Kapitel 8
Cvetelina
In mir kribbelte es, als würden sich lauter kleine Insekten in mir befinden. Ich versuchte mir die Aufregung nicht anmerken zu lassen und versuchte eine gleichgültige Miene aufzusetzen, so, wie ich es sonst im Unterricht auch tat. Gestern hatte Vater eine Große Spendengala für die Randbezirke veranstaltet. Ich musste, wie jedes Jahr, eine Rede halten, wie privilegiert wir alle waren und was wir mit unseren früheren Galas nicht schon alles erreicht hätten : Schulbildung für alle, um die Armutsspirale zu durchbrechen, Hilfe im Häuserausbau und Instandhaltung für hitzeisolierte Behausungen und zunehmende Infrastruktur. Es war jedes Jahr das Gleiche. Lauter hohe Tiere, die ihr schlechtes Gewissen beruhigen und gleichzeitig ihr Image als sozial engagierten Menschen aufpolieren wollten, aber denen die Menschen sonst am Allerwertesten vorbei gingen. Hier spendeten sie Tausende und ihre Angestellten aus niederen Schichten behandelten sie wie Luft oder noch schlimmer, wie Abschaum. Aber immerhin sorgten sie mit ihren Spenden dafür, dass es den Menschen dort, wo sie lebten, etwas besser ging und genau das war der einzige Grund, warum ich dort mitmachte. Zumindest redete ich mir das ein, obwohl ich tief in mir wusste, dass ich gegen meinen Vater eh keine Chance hätte. Wenn er etwas wollte, setzte er das auch durch. Nicht nur bei mir, sondern überall. Ich glaubte auch, dass genau das der Grund war, warum er schon so lange dieses Land regierte.
Eine plötzliche Stille riss mich aus meinen Gedanken. Mr. Long saß mit verschränkten Armen auf seinem schwarzen Stuhl und blickte mir gleichzeitig auffordernd und empört unter seiner dunklen Hornbrille entgegen.
Mist, er hatte gemerkt, dass ich ganz woanders war. >>Es tut mir leid Mr. Long.<< Jetzt brauchte ich eine gute Ausrede, sonst rannte er sofort zu meinem Vater und ich konnte mir wieder etwas anhören. Und das wollte ich unbedingt vermeiden. >>Ich habe nur gerade über die politische Relevanz der Spendengalas nachgedacht. Ist es nicht so, dass der politische Aspekt solcher Veranstaltungen fast größer ist als der soziale? Ich meine, durch die breitere Unterstützung in der Bevölkerung wird doch unsere Stellung immer weiter gefestigt.<< Genau das war es, was sie alle von mir wollten, was mein Vater wollte - mich zum politischen, machtorientierten Denken motivieren. Augenblicklich sah ich ein Leuchten in Mr. Longs, sonst so verkrampfter Miene. Er musste denken, dass seine mühselige Arbeit nun endlich anfing Früchte zu tragen. >>Ms. White!<< er strahlte mir mit einer beinahe kindlichen Freude entgegen und strich sich eine Strähne seines grau melierten Haars hinters Ohr. >>Das hat zwar nichts mit dem augenblicklichen Thema zu tun, aber Sie haben vollkommen Recht! Das ist genau die richte Herangehensweise.<< Ich verdrehte die Augen als er sich umdrehte und etwas an das Smartboard schrieb. Genau diese Herangehensweise verachtete ich zutiefst. Das waren schließlich alles Menschen für die wir die Verantwortung hatten und nicht irgendwelche Spielfiguren, die man, jenachdem wie es einem in den Kram passte, hin und herschieben oder manipulieren sollte. Aber mit dieser Ansicht stand ich hier wohl allein da.
Ich lauschte. Nichts war zu hören, aber davon durfte ich mich nicht täuschen lassen. Ich hatte mir eine dunkle Strickjacke und eine große Tasche mitgenommen. Der Träger schnitt mir jetzt schon schmerzhaft in die Schulter. Meine gebunkerten Wasserflaschen waren einfach ziemlich schwer. Mein Herz pochte vor Nervosität. Sich vermummt aus dem Dienstboteneingang herauszuschleichen war eine Sache, aber vorher in die Vorratsräume einzubrechen und anschließend voll bepackt und von den Wächtern ungesehen herauszukommen, war eine völlig andere. Die letzten Tage waren zu geschäftig gewesen, um ungesehen hier herauszukommen. Alle waren mit den Vorbereitungen für die Gala beschäftigt und hatten bis spät in die Nacht gearbeitet. Trotzdem hatte ich die Zeit sinnvoll genutzt. Ich hatte mich auf die Lauer gelegt und herausgefunden in welchen Abständen unsere Wachmänner ihre Patrouille gingen. Es waren 15 Minuten, dann musste ich in der Etage mit den Vorratsräumen sein. Außerdem hatte ich mir in den letzten Tagen unbemerkt etwas von dem Healance stibitzen können, das sich in unserem Apothekerschrank im Esszimmer befand. Dass mein Bein nun wieder voll funktionstüchtig war, erleichterte die heutige Mission wenigstens ein bisschen.
