12| Von Küssen und Krawatten
Quinn
Überrascht reiße ich meine Augen auf. Genauso schnell, wie Aiden mich geküsst hat, löst er sich auch wieder von mir.
Er tritt einen Schritt zurück und fährt sich durchs Haar. "Ähm, sorry", meint er leise und bevor ich antworten kann, hat er sich schon umgedreht und ist im Schatten zwischen der Gasse verschwunden.
Überfordert lasse ich mich an der Mauer entlang rutschen, bis ich am Boden sitze. Und ohne, dass ich was dagegen tun kann, laufen mir Tränen über die Wangen. Weil, es ist halt echt beschissen, wenn Aiden mich zuerst auf ein Date einlädt, dann mit mir abhaut, mich dann küsst und dann einfach geht.
Ich sollte mich ja eigentlich freuen, aber das kann ich wirklich nicht. Erstens hab ich keinen Plan, wo ich bin und zweitens hat Aiden seinen Kuss mit mir offensichtlich nicht gerade gut gefunden. Sonst wäre er doch dageblieben oder nicht?
Ich weiß nicht, wie lange ich so dasitze. Irgendwann stehe ich jedenfalls wieder auf und streiche mein Haar zurück. Ich recke mein Kinn eigenartig vor, was so viel heißen soll, wie 'was macht mir das schon aus' und stapfe los.
Ich versuche, den Weg zurückzulaufen, den wir hergekommen sind, aber schon bald verlaufe ich mich fürchterlich. Die Sonne brennt in ihrer vollen Mittagshitze vom Himmel und ich irre durch die Straßen von Las Vegas. Wirklich ganz toll. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.
Ich ziehe mein Handy hervor und überlege. Ich kann nur Mom anrufen, aber ich will auch nicht, dass sie sich unnötig Sorgen macht. Außerdem braucht sie nichts von Aiden und mir erfahren. Wenn da überhaupt was ist.
Aber ich habe keine andere Wahl. Ich wähle ihre Nummer und warte, dass sie abhebt. Ich lasse mich am Straßenrand nieder und die anderen Leute, die unterwegs sind, schauen mich komisch an. Wahrscheinlich sehe ich total verheult aus.
"Quinny? Was ist denn los?", fragt meine Mom und sie klingt doch tatsächlich genervt. Ob ich sie störe?
"Ich, äh, ich hab mich verlaufen", antworte ich leise und sehe auf meine Füße.
"Was? Du musst lauter sprechen Schatz, ich verstehe dich nicht. Grayson, hab ich nicht gesagt, hier drin wird nicht geraucht!"
Ich zucke zusammen, als meine Mom offensichtlich Grayson anschreit. Ich hab sie noch nie schreien gehört.
"Ich hab gesagt, ich habe mich verlaufen!", sage ich laut und ein älterer Mann wirft mir einen genervten Blick zu. Was gibt's zu glotzen, kümmere dich um deinen eigenen Kram!
"Wie konnte das denn bitte passieren?!", will Mom wissen und ich muss erstmal überlegen. Was soll ich ihr denn jetzt sagen?
"Ich wollte mir einen Milchshake kaufen und hab mich auf dem Weg dahin verirrt", lüge ich und bin froh, dass sie nicht sieht, wie ich rot werde.
"Aiden ist doch im Hotel. Kann er dich nicht holen?"
"Ich hab seine Nummer nicht."
"Ich ruf ihn an, ja? Pass auf dich auf, okay?"
"Ja, mach ich. Und danke."
"Bitte. Ich muss dann auflegen, bis später", sagt sie und hat schon aufgelegt, bevor ich mich auch verabschieden kann. Naja, das scheint hier in Vegas sowieso überbewertet zu sein.
Und erst jetzt kommt es mir: Wie soll Aiden mich denn bitte finden? Ist ja nicht so, dass es hier nur drei Straßen gibt. Außerdem, was soll ich denn dann sagen, wenn er mich doch irgendwann findet? 'Hey, toll, dass du mich doch noch abholst!' oder 'Hey, da bist du ja wieder! Ich hab deine bescheuerten Lippen auf meinen schon vermisst!'.
Warum muss ich mich auch verlaufen? Also noch dümmer geht's ja nicht mehr. Jeder Tourist findet sich hier zurecht und ich mich nicht!
Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen und stöhne. Ich will nach Hause.
"Hey", sagt plötzlich eine mir nur zu bekannte Stimme und ich sehe auf. Aiden steht vor mir, mit zerknirschtem Gesichtsausdruck und schaut zu mir runter.
"Hey? Hey?!" Wütend springe ich auf und ehe er sich versieht landet meine Hand auf seiner Wange.
Überrascht sieht er mich an und starrt dann auf meine Hand, mit der ich ihm eine Ohrfeige verpasst habe. "Was-", setzt er an, doch ich unterbreche ihn.
