3 | 49 | Erkenntnisse
Meine Lieben, hier ist es. Pünktlich zum Wochenende kommt hier das neue Kapitel. Ich wünsche euch viel Spaß und küsse eure Augen.
„John...?"
Cassie steckte ihren Kopf durch den Spalt der offenstehenden Schiebetür. Er stand mit dem Rücken zu ihr gewandt auf dem Balkon und schaute in die Dunkelheit hinaus. In seiner Hand hielt er eine Flasche Hennessy.
„Können wir reden?", hakte sie nach, als er nicht reagierte. Er hielt seinen Blick starr nach vorn gerichtet.
„Babe", sagte sie leise und schlang ihre Arme von hinten um ihn. Noch immer regte er sich nicht. Er musste bereits einige Zeit hier draußen stehen, denn sein Körper war so kalt, dass sie fröstelte. Seine gesamte Muskulatur spannte sich an.
„Wir reden morgen, wenn Iara und Tua weg sind", antwortete er abweisend.
„Wir sollten das nicht so stehenlassen", sagte sie eindringlich.
„Warum? Weil du sonst nicht schlafen kannst?"
Er fuhr zu ihr herum und sah auf sie herab.
„Du bist ganz schön wütend", stellte sie fest. Er wich zurück, als sie ihre Hände an sein Gesicht legen wollte.
„Bin ich auch", erwiderte er. „Dein Dad versucht miese Sachen gegen mich."
Sie seufzte.
„Vielleicht sollten wir wirklich morgen reden, wenn du wieder nüchtern bist", stellte sie fest.
„Ganz egal, wie viel ich trinke – dein Dad bleibt ein Bastard."
Sie schluckte und schüttelte traurig ihren Kopf.
„Genau das wollte ich vermeiden", seufzte sie bedrückt. Er zog provokant die Augenbrauen hoch.
„Indem du mir verheimlichst, dass er schlecht von mir redet?"
„Er hat nicht schlecht von dir geredet, er-."
Sie brach ab, weil sie erkannte, dass das Gespräch mit ihm jetzt keinen Sinn machte.
„Er was?"
John hatte einen Schritt auf sie zugemacht und stand nun so dicht vor ihr, dass nur noch eine Handbreite sie trennte, und sah entschlossen in ihre Augen. Sie realisierte, dass er jetzt nicht mehr lockerlassen würde.
„Er hat etwas falsch verstanden und geglaubt, du würdest mich von ihm fernhalten wollen", offenbarte sie ihm also.
„Wie kommt er denn darauf?", fragte er kühl.
„Ich habe ihm gesagt, du möchtest nicht, dass ich mit ihm über unsere Beziehung spreche", antwortete sie sachlich.
„Und was gibt's daran nicht zu verstehen?", knurrte er.
„Er glaubt, das bezieht sich nur auf ihn und als mein Vater hätte er ein Recht darauf, dass ich mit ihm über meine Probleme rede, auch, wenn sie dich betreffen", versuchte sie zu erklären.
„Es geht ihn aber einen Scheißdreck an", pöbelte er lautstark durch die Nacht.
„Ich habe probiert, ihm das auf diplomatische Weise klarzumachen", sagte sie versöhnlich.
„Du und deine beschissene Diplomatie", konterte er kopfschüttelnd. „Das macht uns nur Probleme."
Sie warf die Hände in die Luft.
„Vergiss es, John. Wir reden morgen weiter", sagte sie und wandte sich von ihm ab.
„Du wolltest doch reden?", fuhr er sie an und folgte ihr nach drinnen. „Also reden wir. Zum Beispiel darüber, weshalb du dich bei Iara ausheulst, statt direkt zu mir zu kommen!"
„Weil ich erstmal in Ruhe darüber nachdenken wollte, ob es überhaupt erwähnenswert ist", antwortete sie.
„Ach, und es ist nicht erwähnenswert, wenn dein Vater dir Angst macht", kommentierte er beißend.
„Wie kommst du überhaupt dazu, uns zu belauschen?", fragte sie wütend.
„Ließ sich nicht vermeiden, weil du ihr ausgerechnet im Flur dein Herz ausschütten musstest", erwiderte er kühl. „Ist ja nicht meine Schuld, wenn du so dumm bist."
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. Offensichtlich lief er gerade erst richtig warm.
„Wahrscheinlich hast du Recht – ich bin dumm; dumm und naiv", erwiderte sie. „Es war falsch, mich darum zu bemühen, dass ihr gut miteinander auskommt. Tut mir leid, dass ich geglaubt habe, wir könnten harmonisch zusammenleben."
„Ich will mit niemandem auskommen, der mich vor dir schlechtredet", sagte John. Sie schüttelte traurig den Kopf. Sie bereute, ihn für heute nicht einfach in Ruhe gelassen zu haben.
„Alles klar", sagte sie enttäuscht, bevor sie ihn stehenließ und im Bad verschwand. Dort sank sie schwer seufzend auf den Rand der Badewanne und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie hasste es, mit ihm aneinander zu geraten, vor allem wegen dieses Themas.
