1| Von Kartons und Bands

Quinn

Ich hasse es wirklich umzuziehen. Ich hasse es, mein Zimmer neu einräumen zu müssen, meine Freunde zurückzulassen, neu anzufangen und nie irgendwo richtig zuhause zu sein. Ich hasse es, dass meine Mom nie irgendwo wohnen bleiben konnte. Und ich hasse es, immer neue Sprachen lernen zu müssen.

Ursprünglich kommen Mom und ich aus Dublin, aber schon als ich vier Jahre alt war, zog sie mit mir nach Straßburg, in Frankreich.

Fünf Jahre später sind wir dann nach München gezogen, weil meine Mom Frankreich doch nicht so gut fand und dann wollte sie unbedingt ans andere Ende der Welt nach Los Angeles. Und da ich erst 15 bin, muss ich mit, ob ich wollte oder nicht.

Hier stehe ich also, in unserem drei Zimmer Apartment irgendwo eingequetscht in der Innenstadt LAs. Klar, von manchen ist das vielleicht der Traum, aber ich will doch einfach mal irgendwo bleiben können. Da, wo meine Freunde sind, wo ich mich auskenne und ich nicht immer die Neue bin.

"Quinn, hilfst du mir bitte hier mal?", unterbricht meine Mom meine Gedanken und ich verdrehe die Augen. Immer umziehen wollen aber dann den ganzen Kram nicht allein verräumen können.

"Wobei denn?", frage ich zurück und streiche mir eine meiner roten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ja. Rot. Und nein, ich färbe sie mir nicht so. Das ist angeboren. Und ja ich weiß, irisch und rote Haare, das ist doch mal wieder total typisch, aber da kann ich ja nichts dafür.

"Du musst mir schnell was abnehmen", sagt Mom und ich drehe mich seufzend zu ihr um. Sie balanciert mehrere Kartons übereinander und ich schüttle den Kopf. Da hätte ich ihr auch gleich sagen können, dass das nicht funktioniert.

Ich schnappe mir den oberen und stelle ihn ab.

"Danke Quinny. Bist du in deinem Zimmer schon fertig?" Ich schüttele erneut den Kopf und öffne den Karton, in dem sich Küchengeräte befinden.

"Noch nicht. Ein Karton mit meinen Klamotten fehlt noch." Ich nehme Mom noch die beiden anderen ab und öffne sie, auf der Suche nach meinen Sachen. Im Letzten werde ich fündig.

"Kannst du mir dann helfen, wenn du fertig bist?", fragt Mom und bindet sich ihre Haare zusammen.

"Jap", meine ich und verschwinde mit meinen Klamotten in meinem Zimmer.

**

Aiden

Aiden runzelt die Stirn und betrachtet eine Aufnahme von dem Konzert von letzter Woche. Wenn man ganz genau hin sieht, kann man das Blut auf Graysons Hemd erkennen.

Er flucht und schleudert das Foto von sich. Dieser Idiot passt einfach nie richtig auf. Wenn ihre Fans das Blut ebenfalls fanden, konnte sich Stations auf was gefasst machen.

Da hört er ein Räuspern hinter sich und dreht sich um.

"Was?", motzt er den Tourmanager Nathan an und hebt genervt eine Augenbraue. Der konnte ihn auch nie allein lassen.

"Ihr müsst in 20 Minuten auf die Bühne."

"Na und?"

"Du warst noch nicht in der Maske."

"Ich geh nie in die Maske und das weißt du auch."

Nathan schüttelt den Kopf, so oft hat er diese Diskussion schon geführt. "Was ist dein Problem, alle anderen gehen doch auch."

"Ich aber nicht, also find dich damit ab oder such' dir nen neuen Job."

Aiden schiebt sich an ihm vorbei und verlässt den Raum, in dem er noch vor einer Minute ungestört war. Wütend rauscht er den langen Flur des Backstage-Bereichs entlang, bis er vor der Tür zum Aufenthaltsraum anhält und ohne anzuklopfen hinein platzt.

Olive sieht von ihrem Smartphone auf und hebt eine ihrer gepiercten Augenbrauen. Ihre Augen sind wie immer dunkel geschminkt und sie trägt ein ärmelloses Lederoberteil, das ihre Tattoos perfekt zur Geltung bringt. Ihre Haare sind schwarz gefärbt und zu einem lässigen Konten zusammen gebunden, außerdem hat sie eine Zigarette zwischen den Fingern.

"Was gibt's Denny?"

"Wo sind die Anderen?", zischt Aiden und sieht sich im Raum um, aber von seinen Bandkollegen Jordan und Grayson ist nichts zu sehen.

"Die wollten noch rumknutschen bevor es auf die Bühne geht. Könnten wir ja auch machen", meint sie verführerisch und er schüttelt wütend den Kopf.

