3 | 32 | Schwesterherz

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag 💞 Und natürlich viel Spaß mit dem neuen Kapitel 😁

Cassie fuhr sich schwer seufzend durch die Locken und warf John einen Blick zu, der gerade am Tresen auf einem der Drehstühle saß und schweigend Kellog's in sich hineinlöffelte. Nach ihrem Streit am gestrigen Abend hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen und auch heute Vormittag schien sein Interesse, sich mit ihr zu unterhalten, gegen null zu gehen.

„Komm schon, Babe, sollen wir uns jetzt wirklich weiter anschweigen?", machte sie einen vorsichtigen ersten Versuch, sich auszusöhnen. Auch, wenn er sie gestern mit seinem Verhalten und seinen Vorwürfen verletzt hatte, ertrug sie es nicht, mit ihm zu streiten.

„Momentan ist alles gesagt", erwiderte er kühl und stand auf, um das Geschirr auf die Spüle zu stellen. Sie runzelte skeptisch die Stirn. Es war typisch, dass er es nicht in die Spülmaschine räumte, sondern es dort stehenließ, bis sie es tat. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ er sie in der Küche allein. Sie schüttelte frustriert den Kopf, ehe sie die Schüssel für ihn wegräumte.

Sie hasste es, wenn die Stimmung zwischen ihnen so unterkühlt war wie heute. Dabei brauchte sie ihn nach dem gestrigen Abend ganz besonders; immerhin war ziemlich viel bei ihr zusammengekommen und sie sehnte sich nach einer Umarmung von ihm. Als er nicht zurückkam, folgte sie ihm nach oben. Sie fand ihn im Schlafzimmer. Er hatte gerade eine Tasche gepackt und zog den Reißverschluss zu. Sie runzelte die Stirn.

„Wo willst du hin?"

„Zwei Tage nach Berlin zu Raf", antwortete er knapp.

„Wow, okay", erwiderte sie enttäuscht.

„Hat nichts mit unserem Streit zu tun. Wir müssen uns kurzfristig mit dem Label treffen und ein paar Sachen besprechen", gab er zurück und drückte sich an ihr vorbei, ohne sie anzusehen. Sie schüttelte traurig den Kopf.

„Scheint, als kommt dir das gelegen", murmelte sie, bevor sie die Klamotten einsammelte, die er beim Packen der Tasche auf dem Bett hatte liegenlassen, und sie wieder an ihren Platz zurückräumte.

„Vielleicht tun uns die zwei Tage Abstand mal ganz gut."

Sie fuhr überrascht zu John herum, der, mit der Reisetasche in der Hand, noch immer im Türrahmen stand.

„Ja. Klar", entgegnete sie enttäuscht und schob sich an ihm vorbei.

„Du siehst doch, dass uns die Diskussionen zu nichts führen", fuhr er fort und folgte ihr nach unten.

„Ich dachte eigentlich, nachdem wir uns nach deinem Kurztrip für den Videodreh ausgesprochen haben, gäbe es überhaupt keinen Grund mehr dazu", erwiderte sie, als sie den unteren Treppenabsatz erreichte.

„Dachte ich auch, aber du hast es ja scheinbar noch immer nicht verstanden", sagte er und schlüpfte in ein Paar Sneakers. Sie schüttelte enttäuscht den Kopf.

„Wie du meinst", sagte sie, bevor sie ihn stehenließ.

„Das ändert nichts an meiner Liebe zu dir, okay?"

Sie fuhr noch einmal zu ihm herum. Er machte ein paar Schritte auf sie zu und sah eindringlich in ihre Augen.

„Ich liebe dich auch", antwortete sie leise. Bevor er es sich anders überlegen konnte, reckte sie sich ihm entgegen und drückte ihm einen Kuss auf. Ihr Herz zog sich dabei schmerzhaft zusammen, denn trotz ihres Abschiedskusses war die Welt nicht in Ordnung, Es war, als stünde die vergangene Diskussion wie eine Mauer zwischen ihnen. Sie hielt ihn nicht auf, als er sich wieder von ihr löste, sich von ihr abwandte und verschwand.

