41 | Ehrlichkeit
Ohne viel blabla. Extra lang.
2017.
Sie sah ihn überrascht aus großen Augen an, während er sie mit seinem enttäuschten Blick durchbohrte. Ihr Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. Sie war sich bewusst gewesen, dass trotz ihrer Vereinbarung mit Marten, nicht mit John über ihre Freundschaft mit Extras zu sprechen, das Risiko bestand, dass er es dennoch eines Tages herausfinden würde. Offensichtlich war dieser Tag heute gekommen, und auch, wenn sie immer geglaubt hatte, mit sich im Reinen zu sein, zog sich ihr Herz jetzt schmerzhaft zusammen. Es war härter als gedacht, die Enttäuschung in seinen Augen zu sehen. Schließlich war sie davon ausgegangen, dass sie einander nie wieder so nah kommen und er sich nie so schlecht fühlen würde.
„Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, aber-", setzte sie zu einer Erklärung an, doch er unterbrach sie.
„Sag mir einfach nur, ob es stimmt", forderte er. Seine gesamte Muskulatur war angespannt, seine Kiefer fest aufeinandergepresst.
„Willst du nicht erstmal reinkommen?", fragte sie, doch er verschränkte lediglich seine Arme vor der Brust. Als sie erkannte, dass es keinen Sinn machte, es zu leugnen, seufzte sie schwer.
„Ja. Ist aber schon ein paar Jahre her", gestand sie.
„Warum hast du mir das nicht erzählt?", fragte er angriffslustig.
„Weil ich dir nicht wehtun wollte", antwortete sie ehrlich.
John war im ersten Moment so überrascht von ihrer Offenheit, dass er sie schweigend anschaute.
„Hast du ihn geliebt?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein. Habe ich nicht", versicherte sie.
„Lüg mich nicht an!", fuhr er sie an.
„Ich habe dich geliebt, du Idiot, aber du hast mit mir Schluss gemacht", gab sie anklagend zurück.
„Hast du Marten deshalb gefickt? Um mich zu vergessen?", fragte er vorwurfsvoll.
„So war das nicht", beteuerte sie und streckte ihre Finger nach seinen aus, doch er zog sie sofort weg, als sie ihn berührte. „Ich wollte nie, dass du dich so fühlen musst."
Er stieß ein verächtliches Schnauben aus.
„Darüber hättest du vielleicht nachdenken sollen, bevor du mit ihm geschlafen hast", erwiderte er enttäuscht, ehe er sie einfach stehenließ.
„Mensch, John", rief sie ihm nach, doch er drehte sich nicht einmal zu ihr um.
Sie schluckte schwer. Ob sie ihm nachgehen sollte? Vermutlich war es besser, ihm etwas Zeit für sich zu geben. Sie wusste, dass ein Gespräch gerade keinen Sinn machte, denn er war nicht offen für ihre Erklärung. Also fiel sie schwer seufzend auf die Couch, schnappte sich ihr Handy und wählte Martens Nummer. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Finger zitterten.
„Was ist?", pöbelte Marten, als er den Anruf annahm.
„Jahrelang hast du es ihm nicht gesagt, und jetzt auf einmal überkommt dich ein schlechtes Gewissen?", fragte sie vorwurfsvoll.
„Rufst du mich jetzt an, um mir auf den Sack zu gehen?", gab er gereizt zurück.
„Wow. Du kannst echt ein riesiges Arschloch sein, Marten", erwiderte sie enttäuscht.
„Dann frag gefälligst erstmal, was überhaupt passiert ist, statt mich planlos anzuklagen", forderte er.
Sie biss sich auf die Zunge.
„Okay", lenkte sie ein. „Was ist passiert?"
„Er macht sich Gedanken über dich. Er merkt, dass du Geheimnisse vor ihm hast. Ich habe ihm erzählt, dass deine Sponsoren dich gekickt haben. Er hat sofort gesagt, dass er dir helfen will", erzählte er.
„Das könnte ich niemals annehmen", seufzte sie.
„Weiß ich. Deshalb habe ich ihm versucht, das auszureden, und ihm gesagt, dass ich es auch schon probiert habe, du aber abgelehnt hast. Keine Ahnung, dann ist er irgendwie darauf gekommen, weil es nicht meine Art ist, einer Frau finanziell auszuhelfen. Ich konnte ihn einfach nicht anlügen, Cas. Er ist mein Cousin", rechtfertigte er sich.
