Kapitel 14

Cvetelina

'Knock, Knock' Meine Zimmertür öffnete sich mit einem leisen Knarzen und Peers rotbrauner Schopf erschien im Türrahmen. >>Miss White, ihr Vater lässt sie rufen.<< Es war schon später Nachmittag und ich lag ausgestreckt auf meinem Bett und plante meinen geheimen Ausflug. Heute würde ich dem Mädchen das Obst und das Wasser bringen! Vielleicht war meine Freude darauf, endlich meine 'Aufgabe', wenn man es denn so nennen wollte, erfüllen zu können, vollkommen irrational und für Außenstehende unverständlich, aber wenn ich nur daran dachte, begann mein Blut vor Aufregung in meinen Ohren zu rauschen. >>Ich bin unterwegs!<<, gab ich leichtfertig zurück und schob mich an ihm vorbei in den langen Flur. Es wäre gut, wenn ich Vater heute keinen Anlass geben würde, mich besonders zu beachten. Das wäre nur unnötige Aufmerksamkeit, die ich bei meinem Vorhaben nicht gebrauchen konnte. Dummerweise hatte ich Peer nicht gefragt, wo mich mein Vater erwartete, aber da es die Zeit war, an dem er sonst in seinem Büro saß, machte ich mich direkt auf den Weg dorthin. Wenn er doch nicht dort war, müsste ich eben weitersuchen. Zeit hatte ich schließlich genug. Der Fahrstuhl brachte mich zügig in den fünfzehnten Stock und entließ mich in eine Welt voller Büros. Das hier war natürlich nur der engste Kreis seiner Mitarbeiter, aber es reichte, um eine komplette Etage auszufüllen. Der Rest seiner Leute arbeitete in der Medienzentrale, dem Law - and - Order - Komplex oder der Bank, je nachdem, wo sie eingeteilt waren.

Ich lief den, mit Parkett ausgelegten, Gang entlang zum Büro mit der Nummer 1111. Mein Vater liebte Schnapszahlen, genauso wie ab und zu ein gutes Glas Whiskey. Nach einem leichten Klopfen trat ich ein. Dieser Raum unterschied sich von allen anderen hier. Im Gegensatz zu den hell und freundlich gestalteten Büros der Mitarbeiter, war dieses hier dunkel und altmodisch. Die Wände waren gesäumt von deckenhohen Regalen, in denen sich Bücher und verschiedene Ordner befanden und in der Mitte vor dem Fenster stand ein riesiger Schreibtisch. Zu meiner Rechten befand sich ein samtroter Zweisitzer, neben dem ein kleiner Tisch mit zwei Gläsern stand. Hier wurden alle wichtigen Geschäfte abgeschlossen und anschließend mit einem guten Drink besiegelt.
>>Du hast nach mir rufen lassen?<<, fragte ich neugierig, die Arme hinter meinem Rücken gelegt. Er schaute von seinem Monitor auf und bedeutete mir mit der Hand mich auf das Sofa zu setzen. >>Deine Rede wurde fertig bearbeitet. Sie wird heute Abend auf allen Kanälen laufen<< Er nahm eine Fernbedienung von seinem Schreibtisch und kurz darauf erschien ein Bildschirm, wo sich vorher noch kahle Wand befand. Ich war zu sehen. Stolz. Erhaben. Mächtig. Ich erkannte mich kaum wieder. Ein leichtes Frösteln stieg mir den Rücken hinauf, als die Rede startete. Der Hintergrund wurde verändert. Ich stand jetzt nicht mehr auf einer langweiligen, kleinen Bühne der Medienzentrale, sondern an einem Pult vor dem offiziellen Regierungsgebäude. Ich hatte auf diesen Aufnahmen so viel Ähnlichkeit mit meinem Vater, dass mich ein kalter Schauer überlief: das Lächeln war falsch, genauso wie meine Worte, auch wenn Jemand, der es nicht wusste, es niemals erkennen würde. Und heute Abend würde das ganze Land meine Lügen hören.
Tosender Applaus ertönte und die Übertragung war vorbei. Mein Vater stand neben mir und ich versuchte die Träne, die sich in mein Auge geschlichen hatte, verstohlen wegzublinzeln. >>Werd nicht weich, Cvetelina. Die Menschen brauchen Hoffnung. Du gibst ihnen nur das, wonach sie innerlich schreien.<< Er sagte das völlig emotionslos, als wäre es damit völlig legitim. Aber das war es nicht! Trotzdem nickte ich stumm. Ich hatte meine Mission nicht vergessen. Nicht zu viel unnötige Aufmerksamkeit erregen! Mein Vater schritt langsam zurück zu seinem Schreibtisch, lehnte sich daran und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust, sodass sein maßgeschneiderter Anzug Falten warf. >>Dein Auftritt war gar nicht mal so schlecht. Du wirst in nächster Zeit etwas mehr gute Nachrichten verkünden. Das wird dich für die Menschen sympathisch machen. Sie werden dich lieben und sich auf dich konzentrieren.<< Mehr zu sich selbst, als zu mir fügte er leiser hinzu, >>Das hält sie davon ab ihre Aufmerksamkeit auf die falschen Leute zu lenken.<< Ich musste unheimlich dumm aussehen, so fragend wie ich ihn anschaute. Genervt warf er die Arme in die Luft, >>Cvetelina, du musst endlich lernen deine Mimik zu beherrschen! Es geht nicht, dass dir deine Gesichtszüge so entgleisen.<< Er lief im Kreis, während er sich immer wieder leicht mit dem Zeigefinger, an das markante Kinn tippte und blieb schließlich genau vor mir stehen. >>Du solltest dich darauf einstellen etwas mehr in der Öffentlichkeit zu stehen. Du bist langsam alt genug, um deine Pflichten zu erfüllen.<< >>Und was heißt das jetzt für mich?<<, fragte ich skeptisch und zog die Augenbraue hoch. Ich hatte die Tragweite dessen, was er zu mir sagte, immer noch nicht ganz begriffen. >>Das heißt, dass du mir jetzt ab und zu aushelfen wirst. Wir fangen mit zwei Stunden am Tag an, an denen du hier, natürlich neben dem Unterricht, mithelfen wirst, damit du etwas mehr über die politischen Belange erfährst. Und als Teil von uns, wirst du uns schließlich auch in der Öffentlichkeit repräsentieren.<< Ich schluckte. Ich wollte nicht noch mehr in der Öffentlichkeit stehen, als ich es jetzt schon tat. Das würde mir meine Ausflüge nach draußen nur erschweren. Und ich war fest entschlossen noch ein paar Male meiner Einöde hier zu entfliehen. Ich räusperte mich. >>Ich werde mein Bestes geben<<, gab ich mit leiser Stimme zurück und straffte meine Schultern, um überzeugt zu wirken. >>Ich glaube ich werde mich heute etwas früher schlafen legen. Ich habe starke Kopfschmerzen, also erwartet mich bitte nicht beim Abendessen.<< Ich stand schnell auf und verschwand durchTür. Ich vernahm noch ein leise gemurmeltes >>Gute Besserung<<, aber da war ich schon um die nächste Ecke verschwunden.