Als John am nächsten Tag seine Augen aufschlug, fühlte er sich wie gerädert. Er seufzte schwer, drehte sich auf die andere Seite und schrak auf, als er das Gleichgewicht zu verlieren drohte. Erst, als er sich noch gerade rechtzeitig auffing, realisierte er, dass er auf der Couch im Wohnzimmer lag. Die Vorhänge waren noch zugezogen, weshalb er sich im ersten Moment in seinem Bett geglaubt hatte.
Er schloss noch einmal die Augen, als die Erinnerungen an seine Auseinandersetzung mit Cassie wieder in seinen Kopf zurückkehrten. Nachdem sie kurz miteinander diskutiert hatten, hatte sie sich ins Badezimmer verzogen. Da er aufgrund des Besuchs von Iara und Tua weiteren Streit vermeiden wollte, hatte er sich sein Kissen und seine Decke geschnappt und sich auf die Couch gelegt.
Es hatte ihn wütend gemacht zu hören, worüber Cassie mit Iara gesprochen hatte. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr konnte er jedoch nachvollziehen, wieso Cassie ihn zunächst nicht eingeweiht hatte.
„Wow, du bist wach."
Er fiel beinah vor Schreck von der Couch, als Cassie den Raum durchquerte und rücksichtslos die Vorhänge aufriss. Augenblicklich kniff er die Augen zusammen.
„Man, Cas, was soll der Scheiß?", pöbelte er genervt, doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken.
„Wolltest du den gesamten Tag verschlafen?", fragte sie gleichgültig und bewarf ihn mit einer seiner Socken, die er augenscheinlich vor dem Schlafengehen durchs Wohnzimmer geworfen hatte und auf dem Glastisch gelandet war.
„Hör auf damit, man", beschwerte er sich.
„Dann steh endlich auf", antwortete sie. „Willow kommt gleich. Ich hab keinen Bock, dass du dann noch hier liegst."
Er atmete schwer.
„Was ist mit Iara und Tua?"
„Die sind schon gefahren und lassen dich grüßen", sagte sie beißend. Erst jetzt begann er, ihren Ärger richtig zu verstehen. Er hatte sich nicht einmal von seinen Gästen verabschiedet und ihre Abreise verschlafen.
„Du hättest mich wecken können", seufzte er und richtete sich mühsam auf.
„Wollte ich. Einzig und allein Tua hast du es zu verdanken, dass ich dich habe schlafen lassen", ließ sie ihn wissen.
„Sorry", murmelte er. „Ich war einfach voll weggetreten."
„Was du nicht sagst", erwiderte sie, bevor sie ihn wieder allein ließ. Er schnappte sich die Bettwäsche und folgte ihr ins Schlafzimmer, wo sie sich einen Hoodie über den Kopf streifte. Er war gerade dabei, darüber nachzudenken, auf sie zuzugehen, als es klingelte.
„Willow ist da", sagte sie überflüssigerweise, bevor sie ihn wieder alleinließ. Er verschob das klärende Gespräch also gedanklich auf später und gönnte sich stattdessen erst einmal eine heiße Dusche. Anschließend schrieb er Tua eine Nachricht und entschuldigte sich dafür, den Abschied verschlafen zu haben. Da Cassie nach wie vor in ihre Unterhaltung mit Willow vertieft war und ihm die Decke auf den Kopf fiel, verabredete er sich kurzerhand mit Marten.
Sie fuhren ein bisschen herum, bis sie in einem kleinen Imbiss auf dem Kiez landeten. Marten hatte ein paar Sachen aus dem Laden geholt, also hatten sie sich kurzerhand hierhergesetzt. Der kleine Imbiss, der gerade mal für drei kleine Tische mit abgewetzten Stühlen Platz bot, war schon damals ihr Anlaufpunkt gewesen, wenn sie sich nachts derart abgeschossen hatten, dass sie kaum noch laufen konnten. Unzählige Nächte hatten sie hier herumgehangen und Pommes gegessen, herumgepöbelt und den ständig wechselnden Besitzern den letzten Nerv geraubt, bis sie irgendwann nach Hause aufgebrochen waren. Es hatte also etwas Vertrautes, zurückgezogen am hintersten der drei Tische zu sitzen.
„Und was hätte es geändert, wenn du es gewusst hättest? Du konntest den Typ nie wirklich leiden", riss Martens Stimme John aus seinen Gedanken an eine längst vergessen geglaubte Zeit. Er hatte ihm auf dem Weg hierher grob von dem Gespräch zwischen Cassie und Iara erzählt, das er gestern belauscht hatte.
„Vermutlich hätte ich mich aufgeregt, wenn sie mir von seinem Spruch über mich erzählt hätte", räumte John ein.
„Sie wollte einfach einen Streit vermeiden", ergriff Marten Partei für Cassie und schob sich ein paar Pommes in den Mund.
„Er vermutet, ich würde ihr ein Kind ausreden wollen und versucht, gegen mich zu reden, aber ich soll mich nicht zwischen die beiden stellen"", kommentierte John kopfschüttelnd das, was er aufgeschnappt hatte.
