30 | Hochzeitscrasher
Nachdem ich euch im vorletzten Kapitel rund um John so habe hängen lassen, hier also nun sein neues Kapitel.
2017.
John konnte noch immer nicht glauben, dass er einfach so aufgegeben hatte. Sie so glücklich mit ihrem Verlobten zu sehen, hatte ihm vor Augen geführt, dass es ihr tatsächlich gelungen war, ihr Leben ohne in weiterzuleben und er war zu der Entscheidung gekommen, dass er kein Recht hatte, ihr das aus purem Egoismus kaputtzumachen. Er hatte sie damals verlassen, und auch, wenn er das mittlerweile bereute, musste er akzeptieren, dass sie einen neuen Partner gefunden hatte, der sie augenscheinlich glücklicher machte als er sie selbst. Statt auszusteigen und ihr zu sagen, was er glaubte, nach wie vor für sie zu empfinden, hatte er Joe gebeten, ihn von dort wegzubringen.
Jetzt saß er in einem der vielen Laufhäuser auf der Reeperbahn herum, trank, rauchte und versuchte, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war bereits kurz vor Sonnenaufgang, doch er hatte noch keine Lust, nach Hause zu gehen.
Er war nicht hier, um sich mit einer der Frauen zu vergnügen. Das hatte er ganz sicher nicht nötig. Die Frauen hier waren für ihn sowieso nur Gegenstände, die keinerlei Emotionen in ihm auslösten. Es reizte ihn nicht einmal, sie sich genauer anzuschauen.
Er war einfach nur hergekommen, weil Arthur, ein Freund von Marten, sie eingeladen hatte, ihn zu besuchen. Er war für die Überwachung des Ladens zuständig und kümmerte sich darum, wenn irgendwelche Freier an er Bar oder in den Zimmern Probleme machten. Den Großteil der Nacht saß der großgewachsene, tätowierte Muskelprotz jedoch einfach nur in einem Hinterzimmer auf einer gemütlichen Couch, schlug die Zeit tot und hielt die ganzen Überwachungsmonitore im Auge. John konnte also verstehen, weshalb Arthur sich zeitweise zu Tode langweilte und sie immer mal wieder einlud. Heute kam ihm das gerade recht, denn er brauhte Ablenkung.
"Er hat sie ernsthaft bezahlt, damit sie ihn ankackt?", riss Joes Lachen ihn aus seinen Gedanken.
John verzog angewidert das Gesicht, während Arthur amüsiert grinste.
„Ja. Aber er hat gut gezahlt dafür", räumte er ein.
„Das ist echt ekelhaft, Digga", stellte Joe fest und zog an seiner Zigarette.
„Wenn du jede Nacht diese ganzen kranken Spinner hier hast, stumpfst du mit der Zeit einfach ab", kommentierte Arthur. John nahm kopfschüttelnd einen Schluck aus seiner Bierflasche.
„Das ist echt krank", sagte er dann. „Wer bezahlt schon dafür, sich anscheißen zu lassen?"
„Einer kommt jede Woche her und krabbelt in Windeln durch's Zimmer."
John lachte.
„Okay, das ist echt behindert."
„Sie muss ihm auch die Flasche geben", erzählte Arthur.
„Gibt sie ihm auch die Brust?", hakte Joe neugierig mit leuchtenden Augen nach.
„Dein Ernst, Digga?", fragte John irritiert.
Joe hob abwehrend die Hände.
„Was denn? Kann doch sein."
„Wenn du willst, kannst du sie ja mal fragen, ob du an ihren Titten nuckeln kannst", lachte Arthur.
„Kannst du vergessen. Nadia schneidet ihm sofort den Schwanz ab, wenn sie das rausfindet", grinste John.
„Überleg's dir, Joe", überging Arthur seinen Einwand. „Noch ist Happy Hour."
John fand es nicht mal absurd, dass es so eine Erfindung wie Flatrate-Ficken überhaupt gab. Das zeigte, wie sehr er in den letzten Jahren abgestumpft war. Er zog sein letztes bisschen Gras und ein Blättchen aus der Tasche, dann stand er auf und nahm sich etwas Neues zu Trinken aus dem Kühlschrank. Er schaute kurz auf, als Marten den Raum betrat. Sein Körper war angespannt, sein Gesicht düster.
„Alles geregelt, Diggi?", fragte Joe.
