26| Von Ohrfeigen und pinken Nägeln

Quinn

Aber Aiden kommt nicht. Alle anderen betreten nacheinander den Speisesaal, doch er taucht nicht auf.

Entspannen kann ich mich deshalb aber nicht. Er könnte trotzdem jeden Moment hier reinspazieren und dann hätten wir den Salat.

Es ist unangenehm still am Tisch, ich starre auf meinen Teller.

Irgendwann räuspert sich Mom und ich sehe auf. "Quinn, hast du Eliza schon vorgestellt?"

Sie weiß ganz genau, dass ich es noch nicht getan habe. "Nein."

Ich sehe zu meiner Freundin und dann zu Grayson, Olive und Jordan. "Eliza, das sind-" Ich zögere. Sind sie meine Freunde? Ich meine, wir kennen uns seit ein paar Wochen und ich mag sie auch, aber beruht das auch auf Gegenseitigkeit?

Ach, scheiß drauf. "Das sind meine Freunde. Grayson." Ich deute auf den blonden Schlagzeuger und Eliza grinst über beide Ohren.

"Hi", haucht sie und er hebt einen Mundwinkel. "Hi."

"Das ist Olive", mache ich weiter. Die Schwarzhaarige lächelt und Eliza beißt sich auf die Lippe. Sie ist kurz davor, los zu quietschen, das sehe ich ihr an.

"Und Jordan", beende ich die Vorstellung und sehe zurück auf meinen Teller.

Ich hoffe mit jeder Faser meines Körpers, dass Eliza nicht fragen wird, wo Aiden ist. Nicht fragen, nicht fragen, nicht-

"Wo ist Aiden?", will sie wissen und ich schließe kurz die Augen, die verräterisch brennen.

"Ich weiß es nicht", presse ich hervor und vermeide es, irgendjemanden am Tisch anzusehen.

Eliza hakt nicht nach und auch die Anderen wenden sich ihrem Essen zu. Ich atme tief durch und versuche, mich zu entspannen, was mir eher mittelgut gelingt. Aber immerhin bin ich nicht mehr im ganzen Körper verkrampft.

Irgendwann hat dann jeder endlich aufgegessen und ich erhebe mich.

"Ich geh auf mein Zimmer. Willst du mitkommen, Lizzy?", meine ich und sie nickt.

"Klar."

Wenig später sitzen wir nebeneinander auf meinem Bett und schweigen uns an. ich wünschte, es wäre nicht so komisch. Das ist alles Aidens Schuld.

"Ist alles okay?", fragt Eliza.

Nein. Nichts ist okay. "Klar. Warum fragst du?"

Sie zuckt die Achseln und lässt sich rücklings nach hinten fallen. "Weiß nicht. Du wirkst irgendwie abwesend."

"Ich bin nur aufgeregt wegen heute Abend, das ist alles", lüge ich und sehe an die Decke. Ich kann ihr nicht ins Gesicht lügen.

"Ich auch. Glaubst du, ich krieg auch ein Foto mit Aiden?"

Bevor wir zu meinem Zimmer sind, hat jeder mit Eliza ein Selfie machen müssen. Grayson ist eher weniger begeistert gewesen, aber ich hatte ihn leise gebeten, nett zu ihr zu sein.

"Bestimmt", antworte ich knapp und versuche, ein Thema zu finden, über das wir stattdessen reden können.

"Apropos", meint sie und ich verfluche innerlich das Schicksal. "Liebt er dich denn immer noch?"

Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Bis vor Kurzem hätte ich noch mit "Ja" geantwortet, aber jetzt? Er hat mich betrogen. Betrügt man die, die man liebt?

"Keine Ahnung", antworte ich ehrlich und lasse mich neben sie fallen. "Es ist kompliziert."

"Muss ich ihm eine knallen?"

Ja, bitte. Gib ihm Ohrfeigen, bis er umfällt. "Nein, schon okay." Ich muss lächeln. "Aber danke."

Sie nickt und spielt mit einer meiner Haarsträhnen, die sich aus meinem Zopf gelöst haben. "Weißt du, was dich ablenken wird?"

"Was denn?", frage ich und sehe sie an.

Eliza grinst. "Nägel lackieren."

**

Quinn

Mir ist kotzübel. Am liebsten würde ich in mein Bett kriechen und nie wieder aufwachen, aber ich stehe hier, neben Eliza, in der VIP-Lounge der Arena und warte darauf, dass Stations auf die Bühne kommt. Wenigstens habe ich sie überzeugen können, dass wir extra früh auf unsere Plätze gehen, damit ich Aiden nicht treffen muss.

