien wütend zu sein.

Der andere Mann stemmte sich träge hoch und schaute uns mit müden Augen an. Seine Haare waren verwuschelt. Auf der Stirn hatte er ein großes Pflaster und seine Lippe war angeschwollen.

"Namjoon? Was mach- Jin Ah?!" Als hätte ihn ein Blitz getroffen, sprang er auf und eilte auf mich zu. Bevor ich reagieren konnte, hatte er mich schon umarmt und drückte mich an sich.

Ich spannte mich sofort an und schaute hilfesuchend zu Namjoon. Dieser schaute genauso verwirrt und wusste anscheinend nicht, was er machen sollte. Genau wie ich.

Der Körper meines Bruders fühlte sich, wie eine Feder an. Als würde er jeden Moment zerbrechen. Irgendwie hatte ich Angst, dass meine Berührung ihm einen weitern blauen Fleck verpassen würde.

"Lass das.", fauchte nun Namjoon wütend und zog Chung-Hee von mir. Dieser taumelte gefährlich, konnte sich aber noch rechtzeitig fassen.

"Was soll das denn?", fragte mein Bruder verwirrt und fixierte Namjoon.

Ich stand einfach nur da.

"Fass sie nicht einfach an. Dazu hast du kein Recht." Der Rapper war überraschend wütend.

"Ach ja? Und wieso nicht? Ich bin ihr Bruder, Namjoon." Das wurde mein Bruder aber nun auch. Er war und blieb der mit dem Temperament.

"Er hat Recht. Fass mich nicht an.", sagte ich leise und schaute zu ihm.

Namjoon blickte mich an. Wahrscheinlich versuchte er gerade zu verstehen, was in meinem Kopf los war.

Chung-Hee stand bloß mit offenen Mund da. Er verstand die Welt nicht mehr. Na dann, Willkommen im Club, Bruderherz.

"Wir müssen mit dir reden.", unterbrach Namjoon dann endlich die unangenehme Stille, "Wir haben verdammt viel Ärger wegen dir und die Polizei sucht dich. Sie sagen, du hättest bei einem Überfall geholfen und dabei eine Frau verletzt. Sie suchen dich. Was hast du dir dabei gedacht?" Die Stimme von ihm wurde immer lauter. Diese ganze Gelassenheit war also gespielt gewesen. Jetzt, wo er vor seinem Freund stand, zeigte er seine Gefühle. Ob das so gut ist, ist eine andere Frage.

Chung-Hee riss sich wütend aus dem Griff und schaute wütend zwischen uns hin und her. Namjoon starrte ebenfalls wütend zurück. Nur ich blieb neutral. Zeigte nicht was ich dachte, da ich mir ja selbst nicht mal sicher war.

"Dein Ernst? Du bist gekommen um mir Vorwürfe zu machen?"

"Sei leise, Chung-Hee. Er hat jedes Recht, dir Vorwürfe zu mache. Du bringst nicht nur seine Zukunft, sondern auch die seiner Mitglieder, wie Freunde in Gefahr. Genauso schadest du unseren Eltern. Sie hören die ganze Zeit nichts von dir und plötzlich steht die Polizei vor der Tür. Also halt einfach dein Maul." Immer noch gefühlslos, schaute ich ihn an. Erneut war sein Mund offen und er sprachlos. Namjoon verbarg ein Grinsen. Mir war aber nicht nach Lachen zumute. Ich fühlte mich nach den Worten einfach nur müde und wollte mich auf das gemütliche Bett legen und schlafen. Am besten für immer, oder bis das Problem gelöst war.

"Aber ich habe nichts getan!", rief mein Bruder aufgebracht.

"Du hast eine Frau verletzt!", rief Namjoon zurück. "Du hast ein Auto gefahren, mit dem ein Überfall gemacht wurde. Du hast ETWAS getan, Chung-Hee."

