2 Minuten Staub

Staub. Überall nichts als Staub. In nächster Nähe explodierte irgendwas und überall war noch mehr Staub. Außer dem Staub nahm sie nichts mehr wahr. Nur noch diesen undurchdringlichen, alles vernebelnden Staub.
Sie sah nach unten auf den Boden. Keine einzige Fußspur war mehr zu erkennen. Irgendetwas passte nicht an diesem trist grauen Boden.
Mitten darauf war ein dunkler Fleck, ein immer größer werdender Fleck. Es kostetet einige Mühen bis ihre Augen erkannten was für ein Fleck dies war. Er war rot. Es war Blut. Und immer größer wurde der Fleck, weil das Blut aus ihrer Schulter tropfte.
Daher kam also das verzögerte Nachjustieren ihres Sichtfeldes. Während sie ihren Kopf drehte war alles verschwommen so langem bis sie lange genug ruhig versuchte auf den selben Punkt zu starren. Sie lag auf dem Bauch hinter etwas das wohl mal eine Mauer gewesen war.
Nur vorsichtig stützte sie sich auf ihre Unterarme. Ein sengender Schmerz schoss durch ihre Schulter und lies sie zurück in den Staub sinken. Sie hustete. Dieser Staub überall. Hatten sie den ausgerechnet mitten im Staub die Bomben zünden müssen?
Diesmal auf den Schmerz gefasst stützte sie sich erneut auf ihre Unterarme und pustete den Staub aus ihrem direkten Sichtfeld. Der Schmerz ihrer Schulter rückte dank des Adrenalins erneut in den Hintergrund. Möglichst langsam um weder wieder den staubigen Boden zu küssen noch von jemandem Wahrgenommen zu werden, kniete sie sich zumindest hin. Ihr Blick wanderte nur langsam zu ihrer Rechten Schulter. Ein Großteil der Uniform fehlte und alles war Staubbedeckt, alles außer die Stelle an der immer noch ein Rinnsal an Blut austrat und sich einen Weg über ihrer staubige Uniform fraß. Der Kontrast des Staubs und des Blutes tat fast schon weh in den Augen.

Weg. Der nächste Gedanke war weg. Wenn sie auch nur die leiseste Chance haben wollte zu überleben, musste sie dort weg. Aber wohin, überall war dieser lästige Staub? Die Infozentrale! Die Infozentrale war uninteressant, da dort lediglich Karten der anderen hingen, aber nicht die eigenen.
Krabbelnd setzte sie sich in Bewegung. Vom einem Ende der Mauer zum anderen brauchte sie tatsächlich lediglich ein paar Sekunden und doch fühlte es sich an wie mindestens zehn Minuten.
Irgendwo nicht allzu weit weg, brüllten sich Leute etwas zu. Panisch duckte sie sich hinter die Mauer. Es war Englisch, es war nicht Paschtu. Es waren ihre eigenen Leute. Trotzdem erlaubte ihr Körper nicht sich aus den Staub zu erheben und zu ihren Kameraden zu laufen. Wo ihre Leute waren, waren auch die anderen und denen war sie durch ihre eingeschränkte Wahrnehmung und Verletzungen fast schutzlos ausgeliefert.
Ihr Herz schlug schneller als sie es je erlebt hatte. Hier im Staub schlug ihr Herz sogar schneller als damals, als sie Jaqueline kennengelernt hatte. Damals als sie vollkommen von den Socken war durch den hübschen Rotschopf der als ihre Kollegin durch die Türe kam. Es hatte gedauert bis sie beide etwas miteinander anfangen konnten. Bis Jaqueline tatsächlich mehr tat als sie nur von der Seite anzulächeln.
Eigentlich musste sie das Herzklopfen eher mit dem Moment in der Bar vergleichen. Dem Moment in dem sie gemeinsam Billiard spielen gewesen waren und anschließend während Karaoke Satellite zum besten gegeben hatten. Der Moment in dem sie nach der Karaoke gemeinsam eine weitere Runde getrunken hatten und die Jukebox nutzten..
Staub schlug ihr ins Gesicht. Haarscharf an ihr war ein gepanzertes Fahrzeug  vorbei gerauscht. Ein Jackal. Sie hatten sie nicht gesehen, oder vielleicht für so gut wie tot gehalten und keine Kugel mehr vergeuden wollen, denn die Besatzung des Fahrzeugs war definitiv der falschen Truppe angehörig gewesen.
Möglichst den Staub ignorierend hob sie ihren Kopf von Rechts nach links und brauchte deutlich zu lange um sicher zu gehen das kein Fahrzeug sie gleich überfahren würde. Mit dem Tempo eine Schnecke krabbelte sie über die inoffizielle Fahrbahn. Mitten im Lager durften sie eigentlich nur auf zwei „Straßen" fahren, aber dieses Verbot war vergessen als die erste Rakete die Rückwand der Küche durchschlagen hatte.
Wahrscheinlich fünf ehemalige Kontainerreihen weiter hallten Schüsse und sie beeilte sich wieder in den Schutz eines bereits zerstörten Teils der ehemaligen Infrastruktur zu kommen. Während sie noch auf den halb zerstörten Wohnkontainer zusteuerte wurde ihr Sichtfeld noch geringer als eh schon, nur diesmal lag es nicht am Staub. Eine schwarze Vignette lag um ihr Blickfeld. Trotz der Vignette erkannte sie einen Körper. Zwanzig Meter von der Infozentrale entfernt.