"Nichts was! Geht's eigentlich noch?! Zuerst küsst du mich und dann lässt du mich einfach stehen! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie du mich damit verletzet hast?! Was stimmt denn bei dir nicht!?", spucke ich ihm entgegen und erstmal sagt er nichts. Er starrt mich nur entgeistert an.
"Was? Hat's dir jetzt die Sprache verschlagen oder was?", meine ich giftig und erschrecke vor mit selbst. Ich glaube, so wütend bin ich noch nie gewesen.
"Ich- tut mir leid. Ich war nur überfordert. Ich kenne das nicht, dieses komische Gefühl, wenn du in der Nähe bist. Es macht mir Angst, okay? Es macht mir verdammt nochmal Angst, Quinn! Ich weiß auch nicht, was da bei mir falsch läuft! Es tut mir leid", sagt Aiden und plötzlich sieht er extrem hilflos aus.
Und erst jetzt bemerke ich seine roten Augen und die Wasserflecken auf seinem T-Shirt. Und da tut es mir auch schon wieder leid, dass ich ihn so angeschrien habe.
"Okay. Aber das machst du ständig, verstehst du? Ständig lässt du mich einfach so stehen. Das ist echt scheiße", meine ich und lasse mich wieder auf den Bordstein fallen.
Er setzt sich langsam neben mich. "Ich weiß. Ich bin scheiße in sowas. Wenn's kompliziert wird, dann hau ich ab. Das hab ich immer schon gemacht und immer schon fanden das alle scheiße. Aber ich-ich kann doch nichts dafür! Was soll ich denn machen? Man hat mir nie beigebracht, wie man sowas besser macht!"
Aiden klingt, als müsse er gleich weinen und es bricht mir das Herz. Wieder will ich ihn umarmen und diesmal mache ich es auch. Scheiß drauf. Ich schlinge meine Arme um ihn und lege meinen Kopf auf seine Schulter.
"Ist schon okay. Ich bin doch auch kein Profi", sage ich und drehe meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen kann. Eine einzelne Träne läuft aus seinen schwarzen Augen und seine Wange entlang.
"Du bist aber besser! Du haust nicht ab."
Ich sage nichts darauf, ich weiß schlicht nicht, was ich sagen sollte. Aiden lehnt seinen Kopf an meinen und seine Hände finden meine. Er verschränkt sie ineinander und es jagt mir einen Schauer über den Rücken. Einen angenehmen Schauer.
Und in diesem Moment wird mir bewusst, dass ich ihn liebe. Ich liebe Aiden, mehr als ich jemals dachte, ich könnte jemanden lieben. Ich liebe ihn so sehr, ich kann gar nicht lange böse auf ihn sein. Denn auch wenn er sich schon in der kurzen Zeit, in der wir uns kennen, oft genug daneben benommen hat, ich liebe ihn trotzdem. Oder vielleicht gerade deshalb.
**
Aiden
20 Minuten zuvor
Aiden rennt. Er rennt einfach und lässt Quinn hinter sich. Er will weg, aber gleichzeitig auch zurück. Es zerreißt ihn förmlich, dieses komische Gefühl, dieses unsichtbare Band, das ihn zurück zu Quinn ziehen will.
Er flucht. Warum hat er sie geküsst? Warum hat plötzlich nichts mehr in seinem Kopf funktioniert und sein Herz hat die Kontrolle übernommen? Und warum zum Teufel meint sein Kopf, wo er jetzt endlich wieder funktioniert, er müsse abhauen?
Aiden sieht sich zum ersten Mal richtig um. Er ist aus den kleinen Gassen und Seitenstraßen raus und steht jetzt auf einem Platz voller Menschen. Manche werfen ihm komische Blicke zu und manche scheinen ihn zu erkennen, aber es kümmert ihn wenig.
Er muss zurück zu Quinn. Das weiß er und er will auch zurück. Aber er hat Angst. Und zum ersten Mal würde er das auch zugeben. Er hat Angst, dass sie wütend auf ihn ist, dass sie genug davon hat, dass er ständig abhaut. Und er würde es verstehen.
Aber Aiden will nicht, dass sie wütend auf ihn ist. Er will, dass Quinn lacht und dass sie glücklich ist und dass sie sagt, er mache sie glücklich.
Und da läuft die erste Träne seine Wange hinab. Er weiß nicht mal, warum, aber sie läuft herunter und tropft auf sein T-Shirt mit dem 'Nirvana'-Logo drauf. Und der einen folgt die zweite und der zweiten folgen ganz viele.
Aiden steht wie bekloppt mitten in Las Vegas und heult sich die Seele aus dem Leib. Und so kann er definitiv nicht zu Quinn zurück. Weil, es ist hat echt bescheuert, wenn man zuerst alles ruiniert und dann so tut, als sei man selbst das Opfer.