Marten fiel zu ihnen auf die Couch und kramte in seiner Bauchtasche herum.
„Ja. Scheiß Junggesellen-Abschiede", murmelte er genervt und zog sein Gras aus der Bauchtasche.
„Ich dachte, du wolltest dort nur kurz was abholen", hakte John irritiert nach.
„Wollte ich auch, aber dann haben ein paar Halbstarke aus einer größeren Gruppe an einem der Mädchen herumgegrabscht", erzählte Marten und drehte sich einen Joint.
„Hast du die umgeklatscht?", fragte Joe beiläufig und schüttete sich noch einen Energy-Drink ins Glas.
„Der eine ist frech geworden, als ich ihm gesagt habe, dass er sie nicht anfassen soll. Das konnte ich nicht so stehenlassen", antwortete Marten und leckte das Blättchen an.
„Hätte ich heute auch Bock drauf gehabt", sagte John nachdenklich.
„Worauf?", fragte Marten. "Geile Stripperinnen anzufassen?"
„Irgendwem die Fresse zu polieren", antwortete John.
„Hier", sagte Joe und reichte ihm eine Flasche Vodka. „Ich glaub, du solltest noch was trinken."
Der Kater am darauffolgenden Tag war so heftig, dass er eine gefühlte Ewigkeit brauchte, um wieder zu sich zu finden.
Das Klingeln seines Handys nahm er nur entfernt wahr. Erst, als es einfach nicht aufhörte, tastete er verschlafen danach. Er kannte die Nummer auf dem Display nicht, also dachte er kurz darüber nach, den Anruf zu ignorieren, entschied sich dann jedoch dagegen.
„Ja?", fragte er müde, presste das Handy an sein Ohr und strich über sein verschlafenes Gesicht.
„John?"
Irgendeine Mädchenstimme. John seufzte schwer und wollte gerade auflegen, als sie ihn davon abhielt.
„Ich bin's. Malia."
Sofort war er hellwach.
„Was ist mit Cas?"
„Nichts, ich-"
Malia brach ab.
„Sie heiratet heute und-"
„Heute schon, ja?", unterbrach er sie traurig und fragte sich, weshalb Malia ihn überhaupt anrief und woher sie seine Nummer hatte. Sollte sie nicht stattdessen mit Cassie diesen Tag feiern?
„Chris betrügt sie", platzte es aus Malia heraus.
Er setzte sich automatisch auf.
„Woher weißt du das?"
Sie seufzte.
„Ich bin gerade in ihrer Wohnung. Ich wollte sie romantisch dekorieren, du weißt schon, ein paar Rosenblätter aufs Bett, ein paar Herzluftballons, ein Just-Married-Schild. Eigentlich wollte Alessa das machen, aber sie hat es zeitlich nicht mehr geschafft."
Er verstand noch nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte, hörte aber aufmerksam zu.
„Jedenfalls habe ich das Band vergessen, um die Luftballons aufzuhängen, und in der Wohnung nach irgendetwas gesucht, was mir weiterhilft. Dabei habe ich dieses Handy gefunden", fuhr sie fort, so, als würde er sie sofort verstehen.
„Wieso schnüffelst du in irgendwelchen fremden Handys rum?", fragte er.
„Wollte ich nicht. Ich habe es beim Suchen aus der Schublade genommen und die verpassten anrufe gesehen."
Sie seufzte schwer.
„Jedenfalls sind da Nachrichten und Anrufe von einem anderen Mädchen drauf. Chris betrügt sie. Ich bin mir zu 100 % sicher, denn zu diesem Handy gehört auch eine andere Handynummer. Ich habe versucht, Cassie und Chris anzurufen. Sie geht nicht ran, und obwohl Chris' Handy getutet hat, hat das in meiner Hand nicht geklingelt. Ich erreiche weder Alessa noch die anderen Mädels auf der Hochzeit und ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. Deshalb habe ich Raf um deine Nummer gebeten."
John brauchte einen Moment, um die Informationen zu verarbeiten.
„Was macht dich da so sicher?", hakte er nach. „Vielleicht ist es auch einfach nur eine Freundin oder das Handy gehört ihm überhaupt nicht."
