Kapitel 19
Melinda
"Na noch mehr Zeit konntest du dir beim Graben wohl nicht lassen?" Ricks vor Zorn und Hitze erröteter Kopf erschien am Rand meiner, zugegebenermaßen recht flachen, Grube. Daraufhin setzte ich sofort meinen Unschuldsmiene auf, zwinkerte ein paar Mal und verlieh meiner, sonst eher tieferen Stimme, einen zuckersüßen Klang. "Rick, ich dachte einfach der halbe Lohn erfordert auch nur die halbe Arbeit?" Ich wusste, dass ich mich mit meinen Provokationen auf sehr dünnem Eis bewegte, aber allein sein speckiges, nassgeschwitztes Gesicht war wie ein rotes Tuch für mich, dass alle Alarmglocken in meinem Kopf verstummen ließ. Dieser Hass, der in mir aufbrodelte, wann immer ich seinen Namen hörte oder seine hässliche Visage sehen musste, ließ mich einfach alle Vorsicht und Rationalität vergessen.
"Scott, ich würde an deiner Stelle aufpassen, was ich sage, sonst zieh ich dir nicht nur deine Wasserration ab, sondern steck mir noch ein bisschen von deinem Gehalt ein - ich hätte dafür garantiert Verwendung", seine Mundwinkel wurden immer länger, "Und es würde mich wirklich mal interessieren, wie du von den paar Kori deine Familie am Leben erhalten willst. Wär bestimmt traurig zu sehen, wie dein kleiner, unschuldiger Bruder in deinen Armen stirbt, nur weil du wieder mal Scheiße gebaut hast". Das ekelhaft spöttische Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter und ich musste mich abwenden, um ihn nicht doch noch zu Hackfleisch zu verarbeiten. Wenn ich nur eine Sekunde länger diesen Anblick hätte ertragen müssen, wären meine Sicherungen garantiert durchgebrannt, also schloss ich meine Augen, genoss für einige Sekunden die Dunkelheit und versuchte ganz ruhig ein- und auszuatmen. Ganz ruhig - immer wieder, bis sich mein Herzschlag immer mehr verlangsamte.
Rick bemerkte anscheinend, dass er mit seinen Bemerkungen nicht mehr viel erreichen würde und so nahm ich bald das immer leiser werdende Knirschen von Sand unter seinen Stiefeln wahr. Ein leiser Seufzer der Erleichterung kam mir über die Lippen, als ich mich an die Wand meiner Grube lehnte und sah, dass er weg war. Der Sand war warm von der Sonne und mein nassgeschwitztes Shirt klebte mir im Rücken, während ich die Gedanken schweifen ließ.
Der Fakt, dass ich heute Abend das erste Mal Nicks Leute kennen lernen würde, bescherte mir gemischte Gefühle. Einerseits wollte ich, dass all das hier ein Ende hatte, andererseits war da Cveti, die sich als wahrer Engel entpuppte und die ich eigentlich nicht hintergehen wollte. Ich meine, klar, wenn man vor der Wahl steht seinen eigenen Arsch zu retten oder den eines anderen, würde man sich wohl immer für seinen oder eben den seiner Familie entscheiden, oder? Ich meine, sowas wie echte Freundschaft gibt es hier draußen in den Randbezirken nicht, also war es nur logisch, dass ich mich für meine Familie entschieden habe. Und trotz allem nagte in ruhigen Momenten , wie jetzt das schlechte Gewissen an mir.
Als die Hupe des Transporters in mein Ohr drang und ich mich, wie alle anderen, auf den Weg zur Werkzeugabgabe machte, spürte ich auf einmal einen kräftigen Ruck an meiner Schulter. Reflexartig wirbelte ich herum und packte die Schaufel fester : "Sag mal kannst du nicht aufpassen wo du hinläu..." "Immer mit der Ruhe Prinzessin, ich wollte dir nur sagen, dass ich dich nachher um neun abholen werde" Ein spöttisches Grinsen umspielte seine spröden Lippen und ließ mich erahnen, dass er nur auf meine Reaktion zu dem 'Prinzessin' wartete. Natürlich hätte ich mich sonst sofort darüber beschwert und ihm gesagt, dass er sich sein 'Prinzessin' sonst wo hinstecken konnte, aber ich verkniff es mir. Garantiert würde ich ihm keinen Grund geben noch selbstgefälliger zu Grinsen. "Na dann mach das mal Schnucki", gab ich ihm überzogen kokett zu verstehen und verzog meine Lippen zu einem Kussmund. Ein leichtes Augenverdrehen konnt ich mir, als ich ihn einfach stehen ließ und schnell weiter ging, aber nicht verkneifen.
Es war erst um acht und ich saß schon wie auf Kohlen. Der Basic Brei für Mum und Tony war schon fertig gekocht und mit einigen Obststücken verfeinert. So bekam die fade graue Masse wenigstens ein paar appetitliche Farbtupfer und zusätzlich noch einen lieblich süßen Geschmack. Ich konnte einfach nichts runterkriegen - dafür war ich viel zu nervös. Mein Magen grummelte, mein Blutdruck war garantiert höher, als er sein sollte und mein Kopf platzte von all den Gedanken, die darin herumschwirrten. Was waren das für Leute, die Nick da kannte? Konnte man ihm und den anderen überhaupt vertrauen oder waren es vielleicht Spitzel für die Regierung? Was würde passieren, wenn man mich erwischte? Wie würden Mum und mein kleiner Bruder alleine klar kommen? Konnte ich dieses Risiko überhaupt eingehen?
