3 | 29 | Lola

Zeit für das neue Kapitel, meine Herzen. Es ist einfach über 3000 Wörter lang. Ich hoffe, es gefällt euch. Also ich mag es. Hätte es am liebsten aufgeteilt, damit wir länger was von den beiden haben... Aber gut, ich kann es nicht ewig hinauszögern.

„Hat doch alles ganz gut geklappt, oder?", fragte Nika, als Cassie ihr dabei half, die Spülmaschine einzuräumen.

„Zum Glück", sagte Cassie erleichtert, drehte sich zu ihr um und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Anrichte. „Am Anfang habe ich wirklich nicht daran geglaubt, dass das Essen harmonisch verlaufen könnte."

„Verständlich. John hat ihn das letzte Mal ja ziemlich auflaufen lassen", erwiderte Nika.

„Dieses Mal haben wir uns einfach besser darauf vorbereitet", gab Cassie zu. „Wir haben vorher abgesprochen, worüber wir reden und was wir für uns behalten wollen. Da John sich heute nicht so überrumpelt gefühlt hat, gab es gar nicht erst Anlass zu Reibereien."

„Das war vermutlich wirklich eine gute Taktik", sagte Nika und strich sich lächelnd die blonden langen Haare nach hinten. „Die Jungs haben sich zwischenzeitlich richtig angeregt unterhalten."

„Stimmt. Zum Thema Autos haben sie alle genug zu sagen", grinste Cassie bei der Erinnerung an die Diskussion, die zwischen Malcolm, Andre, John und Marten ausgebrochen war.

„Schade, dass Willow nicht gekommen ist", sagte Nika.

„Ich habe ihr gesagt, sie soll das für sich selbst entscheiden. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich sie nicht dazu zwingen kann, unserem Vater eine Chance zu geben und weiß, dass ich ihren Wunsch respektieren muss", entgegnete Cassie traurig.

„Vielleicht taut sie ja doch noch auf, wenn sie erstmal sieht, dass er sich tatsächlich um dich bemüht", spekulierte Nika.

„Ja, vielleicht", wiederholte Cassie bedrückt.

„Ich finde es jedenfalls gut, dass du jetzt mehr mit deinem Vater unternehmen willst", ermutigte Nika sie.

„Irgendwie muss ich ja versuchen, ihn kennenzulernen", lächelte Cassie. „Auch, wenn John ganz und gar nicht begeistert ist."

Nika runzelte die Stirn.

„Wieso? Er hat sich doch vorhin wirklich Mühe gegeben, deinen Vater in Gespräche zu verwickeln, auch, wenn sie ziemlich oberflächlich geblieben sind", stellte Nika fest.

„Richtig, aber ich kenne ihn und muss ihn nur ansehen, um zu wissen, dass er das mir zuliebe getan hat; einfach, weil ich ihn darum gebeten habe und er weiß, dass mir dieser Abend viel bedeutet hat. Wirklich interessiert hat ihn die Unterhaltung mit meinem Vater aber trotzdem nicht und ich bin mir sicher, dass, wenn ich ihn jetzt fragen würde, er sich an die Hälfte des Gesprächs auch nicht mehr erinnern könnte", erwiderte Cassie.

„Er ist eben skeptisch. So gleichgültig, wie dich dein Vater lange Zeit behandelt hat, kann ich das sogar verstehen. Wenn jemand so mit Marten umgegangen wäre, hätte die Person bei mir auch einen schlechten Start; einfach aus Solidarität", gab Nika zurück.

„Ich weiß, was du meinst", lächelte Cassie. „Aber ich finde es gut, dass mein Vater sich von Johns distanzierter Art nicht beirren lässt, sondern weiterhin signalisiert, wie wichtig ihm unser Verhältnis ist."

„Ich denke, sobald John sieht, wie ernst es deinem Vater ist, wird er anfangen, sich zu öffnen; genau wie du. Noch haltet ihr euch beide etwas zurück. Das ist sicher nicht verkehrt", entgegnete Nika.

„Ich hoffe einfach, dass sich alles positiv entwickelt", seufzte Cassie.