Sie strich sich schwer seufzend durch die Haare.
„Wahrscheinlich wäre das alles nur halb so schlimm, wenn du es ihm damals direkt gesagt hättest", sagte sie.
„Kann sein, aber du weißt genau, wie er zu der Zeit drauf war. Außerdem war das eine Sache zwischen uns und ich hätte nicht die Kraft gehabt, ihm zu erklären, warum genau ich das überhaupt zugelassen habe", antwortete er.
Sie atmete tief durch.
„Und was machen wir jetzt?", fragte sie verzweifelt.
„Ihm Zeit geben, bis er sich beruhigt hat. Dann rede ich nochmal mit ihm", versprach er.
„Lass mich das machen, okay?", bat sie ihn.
„Wenn du meinst, dass er dir eher zuhört als mir, lasse ich dir gerne den Vortritt."
„Ich wollte nie, dass er sich so hintergangen fühlen muss. Diese Enttäuschung in seinen Augen..."
Sie brach ab.
„Weil du ihm jetzt wieder etwas bedeutest. Ich meine, jetzt kämpft er ja wirklich um dich. Er lässt es ja sogar zu, dass du ihn praktisch als Sex-Toy benutzt", sagte er.
Sie schluckte, als sie realisierte, dass er Recht hatte. John bemühte sich wahnsinnig um sie, auch, wenn er wusste, dass sie ihre Gefühle für ihn nicht zuließ. Trotzdem war er für sie mehr als nur ein Mann, mit dem sie regelmäßig schlief, und Marten wusste das. Er wusste, dass sie tief in ihrem Herzen immer Gefühle für seinen Cousin gehabt hatte, auch, wenn sie diese seit Jahren verdrängte.
„Dein Ernst, Marten?", platzte es enttäuscht aus ihr heraus. „Du weißt genau, wie wichtig er mir ist."
„Er weiß das aber nicht", konterte er. „Schließlich lässt du ihn nur zum Ficken ran, hältst ihn aber sonst auf Abstand. Was glaubst du, weshalb er mit mir über dich geredet hat? Er kommt darauf nicht klar, dass du ihn körperlich an dich heranlässt, dich aber sonst distanzierst. Vielleicht glaubt er auch, dass du ihn deshalb auf Distanz hältst, weil du tiefere Gefühle für mich hast. Klar, dass das seinen Kopf fickt."
„Du hast Recht", räumte sie leise ein.
„Ich habe fast immer Recht, und das weißt du", gab er zurück.
„Ich muss mit ihm darüber reden", sagte sie entschieden.
„Über uns oder über euch?", hakte er nach.
„Beides, denke ich", antwortete sie.
„Ich kann Joe anrufen und fragen, ob er weiß, wo er steckt", bot er an, doch sie schüttelte den Kopf.
„Musst du nicht. Ich glaube, ich weiß, wo ich ihn finde."
Kurz darauf stieg sie aus ihrem Auto und schlug die Tür hinter sich zu. Dann schaute sie sich suchend in dem kleinen Park um. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Idylle in ein orangerotes Licht. Sie überquerte die Straße und lief den von Bäumen gesäumten Weg entlang, den sie noch vor einigen Wochen gemeinsam mit John gegangen war. Je näher sie dem kleinen Unterstand kam, desto nervöser wurde sie. Sie lächelte erleichtert, als sie John tatsächlich mit dem Rücken zu ihr und dem Gesicht in Richtung Teich gewandt auf der Holzbank sitzen sah.
Als sie ihn schließlich erreichte und er zu ihr herumfuhr, setzte sie ein Lächeln auf.
„Hey...", sagte sie, doch er wandte seinen Blick wieder von ihr ab. Seine Ellbogen hatte er auf seinen Oberschenkeln abgelegt, zwischen seinen Fingern dampfte ein Joint vor sich hin und er hatte die Kapuze seines Hoodies tief ins Gesicht gezogen. Sie strich sich unsicher durch ihre Haare.
„Kann ich mich setzen?", fragte sie und blieb unschlüssig neben ihm stehen.
„Kein Bock auf Gesellschaft", sagte er knapp und zog an seinem Joint, ohne sie anzuschauen.