Der Zeiger der Küchenuhr wollte sich einfach nicht weiter bewegen und die Aufregung konnte ich nicht anders Kompensieren, als im Takt des Sekundenzeigers mit dem Fuß auf und ab zu wippen. Tick - tack, auf - ab. "Hallo?! Ich rede mit dir!" Tony stand mit schief gelegtem Kopf und verschränkten Armen in der Tür und blickte mich ungläubig an. "Ich.. äh..was hast du gesagt? Ich hab gar nichts mitbekommen" Ich stand von meinem Stuhl auf und kniete mich vor ihm hin, sodass wir uns nun auf Augenhöhe befanden. Er erwiderte mein entschuldigendes Lächeln, als ich ihm sanft eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht strich. In dem Licht der Lampe schimmerten sein Haar golden, wie die Sanddünen in der Abendsonne. "Ich hab dich vorhin gefragt, was mit dir los ist. Du bist so anders als sonst",meinte mein kleiner, aufmerksamer Bruder zu mir und brachte somit mein Gedankenkarussel wieder in Gang. Hmm, ich brauchte eine gute Ausrede.
"Ach Kleiner, ich bin nur ein bisschen aufgeregt, weil ich mich nachher mit jemanden treffe, den ich sehr mag. Aber psst, das ist ein Geheimnis, okay? Du darfst mum nichts davon sagen. Schaffst du das?" In dem Moment war mir einfach nichts Besseres eingefallen.
Tony formte mit seiner Hand einen Schlüssel und tat so, als würde er seinen Mund abschließen. Ich wusste, dass auf meinen kleinen Bruder Verlass war. "So, und jetzt setzt du dich an den Tisch, dein Essen wird sonst nämlich kalt. Ich bring Mum in der Zeit mal ihre Schüssel rüber " Ich hauchte Tony einen Kuss auf die Stirn, schnappte mir die warme Tonschüssel samt Löffel und begab mich in das Zimmer meiner Mutter. In der letzten Zeit war sie richtig aufgeblüht und es würde mich nicht wundern, wenn sie es bald vielleicht sogar schaffen würde bei uns in der Küche zu essen. Sie saß entspannt auf ihrem Bett, vor dem ein Stuhl mit einem aufgebauten Brettspiel stand. Sie bemerkte meinen Blick:" Tony und ich haben Mensch ärgere dich nicht gespielt" Sie lächelte so breit, dass sich im Licht der Öllampe ihre Lachfältchen um Augen und Mund besonders stark abzeichneten. "Mum das freut mich so!" Und das tat es wirklich. Damals war kaum daran zu denken ein längeres Gespräch mit ihr zu führen und heute konnte man mit ihr sogar schon wieder ein Brettspiel spielen. Das war einfach unglaublich! "Und wie stehts?", erkundigte ich mich neugierig, während ich die Schüssel auf den Nachttisch stellte und mich neben meiner Mutter auf das quietschende Bett plumsen ließ. "Naja, ich glaub dein Bruder macht mich ganz schön fertig, aber es macht Spaß" Die Gefühle überrollten mich und ich gab den Drang, mich einfach mal wie ein kleines Kind in die Arme meiner Mutter zu kuscheln, nach. Die Wärme, der Geruch.. es fühlte sich einfach alles so nach Zuhause an. Sie strich sanft mit ihrer Hand über mein Haar und ich spürte ihren warmen Atem an meinem Ohr. "Danke, mein Kind", flüsterte sie leise und Wellen des Glücks stiegen in mir auf. So lange war es her, seit wir das letzte Mal so einen intimen, wachen Moment miteinander teilten. Natürlich musste es ausgerechnet in diesem Augenblick laut Klopfen und dieser flüchtige Augenblick war so schnell vorbei, als hätte es ihn nie gegeben. "Fragend schauten mich die Augen meiner Mutter an. "Erwarten wir noch jemanden?" Ich wich der Frage so gut es ging aus, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verabschiedete mich mit einem "Ich guck mal nach" schnell aus dem Zimmer.
Es Klopfte erneut und leicht genervt öffnete ich die Tür. "Glaubst du ich bin taub oder warum willst du mit deinem Gehämmer die ganze Nachbarschaft aufwecken?", zischte ich Nick entgegen. "Ich wollt nur sichergehen, dass du es dir nicht vielleicht doch anders überlegt hast Prinzessin" Er zwinkerte mir frech zu, nur um seinen Blick kurz darauf auf etwas hinter mir zu wenden, mich dann wieder anzuschauen und fragend die Augenbraue hochzuziehen. Ich folgte zögerlich seinem fragenden Blick und hinter mir stand, mit verschränkten Armen, mein neugieriger kleiner Bruder. "Und du bist Mellis Date?" fragte er unschuldig, währen ich mich erschrocken umdrehte. Ohje das Ganze fing ja gut an. Bitte einmal im Boden versinken und Deckel drauf - Dankeschön.
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