Ich schlich den Gang von meinem Zimmer bis zum Ende entlang und achtete darauf bloß keinen unnötigen Lärm zu machen. Das einzige Geräusch, war das leise Klirren der Flaschen, die bei jedem Schritt, den ich ging, leicht aneinanderprallten. Ich ließ den Fahrstuhl links liegen - sonst hätte ich auch gleich rufen können 'hier bin ich' - und öffnete die schwere Brandschutztür zum Treppenhaus, das es eigentlich nur für den Notfall gab. Aber das hier war schließlich in gewisser Art und Weise auch ein Notfall. Möglichst ohne große Geräusche zu machen stieg ich hinab in den 8. Stock. Hier gab es verschiedene Räume, in denen alle möglichen Lebensmittel gelagert wurden. Damals, als ich noch klein war, war ich öfter hier. Ich hatte mich immer heimlich hier hereingeschlichen und dafür gesorgt, dass die Obstvorräte drastisch abnahmen. Natürlich wurde ich fast immer von einer Küchenhilfe oder, noch schlimmer, der strengen Haushälterin Bertha erwischt - bei sowas hatte ich schon immer unproportional viel Glück gehabt..
Ein leises Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Sofort spannten sich all meine Muskeln an und um besser lauschen zu können, hörte ich kurz auf zu atmen. Es war nichts zu hören. Wer weiß, vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. 23:56. Ich hatte noch acht Minuten, das sollte doch wohl zu schaffen sein. Entschlossen schlich ich, die kühle Wand im Rücken, auf die mir allzu bekannte Tür zu. Eine unglaubliche Kälte schlug mir unweigerlich entgegen, als ich den sperrigen Hebel nach unten drückte. Das Kühlhaus war, wie nicht anders zu erwarten, vollgestopft mit verschiedenen Obstsorten. Fein säuberlich waren die einzelnen Kisten aufeinandergestapelt. Wie hätte es auch anders sein können? Das war schon immer so gewesen.
Es wäre so verführerisch sich einfach in den glücklichen Erinnerungen zu verlieren, die sich langsam den Weg zurück in mein Bewusstsein bahnten, wenn da nicht die Kälte wäre, die mir langsam über die Beine bis zu meinen Schultern hochkletterte und dafür sorgte, dass sich jede Härchen, was ich besaß aufstellte - und natürlich meinen Zeitplan nicht zu vergessen! Was sollte ich jetzt einpacken? Darüber hatte ich mir vorher noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich meine, ich hatte dem Mädchen und ihrer Familie solche Umstände gemacht, da wollte ich ihr nicht nur einfach das ersetzen, was ich kaputt gemacht hatte, sondern mich auch irgendwie erkenntlich zeigen. Und wenn ich eins wusste, dann, dass Obst ziemlich schwer zu bekommen und unbezahlbar teuer war. Ich wollte der Familie mit meiner Einschätzung nicht zu nahe treten, aber für mich war es offensichtlich, dass es ihnen an allem möglichen fehlen musste.
Ich entschied mich für ein paar Kiwis, Bananen und Mandarinen. Die waren gut zu transportieren und mein Lieblingsobst. Ich meine, dann müssten sie es doch wenigstens etwas mögen, oder? Ein immer lauter werdendes Gemurmel ließ mich aufhorchen. Mist, warum hatte ich das nicht eher bemerkt? Hätte ich doch bloß einfach schnell irgendetwas eingepackt und wäre wieder verschwunden, aber nein, ich musste ja erstmal herumphilosophieren, was ihnen wohl am besten schmecken würde. Wie dämlich! Mein Herz pochte mittlerweile so stark, dass ich es laut in meinen Ohren dröhnen hörte. Ich hätte mich Ohrfeigen können. Ein kurzer Blick auf die Zeit sagte mir allerdings, dass ich gar nicht so lange wie gedacht hier gestanden hatte. Eigentlich dürfte erst in vier Minuten jemand hier auftauchen. Was sollte ich jetzt tun? Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Die einzige Möglichkeit war mich hinter einer der vielen Kisten zu verstecken. Draußen hatte ich keine Chance ungesehen mit meinem ganzen Zeug zu verschwinden. Blieb nur zu hoffen, dass die Wachleute, wenn sie schon mal da waren, nicht trödelten, sonst würde ich hier noch erfrieren. Schlotternd kauerte ich hinter einer Kiste mit Weintrauben. Die Stimmen der Männer wurden immer lauter und allmählich konnte ich sogar ihre Schritte hören. >>Greg, schau mal da<< Die Schritte hörten auf. Sie mussten kurz vor dem Kühlraum stehen geblieben sein. >>Hat wieder eine der dummen Schnepfen die Tür offen gelassen.<< Ich traute mich einen verstohlenen Blick auf die Tür zu werden. Diese war zwar verschlossen, aber auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass der Hebel auf 'open' stand. Ich verdrehte genervt die Augen. War ja klar, dass die das entdecken würden. >>Weißt du was? Ich werde den gleich abschließen. Dann können die Mädels morgen früh zu uns kommen und betteln, dass wir den wieder aufmachen. Wer weiß was dann für uns rausspringt..<< Ein dreckiges, tiefes Lachen entwich seiner Kehle und kurz darauf hörte ich, wie sich mit einem leisen Knacken ein Schlüssel im Sicherheitsschloss drehte. Nein, nein, nein, nein, NEIN! Das konnte einfach nicht wahr sein.. panisch rannte ich, nachdem sie weg waren, zur Tür und rüttelte daran. Ohne Erfolg. Die hatten mich tatsächlich eingesperrt!
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