"Sicher nicht. Wo genau sind sie hin?"

Olive wirft ihr Handy zur Seite und verschränkt die Arme. "Warum willst du das wissen?"

"Liv. Ich muss mit Gray reden, er hat Scheiße gebaut."

Sie reißt die Augen auf. "Wie schlimm?"

"Schlimm genug. Also, wo ist er?"

"Im Gang ganz hinten links."

Aiden nickt ihr zu und schließt die Tür hinter sich. Er findet es eklig, dass seine Bandkollegen untereinander rummachen, er mag das nicht. Dafür mögen die anderen nicht, wenn er raucht. So ist das nun mal.

Er stößt die Tür zu dem Zimmer, das Olive ihm genannt hatte, auf und seine Bandkollegen Jordan und Grayson sehen geschockt auf. Aiden packt ihn im Nacken und zieht ihn mit sich aus dem Raum.

"Hallo, was soll das bitte, Denny?", beschwert sich der Blonde.

"Willst du was wissen, Gray?!", ruft Aiden und bleibt im Gang stehen. "Wegen deiner scheiß Kifferei, haben wir vielleicht bald die ganze Presse am Hals und du fragst was das soll?!"

Verwirrt sieht Grayson ihn an. "Wovon redest du bitte? Warum sollten wir die gesamte Presse am Hals haben?"

"Letzte Woche! Wo du so bekifft warst, dass du es nicht für nötig gehalten hast, dein scheiß Hemd zu wechseln!"

Aiden lässt seinen Bandkollegen los und fährt sich durch sein dreckblondes Haar. Ein besseres Blond gibt es nicht, weil schwarz lässt sich halt schlecht überfärben.

Grayson sieht zu Boden. "Ja scheiße man, ich hab's halt vergessen. Ich hab Jordan auf die Lippe gebissen und das hat dann halt so geblutet. Als ob dir noch nie ein Fehler passiert ist!"

"Doch schon, nur hatte ich dabei kein verficktes Blut auf meinem blöden Hemd!"

Da kommt Jordan ebenfalls aus dem Raum und sieht die beiden Jungs wütend an."„Ganz ehrlich, ihr seid sowas von kindisch." Sie dreht sich zu Aiden. "Du, du musst nicht immer gleich so ausrasten." Dann wendet sie sich Grayson zu. "Und du, du Idiot, hörst endlich mit der scheiß Kifferei auf, sonst wars das mit uns, klar?"

Ohne auf eine Antwort zu warten dreht sich das braunhaarige Mädchen um und lässt die beiden verdutzt zurück.

Nathan kommt um die Ecke und als er sie sieht, wird sein Blick finster. "Sag mal, was steht ihr hier rum? Stations sollte schon seit zwei Minuten auf der Bühne sein. Wo sind Olive und Jordan?"

"Weiß ich doch nicht, jetzt mach kein Drama draus. Zwei Minuten hin oder her", motzt Aiden und zieht Grayson in Richtung Bühnenaufgang. So wie er seine Bandkolleginnen kennt, werden sie dort schon warten.

Die beiden Jungs laufen eilig durch den Gang, und je näher sie der Bühne kommen, desto deutlicher können sie ihre Fans in der Halle hören. Lautstark verlangen sie nach der Band.

"Na, Boys? Habt ihr euch endlich wieder eingekriegt oder kommen wir heute gar nicht mehr auf die Bühne?", fragt Olive und fummelt sich ihre In-Ears in die Ohren.

Aiden schnaubt und schnappt sich eine Wasserflasche, die er in wenigen Zügen leert. "Frag das Grayson und nicht mich, der ist hier doch der Idiot."

Jordan runzelt die Stirn und Gray sieht zu Boden. "Hör jetzt damit auf, Denny. Er hat einen Fehler gemacht, sich dafür entschuldigt und das wars."

Aiden verdreht die Augen und will zu einer patzigen Antwort ansetzten, aber Nathan unterbricht ihn, indem er zuerst ihn und dann die anderen auf die Bühne schiebt.

Stations wird von tosendem Applaus empfangen und kurz ist Aiden von den Scheinwerfern geblendet, dann schaltet sein Körper auf Auftritt-Modus und er setzt sein berühmtes "de Vil"-Grinsen auf und schnappt sich seine Gitarre.

Damit bezieht er seine gewohnte Position hinter dem Mikrofon. Kaum nimmt er wahr, wie seine Bandkollegen ebenfalls auf ihre Plätze gehen.

"Na, wie geht's euch, San Francisco?!", ruft Aiden und das Publikum beginnt zu toben. "Na dann, legen wir mal los!"

Grayson zählt ein und dann beginnt Stations ihr Konzert. Die Lichter tanzen durch die Arena und der Boden bebt unter dem harten Rhythmus des Punkrock.