Als er gegangen war, fuhr sie sich traurig durch die Locken und kehrte in die Küche zurück. Dort schnappte sie sich ihr Handy, das sie zum Aufladen auf die Anrichte gelegt hatte, und tippte sich im Telefonbuch bis zu Willows Nummer durch. Sie biss sich hin- und hergerissen auf die Unterlippe. Einerseits wollte sie ihrer kleinen Schwester die Chance geben, auf sie zuzukommen, andererseits ertrug sie es nicht länger, dass sie derzeit kaum Kontakt miteinander hatten. Also schob sie alle schlechten Gefühle zur Seite und wählte ihre Nummer. Es dauerte eine ganze Weile, doch dann nahm Willow schließlich den Anruf entgegen.

„Hey...", begrüßte sie Cassie freundlich.

„Hey...", wiederholte sie. „Können wir mal reden?"

„Ich habe eigentlich alles dazu gesagt, Cassie", antwortete Willow.

„Ich weiß, ich möchte nur aus der Welt schaffen, was auch immer gerade deshalb zwischen uns steht", erwiderte sie.

„Ich bin nicht sauer auf dich", beteuerte Willow. „Ich wollte mich einfach nur nicht mehr mit ihm beschäftigen."

„Können wir nicht einfach einen Kaffee trinken gehen?"

Willow seufzte.

„Du lässt sowieso nicht locker, bis ich ja sage. Also ja. Wir können gern einen Kaffee trinken gehen. Aber er kommt nicht mit", stellte sie entschieden klar.

„Nein, natürlich treffen wir uns allein", versicherte Cassie. „Wann hast du Zeit?"

Nur zwei Stunden später betrat sie mit gemischten Gefühlen das kleine, schnuckelige Café. Willow hatte es ausgesucht. Cassie hätte das niedliche Lädchen mit den viereckigen, weißen Holztischen und den dazu passenden Stühlen mit den rosa-weiß-gemusterten Sitzauflagen von selbst vermutlich nie für ihr Treffen gewählt, doch das Retro-Ambiente gefiel ihr. An den Wänden hingen gerahmte Bilder im Retro-Look, die mit dem niedlichen, weißen Holztresen, den passenden Lampen an der Decke und den warmen Wandfarben ein stimmiges Gesamtbild abgaben. Auf einem kleinen, runden Tisch lagen einige Bücher, die sich die Gäste wegnehmen konnten, und an einer Wand hingen selbstgestaltete, bunte Regenschirme. Auf dem weißen Holztresen standen große, runde Gläser mit – wie Cassie vermutete – selbstgebackenen Keksen. Sie entdeckte Willow an einem der gerade mal sechs Tische, die in dem kleinen Raum Platz gefunden hatten. Sie setzte ein Lächeln auf, als sie zu ihr an den Tisch trat und atmete erleichtert auf, als Willow aufstand, um sie mit einer innigen Umarmung zu begrüßen. Vielleicht stand doch nicht so viel zwischen ihnen, wie sie geglaubt hatte. Sie hoffte allerdings, dass sich das nicht ändern würde, sobald sie ihr von ihrem Bruder erzählte, von dem Willow nach wie vor nichts wusste.

Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen, Willows Wunsch zu akzeptieren, sie nicht weiter in die Sache hineinzuziehen, doch dass sie noch weitere Geschwister hatten, musste sie auf jeden Fall erfahren. Wenn sie auch zu ihnen keinen Kontakt wollte, war Cassie bereit, das zu akzeptieren, doch sie sah es als ihre Pflicht an, ihr das nicht länger zu verheimlichen.

„Wie geht's dir?", fragte sie, als sie sich schließlich gegenübersaßen. Willow lächelte und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Ganz gut. Und dir?", wollte sie wissen.

„Ganz okay", antwortete Cassie.

„Was macht John?"

Sie seufzte innerlich.

„Ist in Berlin für zwei Tage, irgendwas mit dem Label besprechen", antwortete Cassie. „Und Carlos?"

Willow grinste.

„Hat sich jetzt ein Buch gekauft, vermutlich, um mir irgendetwas zu beweisen", antwortete sie.

„Was für ein Buch?", wollte Cassie wissen. Willows Blick wurde düster.

„Lolita", murmelte sie. Cassie prustete los.

„Na herzlichen Glückwunsch", grinste sie. „Klingt, als wäre das was für ihn."

„Als er neulich bei mir war, hat er ganz stolz gegrinst. Ich habe ihn gefragt, was passiert ist und er hat gesagt: Ich habe mir ein Buch gekauft. Kannst du dir meinen Blick vorstellen, als er das aus der Tasche gezogen hat?", erzählte Willow. Cassie schmunzelte.

„Vermutlich derselbe Blick, den du mir zugeworfen hast, als ich diesen Wikinger-Roman gelesen habe", gab sie zurück.