Sie ließ sich trotzdem neben ihn sinken. Er drehte ihr seinen Kopf zu und musterte sie mürrisch.
„Hab ich mich irgendwie unklar ausgedrückt?"
Seine Stimme war kalt, seine Körperhaltung abweisend. In seinen Augen lag eine tiefe Enttäuschung und er presste seine Kiefer fest aufeinander. Sie sagte nichts, ließ sich jedoch durch seine Ablehnung nicht beeindrucken. Stattdessen rückte sie an ihn heran und legte ihre Hand auf seine Schulter.
„Gibst du mir die Chance, auch etwas dazu zu sagen, oder hast du dir dein Bild schon gemacht?", fragte sie schuldbewusst, ehe er ihre Hand abschüttelte. Sie konnte es ihm nicht einmal übelnehmen, dass er ihre Nähe gerade nicht wollte.
„Ich will das nicht hören...", murmelte er mürrisch.
„Bitte...", flehte sie leise und sah ihn eindringlich von der Seite an.
„Hör auf, mich so anzugucken", forderte er, ohne sie anzuschauen. Ihn so zu sehen, brach auch ihr eigenes Herz auseinander.
„Ich wollte dir wirklich nicht wehtun", schwor sie leise.
„Ist es wegen ihm?", wollte er wissen. „Bist du deshalb so komisch die ganze Zeit? Nur Sex, aber nicht mehr? Weil du auch für ihn irgendwelche Gefühle hast?"
Er drehte ihr seinen Kopf wieder zu und sah durchbohrend in ihre Augen. Sie schüttelte energisch den Kopf. Er hatte in den letzten Wochen unermüdlich um sie gekämpft. Er verdiente es nicht, dass sie jetzt nicht auch um ihm kämpfte; auch, wenn die Situation eine andere war. Er musste wissen, dass sein Cousin ihr nie dasselbe bedeutet hatte wie er.
„Nein. So ist das nicht", beteuerte sie sanftmütig. „Das zwischen uns ist ganz anders. Ich weiß nicht, was er dir genau erzählt hat, aber-"
„Dass du überfallen worden bist", unterbrach er sie harsch. „Und ihr danach miteinander geschlafen habt."
Die Enttäuschung in seinen kalten Augen war beinah unerträglich. Sie konnte ihn nicht länger ansehen, also senkte sie bedrückt ihren Blick zu Boden und spielte nervös mit ihren Fingern.
„Das stimmt. Ich war mit den Mädels auf dem Kiez feiern. So ein Typ hat mich angemacht, aber Marten ist dazwischengegangen. Als ich nachts auf meinen Bus gewartet habe, ist dieser Typ mit ein paar anderen wieder aufgetaucht. Sie haben mich bepöbelt, herumgeschubst und geschlagen. Marten war gerade zufällig in der Nähe."
„Tut mir leid, dass du das durchmachen musstest", räumte er etwas weniger kalt ein. Sein Blick war etwas weicher geworden, seine Augen schienen etwas heller. Der Bruchteil einer Sekunde reichte aus, sich in diesem tiefen Ozeanblau zu verlieren.
„Dieses Erlebnis hat einfach so viel in mir ausgelöst; nicht nur die Angst und die Hilflosigkeit; auch die Gewissheit, dass mir so etwas nicht passiert wäre, als wir noch zusammenwaren. Verstehst du?"
Er atmete tief durch, sank ein wenig in sich zusammen und ließ die Schultern hängen.
„Er hat mir angeboten, mich von dort wegzubringen. Als wir bei ihm waren und all diese schlechten Gefühle über mich hereingebrochen sind, wollte ich all das nur noch vergessen; ich wollte einfach überhaupt nichts mehr spüren", erzählte sie traurig.
„Also hast du mit ihm geschlafen", stellte er enttäuscht fest.
Sie schluckte.
„Ja."
Er sagte einen Moment nichts, sah sie einfach nur schweigend an.
„Ich kann mir vorstellen, wie scheiße sich das anfühlt", räumte sie leise ein. „Aber er bedeutet mir nicht das, was du mir bedeutet hast. Hat er nie und wird er auch nicht."
Als sie ihre Hand auf seine legte, zog er sie nicht weg, sondern atmete schwer, lehnte dann seine Stirn gegen ihre.