„Klar. Du musst euch nur etwas Zeit geben; euch allen", sagte Nika aufmunternd.

„Vermutlich hast du Recht und ich erwarte einfach viel zu viel auf einmal", räumte Cassie ein. „Schließlich hatten wir über zwanzig Jahre überhaupt keinen Kontakt miteinander."

„Eben", lächelte Nika.

„Manchmal habe ich trotzdem Bedenken, dass er plötzlich doch wieder einen Rückzieher macht", offenbarte Cassie.

„John?", hakte Nika nach.

„Malcolm", korrigierte Cassie. „Es wäre ja nicht das erste Mal."

„Das stimmt, aber er hat dir die Situation erklärt. Auch, wenn ich persönlich es nicht nachvollziehen kann, zeigt seine Offenheit, dass er jetzt einen Neuanfang möchte und dafür auch riskiert, von dir zurückgewiesen zu werden", sagte Nika.

Cassie nickte.

„Du hast Recht", pflichtete sie Nika bei.

„Weißt du, Cas. Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass du mit deinem Vater ins Reine kommst und es zumindest versuchst. Du hast dir das all die Jahre gewünscht und ihm jetzt eine neue Chance zu geben, zeigt nicht nur Größe, sondern auch, dass du dich weiterentwickelt hast. Wenn es am Ende wider Erwarten doch schiefgehen sollte, sind wir alle da, um dich aufzufangen."

Cassie lächelte, bevor sie Nika dankbar in eine Umarmung zog.

„Du bist eine tolle Freundin", sagte sie. „Gott sei Dank hat Marten dir einen Antrag gemacht, damit du ihm nicht mehr wegläufst."

Nika schmunzelte, als sie sich voneinander lösten.

„Vielleicht sagst du ihm das mal. Manchmal habe ich das Gefühl, er hat das längst vergessen", grinste Nika.

„Hat er nicht. Er lässt sich dazu herab, mit dir Brunchen zu gehen. Wenn das mal kein Zugeständnis ist."

Nika verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse.

„Ich mag Brunchen. Was ist so schlimm daran?"

Cassie grinste amüsiert.

„Nichts. Es ist einfach nur oberspießig", erwiderte sie.

„Das sagst du nur, weil du nie brunchen gehst. Das wäre zum Beispiel etwas, das du mit deinem Vater unternehmen könntest", kommentierte Nika und griff damit Cassies vorangegangene Frage auf.

„Ich gehe doch nicht mit ihm brunchen", protestierte sie und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Doch, denn falls es unangenehm wird, kannst du dich ins Essen stürzen und probieren, es auf diese Weise erträglich zu machen. Außerdem wäre das ganz bestimmt auch was für John", konterte Nika.

„Willst du mir damit sagen, dass mein Freund verfressen ist?", hakte Cassie nach und hob skeptisch eine Augenbraue.

„Quatsch, niemals", grinste Nika frech.

„Vermutlich hast du Recht", schmunzelte Cassie. „Ich kann ja mal darüber nachdenken, aber ich bin sicher, dass John uns nicht begleiten wird. Er hat sich das jetzt einmal für mich angetan. Wahrscheinlich sollte ich nicht damit übertreiben, ihn immer mit zu meinen Treffen zu schleppen. Außerdem will ich Malcolm ja wirklich kennenlernen und glaube, dass es kontraproduktiv ist, wenn John immer dabei ist."

„Dann gehst du eben mit ihm allein. Ich denke einfach, dass es eine gute Atmosphäre wäre. Und besser als die Idee mit dem Zoo ist sie allemal", griff Nika einen von Malcolms Vorschlägen auf. Cassie prustete kopfschüttelnd los.

„Das war wirklich unangenehm. Wie kommt er bitte darauf, mit mir in den Zoo zu gehen? Er weiß schon, dass ich mittlerweile keine sechs Jahre mehr alt bin, oder?"

„Vielleicht dachte er, weil du Tiere magst, würdest du dir mit ihm gern mal wieder welche anschauen", erwiderte Nika trocken.

