2| Von Terminen und Thunfisch

Aiden

Aiden wippt mit dem Fuß auf und ab, während er zusieht, wie Erin den Raum betritt. Er sitzt bereits mit seinen Bandkollegen im Besprechungsraum des Labels, wo die Tourmanagerin das Treffen organisiert hat.

Er ist müde, er ist nicht mehr daran gewöhnt, komplett allein in seinem Haus zu schlafen. Bisher ist immer irgendwie irgendwer um ihn herum gewesen, aber jetzt nicht mehr.

Er lässt den Blick auf die Tischplatte des unnötig teuren Teils sinken und wartet, dass Erin beginnt, zu sprechen. Aber statt ihr, erhebt Olive das Wort: "Danke."

Aiden sieht jetzt doch auf und hebt eine Augenbraue. Erin schaut die Schwarzhaarige nicht weniger verwirrt an. "Wofür?"

"Dafür, dass du dich für uns eingesetzt hast, uns irgendwie einigermaßen heil aus der ganzen Situation gelenkt hast", erklärt Liv. "Du hättest auch kündigen können, und weil du das nicht hast, wollten wir alle uns bedanken."

Grayson nickt bekräftigend. "Ohne dich wäre die Band jetzt wahrscheinlich Schrott."

Erin lächelt und sieht auf ihre Unterlagen und Aiden schießt durch den Kopf, dass sie genauso auf Komplimente reagiert wie Quinn.

"Ach was", winkt sie ab. "Ist schon okay. Auch wenn ganz schön viel Mist passiert ist" Sie wirft Aiden einen vielsagenden Blick zu. "ich kann euch doch trotzdem nicht einfach so hängen lassen."

Es herrscht kurzes Schweigen, dann räuspert sich die Tourmanagerin. "Ja, also, weshalb wir uns hier getroffen haben. Eure Tour wurde ja abgebrochen, die werdet ihr jetzt erstmal auch nicht fortsetzen. Aber ihr habt nächste Woche einen Termin in einer Talkshow, euren ersten."

Sie zieht vier Blatt Papier aus ihrer Mappe und reicht sie Jordan, die sie an die anderen weitergibt. "Hier drauf steht, was ihr da so alles sagen und antwortet werdet. Ich gebe euch das jetzt schon, damit ihr euch ein bisschen darauf vorbereiten könnt, schließlich habt ihr das ne Weile nicht mehr gemacht."

Aiden sieht auf sein Blatt und runzelt die Stirn. "Aber das ist nicht die Wahrheit."

Laut dem Dokument sollten die Vier lügen. Es wäre alles nur gefakt gewesen, sie hätten noch nie weder Drogen- noch Alkoholprobleme gehabt. Das Gericht hat sich geirrt.

Erin sieht ihn an. "Ich mache die Vorgaben nicht, ich gebe nur weiter, was euer Management mir sagt."

"Aber ich werde doch deswegen nicht lügen, wie stehen wir denn dann da? Wir können doch nicht einfach behaupten, der Richter und die Staatsanwälte hätten sich geirrt!" Er ist aufgestanden, das Blatt Papier hat er in seiner Faust zerknüllt.

"Schrei mich nicht an!" Wütend knallt die Tourmanagerin ihre Mappe auf den Tisch. Aiden starrt sie noch kurz an, seine Brust hebt und senkt sich hektisch, dann zieht Grayson ihn am Saum seines Pullovers nach unten.

"Entspann dich, ja?", meint er leise, aber Aiden schiebt ihn weg. "Ich bin entspannt."

"Jedenfalls." Erin schiebt ihre Unterlagen zurecht, als wäre nichts passiert. "Solltet ihr irgendwelche Fragen oder...Anliegen haben, ruft bei eurem Management oder bei mir an. In den nächsten Tagen werde ich euch eine Liste der Termine in der nächsten Zeit zukommen lassen, damit ihr den Überblick behaltet. Sonst noch was?"

 Sie sieht fragend in die Runde, Aiden meidet bewusst ihren Blick. Als keiner etwas sagt, nickt sie und steht auf. "Dann danke, dass ihr gekommen seid." Sie winkt und verlässt den Raum.

Aiden will auch aufstehen und gehen, aber Grayson zieht ihn zurück. "Bleib mal noch kurz", meint er.