„Verdammt, Cas. Ich weiß, ich habe mich von dir getrennt, und ich habe eigentlich nicht mal das Recht, mich darüber aufzuregen, aber die Vorstellung, dass du mit ihm-. Das macht mich einfach wahnsinnig."
„Ich weiß. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was ich machen soll", sagte sie hilflos.
„Du kannst nichts machen. Ich brauche einfach Zeit, um darauf klarzukommen", erwiderte er schwermütig, ehe er seine Hand doch aus ihrer wandte und an seinem Joint zog.
„Tut mir leid, dass ich es dir nicht gesagt habe", sagte sie. „Gerade jetzt, wo du so sehr um mich kämpfst. Ich wollte einfach nicht, dass du dich so fühlst, denn ich merke ja, wie viel ich dir bedeute."
Er lächelte leicht.
„Merkst du das, ja?", fragte er, ohne seinen Blick von ihren Augen abzuwenden.
„Ja. Und es tut mir leid, dass ich dich trotzdem so auf Distanz halte. Aber das liegt ganz sicher nicht an Marten. Es ist einfach so, dass ich mich gerade erst von Chris getrennt habe und mich nicht Hals über Kopf in etwas Neues stürzen will; ich würde mich fühlen, als würde ich sich benutzen, um meine Beziehung zu vergessen; so, wie ich es damals unterbewusst mit Marten gemacht habe. Im Nachhinein betrachtet, war das nicht cool von mir, aber es war insofern nicht tragisch, als dass wir uns beide einig waren, dass wir keine Gefühle füreinander haben. Aber bei dir ist das anders, verstehst du? Du hast Gefühle für mich. Wenn ich mich wieder auf eine Beziehung mit dir einlasse, dann soll es echt sein. Wir müssen es beide fühlen. Aber noch bin ich nicht bereit dazu; nicht nur wegen Chris, sondern auch wegen dir. Ich weiß, es ist nicht fair, aber dadurch, dass du mich von heute auf morgen verlassen hast, fällt es mir wahnsinnig schwer, mich dir wieder so zu öffnen wie damals; auch, wenn ich das möchte, aber ich merke, dass ich es einfach noch nicht kann. Ich brauche noch etwas Zeit, und so lang will ich auch nicht mehr mit dir schlafen. Du verdienst das einfach nicht, nicht so", erklärte sie.
„Sieht so aus, als bräuchten wir gerade beide Zeit", sagte er, nahm einen weiteren Zug und ließ seinen Blick schweifen. Sie schluckte.
„Tut mir leid", beteuerte sie.
„Entschuldige dich nicht für deine Gefühle, okay?", sagte er, sah in ihre Augen und legte seine Hand auf ihren Oberschenkel. „Ich bin nicht ganz unschuldig an der gesamten Situation; hätte ich damals um dich gekämpft, als ich gemerkt habe, wie sehr du mir eigentlich fehlst, wäre das alles vielleicht niemals so passiert. Aber ich war damals zu feige, weil ich genau wusste, du würdest mich wegschicken. Ich hatte Angst vor diesem Moment, und davor, dass genau das passieren würde, was gerade passiert: dass ich kämpfe, und es dir schwerfällt, dich mir wieder zu öffnen."
Sie blinzelte die Tränen weg, mit denen ihre Augen sich gefüllt hatten und strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.
„Was hat sich verändert?", fragte sie neugierig und legte den Kopf schief. Er lächelte.
„Ich", sagte er. „Damals war ich nicht bereit dazu, über meinen Schatten zu springen, aber heute bin ich es."
Ihr Bauch kribbelte, als er einen tiefen Blick mit ihr tauschte und dabei erneut seine Stirn an ihre legte.
„Verdammt, Baby. Was habe ich uns da nur angetan?"
Erst jetzt merkte sie, dass ihre Finger vor Aufregung zitterten. Auch er sah es, also schloss er seine große Hand um ihre kleine.
„Hast du Bock, noch mit zu mir zu kommen?"
Ich weiss nicht. Was meint ihr? Zu wenig Eskalation? Oder seid ihr froh, dass sie sich nicht angebrüllt haben? Und meint ihr, sie haben noch eine Chance? Seid stark. Es kommen nur noch 5 Kapitel.
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