„Scheiß doch darauf, was er sagt. Cassie weiß, wie es wirklich ist. Der Rest kann dir egal sein", sagte Marten. „Nikas Eltern waren am Anfang komplett gegen mich und da habe ich auch nichts drauf gegeben."
„Mir ist der völlig egal, aber Cas zieht es runter, dass wir keinen besonders guten Draht zueinander haben", gab John mürrisch zurück.
„Damit muss sie leben. Musste Nika auch", erwiderte Marten und tunkte seine Pommes in die Mayonnaise.
„Es fällt ihr aber schwer", sagte John, als Marten sich die Pommes in den Mund schob.
„Sie hatte eben die Hoffnung, dass ihr euch miteinander anfreundet", sagte Marten schulterzuckend. „Aber manchmal passt es im Leben einfach nicht. Hajo wird sicher auch nie mein bester Kumpel."
John runzelte die Stirn.
„Nikas Vater?", hakte er nach. Marten nickte kauend und griff nach der Coladose.
„Ich weiß genau, dass er nicht darauf klarkommt, dass ich im Dolls mit drinhänge", sagte er, bevor er einen Schluck trank.
„Aber um regelmäßig hinzugehen, hat es trotzdem gereicht", kommentierte John kopfschüttelnd. „Scheiß Heuchler."
„Der Punkt ist: Nika weiß, dass wir nie die besten Freunde werden. Für sie ist das okay, so lang wir uns ihr zuliebe irgendwie miteinander arrangieren und uns nicht den Schädel einschlagen, wenn wir einander begegnen", erzählte Marten. „Und sie weiß, dass, wenn er ihr wehtut, ich derjenige bin, der sie auffängt."
„Bevor du ihm wehtust", setzte John grinsend hinzu.
Marten schwieg. John deutete es als stille Zustimmung.
„Er hat sie einfach jahrelang schlecht behandelt, sie unterdrückt und versucht, sie in ein Leben zu zwingen, das sie nicht leben will. Er hat sie nicht respektiert und ihr gezeigt, wie wenig er von ihren Entscheidungen hält. Auch, wenn das heute anders ist und er versucht, das wiedergutzumachen, hat sie das geprägt und sie hat sehr darunter gelitten. Vermutlich kann ich ihn deshalb auch einfach aus tiefstem Herzen nicht leiden, ganz egal, wie sehr wir uns für sie am Riemen reißen", offenbarte Marten.
„Und sie weiß das?", hakte John nach.
„Ja. Und sie würde nie von mir verlangen, dass ich die Abneigung, die ich gegen ihn habe, weil er sie schlecht behandelt hat, ablege und mich mit ihm anfreunde. Ganz egal, wie gut wir uns vielleicht mit der Zeit verstehen; ich werde ihn immer dafür verachten, was für ein schlechter Vater er war", erzählte Marten kühl.
„Bei mir ist das ähnlich", erzählte John.
„Was meinst du?", fragte Marten.
„Ich habe echt versucht, ihrem Dad eine Chance zu geben, aber ich habe ihn einfach durchschaut. Es geht ihm nicht um Cassie; jedenfalls nicht wirklich. Er sucht jetzt den Kontakt zu ihr und gibt sich als der reumütige Vater, den seine Schuldgefühle auffressen. Der verfolgt ein ganz anderes Ziel als einfach nur eine gute Vater-Tochter-Beziehung", sagte John.
„Was macht dich da so sicher?", hakte Marten ab. John schob sich ein paar Pommes in den Mund, kaute und griff nach seiner Dose Fanta.
„Er hat sie bis heute nicht ein einziges Mal gefragt, ob sie seine Unterstützung braucht; ganz egal, wobei – ob emotional oder finanziell. Er horcht sie aus, analysiert sie und will möglichst viel über sie und ihre Verhältnisse erfahren. Der verhält sich nicht wie ein Vater. Cas denkt, ich würde mich einfach nur zurückhalten bei unseren Treffen, aber ich beobachte ihn. Vieles, was er sagt, ist nicht ehrlich. Seine Augen verraten ihn", fuhr John fort und trank einen Schluck Fanta.
„Klingt so, als hättet ihr beide Redebedarf", kommentierte Marten und leerte seine Dose Cola.
„Wahrscheinlich, aber das würde nur dazu führen, dass wir wieder streiten. Weiß nicht, ob ich das momentan will", räumte John ein. Marten wollte gerade etwas sagen, hielt dann jedoch inne und sah auf das blinkende Display seines Handys. „Lass uns mal bezahlen, ich muss los."
Ich weiß, ihr habt euch gewünscht, dass die Harmonie bleibt. Aber könnt ihr verstehen, wieso John sich so aufregt? Oder findet ihr, er übertreibt? Glaubt ihr, das Gespräch mit Marten hat was gebracht? Sollten John mit Cassie darüber reden, was er denkt? Oder meint ihr, es geht dann noch mehr bergab zwischen den beiden? Bin gespannt auf eure Kommentare.
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