Brüchiges Eis

Das Eis auf dem See sah stabil aus. Die Vorfreude machte sich in meinem Bauch breit. Es war viel zu lange her, dass ich das letzte mal auf dem Eis gestanden hatte. Die letzten Winter waren zu mild gewesen, das Eis nur eine hauchdünne Schicht auf dem Wasser. Schlittschuh laufen war viel zu gefährlich. Aber jetzt lag eine dicke glasartig Schicht auf dem Wasser, die zum Glück noch unberührt war. Ich setzte mich auf die Bank, schlüpfte aus meinen dicken Winterstiefeln und zog meine Schlittschuhe aus meinem Rucksack. Es war still hier, der Schnee schluckte jedes Geräusch und jeder andere hätte es hier gruselig gefunden. Aber ich mochte die Stille und ich hasste den Lärm. Ein Grund warum ich hier her gekommen war, alleine. Vorsichtig starckste ich auf den Kufen durch den Schnee zum Ufer. Mit einem tiefen Atemzug setzte ich einen Fuß auf das Eis, zog den anderen nach. Es war ungewohnt nach fast 3 Jahren wieder auf dem Eis zu stehen, die ersten Runden waren ziemlich wackelig und mehr als einmal hätte ich beinahe das Gleichgewicht verloren. Doch je länger ich fuhr, desto mehr gewann ich meine alte Form zurück und ich wagte mich weiter aufs Eis, nahm Geschwindigkeit auf. Die feinen Risse, die sich langsam auf dem Eis bildeten, sah ich nicht.

Das erste unheilvolle Knacken lies mich abrupt anhalten. Angestrengt lauschte ich in die Stille und entschied mich dann dafür, dass es besser wäre, wenn ich runter vom Eis gehen würde. Scheinbar war die Eisschicht doch noch nicht dick genug. Vorsichtig schob ich meine Füße in Richtung Ufer. Hin und wieder knackste es unheilvoll, wenn ich mit meinen Kufen in einem der Risse hängen blieb. Ich war unsagbar erleichtert als das Ufer nur noch wenige Meter von mir entfernt war. Ich hätte mich wohl doch an die Drei-Tage- Regel halten sollen, aber meine Ungeduld war einfach zu groß gewesen. Der nächste Schritt ging ins leere, das Eis unter mir brach weg und mit einem Aufschrei brach ich ins eiskalte Wasser ein. Ich krallte mich verzweifelt am Rand fest, versuchte mich irgendwie aus dem Wasser zu ziehen. Die Panik , die sich langsam in mir breit machte, unterdrückte ich. Wenn sie die Oberhand gewann, standen meine Chancen gleich Null hier wieder rauszukommen. Ich wollte noch nicht sterben! Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich halt mit meinen Fingern im Eis zu bekommen. Inzwischen waren sie blau und ich spürte sie kaum noch. Die Panik wurde Größe, verzweifelt strampelte ich mit den Füßen im Wasser um wieder Gefühl in sie zu bekommen. Versuchte das taube Gefühl und die Schwere aus ihnen zu bekommen. Immer wieder rutsche ich mit den Fingern ab. Kurzerhand zog ich mir die Handschuhe von den Fingern und krallte meinen Nägel in die kalte Masse. Es gelang mir meinen Oberkörper ein Stück aus dem Wasser zu ziehen und die Panik lockerte langsam ihren Griff. „Ich schaff das. Ganz ruhig. Nur noch ein Stück und dann bist du draußen" beruhigte ich mich. Mein Oberkörper lag nun komplett auf dem Eis, ich musste nur noch meine Beine nachziehen. In diesem Moment krachte es merklich unter mir. Ich klatschte zurück ins Wasser, griff ins Leere, als ich versuchte mich am Rand festzuhalten. Die Panik mischte sich mit Todesangst. Ich strampelte mit den Beinen, versuchte irgendwie wieder nach oben zu kommen, aber meine Kleidung hatte sich schon zu sehr mit Wasser vollgesaugt, zog mich nach unten. Mein Körper wurde schwer, die Angst schnürte mir die Kehle zu. Noch nicht  flehte ich stumm. Meine Lungen schrien nach Luft, ich gab nach öffnete meinen Mund. Das eisige Wasser floss in meinen Rachen, fühlte meine Lungen. Das grün braune Wasser um mich herum verschwamm vor meinen Augen, ich hatte keine Kraft mehr. Mein Körper sank weiter in die Tiefe. Ich gab auf. Einen Kampf mit dem Tod konnte man nicht gewinnen.

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