Kapitel 20

Melinda

Ich fühlte mich unwohl, ausgeliefert. Meine Sinne waren geschärft, jedes Geräusch und jeden Windhauch auf meiner Haut spürte ich überdeutlich. Nick hatte gemeint, dass ich fürs Erste eine Augenbinde tragen sollte, wenn wir zu dem geheimen Treffen gehen. Mein heftiges Protestieren hatte ihn nur dazu bringen können genervt die Augen zu verdrehen. Er führte mich jetzt wahrscheinlich schon eine halbe Stunde durch die Außenbezirke der Stadt. Das wusste ich, weil sich unter meinen Schuhen immer noch weich nachgiebiger Sand von unbefestigten Wegen befand und keine schön asphaltierte Straße. Ich schnaubte genervt, als mich Nicks Hand um die nächste Ecke zog. Das war bestimmt schon die Tausendste und ich war mir sicher, dass er extra einen Umweg gegangen war, damit ich mir den Weg trotz der verbundenen Augen nicht einprägen konnte. " Mann Nick, wie lange willst du mich noch im Kreis rumführen, bis wir endlich da sind?" Ich spürte an seiner Hand, dass er leicht ertappt zusammenzuckte und ich schnaubte genervt. Ich hatte also recht gehabt. "Beruhig dich mal, okay Prinzessin? Ich glaub du verstehst noch nicht so ganz, dass das auch zu deinem Besten ist". Zwischenzeitlich waren wir stehen geblieben und seine Stimme hatte einen ernsten Ton angenommen. Ich glaubte auch etwas Nervosität zu erkennen, aber der Eindruck war so schnell verflogen, wie er gekommen war. "Je weniger du am Anfang weißt, desto einfacher ist es noch auszusteigen, wenn es nicht das ist, was du dir vorgestellt hast, okay?!". Er zog mich sanft weiter und ich trottete schweigend hinter ihm her. Kleine Zweifel bahnten sich langsam ihren Weg in mein Bewusstsein und nagten an meiner Wand der Entschlossenheit, aber ich kämpfte sie mit all meiner Macht zurück. Ich musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren, da konnte ich keine Gedanken gebrauchen, die sich nur um ein, 'was wäre, wenn' drehten. Ich musste im Hier und Jetzt sein! Abrupt blieb Nick stehen und ich stolperte geradewegs in ihn hinein. "Wir sind da", erwiderte er nur, ohne dem Fauxpas auch nur einen Kommentar zu widmen. "Ja, das hab ich auch bemerkt. Das nächste Mal die Ansage ein paar Sekunden früher, wäre echt hilfreich", gab ich schnippisch zurück, nachdem ich mich trotzig von seiner Hand gelöst und sie in den Taschen meiner Jacke vergraben hatte. Mittlerweile kühler Wind blies mir ins Gesicht und ein paar umherfliegende Sandkörnchen kitzelten auf meiner Haut. " Kann ich die Augenbinde jetzt eigentlich abnehmen?", fragte ich, nun wieder in einem versöhnlichen Ton und wandte den Kopf in die Richtung, wo ich Nick vermutete. Er griff sich meine Hand und gab leise zurück, "Warte noch, bis wir drinnen sind". Nach circa 20 Schritten, blieben wir erneut stehen und ich hörte ein leises Klopfen. Erst zwei mal, dann folgte eine kurze Pause bis kurz danach noch einmal vier Klopfer ertönten. Meine Sinne waren immer noch so geschärft, dass ich die leise näher kommenden Schritte auf der anderen Seite der Tür hören konnte, bevor sie sich mit einem lauten Knarzen öffnete.