Ich sehe auf meine pink lackierten Fingernägel und versuche, nicht an die Tatsache zu denken, dass ich nachher höchstwahrscheinlich Aiden treffen werde.

Bevor ich mich weiter in meine verzweifelten Gedanken stürzen kann, geht das Licht aus und Eliza klammert sich an mein Shirt.

"Es geht los!", quietscht sie und ich zwinge mir ein Lächeln ab, auch wenn sie es nicht sieht.

Als Erstes kommt Grayson auf die Bühne, lässt sich bejubeln und nimmt schließlich hinter seinem Schlagzeug Platz. Er trägt eine neongelbe, mit Patches besetze Lederjacke und dazu eine tiefsitzende, lockere Jeans. Seine Brust ist frei und seine Muskeln zeichnen sich bei jeder Bewegung unter seiner Haut ab.

Hoffentlich lebt Eliza noch, bei dem Anblick.

Dann kommt Olive und lässt sich ebenso feiern. Sie hat ihre Augen dunkel geschminkt, ihre langen, schwarzen Haare fallen ihr über den Rücken. Sie trägt ein kurzes, schwarzes Top und passende Shorts mit Fransen dazu.

Jordan kommt auf die Bühne, schöner als je zuvor. Oder vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, schließlich versuche ich krampfhaft, mich auf alles außer Aiden zu konzentriere.

Sie hat ein enges Top an, mit viel Ausschnitt. Ihre dünne Lederhose sitzt perfekt und ihre Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden.

Und dann kommt der Moment, vor dem ich Angst gehabt habe. Aiden trifft als Letzter aus dem Schatten, mit zerzaustem Haar und ganz in schwarz gekleidet. Er macht kein so ein Theater wie die Anderen, sondern geht direkt zu seinem Mikrofon, nimmt seine Gitarre und gibt Grayson das Zeichen, anzufangen.

Ich würde gerne wegsehen. Ich will Aiden nicht anstarren, jede Bewegung von ihm fühlt sich wie ein Schnitt in mein Herz an. Aber ich kann nicht. Weil ich ihn immer noch liebe.

Genau das wird mir bewusst, als er anfängt, zu singen und ich ihn anstarre.

Ich liebe ihn immer noch, obwohl er mich betrogen hat. Ich liebe ihn so sehr, dass allein sein Einblick wehtut.

Eine Träne rollt meine Wange hinab und schon bald heule ich wie ein Wasserfall. Ich heule, weil einfach alles so beschissen ist. Ich liebe Aiden doch, warum konnte nicht einfach alles gut sein? Warum musste alles kaputt gehen? Und warum kann ich ihn nicht einfach hassen? Er hat mir wehgetan, er tut es in diesem Moment, warum also kann ich ihn nicht hassen?

Ich schaue weg von Aiden, konzentriere mich stattdessen auf Grayson, der wie ein Verrückter auf die Drums einschlägt.

Ich muss mich zusammenreißen, wenn ich immer noch weine, wenn das Konzert vorbei ist, wird Eliza merken, dass etwas nicht stimmt und Mom auch. Und ich bin nicht wirklich in der Stimmung, ihnen zu sagen, was heute passiert ist. Ich will es einfach vergessen.

Ich will die Wochen mit Stations vergessen, ich will zu meinem alten, langweiligen Leben ohne Rockstars zurückkehren.

Und in diesem Moment habe ich eine Idee. Eliza und Andrew werden nach dem Konzert den Flieger zurück nach LA nehmen. Und ich werde mitkommen. Ich muss nur Mom überzeugen und dann bin ich weg.

Ich werde einfach alles, was in den Sommerferien passiert ist, vergessen. Ich werde bis Schulanfang bei Eliza bleiben und dann wieder ganz normal zur Schule gehen. Ich werde meinen Abschluss machen und studieren.

Ich schüttle den Kopf, um diese dummen Gedanken abzuschütteln. Ich kann es mir einreden, so lange ich will, ich werde Aiden nie vergessen können.

Die Art, wie er mich berührt, wie er mich ansieht, wie er mir durch die Haare fährt. Ich werde mich an jedes seiner beschissenen Tattoos erinnern, an seine Haare und jedes verdammt Wort, das wir je miteinander gewechselt haben.

Weil ich ihn liebe.

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