**

Quinn

Unsicher stehe ich im Flur meiner neuen Schule. Es ist so ganz anders als in München und wieder einmal überrollt mich eine Welle von Heimweh. Ich will einfach wieder zurück.

"Äh, hi. Brauchst du Hilfe?", fragt jemand hinter mir und ich drehe mich um.

Ein kleines Mädchen mit wilden blonden Locken steht mir gegenüber und lächelt mich freundlich an. Dankbar erwidere ich ihr Lächeln.

"Ja, das wäre ganz nett. Ich muss zu Bio."

"Ich auch, ich kann dich hin bringen. Ich bin übrigens Eliza."

Eliza streckt mir ihre Hand entgegen und ich ergreife sie. "Quinn."

Sie geht voran und führt mich zielstrebig durch den Gang. "Quinn. Das ist irisch, oder?"

Ich nicke. "Meine Mom und ich kommen aus Irland, aber wir sind oft umgezogen. Zuletzt waren wir in München", erzähle ich und weiche einem braunhaarigen Jungen aus, der auf seinem Skateboard an Eliza und mir vorbei rast.

"Deutschland? Ich liebe Deutschland!", ruft sie und beachtet den Jungen nicht weiter. Anscheinend ist das hier nicht so unüblich.

"Ich auch. Deshalb wollte ich eigentlich auch da bleiben, aber Mom wollte unbedingt hier her. Also sind wir das."

"Naja, so schlecht ist LA jetzt auch nicht. Wir haben gutes Essen-"

"Ich liebe amerikanisch", werfe ich ein.

"- Hier kann man an jeder Ecke nen Promi finden-"

"Oh, aufregend."

Eliza wirft mir einen strafenden Blick zu. "- Und unsere Musik ist definitiv die beste."

Ich hebe eine Augenbraue und sehe sie ungläubig an. "So. Zum Beispiel?"

Wir betreten einen großen Klassenraum, in dem bereits einige Schüler auf ihren Plätzen sitzen. Unter deren Blicken folge ich Eliza zu ihrem Tisch.

"Na zu Beispiel Maroon 5, The Black Eyed Peas und Stations."

Na gut, also die ersten beiden kenne ich natürlich, aber von Stations habe ich noch nie gehört. Doch bevor ich sie danach fragen konnte, klatscht die Lehrerin in die Hände und im Klassenzimmer wird es ruhig.

Peinlich berührt sehe ich mich um und Eliza verdreht die Augen, bevor sie mich am Ärmel auf den Platz neben sich zieht.

"Was stehst du denn da rum?", flüstert sie, während die Lehrerin, deren Namen mir niemand mitgeteilt hat und den ich dementsprechend auch nicht kenne, mit dem Unterricht beginnt. Soweit ich das erkennen kann, geht es um Genetik.

"Ich dachte, ich muss mich jetzt vorstellen oder so", flüstere ich zurück und ziehe so leise wie möglich mein Buch hervor.

"Ne, warum das denn? Bei uns kommen und gehen so viele, da würden wir aus dem Vorstellen gar nicht mehr rauskommen.", erklärt Eliza und ich nicke. Noch etwas, das nach dem Skateboard-Jungen anders war als in Deutschland. Wobei ich überhaupt nichts dagegen hatte, um das Vorstellen herum gekommen zu sein.

**

Quinn

"Hey Eliza. Wegen vorhin, wer genau ist Stations ?", frage ich, während ich lustlos in meinem Salat herum stochere. Es ist Mittagspause und genau wie an meiner alten Schule gibt es nicht unbedingt das appetitlichste Essen, weswegen ich mich für die gesunde Variante entschieden habe.

"Du kennst Stations nicht?", sagt sie ungläubig und ich zucke nur mit den Achseln.

"Also. Das ist so eine Punkrock Band, die in letzter Zeit voll durch die Decke geht. Sie besteht aus vier Mitglieder, zwei Jungs, zwei Mädchen. Grayson Hall ist der Schlagzeuger und einfach mega cute. Er hat super süße blonde Locken und wenn er spielt..."

Ich unterbreche Eliza, da ich merke, dass sie zu sehr ins Detail geht. "Schon gut. Grayson ist der Süße. Weiter?"

Sie nickt. "Ja, sorry. Jordan Carter ist die Bassistin und hat einfach nur perfekte braune Haare. Sie ist eher immer ruhig, aber wenn sie anfängt zu singen, kriegst du richtig Respekt vor ihr. Sie ist einfach mega. Olive Ramirez spielt das Keyboard. Sie trägt meistens schwarz und auch sonst ist sie halt so typisch Rocker, schwarze Haare, mit Tattoos und so. Aber ich find sie mega sympathisch."

