Kapitel 9

Cvetelina

Die Tür blieb verschlossen, daran änderte auch mein verzweifeltes Schlagen und Rütteln nichts. 'Das kann nicht wahr sein!', schieß es mir mit immer kürzer werdenden Abständen durch den Kopf. Mit jedem Mal wurde mein Atem flacher und schneller und ich musste all meine Kraft aufbringen, um die aufkeimende Panik in mir wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Tief ein- und ausatmen, ein- und ausatmen, wiederholte ich innerlich, wie ein neues Mantra. Ich ließ mich resigniert auf eine Kiste Bananen sinken. Auf dem Holz befanden sich tausende kleiner Eiskristalle, die sich nach dem Kontakt mit meiner Haut sofort in klares Wasser verwandelten. Ich zitterte und zog den Kragen meiner Strickjacke tiefer unters Kinn. Natürlich brachte es rein gar nichts, denn die Kälte suchte sich unaufhaltsam ihren Weg, durch die Schuhe, unter den Hosenbeinen und unter dem Shirt entlang, breitete sie sich langsam auf meiner Haut aus. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, einen Gedanken, der mich hier raus brachte, aber es funktionierte nicht. Aus dem Frösteln wurde ein erbarmungsloses Schlottern und irgendwann übernahmen die Instinkte die Macht über mich. Ich sprang auf, rannte zur Tür und hämmerte und schrie um mein Leben: >>Hilfe, lasst mich hier raus! Ich bin hier drinnen! Hallo, hört mich denn keiner?!<< Es kam keine Reaktion, nicht mal Wachen hörte ich draußen. Es kam mir vor wie Stunden, aber wahrscheinlich waren es nur Minuten, bis meine Stimme immer leiser wurde und schließlich abbrach. Meine Glieder schmerzten und ich sank an der Tür hinab. 'Das wars dann wohl', dachte ich, diesmal nicht panisch, sondern erstaunlich ruhig. Ein leises Scheppern ertönte, als ich am Boden angekommen war. 'was war das', flog ein Gedanke flüchtig vorbei. Es war merkwürdig, so, als wäre er in Watte gepackt und würde in einem Schwall Wolken davongetragen werden. Meine Lider fühlten sich von Minute zu Minute schwerer an. 'Bequem.. Ich muss mich hinlegen', wieder erschien ein klarer Gedanke in dem Nebel in meinem Kopf. Ich wollte mich gerade auf dem kalten Fliesenboden ausbreiten, als ich etwas kleines, glattes unter meiner Handfläche spürte. Die Form kam mir vage bekannt vor und fühlte sich doch so unglaublich vertraut an. Ich bündelte meine letzte Kraft und versuchte meine Lider noch einmal zu öffnen. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. In meiner Hand befand sich mein Handy, was sich seit heute Mittag in meiner Hosentasche befunden haben musste und vorhin herausgefallen war. Das Display hatte einen leichten Riss abbekommen, aber es reagierte. Der Nebel in meinem Kopf lichtete sich etwas, aber wollte partout nicht ganz verschwinden. Trotzdem war es immer noch verdammt anstrengend einen klaren Gedanken zu fassen und festzuhalten 'Alex anrufen', schallte es in meinem Kopf. >>Alex anrufen<<, krächzte ich, um den Gedanken festzuhalten. Ich zweifelte, ob mein Telefon meine eisigen Finger überhaupt erkennen würde, aber bereits einige Sekunden nachdem ich die Kurzwahl eingegeben hatte, ertönte ein Freizeichen.
>>Boah Cveti, bist du bescheuert, es ist mitten in der Nacht<<, kam es gähnend aus dem Lautsprecher. Die Müdigkeit breitete ihr weites Zelt langsam wieder über mir aus und ich kämpfte mit aller Macht dagegen an. >>Im Kühllll.. haus... O.. O... O.. Obst... Hilfe.<< Mehr brachte ich nicht heraus. Kurz darauf später war alles um mich herum dunkel und friedlich. Die unsägliche Kälte spürte ich schon gar nicht mehr, bis mich ein paar starke Arme packten, die mit ihrer Hitze meine Haut förmlich zu verbrennen schienen. Danach spürte ich nichts mehr.

