Kapitel 23
Cvetelina
Das, was Alex erzählt hatte, konnte doch nicht wahr sein, oder? Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett und streichelte gedankenverloren über den pastellrosa Plüschbezug meines Kissens. Oder hatte ich Alex womöglich Unrecht getan und er hatte doch Recht? War mein Peer vielleicht doch jemand ganz anderes, als ich immer dachte? Mit einem energischen Kopfschütteln verwarf ich den Gedanken und es manifestierte sich ein Neuer. Seit ich bei meinem Dad mitarbeiten musste, hatte ich eine Schlüsselkarte zu den Büros und so würde es nicht sofort auffallen, wenn ich mich dort herum trieb und ein paar Informationen sammeln würde. Die Uhr zeigte 16:40. Ich hatte noch ungefähr eine Stunde bis meine Eltern wieder Zuhause sein würden, also musste ich mich beeilen. Ich wechselte so schnell ich konnte meine Kleidung und machte mich auf zu den Büros.
Die Fahrstuhltür sprang mit einem leisen pling auf und ich spürte, wie sich der Sauerstoff in meinen Lungen sammelte, als ich ein paar Mal tief durchatmete, bevor ich den ersten Schritt auf das glänzende Parkett trat. Obwohl, oder gerade weil mein Vater nicht da war, herrschte geschäftiges Treiben. Andauernd liefen mir Menschen mit kleinen Mini-Computern über den Weg, die sie von a nach b trugen, um keine Minute untätig zu sein. Zielstrebig, als würde ich mich ganz normal auf dem Weg zu meiner Arbeit befinden, steuerte ich das Büro 1111 an. Das kleine Silbergraue Gerät mit dem Touchdisplay und einem Kartenschlitz leuchtete rot. Die Tür war verschlossen, Gut, das war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ich kramte meine Schlüsselkarte aus den Tiefen meiner Hosentaschen hervor und zog sie durch den Schlitz, sodass die Lampen ihre Farbe wechselten und nun grünes Licht verströmten. Ich trat ein und schloss die Tür mit einem Seufzer der Erleichterung hinter mir, bevor ich die Karte noch einmal von innen in das Gerät steckte, um sie wieder sichtbar zu verschließen. Jetzt musste ich mich beeilen, aber wo sollte ich anfangen? Mein Rechner hatte keine Zugriffe auf neu angelegte Akten im System. Ich konnte sie nicht mal sehen. Gestresst fuhr ich mir mit den Händen durchs Haar. Ich hätte den Plan etwas durchdenken sollen, bevor ich mich überstürzt auf den Weg hier her gemacht hatte. Ich musste versuchen über den Computer meines Dads an die Akten zu kommen. Der lederne Sessel drehte sich leicht, als ich mich auf ihm fallen ließ und hektisch den Computer startete. Der Bildschirm erleuchtete und ließ keine zwei Sekunden später ein weißes Feld aufploppen. "Mist!", flüsterte ich leise. Natürlich war er mit einem Passwort gesichert. Ich versuchte meinen Namen, den von meiner Mutter, dann probierte ich es mit den Geburtsdaten. Nichts. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich maximal noch zwanzig Minuten Zeit hatte bevor meine Eltern nach Hause kommen würden, wenn mich nicht vorher schon jemand bemerkte. Mein Puls raste mittlerweile und ich musste den Drang unterdrücken einfach laut "Scheiße! Scheiße! Scheiße!" zu rufen. Der Geschmack von Eisen breitete sich in meinem Mund aus. Ich hatte mir wohl vor Nervosität einmal zu stark auf die Unterlippe gebissen. Just in diesem Moment viel mein Blick auf ein Foto, das neben dem Monitor eingerahmt auf dem Schreibtisch stand. Der Rahmen war, genauso wie der Tisch, aus einem dunklen Holz und passte sich so perfekt in die Raumeinrichtung ein, dass es gar nicht auffiel. Im Gegensatz zu anderen Leuten, hatte mein Vater keine Bilder der Familie hier stehen, sondern von dem Tag seiner Ernennung als Präsident. Ich tippte das Datum ein und betätigte die Eingabetaste. Mit einem melodischen Summen öffnete sich der Desktopbildschirms des PCs.