Nach einer kleinen Weile wischt er sich mit dem Saum seines Shirts über die Augen und beschließt, nach Quinn zu suchen. Er muss sich entschuldigen, muss versuchen, es ihr zu erklären.
**
Quinn
"Lass uns ins Hotel zurück", meint Aiden irgendwann und rappelt sich auf. Von seinen Tränen ist nichts mehr zu sehen und er scheint sich beruhigt zu haben.
"Okay. Vielleicht sind Mom und die anderen schon da", sage ich.
Er zieht mich auf die Beine und führt mich zielstrebig die Straße entlang. "Vielleicht."
Ich habe tausend Fragen und ich würde sie ihm gerne alle stellen, aber ich will nicht aufdringlich sein. Es scheint ihn wirklich fertig zu machen und ich will kein Salz auf die Wunde streuen.
"Aiden?", frage ich vorsichtig und beschleunige meine Schritte, sodass ich neben ihm laufe.
"Hm?"
"Was meintest du vorher, dass es dir niemand beigebracht hat?"
Er seufzt und fährt sich durchs Haar.
"Du musst nicht antworten, ist schon okay, wenn du das nicht willst", meine ich schnell und er schüttelt den Kopf.
"Nein. Du hast ein Recht, es zu erfahren. Ich hab dir ja von meinem Dad erzählt."
Ich nicke.
"Und nachdem er weg war, da hat sich halt niemand mehr um mich gekümmert. Mom hat mich auch schon davor nicht mit dem Arsch angeschaut und danach auch nicht. Ich war erst zehn, da muss man halt noch viel lernen. Und ich hatte niemanden, der mir das alles gezeigt hat. Ich weiß nicht, wie man flirtet, ich weiß nicht, wie man richtig tanzt, ich weiß noch nicht mal, wie man seine scheiß Krawatte bindet! Und ich weiß eben auch nicht, wie man in komplizierten Situationen reagiert. Bis jetzt bin ich mit abhauen gut klargekommen."
Kurz schweigen wir, dann lächle ich leicht. "Weißt du, das finde ich eigentlich gar nicht schlimm. Das mit dem tanzen und so. Weil ich kann das nämlich auch nicht. Und es macht doch viel mehr Spaß, sowas zusammen zu lernen, oder?", versuche ich ihn aufzuheitern und es funktioniert.
Er grinst schief. "Stimmt. Und ich trag sowieso viel lieber Fliegen."
Aiden streckt seine Hand nach meiner aus und ich ergreife sie. Er zieht mich zu sich und legt seinen Arm um meine Schulter.
"Wegen dem Kuss vorhin-"
Ich unterbreche ihn: "Ich fands gut. Also es hat mir gefallen."
"Echt?" Er hebt eine Augenbraue. "Es ging dir nicht zu schnell?"
"Nö. War ja nur ein Kuss. Ich hüpf jetzt halt nicht gleich mit dir ins Bett, das muss dir klar sein", meine ich und er lacht.
"War mir klar."
Vor uns taucht das Hotel auf und erleichtert atme ich auf. Ich werde es bis wir fahren kein einziges Mal verlassen, so viel ist sicher.
"Ich sollte nicht mehr allein mit dir irgendwo hingehen", sagt Aiden und ich runzle fragend die Stirn.
"Warum?"
"Weil wir jedes Mal zum Hotel laufen müssen."
"Ist doch nicht schlimm."
"Echt? Die anderen Frauen waren schon zickig, wenn die Limo nicht vor dem Eingang parken konnte."
"Soll ich zickig werden?", frage ich verwirrt und er schüttelt den Kopf.
"Bitte nicht. Mir ist das so viel lieber." Er hält mir die Tür auf, wofür er meine Hand loslassen muss, und bleibt dann draußen stehen.
Ich hebe eine Augenbraue. "Was machst du?"
Aiden hält eine Packung Zigaretten hoch und ich seufze unzufrieden. Irgendwann werde ich ihm das abgewöhnen.
"Ich geh schon mal", meine ich und er nickt, während er sich eine Kippe anzündet.
Ich beschließe, zuerst ins Hotelzimmer zu gehen und mein Gesicht vom Makeup zu befreien. Es muss mich ja nicht jeder total verheult sehen.
Der Fahrstuhl öffnet sich mit einem leisen 'Pling' und ich trete auf den Flur. Mom kommt gerade aus dem Zimmer und reißt die Augen auf, als sie mich sieht. Sie drückt mich an sich und fährt mir erleichtert durchs Haar.
Ich tätschle leicht ihren Arm und versuche, mich zu befreien. "Schon gut Mom, du musst mich nicht erdrücken", sage ich und sie lässt mich los.
"Tut mir leid. Ich hab mir nur Sorgen gemacht. Was machst du denn immer Quinny?"
Ich atme tief ein und aus und sehe zu Boden. Ich muss mir eine glaubwürdige Lüge einfallen lassen.
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