3 | 31 | Übertrieben?

Heute gibt es endlich das  neue Kapitel :) Ich wünsche euch viel Spaß damit. Ich weiß jetzt schon, was ihr sagen werdet... Aber vielleicht überrascht ihr mich ja doch :D 

„Hat sie sich wieder eingekriegt?", fragte John und warf seinem Cousin einen kurzen Blick zu. Marten saß neben ihm auf der Couch und tippte auf seinem Smartphone herum.

„Ja, alles entspannt. Ich weiß ja inzwischen, wie ich sie ruhigstellen kann", entgegnete er grinsend.

John schüttelte den Kopf.

„Du solltest froh sein, dass sie dich überhaupt heiratet", lachte er.

„Ich bin zwar oft unterwegs, aber dafür kümmere ich mich gut um sie und es fehlt ihr auch an nichts", betonte Marten.

„Ich denke, sie wäre nicht traurig darüber, wenn du weniger mit halbnackten Frauen auf dem Kiez rumhängen würdest", sagte John und warf seine Snapback achtlos neben sich auf die Couch.

„Sie weiß schon, dass ich nichts mach'", erwiderte Marten entschieden.

„Ich glaube trotzdem, dass du mal mit ihr darüber reden musst, wie das alles weitergeht, wenn ihr verheiratet seid", gab John zurück. Marten runzelte skeptisch die Stirn.

„Weil?"

„Weil ich neulich, als ihr bei uns gewesen seid und ich etwas zu trinken holen war, ein Gespräch zwischen Nika und Cassie aufgeschnappt habe. Sie macht sich Gedanken über eure Zukunft. Sie hat zu Cas gesagt, manchmal stellt sie sich vor, mit dir ein normales Leben zu leben", offenbarte er ihm. Er hatte es ihm schon früher sagen wollen, doch es hatte sich nicht ergeben.

Marten stieß hörbar die Luft aus.

„Was ist schon normal, Diggi?", fragte Marten. „Ihr beide habt auch keine normale Beziehung."

„Stimmt. Aber möglicherweise solltest du mit ihr darüber reden, wie du dir das alles vorstellst, wenn ihr erstmal verheiratet seid. Ich denke, sie wünscht sich einfach ein anderes Leben für euch, will es dir aber nicht sagen, weil sie weiß, dass du vermutlich direkt dichtmachst", entgegnete John.

„Würde ich auch", gab er offen zu. „Weil das alles absurd und sie manchmal zu naiv ist. Was glaubt sie denn, wo ich mit all meinen Tattoos und Vorstrafen arbeiten sollte? Selbst, wenn ich wollte – das würde nicht gehen."

John wollte gerade etwas erwidern, als die Haustür ins Schloss fiel. Cassie war also wieder zuhause. Automatisch schaute er auf die Uhr an seinem Handgelenk. Er hoffte, dass die Verabredung mit ihrem Vater harmonisch verlaufen war und sie sich an ihre Abmachung gehalten hatte. Als seine Freundin kurz darauf das Wohnzimmer betrat, schaute er zu ihr auf.

„Hey", begrüßte sie ihn, als sie den Raum durchquerte, und beugte sich für einen Begrüßungskuss zu ihm herunter.

„Hey", wiederholte er. „Warst ja ganz schön lang weg."

„Hätte ich dich zwischendurch fragen dürfen, ob ich länger draußen bleiben darf?", grinste sie, löste sich von ihm und ließ sich von Marten in eine Umarmung ziehen.

„Und, wie war's?", fragte John neugierig. „Was habt ihr gemacht?"

Er musterte sie aufmerksam. Sie seufzte.

„Er hat uns Karten für Lola gekauft", sagte sie.

John verdrehte die Augen. Ihr Vater musste unglaublich ignorant sein. Anders konnte er sich diesen empathielosen Einfall nicht erklären.

„Ich sage doch, dass er sich nicht mit dir beschäftigt hat, sonst würde er erst gar nicht auf so idiotische Ideen kommen. Hat es sich wenigstens gelohnt?", wollte er wissen.

„Als die Show losging, bin ich direkt aufgestanden und gegangen", offenbarte sie. „Hab nicht ausgehalten, mir das anzusehen."

„Verständlich", sagte er. „Und dann?"