>>Was machst du nur für dumme Sachen Cvetelina Elena White?<<, flüsterte mir eine warme Stimme ins Ohr. Sie kam mir so unglaublich vertraut vor mit ihrem lieblichen Klang. Ich wollte näher heran, mehr von der Wärme, mehr von dem Gefühl der Geborgenheit, was sie in mir auslöste. Ich drehte mich auf die andere Seite und spürte das Prickeln fremder Haut unter meiner.
>>Hey, du bist ja wach<<, erklang die Stimme jetzt ganz nah an meinem Gesicht. Sie hatte sich verändert, nicht viel, aber doch wahrnehmbar. Der verträumte Ton, der gerade noch in ihr mitgeschwungen hatte, war verschwunden. Ich zwang mich die Augen aufzumachen und das, was ich sah, trieb mir, mit jeder Sekunde indem sich der Nebel in meinem Kopf mehr lichtete, die Röte ins Gesicht. Ich musste mittlerweile aussehen wie eine Tomate. Ich lag dich angekuschelt neben Alex im Bett. Und wir waren beide, erschrocken warf ich einen Blick unter die Bettdecke, nur mit Unterwäsche bekleidet. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir, weil wir wenigstens noch irgendwas an hatten. >>Keine Sorge<<, lachte Alex und das Licht der Lampe tanzte auf seinen bebenden Brustmuskeln, >>Irgendwie musste ich dich ja wieder aufwärmen und ich dachte mir schon, dass du nicht unbedingt willst, dass deine Eltern davon was mitbekommen.<< Ich löste mich von seinem warmen Körper und setzte mich auf. Wir waren in seinem Zimmer. Seine Möbel waren dunkelbraun mit weiß-goldenen Akzenten, sodass es überhaupt nicht altbacken oder bieder wirkte, wie es bei solchen Schränken öfter der Fall war. Stattdessen machte es einen sehr modernen und geschmackvollen Eindruck. >>Erklärst du mir eigentlich noch, was das vorhin sollte<<, durchbrach er meine Gedanken, >>Cveti, du musst doch kein Essen stehlen.. Oder..?<<, sein Gesicht nahm einen erschrockenen Ausdruck an, >> Oder wolltest du abhauen?<< Hm, daran wie das wohl aussah, hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich atmete einmal tief durch und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte und so erzählte ich ihm die ganze Geschichte: dass ich einen Ausflug gemacht hatte, dem Mädchen seine Wasservorräte zerstört und sie mich danach wieder zusammengeflickt hatte. >>Und heute wollt ich ihr das alles bringen und es wieder gut machen<<, endete ich.
>>Oh mann Cveti<<. Er fuhr sich mit der Hand durch sein gold schimmerndes Haar und man sah ihm sichtlich an, dass er nicht so recht wusste, was er jetzt sagen sollte. >>Du bist echt verrückt geworden. In die äußeren Zonen zu gehen ist viel zu gefährlich. Dir hätte sonst was passieren können>>, erwiderte er kurze Zeit später vorwurfsvoll. >>Ich brauchte halt einfach mal frische Luft. Geht es dir denn nie so?<< >>Doch, schon, aber ich weiß, dass ich Verantwortung habe Cveti. Wir müssen Stabilität für das ganze Land geben und würde einem von uns etwas passieren, würde das viele Menschen verunsichern und es könnte Vieles aus den Fugen geraten.<< Er sah betrübt aus, als er das sagt, sprühte aber gleichzeitig vor innerer Überzeugung. >>Ich sollte wohl mal rüber gehen, bevor mein Weckdienst ein leeres Zimmer auffindet<< , sagte ich in die nun eintretende Stille, nachdem ich festgestellt hatte, dass es fast sechs Uhr war. Als ich meine Klamotten wieder angezogen hatte, warf ich mir meine Tasche so schwungvoll ich konnte über Schulter und blieb am Türrahmen stehen. >>Alex?<< Er schaute mich überrascht an, als wäre er gerade in Gedanken gewesen. >>Danke.<< Ein sanftes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. >>Immer! Und Cveti?>> Ich war gerade am Gehen, blieb aber noch einmal im Türrahmen stehen und warf einen Blick zurück. >>Erzähl mir wies war. Du wirst dich ja doch nicht aufhalten lassen.<< Er lächelte leicht, auch wenn seine Augen eine andere Sprache sprachen und ich antwortete leise, >>Immer.<<, bevor ich in der Dunkelheit der Korridore verschwand.

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