Kapitel 12
Melinda
Ich hielt den glatten Stiel der Schaufel in meinen schmerzenden Händen. Durch die harte Arbeit waren meine Blasen wieder aufgeplatzt, sodass der Schweiß, der meinen ganzen Körper bedeckte, sie wie Feuer brennen ließ.
Ich versuchte den Schmerz und das ständig präsente Gefühl ein Reibeisen im Mund zu haben einfach auszublenden und mich auf die Tiefe meiner Grube zu konzentrieren. Sie war noch lange nicht so tief, wie sie um diese Uhrzeit hätte sein müssen, aber ich konnte einfach nicht schneller. Als ich die nächste Fuhre Sand aus meinem Loch beförderte, stieg der Schwindel wieder langsam in mir hoch. Das war nicht das erste Mal heute. Durch das Sparen meiner Arbeitswasserration fehlte mir einfach die notwendige Flüssigkeit. Denn jeder, der schwer arbeitete bekam zusätzlich pro Tag einen Liter extra, um den Wasserverlust durch das Schwitzen wieder auszugleichen. Allein das war schon ein Witz, denn man verlor in dieser Hitze mindestens das Dreifache. Ich musste einsehen, dass ich so nicht weitermachen konnte. Einfach umzufallen war schließlich keine Alternative. Ich würde Anna nachher um einen Vorschuss bitten müssen, um neues Wasser kaufen zu können. Hoffentlich hatte sie noch etwas zur Seite gelegt. Sie war schließlich selbst nicht so gut bei Kasse, als das sie einfach so viel Geld auf einmal zusammenkratzen könnte. Und wenn nicht, musste ich mich halt noch die nächsten Tage etwas am Riemen reißen.
Die Welt um mich herum drehte sich nun immer schneller oder drehte ich mich? Das monotone Geräusch der anderen Schaufeln, die auf hart gepressten Sand trafen, wurde immer leiser und verschwamm mit der Weile zu einem monotonen Rauschen. Um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren, lehnte ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die unregelmäßigen Wände meiner Grube. Als ich so mit geschlossenen Augen dastand und wartete, bis das Schwindelgefühl etwas nachließ, streckte der Schlaf seine langen Finger nach mir aus und ließ mich meine Erschöpfung spüren. Wann war ich das letzte Mal so fertig gewesen? So konnte ich nicht weiter arbeiten. Ich musste mich ausruhen, wenigstens ein paar Minuten. Und so ließ ich mich an der Wand hinab auf den harten Boden gleiten. Ich würde nur für zwei Minuten die Augen schließen, um mich etwas auszuruhen. Nur zwei Minuten.
Die frische Briese hinterließ ein wohliges Kribbeln auf meiner Haut. Ich stand in einem Meer aus duftenden Blumen. Rote, Gelbe, Blaue. Jede Farbe war vertreten. Bewundernd zog ich die Luft ein, wodurch ich gleich das Gefühl bekam, als würde in mir selbst eine Blumenwiese anfangen zu sprießen. Dieser Duft, einfach unbeschreiblich! So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen oder gerochen. Um all diese Eindrücke in mir aufzusaugen, drehte ich mich mit ausgestreckten Armen um meine eigene Achse. Aber als ich Mum und Tony an einem Wasserloch spielen sah, hielt ich inne und beobachtete sie stumm. Sie lachten und tobten. Wann hatte ich Mum das letzte Mal lachen gehört? Sie sahen beide so glücklich aus und in mir breitete sich ein wohliges Gefühl aus. Wenn ich sie so sah, konnte ich gar nicht anders, als auch glücklich zu sein.
Mums Blick traf meinen und ich sah, wie sie inne hielt und sich ein fröhliches Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. Sie flüsterte Tony etwas zu, der daraufhin alleine weiter spielte und kam schließlich in meine Richtung. Doch plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck. " Was glaubst du wer du bist?" Nun war ihr Gesicht nicht mehr fröhlich, sondern wutverzerrt und ich konnte die kleine Falte zwischen ihren kargen Augenbrauen sehen, die sich immer dann bildete, wenn sie vor Zorn kochte. >>Du kleines Miststück! Glaubst du ich merke nicht, wenn du mich hintergehst. Na warte, dass wird dir und den ganzen anderen Faulenzern hier eine Lehre sein.<< Ihre Stimme wurde immer tiefer und hatte nun überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit dem lieblichen Klang, der ihr sonst innewohnte. Als sie bei mir war, packte sie mich, sodass ich einen schmerzenden Zug an meinen Armen spürte.
Das Bild meiner wild gewordenen Mutter verblasste langsam und wurde stattdessen von dem Schmerz einer harten Ohrfeige ersetzt. Vor mir stand nun einer der muskelbepackten Aufseher, der seine Faust bereits zum nächsten Schlag erhoben hatte. >>Bitte nicht<<, wimmerte ich und wollte meine Hände schützend vor das Gesicht halten, aber meine Arme waren in einem schraubstockartigen Griff gefangen. Denn hinter mir stand ein zweiter Mann, der nichts anderes tat, als dafür zu sorgen, dass ich mich nicht wehren konnte. In Gedanken sagte ich ihm, dass es eh sinnlos war und er sich seine Arbeit auch sparen konnte. Ich war eh zu viel zu schwach. >>Du glaubst wohl mit ein bisschen betteln kommst du so einfach ungeschoren davon, was? Das kannst du knicken!<< Nummer Eins holte mit seinem kräftigen Arm aus und schlug mir mit voller Wucht in den Magen. Ich stöhnte und krümmte mich, während ich mit aller Macht versuchte mein Frühstück bei mir zu behalten. Sofort wurde ich von Nummer zwei an den Schultern unsanft wieder hochgezehrt. Ich brachte lediglich ein leises Winseln über die Lippen, als mich der nächste Schlag am Kiefer traf. Dieser knackte laut. Blut und Spucke liefen in kleinen Rinnsalen aus meinem Mund auf den sandigen Boden und bildeten eine kleine dunkelrote Pfütze. Das war das Letzte was ich sah, bevor ich losgelassen wurde und mit einem 'platsch' direkt hineinfiel. Meine Beine gaben wie Gummi einfach unter mir nach, als würden sie gar nicht zu mir gehören. Ich sah wie der großgewachsene Mann vor mir wütend seinen Mund auf und zu bewegte, während er wild mit seinem Zeigefinger gestikulierte, aber ich hörte nur das Rauschen in meinem Kopf und spürte wie mir mein Frühstück langsam wie eine Raupe meine Speiseröhre hinaufkletterte. Offenbar hatte er eine Frage gestellt, denn als ich stumm liegen blieb, trat er mir mit seinem schweren Stiefel erneut in den Bauch. Die Kraft mit der er mich traf, presste mir die gesamte Luft aus den Lungen, sodass ich nun mühevoll um Luft rang. Gleichzeitig spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Brustkorb. Meine Bauchmuskeln entspannten sich reflexartig, sodass ich nun jegliche Kontrolle über meinen Körper verlor. Ich konnte mich noch rechtzeitig auf die Seite drehen, bevor ich an meinem Erbrochenen ersticken konnte. Das schien den beiden Kolossen zu reichen, denn sie wandten sich lachend um und stiegen aus meiner Grube.
Unfähig mich zu bewegen blieb ich, immer noch röchelnd und mit brennender Kehle, liegen, während sich die rote Pfütze um meinen Kopf von Minute zu Minute verbreiterte und sich mir der beißende Geruch von halb Verdauten in die Nase bohrte.
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