Im Akkord öffnete ich die verschiedensten Ordner, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich in dem Wust aus Dateien anfangen sollte zu suchen. Ich fand verschiedene Grundrisse von irgendwelchen Gebäuden und einen Ordner mit der Überschrift Forschung. Das mochte vielleicht interessant sein, aber das war nichts, was ich gerade gebrauchen konnte, also scrollte ich weiter. 'Medienberichte, Finanzen, ...'. Die Buchstaben flogen nur so vorbei. Als ich allerdings das Wort 'Sicherheit' las, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer. Ich klickte darauf und arbeitete mich so schnell ich konnte durch all die verschiedenen Unterordner. Unter der Überschrift 'Vermerke' fand ich eine Liste voller Namen, die Menschen gehörten, die auf irgendeine Art und Weise Verdachtsmomente erregt hatten. Wenn Peer irgendetwas verbrochen hatte, musste sein Name hier drin stehen. Plötzlich weigerten sich meine Lungen für einen kurzen Moment zu arbeiten und das Blut gefror mir in den Adern. "Cvetelina Elena White", stand dort ganz deutlich in schwarzen Buchstaben. Ich fühlte mich wie paralysiert. Was sollte das bedeuten? Wie magisch angezogen bewegte ich den Cursor auf meinen Namen und öffnete den dazugehörigen Link. Dieser führte mich zu einem penibel angelegten Steckbrief über mich. Ich überflog die allgemeinen Daten und sprang so schnell ich konnte zum nächsten Abschnitt. Hier wurden Merkmale aufgelistet. Dort standen Sachen wie: Unpünktlichkeit, naiv, zu wenig schulisches Engagement und instabil. "Bitte was?", hätte ich fast laut ausgerufen, konnte mich aber zum Glück noch zurückhalten. Was meinten die mit instabil? In was sollte ich instabil sein? Etwa psychisch? Eigentlich hatte ich bis jetzt nicht das Gefühl gehabt irgendwelche Probleme zu haben. Ein leises Murmeln ließ mich innehalten. Es wurde lauter und blieb vor der Bürotür stehen. Das konnte doch nicht wahr sein! Mit einem Klick schaltete ich den Monitor aus und kauerte mich unter dem Schreibtisch. Es Piepte laut und die Tür sprang auf. Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht mein Vater war, der doch früher von dem Pressetermin zurück war, als gedacht. Ich hörte Schritte, wer auch immer das war kam definitiv näher! Bis jetzt hatte ich Glück, dass derjenige noch nicht um den Tisch herumgelaufen war, denn nach vorne hin war ich zum Glück durch die Verkleidung im Fußraum gut verborgen. Durch einen kleinen Schlitz konnte ich schwarze, matt glänzende Schuhe erkennen, die wahrscheinlich aus Leder waren. Der Träger musste viel Geld haben, um sich so eine Rarität leisten zu können. Der Tisch vibrierte, irgendetwas schweres musste er abgelegt haben. Mein Atem ging schnell und flach. Ich durfte keine unnötigen Geräusche machen, sonst wäre ich geliefert. Und nachdem, was mein Dad mit Peer gemacht hatte, traute ich ihm alles zu. Obwohl ich insgeheim hoffte, dass er seiner eigenen Tochter nicht so etwas schreckliches antun würde. Immerhin stand auch ich in der Öffentlichkeit. Papier raschelte, als ob Jemand etwas suchen würde, keine Minute später entfernten sich die Schritte, ich hörte ein leises Piepen und das darauf folgende sorgfältig Schließen der Tür. Jetzt konnte ich das Zittern nicht mehr zurückhalten. Das machte es definitiv nicht einfacher den Computer so schnell wie möglich auszuschalten und unauffällig den Raum zu verlassen. Ähnlich wie der Unbekannte zog ich die Tür leise hinter mir zu, als ich das Büro verließ. Der Gang war gerade leer und ich konnte einen erleichterten Seufzer nicht mehr unterdrücken. Trotzdem war noch nicht die Zeit gekommen, um komplett durchzuatmen. Ich versuchte möglichst unbeteiligt zu wirken und bog um die nächste Ecke, den Fahrstuhl, mein rettendes Ziel, immer in Sicht. Gleich war es geschafft! Die Aufzugtür öffnete sich und gab das verwunderte Gesicht meines Vaters Preis. Sein eigentlich dunkel meliertes Haar schimmerte Hell in dem kalten Licht des Fahrstuhls und stellte einen starken Kontrast zu seinem schwarzen Smoking dar. Er hatte sich also noch nicht umgezogen. "Ich dachte dir geht es nicht gut?", fragte er argwöhnisch und kniff sein linkes Auge leicht zusammen. Neben ihm stand Mr. Lark, Alex' Dad, der ebenfalls leicht verwirrt dreinschaute. Ich versuchte meine Nervosität hinunter zu spielen und antwortete so unterwürfig, aber gleichzeitig so entspannt ich konnte, dass ich mich lediglich für mein frühes Verschwinden entschuldigen wollte, dann aber fest stellte, dass er noch nicht da war. Angstschweiß sammelte sich an meinen Händen, ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ich jetzt Niemanden würde die Hand schütteln müssen. "Naja, die Bilder sind im Kasten, das war das Wichtigste für heute". Er nickte mir leicht zu, presste aber immer noch leicht seine Lippen zusammen, sodass sich kleine Fältchen um seinen Mund bildeten, während er abwinkte und sich auf dem Weg zum Büro mit gedämpfter Stimme mit Alex' Vater unterhielt. Leider verstand ich nicht, was er sagte, aber es musste um mich gehen, denn als ich darauf wartete, dass sich die Türen schlossen, deutete mein Vater mit ernster Miene in meine Richtung. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
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