„Wenn ich drei Kinder hätte und nicht wüsste, wie ich sie sonst beschäftigen sollte", erwiderte Cassie nüchtern.

„Vielleicht fängst du erstmal mit einem an", lachte Nika, unwissend, welche unerfüllte Sehnsucht sie damit in Cassie triggerte. Dennoch setzte sie ein tapferes Lächeln auf.

„Wahrscheinlich", sagte sie knapp, bevor sie sich von Nika abwandte und ein paar Gläser aus einem der Schränke holte.

„Habe ich was Falsches gesagt?", fragte Nika und beobachtete, wie Cassie den Schrank wieder schloss. Kurz dachte sie darüber nach, mit Martens Freundin über ihre Gefühle zu sprechen, doch nach dem emotional belastenden Abend mit Malcolm und Andre glaubte sie, das nicht auch noch wegstecken zu können. Sie brauchte jetzt einfach eine Auszeit von ihren Problemen.

„Nein, alles okay", log sie also und bemühte sich, ihre Frustration zu verbergen. „Gibt es eigentlich was Neues von deinen Eltern?"

„Passend zum Thema gehen wir nächsten Sonntag alle gemeinsam zum Brunch. Ich hoffe inständig, dass sie sich wie zwei Erwachsene verhalten und vielleicht sogar die Chance besteht, dass sie sich einander wieder annähern", antwortete Nika.

„Es wäre ihnen zumindest zu wünschen", sagte Cassie, als sie sich wieder zu Nika umdrehte. „Sie waren schließlich sehr lang zusammen und dass dein Vater in einen Stripclub gegangen ist, war zwar nicht so cool, aber er hat sie jetzt auch nicht betrogen oder so was."

„Leider sieht meine Mutter das nicht so locker", gab Nika zurück. „Für sie ist das schon ein sehr schlimmer Vertrauensbruch."

„Kann ich mir vorstellen. Wäre ich nicht mit solchen Jungs wie John und Marten großgeworden, hätte ich vermutlich dieselben Ansichten", räumte Cassie ein. „Andere würden vermutlich auch mit dem Kopf schütteln, wenn sie wüssten, dass es mir inzwischen egal ist, in wie viele Stripclubs John geht, so lang er mit den Mädchen dort wirklich nichts macht."

„Aber wäre es dir auch egal, wenn solche Mädchen für ihn arbeiten würden?", wollte Nika wissen.

Cassie seufzte.

„Ich würde zumindest erwarten, dass er mir Verständnis entgegenbringt, wenn es mich stören würde, dass er sich die Nächte mit denen um die Ohren schlagen muss", gab sie zu. „Marten macht es dir wirklich nicht leicht, was das angeht, oder?"

Nika schüttelte den Kopf.

„Nein. Vor allem dieses ständige Schweigen macht mich wahnsinnig", antwortete sie. „Ich weiß genau, dass er dann wieder irgendwas von mir fernhalten will, und das beunruhigt mich beinah mehr als die Nächte mit diesen Mädchen."

„Ich kann dich verstehen", versicherte Cassie. „Ich wäre genau wie du."

„Manchmal wünschte ich mir, er würde dieses Leben hinter sich lassen und sich einen normalen Job suchen", offenbarte Nika leise und warf einen flüchtigen Blick in Richtung Wohnzimmer, wo Marten mit John auf der Couch saß und Playstation zockte. Sie schienen sich dabei zu unterhalten, also war die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie das Gespräch ihrer Freundinnen belauschten.

Cassie atmete tief durch.

„Das glaube ich dir, aber leider bezweifele ich, dass er das tun würde", erwiderte sie.

„Ich weiß. Und ich wusste ja auch, worauf ich mich einlasse. Trotzdem stelle ich mir manchmal vor, wie es sein könnte, und muss sagen, dass mir die Vorstellung gefällt, dass er nachts neben mir im Bett liegt und ich ruhig schlafen kann."

„Vielleicht eines Tages, wenn er älter wird", rätselte Cassie nachdenklich. „Möglicherweise erkennt er dann, dass er das nicht machen kann, bis er achtzig ist."