Staub. Auf dem Körper hatte sich bereits eine ordentliche Schicht Staub niedergelassen und doch trug er eindeutig die gleiche Uniform wie sie. Eigentlich wollte sie sich das gar nicht anschauen, eigentlich wollte sie nur noch diesem lästigen Staub entkommen. Der Staub war das Problem.
Trotz allem kroch sie vorsichtig zu dem Körper. Trotz der Staubschicht war deutlich ersichtlich das dem Körper das halbe Gesicht fehlte. Der halbe Schädel war nur noch ein klaffende riesige Wunde aus der nur noch an wenigen Stellen Blut austrat während der Rest wahrscheinlich bald anfangen würde zu gammeln, wenn es nicht vorher von Vögeln und anderen Tieren verzehrt wurde.

Erst danach viel ihr Blick auf die noch intakte Hälfte des Gesichts.
Scharf zog sie die Luft ein. So sehr, dass es schon weh tat.
Vor ihr mitten im Staub lag ihr Battle Buddy. Simons offenes Auge starrte mitten in den Himmel und war schon trüb durch den Staub.
„Nein!" Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, das bald Tiere an seinen Eingeweiden zerren würden. Sie konnte nicht ertragen, dass sie zu zweit nie wieder bei Sonnenuntergang mit dem „Buggy" durch die Wüste fahren würden und sie ihn nie wieder lachen hören würde wenn sie wieder zu dumm war den Trinkbrunnen zu bedienen.

Erschlagen legte sie ihren Schädel auf seinen Oberkörper. Entweder er war noch warm oder das lag an der allgemeinen Hitze in diesem gottverdammt staubigen Land.

Er hielt ihr die Tür auf. Lachend sprang sie in das Fahrzeug und warf die Musikbox in den Teil des Gefährts in dem sie eigentlich nicht liegen dürfte.
Ebenfalls grinsend schwang sich Simon auf den Fahrersitz und noch ganz Vorschriftsgemäß verließen sie das Lager. Sobald sie aus direkter Sichtweite waren schaltete sie selbst die Musikbox an und Simon krähte lauthals seine Musikwünsche.
Schlitternd und Kurven fahrend rasten sie über den hellgelben Wüstensand. Wie in Fast and Furious kamen sie sich vor.
Irgendwo mitten auf einem Sandhügel kamen sie Sandspritzend zum stehen. Gerade als sie ausstiegen begann Macarena zu spielen. Lauthals lachend standen sie also auf einem Hügel mitten in der Wüste und tanzten zu Macarena.
Plötzlich mischten sich andere Wörter in den üblichen Macarena-Text. Es war keine Englischen und auch definitiv nicht der Refrain des Liedes.
Die glitzernde Wüst verschwamm vor ihren Augen und mischte sich mit Bildern des staubigen blauen Himmels. Über ihr tauchte ein Schädel auf, doch sie nahm ihn kaum war.
Simon tanzte wieder mit ihr, aber diesmal sang auch er die falschen Wörter.
Irgendwo in ihrem inneren schrillten die Alarmglocken. Diese Sprache war nicht gut, aber warum sollte Simon so sprechen. Ihr Körper schrie renn, aber sie tanzte doch nur mit Simon.
Erneut Wörter, erneut Staub, erneut Simon und Macarena.
Die Sprache war Paschtu.
Doch überall war nur Staub. Dann Hände, aber eigentlich nur Staub.

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