Ich kramte in meiner Jackentasche nach dem kleinen Zettel, auf dem sich die Wegbeschreibung befand, die ich mir einen Tag nach meinem letzten Ausflug angefertigt hatte. Ich stand an einer gut beleuchteten Kreuzung und war mir absolut nicht sicher, welche der Abzweigungen ich nun nehmen sollte. Die rote Linie, die sich durch ein Gewirr aus Quadraten und Rechtecken wandte, die Häuser und Straßen darstellen sollten, verlief an der vierten Kreuzung nach links. Wenn ich bis jetzt richtig war, müsste ich also bald da sein. Ich setzte mich so unauffällig wie möglich wieder in Bewegung und bog in die Straße links von mir ein. Die Luft war frisch und eine leichte Brise wehte mir ins Gesicht, sodass ich leicht anfing zu zittern. Nachts konnten die Temperaturen bis null Grad fallen. Ich zog den Reißverschluss bis zum Anschlag hoch und hoffte, dass es heute nicht noch kälter werden würde. Die Gegend hier kam mir gar nicht bekannt vor. Die Häuser, die im Licht der Laternen erschienen, ähnelten keinen funktionierenden Gebäuden mehr, sondern eher abrissreifen Ruinen. Ob hier noch Menschen wohnten? Sand knirschte unter meinen Schuhen, während ich weiter ging. Da sah ich plötzlich was die Geräusche verursacht hatte. Es war eine winzige Wüstenrennmaus, die flink in einem kleinen Loch unter einem Häuserfundament verschwand. Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir. Also doch kein Verfolger. Innerlich musste ich selbst schon über meine abartige Paranoia schmunzeln.

Als ich das letzte Mal hier war, hatte ich die ganze Umgebung gar nicht so genau wahrgenommen. Der Schmerz hatte einfach alle anderen Sinne überlagert.
Ich blieb vor der Hausnummer 796 stehen. Das Dach war schief, die Hauswände rissig und einige Fenster waren zerbrochen. War ich hier wirklich richtig? Das war unmöglich, dass hier jemand wohnte. Vielleicht gab es noch eine andere Nummer 796 in einem anderen Bezirk und ich war ein Mal falsch abgebogen? Unschlüssig stand ich da und überlegte, ob es nicht klüger wäre wieder nach Hause zu gehen. Aber dann wäre alles umsonst gewesen! Das konnte ich einfach nicht zulassen! Ich musste es wenigstens probieren. Kurz entschlossen ballte ich meine Hand zur Faust und klopfte an die Tür. Eine Klingel gab es nicht. >>Hallo, wer ist da?<<, drang eine leise Kinderstimme durch die Tür. >>Ähhm<<, ich räusperte mich, >>hier ist Cvetelina. Ich war vor ein paar Tagen schon mal hier und ein Mädchen hat mir geholfen. Melli hieß sie glaub ich. Ich wollte mich bei euch bedanken.<< Mit einem lauten Knarzen öffnete sich die Tür und der kleine Junge mit den grünen Augen stand vor mir. >>Melli gehts nicht gut. Sie liegt in der Küche und ich weiß nicht, was ich machen soll.<< Ein verzweifelter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht und ich legte, beinahe reflexartig, beruhigend die Hand auf seinen Rücken. >>Führ mich mal zu ihr, vielleicht kann ich ihr helfen<<, meinte ich sanft zu ihm. Er sah nicht gut aus. Seine Haut war fahl und bildete kleine Fältchen auf dem Handrücken. Wie konnte es sein, dass ein kleiner Junge schon Falten hatte? Er führte mich durch den schmalen Flur, der vielleicht einen Meter in der Breite maß und wies dann in ein kleines Zimmer, dessen Tür offen stand. Ein übler Geruch stieg mir in die Nase, als ich in dem Türrahmen stand. Ich erkannte die Kammer sofort wieder. Hier hatte mir das Mädchen die Scherben aus dem Bein gezogen. Ich ließ meinen Blick über die karge Einrichtung schweifen und blieb an der Matratze hängen, die auf dem Boden ausgebreitet lag.

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