Nika grinste.

„Kannst du ihn dir mit achtzig noch in so einem Laden vorstellen?", fragte sie.

„Vermutlich zusammen mit John, als Highlight der Woche, wenn sie mal Ausgang aus dem Altenheim haben."

„Ihr wollt uns also später ins Heim abschieben, ja?"

Überrascht fuhren die beiden zu John herum, der gerade die Küche betreten hatte. Cassie runzelte aufmerksam die Stirn und versuchte in seinen Augen zu lesen, wie viel ihres Gesprächs er belauscht hatte.

„Niemals", betonte Cassie und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er ließ es geschehen und sah misstrauisch auf sie herab, während er seine Hände an ihre Taille legte. „Und wenn ich ein fieser, perverser, alter Sack werde, der immer jüngeren Frauen auf den Arsch haut?"

„Selbst dann würde ich mir keine Sorgen machen, denn vermutlich bist du für die ganzen jungen, knackigen Weiber dann sexuell kein Bisschen mehr interessant", konterte sie trocken. „Keine Frau steht darauf, ihren eigenen Opa flachzulegen."

„Cassie!", lachte Nika und schlug ihre Hände vors Gesicht.

„Was denn? Ist doch so", grinste Cassie und drückte John einen Kuss auf, bevor sie sich aus seiner Umarmung drehte.

„Haben wir noch was zu Knabbern da?", fragte John und warf einen Blick in den Schrank, in dem Cassie üblicherweise die Süßigkeiten bunkerte.

„Hast du alles aufgegessen, als wir neulich den Film zusammen geguckt haben", antwortete sie.

„Klar, jetzt bin ich wieder schuld", entgegnete er kopfschüttelnd. „Fahr mal zur Tanke und hol was zu Snacken."

„Fahrt ihr doch zur Tanke", warf Nika ein.

„Klar, und dann kommen sie mit Wodka und Hennessy zurück", schob Cassie trocken hinterher.

„Wollt ihr uns loswerden oder so?"

„Gut erkannt", grinste Cassie und drückte ihm einen weiteren Kuss auf.

„Ey, Bro!", rief John Marten zu. „Lass auf den Kiez. Die haben keinen Bock mehr auf uns."

„Und du glaubst echt, das ändert sich, wenn die achtzig sind?", fragte Nika seine Freundin trocken.

„Keine Sorge", zischte Cassie. „Bis dahin kriegen die eh keinen mehr hoch."

„Locke...", sagte John mahnend.

„Was?", fragte sie unschuldig.

Er schüttelte schwer seufzend den Kopf.

„Unglaublich, dass ich noch mit dir zusammen bin."

„Ich liebe dich auch", versicherte sie ihm, während er sich eine Flasche Cola schnappte.

„Jaja. Nur, dass ihr es wisst – ihr könnt ruhig hierbleiben. Marten und ich wollen unter uns sein und haben keinen Bock auf Weibergesabbel."

Cassie schaute ihm grinsend hinterher.

„Vielleicht machen wir das doch mal mit dem Brunch."

„Hast du vorhin schon einen festen Tag mit deinem Dad ausgemacht?", hakte Nika nach. Da Cassie ihre Gäste an der Tür verabschiedet hatte, hatte sie die letzte Absprache verpasst.

„Er bleibt noch ein paar Tage und sagte, er hätte schon eine Idee. Ich werde ihm deine mal vorschlagen, aber ansonsten kann ich das ja das nächste Mal machen."

„Klingt gut", sagte Nika.

„Finde ich auch", räumte sie ein. „Sollen wir wieder zu den Jungs?"

Noch immer war es surreal für Cassie, als sie ein paar Tage später tatsächlich auf ihren Vater wartete. Er hatte sich seiner eigenen Aussage nach eine Kleinigkeit einfallen lassen, jedoch noch nicht verraten wollen, worum es sich handelte. Normalerweise liebte sie Überraschungen, doch heute war ihr mulmig zumute. Als der Wagen pünktlich in die Einfahrt rollte, schlüpfte sie in ein Paar Winterboots, die sie mit einem lässigen, beigefarbenen Strickpullover, einer knackig-engen Jeans und einem knielangen Wollmantel kombiniert hatte.