„Sind wir noch in so ein Bistro an der Alster gefahren", antwortete sie knapp; etwas zu knapp für seinen Geschmack. Er hob die Augenbrauen und sah sie prüfend an. Sie blinzelte verräterisch, so, wie sie es häufiger tat, wenn sie versuchte, ihm etwas zu verheimlichen.

„Okay", entgegnete er, um sie in Sicherheit zu wiegen. Als sie sich jetzt eilig von ihm abwandte, bestätigte sie seine Vermutung. Für ihn war es offensichtlich, dass sie es vermied, ihm in die Augen zu schauen. Er schnaubte wütend.

„Was?", fragte Marten skeptisch, als sie verschwunden war.

„Da stimmt was nicht", antwortete John.

Marten seufzte, bevor er sich den Schlüsselbund auf dem Wohnzimmertisch schnappte.

„Ich muss eh los, Diggi."

„Auf den Kiez?", hakte er nach, als sie aufstanden.

„Nee. Nach Hause", lächelte er. „Hab ihr versprochen, dass ich heute früh zurückkomme."

John grinste.

„Es ist gleich halb zwölf."

„Ist doch früh", kommentierte Marten verständnislos und folgte ihm in den Eingangsbereich.

„Du hättest auch absagen können", sagte John. „Ich hätte verstanden, wenn du gern Zeit mit ihr verbracht hättest."

„Sie war sowieso mit Janet verabredet", antwortete Marten. „Neuerdings haben sie ihren Freundinnen-Abend wieder eingeführt. Dem wollte ich natürlich nicht im Weg stehen", setzte er großzügig hinzu.

„Verstehe, willst Freund des Jahres werden."

Marten schüttelte grinsend den Kopf.

„Ich versuche einfach, meiner Freundin entgegenzukommen."

„Indem ihr brunchen geht", sagte John trocken. Sein Cousin hatte ihm vorhin davon erzählt und er konnte es noch immer nicht fassen.

„Sie steht eben drauf und muss schon genug zurückstecken, also kann ich ihr auch hin und wieder mal eine Freude machen."

„Rede lieber mit ihr über eure Zukunft und überleg dir, wie du ihr da entgegenkommen kannst", gab John zurück.

„Mal schauen", murmelte Marten, als sie sich verabschiedeten.

Als John kurz darauf das Schlafzimmer betrat, lag Cassie mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Nur in Unterwäsche bekleidet streckte sie erschöpft alle Viere von sich. Er schaute prüfend auf sie herab, als sie alarmiert ihre Augen aufschlug.

„Was ist passiert?", fragte er ernst.

Sie runzelte die Stirn.

„Was meinst du?", gab sie sich ahnungslos, doch er hatte sie längst durchschaut.

„Du verheimlichst mir was", stellte er fest und schloss die Tür hinter sich.

„Ich bin einfach nur müde, okay? Lass mich bitte schlafen", flehte sie.

„Ich kenne dich, Locke. Du bist sonst nie so kurz angebunden; es sei denn, du willst ablenken. Also... Was soll ich nicht wissen?"

Sie biss sich auf die Unterlippe. Offenbar hatte sie erkannt, dass Leugnen sinnlos war.

„Rachid war auch bei der Aufführung."

Er hob überrascht die Augenbrauen.

„Ach was...", lächelte er wütend. „Und du hast auch noch mit ihm geredet, ja?"

Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. Er ignorierte ihre Geste, setzte sich mit etwas Abstand zu ihr aufs Bett.

„Er muss mich gesehen haben, als ich fluchtartig den Saal verlassen habe, denn als ich frische Luft schnappen wollte, stand er plötzlich hinter mir", erzählte sie. Seine Gesichtszüge wurden hart.

„Lass mich raten; er wollte dich vollheulen, weil es ihm so leidtut, dass er dir das mit der Show versaut hat", kombinierte er.

„Ja", antwortete sie.

„Musste der nicht auf der Bühne rumhampeln?", knurrte er mürrisch.

„Er tanzt nicht mit bei der Show", antwortete sie. Er hob gereizt eine Augenbraue.

„Du bist ja gut informiert."

„Er hat sich bei mir entschuldigt und ich habe ihm verziehen. Viel schlimmer war aber, dass mein Vater dabei war und er vor ihm breitgetreten hat, wie genau damals alles abgelaufen ist; dass ich mich verletzt habe, Paola meine Rolle bekommen hat und wir zerstritten waren. Irgendwie ist da alles wieder hochgekommen. Als er verschwunden ist, hat Malcolm mir angeboten, zu gehen. Aber die ganze Sache hat mich einfach so sehr beschäftigt, dass ich darüber sprechen musste und-"

„Du hast ihm also dein Herz ausgeschüttet", schlussfolgerte er. Sie nickte. Er rückte an sie heran.