"Haben die anderen keine Tattoos?", frage ich, einfach weil ich bisher keinen Rockstar ohne Tattoos kenne.

"Doch klar. Warte schnell." Eliza zieht ihr Smartphone hervor und hält es mir unter die Nase.

Zu sehen ist ein Foto von einem blonden, jungen Mann, dessen Locken einen harten Kontrast zu seinem dunkelgrünen Hemd darstellen. Die braunen Augen hat er zusammengekniffen und in den verschränkten Armen hält er zwei Drumsticks. Das muss dann wohl Grayson sein. Also so süß finde ich ihn jetzt nicht. Eher einschüchternd. Aber gut.

"Das ist Grayson", sagt Eliza unnötigerweise und wischt zum nächsten Bild.

Das Mädchen, vermutlich Jordan, hat etwa brustlange, glatte braune Haare, blaue Augen und auf dem Foto sieht sie überhaupt nicht aus wie ein Rockstar. Eher wie ein Model. Einzig der Bass und die Lederjacke, die sie trägt, lassen darauf schließen, dass sie Rockmusik macht.

"Das ist Jordan. Das Foto ist schon bisschen älter, inzwischen hat sie da an ihrem Hals ein Blumen Tattoo, aber sonst sieht sie gleich aus."

Ich nicke und sie wischt wieder weiter.

Auf dem Bild ist ein schwarzhaariges, blasses Mädchen zu sehen. Mit schwarzem Kajal hat sie ihre blauen Augen umrandet und die Lippen sind dunkelrot geschminkt. Sie hat mehrere Piercings, an der Augenbraue, in der Lippe und in der Nase und an ihrem Hals kann man mehrere Tattoos erahnen.

"Das ist Olive. Sie legt viel Wert auf ihr Aussehen und nur selten erwischt man sie mal in was Buntem. Aber sie ist eigentlich echt lustig und gar nicht so düster wie du vielleicht denkst", erklärt mir Eliza und wieder nicke ich.

"Und wer ist das?"

Sie hat zum nächsten Foto gewischt und auf dem ist ein Junge mit dunkelblondem Haar zu sehen, das ihm wirr vom Kopf absteht. Seine dunklen Augen wirken fast schwarz und in seinem Blick liegt etwas, das mich automatisch schaudern lässt. Seine Nägel sind schwarz lackiert und er trägt ein gemustertes Hemd mit Lederjacke.

"Das" Eliza grinst. "Das ist Aiden de Vil. Er ist der Frontsänger der Band. Und er sieht so verdammt gut aus!"

Naja, ich würde ihn jetzt eher als durchschnittlich bezeichnen, aber er war auch nicht wirklich mein Geschmack. Badboys habe ich noch nie wirklich anziehend gefunden, die benehmen sich immer wie Arschlöcher.

"Du kennst dich aber gut aus", stelle ich fest und hebe eine Augenbraue.

"Ja, naja, ich find sie halt gut. Eigentlich hat mein Dad Konzertkarten geschenkt bekommen aber da hat er keine Zeit und deshalb darf ich hin gehen. Ich musste mich doch über die Band informieren, wenn ich zu einem ihrer Konzerte gehe, oder?"

"Ja, denk schon."

Eliza sieht mich aufgeregt an. "Hey, wie wärs, wenn du mit mir mitkommst? Ich hab ja zwei Karten und Dad hat bestimmt nichts dagegen."

Überrascht sehe ich auf. Wir kennen uns doch erst seit heute Morgen und schon will sie mit mir auf ein Konzert gehen. Außerdem war ich erst einmal auf einem und das schon eine Weile her.

"Ich weiß nicht. Meine Mom ist bei sowas voll streng. Außerdem kennen wir uns doch gar nicht richtig, vielleicht bin ich total der Konzert-Muffel?", antworte ich und Eliza sinkt in sich zusammen.

"Okay, klar. Ich versteh schon. Es ist nur so, ich hab so gut wie keine Freunde, nur dich. Und sonst muss ich da allein hin und das ist doch doof, zwischen den ganzen Rock-Fans, da werd' ich noch zerquetscht oder so. Aber wenn du nicht willst ist schon okay."

Sie sieht zu Boden und ich meine, eine Träne in ihrem Augenwinkel erkennen zu können. Schnell lege ich ihr meine Hand auf die Schulter. Ich hasse es, wenn Leute weinen oder traurig sind, dann muss ich immer mitweinen.

"Ich hab ja nicht gesagt, dass ich nicht will. Ich muss nur meine Mom überzeugen."

Eliza grinst mich an und von der Traurigkeit ist keine Spur mehr zu sehen. "Echt? Super!"

Sie fliegt mir überschwänglich um den Hals und wer weiß, was sie noch alles gemacht hätte, hätte in dem Moment nicht die Schulglocke geklingelt.

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