„Denk dran, worüber wir gesprochen haben."

Sie fuhr zu John herum, der hinter sie getreten war. Sie schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln.

„Keine Details über unsere Beziehung", versprach sie, schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihm einen Kuss auf.

„Und auch sonst nicht", korrigierte er mürrisch. Sie atmete tief durch.

„Komm schon. Fang nicht schon wieder damit an", bat sie ihn.

„Mache ich nicht", sagte er. „Ich erinnere dich nur daran. Also, sei einfach vorsichtig, egal, wie korrekt er zu dir ist."

Sie löste sich von ihm und zog die Haustür auf. Da es bitterkalt war, huschte sie eilig zu Malcolms Wagen. Als sie einstieg, wurde sie sofort von einer wohligen Wärme eingehüllt. Sie begrüßten sich nach wie vor verhalten, was ihr nur recht war. Noch war es für eine innige Umarmung viel zu früh.

„Wohin geht's denn?", fragte sie, als sie sich angeschnallt hatte, und er den Wagen wieder aus der Einfahrt lenkte.

„Das wird eine Überraschung", sagte er betont geheimnisvoll. Erst jetzt bemerkte sie die elegante Hose und den teuren Kashmir-Pullover, die unter dem teuren Mantel hervorschauten. An seinem Handgelenk funkelte eine teure Uhr.

„Du hast dich ja richtig schickgemacht", kommentierte sie, während er sich in den laufenden Verkehr einfädelte.

„Ich gehe schließlich nicht jeden Abend mit meiner hübschen Tochter aus", kommentierte er. Sie wusste nicht, was sie von dieser Aussage halten sollte, dennoch lächelte sie und drückte sich in den weichen Beifahrersitz. „Hattest du einen guten Tag?", setzte er den Smalltalk interessiert fort. Sie seufzte schwer und strich sich automatisch über ihre schmerzenden Oberschenkel. Noch immer spürte sie jeden einzelnen ihrer Muskeln.

„Ich habe heute den ganzen Tag Kurse gegeben", offenbarte sie erschöpft.

„In der Tanzschule?", hakte er nach.

„Ja, ich bin für eines der Mädchen eingesprungen. Mir tut alles weh", erwiderte sie.

„Dann ist es ja gut, dass wir etwas Entspannendes machen", lächelte er.

„Wie stehen die Chancen, dass du es mir verrätst, bevor wir dort sind?", wollte sie wissen und musterte ihn neugierig von der Seite. Sein dunkles Lachen erfüllte den Innenraum des Wagens.

„Vergiss es", sagte er entschieden.

Sie atmete lautlos durch, bevor sie ihren Blick aus dem Fenster gleiten ließ und den Lichtern dabei zuschaute, wie sie an ihr vorbeizogen. Dabei verwickelte Malcolm sie in ein oberflächliches Gespräch. Sie ließ sich darauf ein, redete mit ihm über ihren anstrengenden Tag in der Tanzschule und hörte ihm zu, als er von seinen Terminen mit alten Freunden am Vormittag erzählte, die er bereits zwanzig Jahre nicht gesehen hatte. Irgendwann blieben sie im dichten Hamburger Verkehr stecken. Plötzlich erkannte sie, wohin sie fuhren. Sie drehte ihm ihren Kopf zu.

„Wir schauen uns Lola an?", fragte sie und probierte, ihre Begeisterungslosigkeit zu verbergen. Malcolm lächelte stolz. „Ich dachte, das könnte dir gefallen", antwortete er und folgte einer Schlange von Autos auf einen riesigen Parkplatz. Cassie schluckte betroffen. Ihr Hals wurde trocken und ihre Finger kribbelten unruhig.

