Kapitel 1
Cvetelina
Die kühle Luft der Klimaanlage wehte mir kitzelnd um die Nase, während ich den langen Flur zum Empfangszimmer entlanglief. Die Fenster, die meine rechte Seite säumten, überfluteten den langen Flur mit strahlendem Licht. Ich hörte die raue Stimme meines Vaters und einen fremden, tiefen Bariton, als ich um die letzte Ecke bog. ich setzte mein unverbindliches Lächeln auf, genau so, wie man es mir seit klein auf beigebracht hatte. Ich meine, dafür gab es extra ein Unterrichtsfach... >> Ah Cvetelina da bist du ja. Mr. George, das ist meine Tochter<< Mein Vater zeigte mit der ausgestreckten Hand auf mich. >>Herzlich Willkommen im Hause White Mr. George<< Ich nickte ihm freundlich zu und gab ihm höflich meine Hand, während ich sein Äußeres begutachtete. Er war schätzungsweise Mitte 40, hatte kurz geschnittenes schwarzes Haar und war , seiner schwitzigen Hand nach zu urteilen, ziemlich nervös, so als würde für ihn viel von dem heutigen Treffen abhängen. >> Guten Tag Miss White. Schön Sie kennen zu lernen<<, sagte er schnell und schob sich fahrig seine schwarze Brille nach oben. Ich erwiderte seinen Ausspruch und blickte nun aufmerksam zu meinem Vater, der sofort das Wort ergriff. >> Nun Mr. George, lassen sie uns am besten gleich in mein Büro gehen, um alles weitere in Ruhe zu besprechen.<< Er legte seine große Hand auffordernd auf Mr. Georges Rücken und schob ihn bestimmend Richtung Büro.
Damit war mein Job für heute schon erledigt. Ich war eigentlich nur ein gelungenes Accessoire, das man mit Stolz vorzeigen konnte, aber mittlerweile störte mich das nicht mehr. Das war halt der Preis, den man für mein Leben hier zahlen musste. Ich ging durch die mit Mahagoni verzierten Flure zurück in mein Zimmer und zog mir zualllererst diese grässlichen Schuhe aus. Sie sahen zwar schön aus mit ihren, mit funkelnden Edelsteinen verzierten Riemen, aber sie waren mir mit ihren 15cm einfach viel zu hoch und unbequem, als dass ich sie gerne tragen würde.
Da ich erst zum Abendessen wieder anwesend sein musste, entschloss ich mich dazu noch ein paar Runden auf dem hauseigenen Sportplatz zu drehen, um den Kopf etwas frei zu kriegen – und das ging mit nichts einfacher, als sich dem Rausch hinzugeben, der unweigerlich aufkommt, wenn man nur noch seinen Atem und den Herzschlag spürt. Rasch schlüpfte ich in mein Sportoutfit und band mein im Sonnenlicht nun golden schimmerndes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Bevor ich losging warf ich einen letzten Blick auf meine Armbanduhr. Sie zeigte 16:17. Wenn ich Glück hatte war Alex ebenfalls für seine tägliche Laufeinheit dort.
Mit ein paar schnellen Schritten schnappte ich mir meine pinke Sporttasche samt Trinkflasche und Handtuch und hechtete zum Fahrstuhl. Dieser brachte mich direkt herunter in den 12. Stock. In meine persönliche Freiheit. Mit einem leisen "pling" öffnete sich der Fahrstuhl und entließ mich in eine grüne Plastikwelt. Es gab Beete mit bunten Blumen, verschiedene Palmen und Gräser und dazwischen die rotbraune Laufbahn. Die künstlichen Pflanzen erzitterten in der, ebenfalls künstlich erzeugten, Briese und ab und zu war ein leises Zischen zu hören, wenn der Luft aus der Klimaanlage der süße Duft von Blumen beigemischt wurde.
Ich blickte mich um und entdeckte Alex am anderen Ende der Laufbahn. >>Hey, hattest du noch Zeit auf eine lahme Ente wie mich zu warten?<< Ich lief ihm grinsend entgegen und war froh noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen zu können.
Wir waren schon Freunde so lang ich denken konnte und ich konnte mir ein Leben ohne seine liebevolle Art gar nicht mehr vorstellen. Er bildete damit einen starken Kontrast zu meiner Familie, in der ein liebevolles Wort nur dann verloren wurde, wenn es darum ging das Image zu stärken.
>>Ich würde doch immer auf dich warten<< Seine blauen Augen strahlten mir förmlich entgegen, während die kleinen Lachfältchen sie umrahmten wie ein wunderschönes Kunstwerk. >>Was nicht heißt, dass ich noch länger warten will. Also los, wärm dich schon mal auf! Ich bring in der Zeit schon mal dein Zeug weg<< Mit einem leichten Knuff nahm er meine Tasche und trabte locker zur der kleinen Tribüne, wo ich auch seine Tasche sehen konnte. Sofort fing ich an mich zu dehnen, um keine Zeit zu verlieren, ich wollte ihn ja schließlich nicht noch länger warten lassen. Und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ich das vertraute Ziehen in meinem Oberschenkelmuskel spürte, von dem ich immer noch nicht so recht wusste, ob ich es nun gut oder unangenehm finden sollte. Ich blickte zu Alex herüber, der mich erwartungsvoll, mit verschränkten Armen von der anderen Seite der Bahn betrachtete. >>Okay", dachte ich, >>das muss an Dehnung heute ausnahmsweise mal reichen.<< Ich zog mir noch mal den Pferdeschwanz fester und rannte los, während ich meinem Freund herausfordernd über die Schulter hinweg, >>Wo bleibst du denn, du Lahmarsch?<< zurief. >>Na, warte!<< Ich hoffte, dass er mich nicht allzu schnell einholen würde, aber ich wusste, dass ich gegen ihn nicht den Hauch einer Chance hatte.
Das Laufen war so befreiend. Alex brauchte keine 30 Sekunden, um mich einzuholen. Er knuffte mir lachend in die Seite. >>Na, wer ist jetzt hier der Lahmarsch?<< Am Ende liefen wir nebeneinander und unsere Schritte trommelten Runde um Runde im Takt auf die Tartanbahn, so, als würden nur noch wir beide und die Bahn vor uns existieren. Unser Atem ging beinahe synchron und bildete zusammen mit meinem galoppierenden Herz meinen persönlichen Soundtrack des Glücks.
Nach einer halben Stunde kamen wir langsam zum Auslaufen. Mein Herz pochte wie wild, meine Lungen fühlten sich an, als wären sie kurz vor dem Zerbersten, aber ich war unendlich glücklich. Ich liebte diese kleine Auszeit von allem. Sie und meinen bester Freund, dessen verschwitzte Haare auf seiner Stirn festklebten, waren das Beste, was der Tag zu bieten hatte.
Nach dem Training trennten sich unsere Wege. Alex fuhr herunter in den zehnten Stock, in dem seine Familie ein Apartment besaß. Genau wie unseres ging es über mehrere Etagen. Alex' Vater war Berater und guter Freund meines Vaters. Deshalb kannten wir uns auch buchstäblich seit dem Sandkasten. Gerade wegen der geschäftlichen Verbindung unserer Eltern wohnten wir in einem Haus. Es musste kurze Wege geben, wenn es mal einen politischen Notfall gab, auch wenn es so einen, solange ich lebte, noch nie gab.
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