Kapitel 2
Melinda
Meine Hände schmerzten von dem Griff der Schaufel. Die Innenflächen waren von harter, rissiger Hornhaut bedeckt und schmerzten bei jedem Handgriff. Der Schweiß lief mir in Strömen übers Gesicht, denn die Sonne prasselte nur so auf mich herab. Ich versuchte ihn mir mit meinem Handrücken wegzuwischen, wobei dieser einen Streifen Schmutz auf meiner Stirn hinterließ. Ich bin gerade 18 geworden, aber arbeitete schon seit Jahren hier - mitten im Nirgendwo. Wo man auch hinschaute, sah man nur Sand, Fels und Staub. Diese Landschaft war der Inbegriff von lebensfeindlich und doch sah ich immer mal wieder kleine Käfer oder anderes Getier, wobei alles, was die Größe einer Riesenassel übertraf, wirklich selten war.
Jeden Tag wurde ich mit meiner Gruppe hier herausgefahren, um nach noch unentdeckten Wasseradern zu suchen. Wir sollten das nahezu Unmögliche möglich machen - wir sollten die Grundlage zum Überleben finden. Alle paar Tage wechselte der Ort, da sie uns immer dorthin schickten, wo ihre Messgeräte ein Signal gemeldet hatten.
Heute waren wir weit in den Süden gefahren und befanden uns nicht weit von der Grenze zu Kastonia. Ich ließ meinen Blick gedankenverloren in die Ferne schweifen und versuchte die Grenze mit bloßen Augen zu erkennen - es gelang mir jedoch nicht. Alles was ich sah, war flirrende Luft, Sand und unseren Wagenkonvoi.
>>Scott, sag mal, denkst du ihr werdet fürs rumstarren bezahlt? Dafür zieh ich dir ein Viertel deines Wassers ab! Und wenn ich dich noch mal dabei erwische, bekomme ich deinen halben Stundenlohn! Also mach dich endlich wieder an die Arbeit!<< Ich zuckte vor Schreck zusammen, als mich die laute Stimme eines Aufsehers unsanft aus meinen Gedanken riss. Erschrocken blickte ich in die wutverzerrte Miene eines kräftigen Mannes. Er hatte ein, von der Sonne gegerbtes Gesicht und funkelte mich aus zusammengekniffenen Augen an.
Ich zog besser den Kopf ein und verkniff mir eine Bemerkung.
Ich konnte es mir einfach nicht leisten etwas von meinem Stundenlohn einzubüßen. Es würde schon schwer genug werden, heute mit weniger Wasser auszukommen. Es war gerade mal Mittag und ich hatte vorhin schon die erste Hälfte meines zugeteilten Wassers getrunken - und jetzt blieb mir nur noch ein Viertel. Bei einer Temperatur von 38 Grad im Schatten würde das ganz schön schwierig werden, zumal es keinen Schatten gab, sondern lediglich die pralle Sonne.
Und so schaufelte ich, bis mit den orangenen Strahlen der Abendsonne auch endlich die Hupe des ehemaligen Armeelasters erklang, der uns am Ende des Tages wieder nach Hause brachte.
Ich ignorierte das taube Gefühl in meinen Muskeln, kletterte mit letzter Kraft aus meiner Grube und ging zusammen mit den anderen zum Wagen. Wir mussten aussehen, wie ein paar aufgescheuchte Insekten, die endlich eine Nahrungsquelle gefunden hatten, so wie wir alle wirr um das dreckige Fahrzeug herumwuselten. Die Arbeit hatte an allen gezerrt. Sie sahen ungefähr so aus, wie ich mich fühlte. Geschafft, ausgetrocknet und die Haut so geröstet, dass sie ein feuerrotes und sprödes Aussehen angenommen hatte. Allerdings war das nichts Neues für mich. Wenn man das jeden Tag durchmachte, gewöhnte man sich irgendwann, zumindest etwas, an den Schmerz, den die Sonne verursachen konnte. Es war schon komisch - sie war so schön und doch brachte sie so viel Leid über uns. Wie konnte das zusammenpassen?
Wir liefen schweigend nebeneinanderher und lieferten unsere Schaufeln bei einem grimmig aussehenden Aufseher ab, bevor jeder seinen Platz auf der Ladefläche des großen, grauen Transporters einnahm.
Die Fahrt ging eine halbe Stunde. Der Staub wirbelte durch die geöffnete Plane an der Rückseite zu uns herein, sodass unsere Augen von Minute zu Minute mehr gereizt wurden und mir schließlich ein paar Tränen die Wange hinunter liefen.
Auf dem zentralen Marktplatz der äußeren Bezirke kam der Wagen ruckelnd zu stehen und ich stieg mühevoll von der Ladefläche. Zum Springen hatte ich einfach keine Kraft mehr. Meine Haut brannte, meine Muskeln schmerzten und meine Kehle war trocken wie Schleifpapier. Ich wollte einfach nur noch nach Hause.
Um diese Uhrzeit war schon wieder einiges los auf den Straßen, denn wenn jemand etwas zu erledigen hatte, dann machte er dies lieber in den etwas kühleren Abend- oder Morgenstunden. Ich machte mich langsam auf den Weg durch die schmalen Gassen, die durch die untergehende Sonne in einen goldenen Glanz getaucht waren. So sah alles so friedlich und schön aus. Wenn man die Szenerie genau jetzt fotografieren und jemanden zeigen würde, würde keiner auf die Idee kommen, dass es hier eigentlich an jeder Ecke einen Haufen von Problemen gab.