„So ähnlich auf jeden Fall", grinste Willow. „Am liebsten hätte ich ihn damit erschlagen."

„Na immerhin hast du ihn jetzt ans Lesen gekriegt", stellte Cassie fest.

„Ich bin gespannt, ob er es zuende liest", sagte Willow.

„Kommt ganz darauf an, wie viele unartige Abschnitte es gibt", witzelte Cassie. Willow verdrehte die Augen.

„Hast du das Wikinger-Buch schon weggeworfen? Vielleicht wäre das eher was für ihn", konterte sie trocken.

„Wahrscheinlich", kommentierte Cassie. „Ging ja schließlich gut zur Sache."

Als die Kellnerin an ihren Tisch trat, bestellte Cassie sich einen Latte Macchiato und ein Stück Apfelkuchen. Willow entschied sich für einen Milchkaffee.

„Erzähl, wie läuft die Uni?", setzte Cassie ihren Smalltalk fort, als die Kellnerin wieder gegangen war.

„Ganz gut. Bald habe ich erstmal ein paar Wochen frei, aber dann muss ich anfangen, für die Prüfungen zu lernen", erzählte Willow und verzog leidend das Gesicht. „Wirklich Lust habe ich nicht."

„Kann ich verstehen", räumte Cassie ein. „Apropos: ich fand Lernen ja schon immer ziemlich öde und habe deshalb etwas Praktisches gemacht."

„Wie kommst du eigentlich mit der Planung für deine Show voran?", wollte Willow wissen.

„Schleppend, ehrlich gesagt. Das Konzept steht, aber ich hatte noch keine Zeit, das Team zusammenzustellen und außerdem muss ich mich um die Finanzierung kümmern", antwortete Cassie.

„Was ist mit deinen Sponsoren?", hakte Willow interessiert nach.

„Bisher haben sie sich noch nicht dazu geäußert. Wenn von denen keiner zusagt, muss ich mir eine Alternative überlegen", erzählte Cassie, als die Kellnerin mit den beiden Kaffees und ihrem Kuchen zurückkehrte.

„Was wäre mit John?", wollte Willow wissen. Cassie schüttelte entschieden den Kopf.

„Wirklich nur im Notfall", sagte sie. „Er würde nicht zögern, mir zu helfen, aber erstmal möchte ich die Reaktionen meiner Sponsoren abwarten."

„Aber wenn dir keine andere Möglichkeit bliebe, würdest du es annehmen?", fragte Willow.

„Vermutlich schon", räumte Cassie ein. „Allein schon, weil das wirklich mein Traum ist, und ich nicht weiß, wie viel Energie ich hätte, nochmal um einen Kredit zu kämpfen; so wie damals für mein Tanzstudio."

Willow schmunzelte.

„Weißt du noch, wie deprimiert du warst, weil du geglaubt hast, irgendein Arschloch hat dir dein Traumstudio vor der Nase weggekauft?", fragte sie und schob sich den Keks in den Mund, der zuvor auf der Untertasse ihres Milchkaffees gelegen hatte. Cassie lächelte bei der Erinnerung daran, wie glücklich sie gewesen war, als John ihr damals die Schlüssel symbolisch zum Geburtstag geschenkt hatte, um sie damit zu überraschen.

„Noch nie und nie wieder hat mir jemand so etwas Unglaubliches geschenkt; vermutlich will ich ihm auch nur deshalb ein so tolles Geburtstagsgeschenk machen", erwiderte sie grinsend und blendete für einen Moment die kleine Krise aus, die sie derzeit bewältigen mussten.

„Bist du denn jetzt komplett durch mit der Planung?", hakte Willow nach.

„Ja, es ist soweit alles gebucht. Marten war mir wirklich eine große Hilfe", antwortete Cassie.
„Was macht Rotlicht-Antonio eigentlich?", wollte Willow wissen.

„Weiß nicht. Verbringt viel Zeit mit Nika und treibt sich sonst auf dem Kiez rum", erwiderte Cassie schulterzuckend.

„Er kann froh sein, dass er eine so tolerante Freundin gefunden hat", kommentierte Willow und löffelte etwas vom Milchschaum.

„Auf jeden Fall", pflichtete Cassie ihr bei.

„Meinst du, John dreht durch, wenn er sich ein paar Tage nicht um sein Albumrelease kümmern kann?", fragte Willow.

„Ich bringe ihn um, wenn er sich querstellt", lachte Cassie.