"Nick, was soll das? Wer ist das?" hörte ich eine Männerstimme schroff sagen. "Raphael, beruhig dich. Ich kenne sie, man kann ihr vertrauen. Und ich hab alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen." Wahrscheinlich meinte er damit diese Irrwanderung und die Augenbinde, dachte ich still, wurde aber kurz darauf von Nick in das Gebäude gezogen, bevor die Tür mit einem Knall ins Schloss fiel. "Okay, du bleibst erst mal hier und rührst dich keinen Millimeter vom Fleck", das war augenscheinlich an mich gerichtet. "Und Nick, du kommst mit". Man konnte die unterdrückte Wut quasi in der Luft vibrieren spüren, als sich die zwei Beinpaare zügig entfernten.
"Was soll das? Du kannst nicht einfach irgendwelche Leute von der Straße auflesen und zu uns bringen, ohne das vorher abzusprechen. Wir müssen uns vorher sicher sein, bevor wir jemanden einweihen!", die Stimmen waren gedämpft. Die Beiden befanden sich wahrscheinlich im Nebenzimmer, aber ich konnte jedes einzelne Wort deutlich verstehen. "Mann Nick, du kannst mit deinen Alleingängen nicht nur die ganze Mission, sondern uns alle hier gefährden. Ist dir das nicht klar?" Der zuerst zornige Tonfall verwandelte sich nun in einen resignierten. " So kann das nicht weiter gehen... ich hoffe dir ist klar, dass ich das im Namen der Gruppe so nicht durchgehen lassen kann" "Ich kenne die Regeln und ich wusste, was auf mich zukommt, aber ich musste das machen. Sie ist genauso wie ich damals, als ihr mich aufgenommen habt und das war das Beste, was mir passiert ist. Außerdem brauchen wir Jeden, der für unsere Idee brennt. Und das wird sie Raphael, da bin ich mir sicher"
Jetzt reichte es mir. Die konnten ja gerne noch Jahre darüber diskutieren, ob es nun klug war, dass ich hergebracht wurde oder nicht, aber nun war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Ich war hier und wild entschlossen, diesen Weg nicht umsonst gegangen zu sein. Also zog ich mir in einem Ruck die Augenbinde vom Kopf, ging zu dem Raum aus dem die Stimmen kamen, lehnte mich mit verschränkten Armen in den Türrahmen und räusperte mich. "Habt ihr's jetzt?" Die Zwei unterbrachen ihre Unterredung sofort und schauten mich erschrocken an. Obwohl sie die ganze Zeit über mich geredet hatten, schienen sie mich komplett vergessen zu haben. Der Typ, der Nick gegenüberstand hatte schwarzes Haar, was er zu einem kleinen Pferdeschwanz zurückgebunden trug und sein Gesicht zierte ein deutlicher Drei-Tage-Bart. Ich betrachtete ihn von oben bis unten und kam zu dem Schluss, dass er ca. Mitte zwanzig sein musste. Er beäugte mich misstrauisch. " Wie heißt du?", fragte er mich streng und kniff leicht seine Augen zusammen. "Melinda", antwortete ich genauso wortkarg wie er und ging langsam auf ihn zu "Du kannst mich aber gerne Mell nennen". Die Nervosität, die ich noch am Anfang des Abends gespürt hatte, war nun wie weggeblasen. Ich musste mich hier behaupten und einen Eindruck hinterlassen, wenn ich mehr über diese Leute hier erfahren wollte und das würde ich nicht, wenn ich nicht zeigen würde, dass ich mich behaupten konnte. Also hob ich selbstbewusst mein Kinn an und setzte zur Gegenfrage an, "Und wer bist du?" Das hatte er wohl nicht erwartet, denn er hob überrascht eine Augenbraue und wandte sich, statt auf meine Frage zu antworten, wieder an Nick, der nun lässig mit dem Rücken an der nackten Steinwand lehnte, "Damit, dass sie Biss hat, hattest du auf jeden Fall recht". Ein leises Lachen kam aus seiner Kehle, bevor er mir unvermittelt, leicht grinsend die Hand hinstreckte. "Ich bin Raphael"

Es folgte ein kurzes Verhör zu meiner Familie und mir und warum ich überhaupt Interesse hatte das hier alles kennenzulernen. Am Ende nickte Raphael Nick zustimmend zu, der mir daraufhin ein flüchtiges Lächeln zuwarf. "Okay Mell, dann komm mal mit". Raphael ging voraus, zurück in den Raum, in dem ich vorhin gewartet hatte. Alles war kahl, nichts war eingerichtet. Nicht mal einen Teppich gab es. Nur blanken Stein und wie ich erstaunt feststellte, lauter kaputte Scheiben. Niemand würde jemals darauf kommen, dass sich hier Leute befanden. Meine Gedanken schweiften kurz zu den Menschen, die dieses Haus vor langer Zeit mal ihr Heim genannt hatten. Was war wohl mit ihnen passiert? Nick unterbrach meine Gedanken, als er zu Raphael aufschloss und mir ein leises "Gut gemacht Prinzessin", ins Ohr flüsterte. Einen Raum weiter, blieben wir vor einer eingelassenen Holztür im Boden stehen und es folgte wieder die Klopffolge von vorhin. Erst zwei Mal, dann vier. Keine halbe Minute später öffnete sich nach einem lauten Schabegeräusch die Luke. "Wir haben einen Neuzugang!"

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