Ich kam an unserem kleinen, alten Häuschen am Stadtrand an. Die Wand war rissig und das Dach hing auch schon etwas durch, aber für mich war es nur eins: mein Zuhause. Die Tür war nicht verschlossen. Warum auch? - Mum war ja Zuhause. Ich drückte die wackelige Klinke hinunter und betrat den schmalen Flur. Im Gegensatz zu der, nun angenehm kühlen, Luft von draußen, hatte sich die Wärme im gesamten Haus gestaut und schlug mir nun erbarmungslos entgegen, sodass es mir kurz den Atem nahm. >>Mum, Tony ich bin Zuhause!<< Ich zog meine kaputten Schuhe aus und kurz darauf hörte ich das Trippeln kleiner Füßchen auf dem blanken Steinboden. >>Melli da bist du ja endlich! Du wolltest doch noch mit mir spielen.<< Mein kleiner Bruder schaute mich mit einem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck an, während ich ihn auf dem Arm nahm. Mit meiner freien Hand wuschelte ich ihm durch sein hellbraunes Haar. >>Es tut mir Leid Kleiner<< , sagte ich und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. >>Mit der Arbeit hat es heute etwas länger gedauert, aber wenn du möchtest können wir nachher eine Runde Karten spielen<< Das schien ihn zufrieden zu stellen, denn als ich ihn absetzte, rannte er sofort zurück in seine Kammer. Ich seufzte. Ich hatte eigentlich gar keine Lust mehr irgendetwas zu spielen, aber seit meine Mum krank geworden war, war es schwer für sie Tony die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, die er brauchte. Sie war einfach zu oft in ihrer eigenen Welt gefangen. Manchmal schaffte sie es sich zu befreien, aber das war selten.
Ich ging den schmalen Flur entlang und klopfe leise an die Tür ihre Zimmertür. >>Mum, bist du wach?<<. Ich hörte ein zustimmendes Murmeln aus dem Inneren, drückte die Klinke herunter und betrat das kleine Zimmer. Vor den staubigen Fenstern befanden sich dunkle Vorhänge, die das Licht und die Wärme wenigstens etwas abhalten sollten. Ich zog sie auf und öffnete die Fenster, um etwas von dem orangenen Licht der Abendsonne und der Kühle der nahenden Nacht hineinzulassen. Mum saß auf dem Bett an der gegenüberliegenden Zimmerwand und beobachtete mein Tun schweigend. >>Du warst lange weg heute<<, hörte ich ihre Stimme leise, während wir nun nebeneinander auf dem harten Bett saßen. Ich räusperte mich >>Naja die Fahrt zur Grabungsstätte hat heute etwas länger gedauert.<< Ich schaute zu Boden. Ich konnte sie sonst einfach nicht anlügen. Sie musste ja nicht wissen, dass wir heute wieder einmal länger gemacht hatten. Sie machte sich schon genug Vorwürfe. Seit sie krank geworden war und nicht mehr arbeiten konnte, gab es keinen Tag, an dem sie sich nicht dafür hasste - dafür, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, dafür, dass ich deshalb so schnell erwachsen werden musste und dafür, dass ihre Kinder immer für sie sorgen werden müssten. Und so kamen neben den körperlichen Einschränkungen die Depressionen dazu, denen sie nur in ihrer eigenen kleinen Welt entfliehen konnte.
>>Ach mein Schatz, es sollte doch eigentlich genau andersherum sein. Ihr solltet mich fragen wie die Arbeit war und ich euch was die Schule macht.<< >>Was hältst du davon, wenn du morgen mal zu Anna auf den Markt gehst und etwas Mehl holst? Ich könnte uns mal wieder ein Brot backen und Anna würde sich bestimmt riesig freuen dich mal wieder zu sehen.<< Ich lächelte sie aufmunternd an und wartete auf eine Reaktion. >>Melli, ich weiß doch, dass das zur Zeit nicht drin ist. Wir werden uns wohl erst mal mit dem Instant-Essen begnügen müssen. Und außerdem weißt du doch, wie anstrengend es für mich ist länger zu laufen<< Mum hatte ja Recht. Mehl war sehr teuer - so wie alles Pflanzliche. Da war das, mit verschiedenen Nährstoffen versehene Pulver, das es als Basic - Version in 4 Geschmacksrichtungen gab, deutlich günstiger. Aber ich hätte sie so gerne mal wieder lächeln gesehen, und ich meinte ein richtiges Lächeln, nicht das einfache Verziehen ihrer Mundwinkel, wenn sie ab und zu versuchte mich aufzuheitern. Und ich wusste, mit dem Duft von frischem Brot hätte ich es definitiv wieder einmal gesehen. Und es hätte ihr gut getan mal wieder eine alte Freundin zu besuchen.
Ich strich ihr noch einmal über ihr dunkles, glattes Haar und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. >>Schlaf gut.<< Als ich bei der Tür war, schaute ich noch ein Mal zu ihr zurück. Ihre Augen waren matt geworden und nichts erinnerte mehr an das grüne Leuchten, was sie einst versprüht hatten. Sie saß auf dem Bett und blickte auf den grauen Boden, auf dem sich die Schatten, des im Wind flatternden Vorhanges, dunkel abzeichneten.
Dann wandte ich mich ab und lief zu meinem Bruder, um mein Versprechen einzulösen.
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