"Warum?" Denny hebt eine Augenbraue und lehnt sich gegen den Tisch, setzt sich aber nicht wieder hin.

Olive nestelt an ihrem Oberteil herum. "Also, wir dachten, weil wir ja alle erst entlassen wurden und so, und es ja auch nicht so einfach momentan ist, dass wir, also-"

Jordan stöhnt. "Meine Güte, als würde Denny dich anspringen." Sie sieht ihn an. "Wir dachten uns, wir könnten ja alle erstmal zusammenziehen. Bei Grayson und mir ist viel Platz, es könnte jeder sein eigenes Zimmer haben und so. Natürlich nur, wenn du einverstanden bist, ohne dich wollen wir das auch nicht machen."

Aiden sieht seine Bandkollegen forschend an. Auch wenn er es nicht zugeben würde, insgeheim freut er sich unglaublich über das Angebot. Er würde nichts lieber als mit ihnen zusammen zu wohnen. Zumindest vorerst.

"Na gut", sagt er und zuckt mit den Achseln. Aber sein Grinsen kann er sich dann doch nicht ganz verkneifen.

**

Quinn

"Wie liefs?", frage ich Mom, die gerade ins Wohnzimmer kommt. Ich rutsche auf dem Sofa etwas zur Seite, sodass sie sich neben mich setzen kann. Meine Lektüre für die Schule ist erstmal nicht so wichtig.

"Gut", antwortet sie und fährt sich durchs Haar. "Sie sind nicht so ganz einverstanden damit, dass sie lügen sollen, aber das wird schon."

"Worüber sollen sie denn lügen?"

"Ach." Sie seufzt. "Das Management will, dass vor allem Aiden die Verurteilung als Missverständnis darstellt. Es hätte nie irgendwelche Drogenprobleme innerhalb der Band gegeben."

Ich runzle die Stirn. "Warum?"

"Ich weiß es nicht, Quinny. Ich hab es auch nur gesagt bekommen." Mom steht auf. "Ich mach uns Abendessen, ja? Ich ruf dich."

Ich nicke. "Okay."

Aber auch als sie aus dem Raum ist, kann ich mich nicht auf mein Buch konzentrieren. Zu sehr sind meine Gedanken mit der Frage, warum Stations nicht die Wahrheit sagen sollen, beschäftigt.

Irgendwie ist es schon nachvollziehbar, schließlich hat der ganze Skandal dem Ruf der Band nicht gerade gut getan. Aber deshalb lügen?

Ich schmeiße mein Buch auf den Couchtisch und greife nach meinem Handy. Ich bin einfach viel zu abgelenkt, um zu lesen. Ich zögere, öffne aber dann doch meine Nachrichten. Unausweichlich fällt mein Blick auf die von Aiden, die inzwischen fast fünf Wochen alt sind.

Aiden: "Quinn."
Aiden: "Quinny-Pooh."
Aiden: "Bitte. Komm zurück."
Aiden: "Lass es mich erklären."

Immer wieder bin ich kurz davor gewesen, ihm doch noch irgendwas zu antworten, aber ich habe es nicht getan. Zu tief sitzen die Erinnerung an die Blondine, an Aiden auf dem Bett.

"Quinny! Kommst du?", ruft Mom genau in diesem Moment und ich stehe schnell auf. Ich will nicht weiter über Aiden nachdenken.

Ich lasse mich an den Tisch fallen und mustere das Essen auf meinem Teller kritisch. Mom gibt sich zwar alle Mühe, besser im Kochen zu werden, aber manchmal sind ihre Kreationen doch ziemlich eigenartig.

"Was ist das?", frage ich zögerlich und pikse es mit meiner Gabel an. Es hat eine seltsam gräuliche Farbe und eine matschige Konsistenz.

"Thunfisch-Auflauf", meint sie stolz und sieht mich auffordernd an. "Probier mal."

Ich schiebe mir langsam eine Gabel voll in den Mund und kaute. Es schmeckt salzig, eindeutig zu salzig. Und zu fischig. Ich mag keinen Fisch, zumindest nicht roh.

"Es ist...interessant. Bisschen zu viel Salz", sage ich zu Mom und sie probiert selber eine Gabel.