„Ja, das ist wirklich toll", erwiderte sie und zwang sich zu einem Lächeln, während Malcolm der Anweisung von einem der Parkplatzwächter folgte. Als er das Auto abgestellt hatte, stieg sie nur widerwillig aus. Warum ausgerechnet Lola?

Sie folgten den anderen Besuchern zum Einlass. Sie seufzte lautlos, als sie an dem großen, bunten Plakat mit dickem Schriftzug vorbeikamen. Es zeigte die Silhouette einer Tänzerin. Ihre Füße schmerzten noch immer von diesem anstrengenden Tag. War das nicht schon genug?

Sie bemühte sich, Malcolm seine Idee nicht übelzunehmen. Er wusste schließlich nicht, dass sie bereits den gesamten Tag getanzt hatte und konnte nicht wissen, dass sie sich nicht auch noch jetzt damit beschäftigen wollte.

Ausgerechnet Lola!

Hatte er sich denn überhaupt nicht mit Cassie oder ihrer Biografie beschäftigt?

„Ist alles okay?"

Die dunkle Stimme ihres Vaters riss sie aus ihren Gedanken, als sie den Einlass erreichten.

„Ja, klar", log sie lächelnd, während Malcolm die Tickets vorzeigte.

„Der Einlass hat bereits begonnen", sagte der nette Mann und deutete auf die Empore. Sie ließ ihren Blick durch das elegante Foyer schweifen. Modern, elegant und stilvoll waren die Attribute, die das Schauspielhaus am ehesten beschrieben. Hohe Decken, große Kronleuchter, ein komplett offen gestaltetes Treppenhaus – es wirkte wie eine Filmkulisse.

„Ich habe noch zwei richtig gute Plätze bekommen", versicherte Malcolm.

„Cool", erwiderte sie niedergeschlagen. Ob sie ihm sagen sollte, dass Lola ein Spin-Off der Show war, deren Rolle nach ihrer Verletzung damals Paola zugewiesen worden war? Dass sie beinah Teil des Ganzen geworden wäre und sich damit einen ihrer Lebensträume erfüllt hätte?

Als sie neben Malcolm in den weichen Sitz mit direktem Blick auf die Bühne fiel, wurde ihr schmerzlich, dass dieser Traum geplatzt war. Eigentlich hatte sie es sein wollen, die dort auf der Bühne stand und der all diese Leute zuschauten, doch dazu war es nie gekommen.

Das Gemurmel der Stimmen um sich herum nahm sie kaum noch wahr, versank stattdessen in ihren Erinnerungen rund um jene Zeit, in der von heute auf morgen alles vorbei gewesen war. Ihr Streit mit Paola, ihr Sturz, ihre Verletzung und ihre harte Zeit der Rehabilitation. Plötzlich wurde es dunkel, das Geräusch von Regen setzte ein und ein Spot der Bühne wurde hell erleuchtet. Hinter dem hellen Vorhang war die Silhouette einer Tänzerin zwischen Hochhausschluchten zu erkennen. Leise Musik setzte ein. Cassie hielt den Atem an, während ihr Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Sie erkannte den Song; es war jener Song, der Lola als Paolas ursprüngliche Rolle damals in einem Solo in das Stück eingeführt hatte. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter, als sie realisierte, dass die Tänzerin hinter dem Vorhang Paolas Solo-Choreografie tanzte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, das alles nicht mehr zu ertragen. Heiße Tränen brannten in ihren Augen, als sie sich ihren Mantel schnappte und aus dem Saal flüchtete.

Das ist ja richtig gut gelaufen, oder was meint ihr? Tut sie euch auch ein kleines bisschen leid? Also mir schon. Ich hoffe, ihr habt euch über das Wiedersehen mit Nika gefreut. Ich freu mich schon jetzt auf die Fortsetzung ihrer Geschichte mit Marten, aber dafür müssen wir uns noch ein kleines bisschen gedulden. Erst mal sind Cassie und John dran. Glaubt ihr, ihr Verhältnis zu ihrem Vater wird sich bessern, jetzt, wo er sich bemüht und Zeit mit ihr verbringen will? Er gibt sich ja wirklich Mühe. Oder wie seht ihr das?

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