Dieser biss wütend die Zähne zusammen und man konnte es förmlich in seinem Hirn rattern hören.

"Wieso? Wieso hast du das getan?", fragte ich ihn.

Mein Bruder schaute aber weg und mied unsere Blicke. Namjoon runzelte die Stirn.

Was sollte diese plötzliche Schwankung?

Es verging ein Moment und niemand sagte etwas. Wir warteten, aber nichts geschah. Gerade als Namjoon aussah, als würde er ihn schlagen wollen, hörten wir ein Räuspern.

An der Tür lehnte Susi. Sie war nun ungeschminkt, doch ihre Haare waren noch immer hochgesteckt. Das Kleid war ausgezogen wurden und ein langer Bademantel mit langen Ärmel bedeckte ihren Körper. Sie sah aus, wie eine Hauptdarstellerin aus einem alten Liebesfilm. Und jemanden, der alles gehört hatte.

"Sie sind hinter ihm her. Er hat sie verpfiffen.", erklärte sie und schaute nur Chung-Hee an.

"Wenn?" Namjoon knurrte schon fast. Er schien keine Geduld mehr zu haben.

"Ricki und seine Männer. Dein Bruder, Liebes, war nämlich so dumm und ist seiner Gang vor einem Jahr beigetreten. Nun ja, nach der Sache mit dem Überfall war es doch nicht so das ware und er ging zur Polizei. Ricki konnte noch schnell genug untertauchen, aber ein paar mussten daran glauben. Wisst ihr, Ricki hat schon viel Scheiße gebaut und man hat nur darauf gewartet, dass man ihn ausliefert." Sie schaute auf ihre lackierten Nägel. Das alles ließ sie kalt.

Ich war jedoch verwirrt.
Wer zur Hölle ist Ricki?!
Und welche Gang?!

Namjoon schien aber alles zu verstehen und packte erneut meinen Bruder. Dieser schwebte nun schon fast über den Boden.

"Sag mir, dass das nicht stimmt! Sag, dass das eine Lüge ist! Du bist nicht zu Ricki gegangen!", brüllte der Rapper wütend. Verglichen zu meinem Bruder, sah er wie ein Riese aus, der einen Stein mit einem Finger zerbrüsseln konnte.

Als Chung-Hee nichts sagte, schmieß ihn Namjoon auf den Boden. Es machte einen lauten Knall und mein Bruder stöhnte auf. Das musste weh getan haben. Susi beobachtete die Beiden nur kalt und leicht amüsiert. Ich war zu sehr verwirrt und überfordert mit der Situation.

"Wie dumm bist du? Ricki! Du weißt doch schon von Anfang an, dass er nur Ärger macht! Wie armselig bist, dass du für ihn arbeitest?!", brüllte er weiter und ging erneut auf meinen Bruder los. Automatisch ging ich dazwischen. Ich tat es einfach. Oder mein Körper zumindest. Ich packte seinen Arm. Spürte wie sehr er zitterte. Wütend schaute er mich an. Ich schüttelte bloß den Kopf. Und er hörte tatsächlich auf. Sein Blick war weiterhin auf mich fokussiert. Als würde er sich dadurch beruhigen wollen.

"Ohh!", rief Susi auf.

Sie blickte auf meinen Bruder. Dieser hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Seine Schultern zitterten.

"Weinst du?", fragte ich leis.

Nun schaute er uns an. Er tat es tatsächlich! Er weinte!

"E-Er hat g-gesag-gt, dass wenn er mich bekommt...Er w-wird....E-Er wird micht töten!" Mein Bruder schaute voller Panik zu uns auf. Es schien, als hätte er jeden Glauben verloren. Als wäre er schon längst tot. Ich hatte ihn noch nie so gesehen.

Namjoon schaute ebenfalls verzweifelt und ich versuchte meine Gedanken zu sortieren.
Obwohl es nur einen gab:

Jemand möchte meinen Bruder umbringen!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top