„So schlimm, dass du vor mir weglaufen musst, ist das jetzt auch nicht", sagte er und legte seinen Arm um sie. Erst, als sie ihm reumütig in die Augen sah und sich dabei schuldbewusst auf die Unterlippe biss, realisierte er, dass das nicht die ganze Geschichte war, denn das bisher Erwähnte betraf eher sie selbst. Es musste also noch mehr dahinterstecken; etwas, dass ihn sehr wohl betraf. Er seufzte genervt.

„Ging es dabei auch um unsere Beziehung?", wollte er wissen.

„Irgendwie, jedenfalls."

„Was heißt irgendwie?", hakte er nach.

„Rachid hat erwähnt, sie hätten im Team darüber geredet, wie viel du damals dafür aufgegeben hast, um für mich da zu sein und anschließend gefragt, ob es stimmen würde, dass du beinah abgestochen worden wärst und ich deshalb alle Termine abgesagt hätte", offenbarte sie.

„Du hast das abgestritten, oder?", wollte er wissen.

„Natürlich", beteuerte sie. „Ich bin doch nicht blöd."

Er atmete tief durch.

„Woher weiß er das überhaupt?", fragte er stirnrunzelnd.

„Irgendeine Freundin von ihm arbeitet in der Notaufnahme und konnte offensichtlich ihren Mund nicht halten", antwortete sie.

Er presste knirschend seine Kiefer aufeinander. Es fiel ihm schwer, seine Wut zu kontrollieren. Cassie konnte schließlich nichts dafür, dass Rachid sie darauf angesprochen hatte.

„Dein Dad hat das alles mitbekommen, ja?", fragte er gereizt.

Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte.

„Ich habe es abgestritten", gab sie leise zurück. „Aber wahrscheinlich kommt er auch selbst drauf, dass da etwas dran sein könnte."

„Du hättest nicht vor ihm mit diesem Spinner darüber reden sollen", entgegnete er wütend.

„Was hätte ich tun sollen? Ihn weghexen?", wollte sie wissen.

„Ihm sagen, dass er sein Maul halten soll", konterte er und durchbohrte sie mit seinem Blick.

„Das habe ich doch – als ich gemerkt habe, was er sagen will", verteidigte sie sich.

„Zu spät offensichtlich", erwiderte er. „Man, Cas, ich habe dich einfach nur darum gebeten, nicht über uns zu reden."

„Ich habe nicht über uns geredet", sagte sie energisch. „Du tust, als könnte ich was dafür, dass Rachid auf einmal vor mir steht und nach einer herzzerreißenden Entschuldigung einfach-"

„Ist doch auch so", unterbrach er sie verständnislos. „Was sprichst du überhaupt mit dem?! Hättest du dich nicht darauf eingelassen, wäre das gar nicht erst passiert!"

„Du gibst mir wirklich die Schuld an einer Sache, die ich nicht beeinflussen konnte? Tut mir leid, dass ich einfach mit der Situation überfordert gewesen bin und mich meine Gefühle überrollt haben, als ich in diesem beschissenen Theatersaal gesessen habe. Ich wusste nicht mal, wo mir der Kopf stand oder was mir mehr zugesetzt hat; dass ich daran erinnert werde, die Show aufgegeben zu haben, oder dass Paola gestorben ist. Glaubst du wirklich, ich habe da irgendwie an uns gedacht oder daran, irgendetwas auszuplaudern? Ich wollte einfach nur weg von dort. Rachid hat mich eiskalt erwischt. Ich war auf das alles nicht vorbereitet", platzte es verletzt aus ihr heraus.

„Klar konntest du – oder hat dich jemand gezwungen, dem Arschloch zuzuhören?"

Sie stieß verächtlich die Luft aus.

„Es kotzt mich an, dass du ständig so tust, als wärst du immer Herr über die Situation", fauchte sie. „Ich habe weder mit ihm noch mit meinem Dad freiwillig über all das gesprochen! Es ist einfach aus der Situation heraus passiert und als Malcolm später nachgehakt hat, habe ich es geleugnet und das Thema gewechselt. Mehr kann ich echt nicht tun, John."