„Ich bin wirklich gespannt, wie er reagiert", sagte Willow. Cassie nippte an ihrem Latte Macchiato, bevor sie sich die Gabel schnappte und von dem Kuchen probierte. Er schmeckte köstlich.

„Ich bin vor allem gespannt, wie er guckt, wenn er erfährt, dass das der Grund für meine häufigen Treffen mit Marten war", grinste sie. „Hoffentlich entschuldigt er sich dann bei mir für seine blöden Kommentare."

„Er wird sich diesbezüglich nie ändern, Cas", lächelte Willow.

„Wahrscheinlich", pflichtete sie ihr bei.

„Warst du nochmal bei Mama?", wollte Willow wissen.

„Ja, neulich. Wir haben uns dort mit Malcolm getroffen."

Willow legte den Löffel wieder auf die Untertasse.

„Irgendwie seltsam, dass sie euch das zugesteht, oder?", fragte ihre kleine Schwester.

„Sie hat gesagt, sie will uns nicht im Weg stehen und hat uns stattdessen die Gelegenheit geboten, uns bei ihr zu treffen, nachdem-"

Als sie merkte, was sie im Begriff war zu sagen, brach sie ab. Willows Augenbraue schnellte skeptisch in die Höhe.

„Nachdem was?"

Cassie seufzte schwer.

„Die Stimmung zwischen uns ist gerade so gut. Das möchte ich echt nicht kaputt machen. Außerdem hast du deutlich gemacht, dass du dich aus allem raushalten willst, was ihn betrifft und ich akzeptiere das", antwortete Cassie.

Willow biss sich unschlüssig auf die Unterlippe, schien über die Worte ihrer großen Schwester nachzudenken. Cassie realisierte unterdessen, dass sie keine bessere Gelegenheit mehr bekommen würde, Willow von Andre und Riana zu erzählen.

„Ich möchte es trotzdem wissen", sagte sie schließlich. „Einfach, weil es dabei auch um dich geht und es mich deinetwegen interessiert."

„Das erste Treffen ist nicht besonders gut gelaufen", erzählte Cassie.

„Er hat sich also beschränkt benommen", schlussfolgerte Willow augenrollend.

„Nein, das war es gar nicht, es..."

Cassie brach ab, suchte nach den richtigen Worten, bis sie realisierte, dass es die vermutlich gar nicht gab. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, biss sich auf die Unterlippe und wandte sich dann wieder Willow zu.

„Er ist nicht allein zu dem Treffen gekommen", sagte sie schließlich.

„Er hat seine Neue mitgebracht?", platzte es aus Willow heraus.

„So ähnlich", seufzte Cassie, bevor sie ernst wurde. „Wir haben einen Bruder, Willow."

„Was?", fragte sie ungläubig, so, als hätte sie Cassie nicht verstanden.

„Wir haben einen Bruder", wiederholte Cassie. „Und als wäre das noch nicht genug, haben wir auch noch eine kleine Schwester."

Einen Moment lang schaute Willow ihr einfach nur schweigend in die Augen. Ihr Mund öffnete sich, doch sie sagte nichts, während Cassie das Herz bis zum Hals schlug. Die Enttäuschung in Willows Augen war dieselbe wie die in ihren, als sie von Andre und Riana erfahren hatte. Willow schüttelte energisch den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie schluckte sie herunter. Cassie wusste ganz genau, wie sie sich gerade fühlte.

„Ich glaube das einfach nicht", sagte sie tonlos und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich weiß, das-"

„Ich wünschte, du hättest mir das nicht gesagt", unterbrach Willow sie harsch, bevor sie ruckartig den Stuhl nach hinten schob, aufstand und sich ihren Mantel schnappte, der bis gerade eben über der Stuhllehne gehangen hatte.

„Willow", sagte Cassie besänftigend, doch ihre kleine Schwester hörte ihr schon längst nicht mehr zu. Ohne sie noch einmal anzuschauen, stürmte sie fluchtartig aus dem Laden.

Das ist ja richtig gut gelaufen, oder? Tut mir sehr leid für Cassie, aber Willow wollte es ja auch wissen... ist jetzt gerade alles etwas viel für die Arme, oder? Ach Mensch, ich würde so gern noch ein paar mehr Kapitel veröffentlichen, aber dann kommt @saelamju am Ende nicht mehr hinterher mit dem Beta-Lesen und bei meiner neuen Geschichte hänge ich auch gerade :(

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