„Ich kann nicht alles lesen, weil ich das Handy nicht entsperren kann, aber wenn ich über das Display wische, stehen da vier entgangene Anrufe von ihr und ich kann die letzten zwei Nachrichten sehen. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass das eindeutig ist. Unglaublich, dass Paola und er ihr das wirklich antun."
John stutzte.
„Paola – so wie Cassies Freundin Paola?"
„Ja."
„Traust du ihr das echt zu?", fragte er.
„So geläufig ist der Name nicht."
Malia hatte Recht. Außerdem wusste John, dass Paola nicht der Typ Frau war, der etwas anbrennen ließ.
„Hi..."
John schaute vom Display seines iPhones auf, als Joe ihm seinen Ellbogen in die Rippen stieß und sah geradewegs in die meeresblauen Augen der hübschen Blondine, die mit einem zuckersüßen Lächeln an den Tisch im VIP-Bereich herangetreten war.
„Hi...", wiederholte er trocken, als er sie erkannte. „Paola, richtig?"
„Genau", bestätigte sie, dann reichte sie Joe und Toni ihre Hand und ließ sich unaufgefordert neben John auf die Ledercouch fallen. „Lange nicht gesehen. Wie geht's dir?"
Sie legte neugierig den Kopf schief und musterte ihn erwartungsvoll. Ihre großen Brüste drückten sich durch ihr enges Top.
„Ganz gut. Dir?", fragte er hilflos. Er hatte sie seit seiner Trennung von Cassie nicht mehr gesehen, doch er legte auch keinen großen Wert darauf, den einst flüchtigen Kontakt zu den Freundinnen seiner Exfreundin zu halten. Ob sie auch hier war? Automatisch streifte sein Blick ziellos umher.
„Mir geht's super", sagte sie. Erst jetzt fiel Johns Blick auf ihre endlos langen, braun gebrannten Beine, die sie verführerisch übereinanderschlug. Ihr Kleid war so knapp, dass er ihr beinah auf den Arsch schauen konnte. Er erwiderte ihr strahlendes Lächeln unsicher, denn er wusste nicht, dass er davon halten sollte.
„Ist Cas auch hier?", fragte er vorsichtig, doch Paola schüttelte den Kopf.
„Nein, sie meidet den Kiez. Du bist öfter hier, oder?", löcherte sie ihn weiter mit Fragen, während seine Freunde ihn aus einiger Entfernung neugierig musterten.
„Ab und zu", gab er zurück.
Er musste zugeben, dass sie ziemlich heiß war. Wenn sie nicht eine von Cassies Freundinnen gewesen wäre, hätte er ganz sicher nichts anbrennen lassen, doch das ging nicht. Ein tiefer Blick von ihr ließ ihn seine Prinzipien jedoch für einen kurzen Moment vergessen.
„Hast du Lust, gleich noch mit zu mir zu kommen?", kam sie unerwartet direkt zur Sache, schenkte ihm einen verruchten Augenaufschlag und strich dabei mit ihren Fingernägeln über seinen Oberschenkel. Augenblicklich wurde sein Mund trocken. Er hob angriffslustig eine Augenbraue.
„Findest du das cool Cassie gegenüber?", fragte er und umfasste ihre Hand mit seiner.
Sie grinste triumphierend und reckte ihm ihre Brüste entgegen.
„Komm, wir gehen tanzen", raunte sie in sein Ohr.
„Ganz sicher nicht", erwiderte er entschieden.
Sie biss sich in die Unterlippe und schaute willenlos in seine Augen.
„Schade", sagte sie und führte seine Hand unter den Stoff ihres Kleides. Dabei beugte sie sich ihm gefährlich nah entgegen, sodass ihre Brüste ihn beinah berührten.
Sie war wirklich heiß, doch er hatte trotz seines Erfolgs so etwas wie ein Gewissen. Er konnte unmöglich Cassies Freundin flachlegen. Die Erkenntnis, dass sie bereit war, Cassie derart zu hintergehen, widerte ihn einerseits an, andererseits machte es ihn wütend. Hastig zog er seine Hand aus ihrer und musterte sie kühl.
„Wenn ich ne billige Schlampe ficken will, suche ich mir eine aus, die meiner Ex nicht davon erzählen kann. Und jetzt verpiss dich."