Er stand kopfschüttelnd auf.

„Und mich kotzt es an, dass er jetzt Dinge weiß, die ihn nichts angehen", konterte er, nicht mehr länger fähig dazu, seine Wut zu kontrollieren. Bevor er die Beherrschung verlieren konnte, verließ er das Schlafzimmer.

„Er ist trotz allem mein Dad, John!", rief sie ihm hinterher. Ihre Aussage machte ihn noch wütender, denn sie zeigte, dass sie nach wie vor nichts verstanden hatte. Also kehrte er noch einmal zu ihr zurück.

„Falsch – er ist lediglich ein Erzeuger!", pöbelte er. „Ein Fremder! Nicht nur für mich, sondern auch für dich, man! Du hast ihn über zwanzig Jahre nicht gesehen! Woher willst du wissen, ob du ihm vertrauen kannst?! Woher willst du wissen, dass er aus reiner Nächstenliebe wieder hier auftaucht, und nicht, weil er irgendetwas von dir will?!"

Inzwischen war sie aufgestanden und schaute trotzig zu ihm auf.

„Hörst du mir zu? Ich habe ihm das nicht von mir aus aufgetischt. Es war Rachid, der das Fass aufgemacht hat und ich habe Schadensbegrenzung betrieben, so gut ich konnte! Und warum tust du Arschloch mir eigentlich ständig weh, seit er den Kontakt zu mir gesucht hat?"

„Jetzt bin ich wieder das Arschloch von uns beiden, weil ich auf uns aufpassen will?!", fuhr er sie an.

„Auf uns aufpassen?! Du entwickelst eine regelrechte Paranoia! Ständig glaubst du, dass jeder uns schaden will! Vielleicht solltest du aufhören, so viel zu rauchen. Das bekommt dir scheinbar nicht mehr so gut!"

Er konnte nicht glauben, dass sie das gerade tatsächlich sagte. Auch, wenn er sie nicht absichtlich verletzt hatte – sie konnte es offenbar mindestens genauso gut wie er. Er stieß ein wütendes Schnauben aus.

„Paranoia, ja?!", schrie er ihr so laut ins Gesicht, dass sie zusammenzuckte. „Bin ich der einzige, der aus der Sache mit Rome was gelernt hat?! Bin ich umsonst fast für dich draufgegangen?!"

„Oh nein!", konterte sie kopfschüttelnd. „Dreh das jetzt bloß nicht so! Du hast ihn angeschleppt. Du hattest deine Eifersucht nicht im Griff und hast geglaubt, es wäre eine gute Idee, ihn mir vorzusetzen! Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn noch in der Nacht rausgeworfen, in der er bei uns eingebrochen ist! Aber du hast mich gebeten, dir zu vertrauen! Ich habe es getan; ganz egal, was am Ende passiert ist. Warum kannst du jetzt nicht mir vertrauen?"

Es stimmte; sie hatte ihm vertraut. Bis heute glaubte er tief in seinem Herzen, dass es seine Schuld war, wie die Dinge damals verlaufen waren. Dennoch zeigte es auch, wohin sein falscher Instinkt gepaart mit ihrem blinden Vertrauen sie gebracht hatte. Er war beinah gestorben, weil er ihrer Intuition nicht vertraut, sondern sich darüber hinweggesetzt hatte.

Auf einmal war er sich nicht mehr sicher, was besser war; auf seinen eigenen Instinkt zu vertrauen, der ihm sagte, dass sie Malcolm nicht vertrauen durften, oder auf den von Cassie, der schon einmal richtig gewesen war. Er war innerlich zerrissen und nicht in der Lage, das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. Es war eine der wenigen Situationen, in denen er derart überfordert war, dass er sich der Diskussion nicht mehr gewachsen fühlte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen trat er den Rückzug an, riss die Schlafzimmertür auf und warf sie laut krachend hinter sich zu.

Ja, ich weiß, irgendwie nervt es uns alle, dass er sich jetzt so aufregt und unnötig ausflippt, oder? Ich finde jedenfalls, dass er überreagiert und an ihrer Stelle wäre ich wirklich wütend auf ihn. Finde, er sollte versuchen, sich auch mal in sie hineinzuversetzen... Aber für alle, die jetzt sauer auf mich sind und denen die Harmonie fehlt: ich arbeite dran, ehrlich!

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