"Du hast Recht." Sie trinkt einen Schluck Wasser. "Aber essbar, oder?"

Ich nicke, auch wenn Thunfisch-Auflauf definitiv nicht zu meinem Lieblingsgericht wird. Allzu schlimm ist es wirklich nicht.

Mom nickt zufrieden, als das Telefon klingelt. Sie will aufstehen, aber ich komme ihr zuvor. "Ich geh schon."

Ich sprinte in den Flur und nehme das Telefon. "Hallo?" Anstatt, wie ich gedacht habe, Eliza in der Leitung zu haben, meldet sich eine Frau mit französischem Akzent. Sie klingt älter und ich habe keine Ahnung, was sie will.

"Hallo. Ich bin Antoinette Roger. Sind Sie Erin Casey?", fragt sie und ich verneine.

"Ich bin ihre Tochter, Quinn", erkläre ich und gehe zurück in die Küche, wo Mom mich mit hochgezogener Augenbraue ansieht. Ich zucke mit den Schultern. "Soll ich Ihnen meine Mom geben?"

"Bitte, ja", meint sie und ich reiche das Telefon an Mom. Sie meldet sich und schweigt dann eine Weile, während ich weiter Thunfisch-Auflauf in mich reinschaufle. Es ist wirklich viel zu salzig.

Dann sagt sie: "Ich kann Ihnen seine Nummer nicht einfach geben, das muss ich erst abklären lassen."

Ich hebe den Blick und runzle die Stirn. Von wessen Nummer reden sie denn?

"Ja, werde ich machen. Ja, tschüss." Mom legt auf und ich sehe sie erwartungsvoll an.

"Was wollte sie?"

"Aidens Nummer." Sie schüttelt den Kopf und stellt das Telefon weg. "Aber sie wollte mir nicht sagen, wieso, deshalb frag ich erst Aiden, ob er sie kennt."

"Hm." Ich versuche, mich zu erinnern, ob er schon mal irgendwas über eine Antoinette Roger gesagt hat, aber ich kann mich an nichts erinnern. "Er hat sie nie erwähnt."

"Es ist komisch. Ich klär das morgen einfach."

Ich nicke und schiebe mir schnell den letzten Rest Auflauf in den Mund, dann stehe ich auf. "Darf ich auf mein Zimmer gehen? Hausaufgaben und so?"

Mom seufzt, nickt dann aber. "Geh schon. Aber nachher hilfst du mir beim Abwasch."

"Mach ich."

In meinem Zimmer ziehe ich mein Smartphone hervor und tippe ‚Antoinette Roger' in die Suchmaschine ein, aber alles, was Google mir ausspuckt, ist eine Schauspielerin, die nicht mal Roger mit Nachnamen heißt.

Ich habe das Gefühl, ich sollte diese Frau kennen, aber warum nur? Vielleicht ist sie ja nur ein aufdringlicher Fan, der irgendwie an Moms Nummer gekommen ist. Oder aber auch nicht.

Frustriert, weil ich es nicht weiß, lasse ich mich in mein Bett fallen und stöhne. Ich könnte natürlich auch einfach Aiden anrufen und ihn fragen, aber das käme schon schön blöd. Da ignoriere ich ihn und melde mich dann, nur um nach einer komischen Frau zu fragen.

Ich gehe nochmal auf die Suchmaschine, gebe aber diesmal ‚Aiden de Vil Antoinette Roger' ein. Vielleicht kommt ja jetzt was. Pustekuchen. Eine Liste seiner Ex-Freundinnen wird mir angezeigt, aber sonst nichts.

Ich gebe endgültig auf und versuche stattdessen, mich auf meine Mathe Hausaufgaben zu konzentrieren. Gleichungen zu lösen ist aber gar nicht so einfach, wenn meine Gedanken immer wieder zu der Französin wandern.

Ich meine, warum interessiert es mich überhaupt? Kann mir doch egal sein, wer Aidens Nummer haben will. Wir sind schließlich getrennt.

Es fühlt sich komisch an, das so direkt zu denken. Getrennt. Aber so ist es, wir sind nicht mehr zusammen, er hat mich betrogen. Es ist vorbei.

Fast schon dankbar springe ich auf, als Mom mich zum Abwasch ruft. Ein bisschen Ablenkung kann ich gut gebrauchen.

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