„Ich kann echt nicht glauben, dass Paola ernsthaft mit ihrem Verlobten geschlafen hat. Das ist so widerlich. Ich meine, ich habe sie oft verdächtigt, aber sicher war ich nicht und konnte es auch nicht beweisen, deshalb habe ich Cas nie was gesagt", riss Malias Stimme ihn in die Gegenwart zurück. Jetzt verstand er auch ihr Motiv. Sie hatte innerlich nicht daran geglaubt, dass die Beziehung zwischen Cassie und ihrem Verlobten Bestand haben würde. Deshalb hatte sie auch zugestimmt, ein Treffen zwischen Cassie und John zu inszenieren.
„Also bist du dir zu 100 % sicher, dass er fremdgeht?"
„Safe", antwortete sie traurig.
„Pack das Handy ein und schick mir die Adresse, wo sie heiratet. Ich komme jetzt sofort da hin."
John legte auf, schlug die Decke zur Seite und griff die ersten Klamotten aus dem Schrank, die ihm unterkamen; eine dunkle Hose und ein bunter Coogi-Sweater. Er wusch sein Gesicht im Bad, schlüpfte in die Klamotten und versuchte, Marten zu erreichen, damit er ihn zur Location fuhr.
All seine Vorsätze, sie gehen und mit einem anderen Mann glücklich werden zu lassen, waren verschwunden. Er musste nicht nur diese Hochzeit verhindern, er musste sich Cassie für immer zurückholen. Sie verdiente keinen weiteren Mann in ihrem Leben, der sie nicht zu schätzen wusste.
Er erreichte weder Marten noch Joe, also nahm er ein Taxi. Sein Körper war voller Adrenalin, als er vor dem kleinen Schloss aus dem Wagen stieg. Während der den kleinen Weg in Richtung Eingang lief, knirschte der Kies unter seinen Füßen.
„Bin jetzt da. Wo bist du?", hatte er Malia geschrieben, doch sie war noch auf dem Weg. Also würde er das hier allein durchziehen.
Er lief die alten Steintreppen zu dem großen Gemäuer herauf, stieß die große, schwere Holztür auf und stürmte in den liebevoll dekorierten Eingangsbereich. Doch er fand lediglich eine Angestellte, die gerade die Gläser des Sektempfangs abräumte.
„Bin zu spät. Wo geht's zur Hochzeit?"
John musterte sie ungeduldig. Sie schenkte ihm ein Lächeln.
„Sie schaffen es vielleicht noch zum Ja-Wort", sagte sie, dann deutete sie auf eine Treppe, die nach oben führte. „Die Treppe hoch, links, sie laufen direkt auf das Schlosszimmer zu."
„Danke", schnaufte John, bevor er die Treppe nach oben lief.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und das Blut rauschte laut durch seine Ohren, während er auf die großen, weißen Flügeltüren zulief. Er wusste, dass Cassie ihn im ersten Moment dafür hassen würde, doch am Ende würde sie ihm hoffentlich dankbar sein. Vor der Tür blieb er stehen, atmete ein letztes Mal tief durch und schaute noch einmal auf sein Handy.
„Bin in 5 Minuten da", schrieb Malia.
„Gehe jetzt rein.", tippte er, sendete die Nachricht ab und stieß laut die Tür auf.
„Ich bin dagegen!"
Ich weiß. Es ist praktisch derselbe Cliffhanger, aber jetzt wisst ihr immerhin schonmal, die die Situation vor Cassies Haus geendet ist und wer am Ende die Hochzeit crasht. Ich gebe zu; ich hatte ursprünglich mal den Plan, dass John mit den Jungs gemeinsam die Hochzeitsfeier im Anschluss an die Trauzeremonie crasht, mich aber dann dagegen entschieden. Im Nachhinein betrachtet wäre das sicher witzig gewesen.
Ich weiß; einige von euch sind jetzt glücklich, weil es John ist und andere traurig, weil es sich dabei nicht um Raf gehandelt hat. Ich hoffe, ihr verzeiht mir, und habt euch wenigstens über Martens kleinen Auftritt gefreut.
Und wer hätte gedacht, dass Chris tatsächlich so ein Arschloch ist, und Cassie betrogen hat - mit ihrer eigenen Freundin? Oder handelt es sich dabei doch um ein Missverständnis und Malia hat da etwas falsch interpretiert? Ich meine, vielleicht war es gar nicht sein Telefon.
Was glaubt ihr, wie Cassie auf die Aktion reagieren wird?
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