3 | 27 | Zweite Chance
Zeit fürs Update, meine Lieben :) Ich denke, es könnte euch gefallen. Ich mag es auf jeden Fall sehr - und ein kleiner Spoiler vorab: sie streiten sich nicht. :p Und es ist extra-lang. 3500 Wörter. Nur für euch. Außerdem überlege ich, weil Adinavid mich damit so penetriert, meine Maxwell-Kurzgeschichte online zu stellen. Aber sie ist (aus meiner Sicht) echt nicht gut. Wenn jemand dennoch dafür ist, schreibt es in die Kommentare. Hier geht es erstmal weiter mit Cassie & John.
„Bist du bald fertig?"
Cassie musterte John ungeduldig. Der saß seelenruhig auf dem Beifahrersitz und tippte noch immer auf dem Display seines Handys herum.
„Bin gleich bei dir", murmelte er, ohne vom Display aufzusehen.
„Kannst du das nicht später machen? Wir sind schon zu spät", bat sie ihn.
„Kannst du aufhören, rumzunörgeln?", konterte er seufzend, während er das Handy wegsteckte. „Siehst du. Ich bin bereit."
Sie verdrehte die Augen.
„Komm schon, ich möchte oben sein, bevor er hier aufkreuzt."
Sie stieg aus dem Wagen und wartete auf John, dann schloss sie ab und ließ den Schlüsselbund in ihrer Tasche verschwinden. John umrundete den Wagen und legte den Arm um sie.
„Du bist echt unentspannt, Locke", kommentierte er, als sie sich in Bewegung setzten.
„Wärst du das nicht an meiner Stelle?", fragte sie und sah zu ihm auf.
„Heute bin ich dabei. Also chill", lächelte er.
„Kann ich nicht. Wenn er wieder Sachen sagt, die mich aufregen, vergesse ich mich vermutlich", räumte sie ein.
„Und auch dann bin ich da, um zu schlichten", sagte er beruhigend.
„Hoffen wir, dass es gar nicht erst etwas zu Schlichten gibt", entgegnete sie, als sie den Eingang des Hauses erreichten, in dem ihre Mutter wohnte.
„Ich finde es cool von deiner Mum, dass sie dir angeboten hat, euch bei ihr zu treffen", sagte John, als sie die Haustür mit dem Zweitschlüssel öffnete.
„Das stimmt allerdings, immerhin hat er sie auch im Stich gelassen", kommentierte sie mürrisch, während sie gemeinsam die Treppenstufen nach oben gingen. „Aber sie hat gesagt, dass sie versteht, dass ich ihn nicht nochmal öffentlich treffen möchte und uns eine Aussprache gern trotz aller Umstände ermöglichen will, damit es nicht wieder so unangenehm werden kann."
„Korrekt von ihr", lächelte er, als sie den oberen Treppenabsatz erreichten. Sie schloss die Wohnungstür auf.
„Mum?", fragte sie in die Stille der Dachgeschosswohnung hinein, zog die Winterjacke aus und hing sie an die kleine Garderobe des in Mint-Tönen gestrichenen Flurs. Durch ein Fenster war er tagsüber lichtdurchflutet. Unmittelbar rechts von ihr lag das Badezimmer mit Dusche und Badewanne. Hinter dem Bad befanden sich die Küche und das Wohnzimmer mit Balkon. Sie hatten es in erdigen Tönen gestrichen und mit Familienfotos dekoriert. Links vom Eingang befand sich Cassies altes Zimmer, das von ihrer Mutter inzwischen als Schlafzimmer und Büro genutzt wurde.
„In der Küche."
Sie lächelte, als sie der Stimme ihrer Mutter folgte, während John seine Jacke über ihre hing. Die kleine, dunkelhaarige Frau lehnte in geblümter Bluse und Jeans an der Anrichte in der Küche, deren Wände in Akzenten ebenso bordeauxrot gestrichen waren wie die Farbe der lackierten Küchenschränke.
„Hey, Mum", lächelte sie und ließ sich von ihrer Mutter in eine herzliche Umarmung ziehen, bevor sie John begrüßte, der ihr mittlerweile gefolgt war.
„Geht es euch gut?", fragte ihre Mutter und musterte die beiden eindringlich. Ihre großen, blauen Augen, die Cassie von ihr geerbt hatte, strahlten fröhlich, als sich ihr Mund zu einem Lächeln verzog. Auch das hatte Cassie von ihr.
„Ja, alles in Ordnung", antwortete sie. Noch immer hatte sie mit ihrer Mutter nicht über ihre Probleme gesprochen, schwanger zu werden, doch gerade war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
„Und dir?", fragte sie John. Cassie war glücklich über das gute Verhältnis der beiden. Sie hatten sich von Anfang an gut verstanden und auch, nachdem sie sich eine Zeit voneinander getrennt hatten, hatte ihre Mutter John wieder mit offenen Armen empfangen. Sie wusste zu schätzen, dass er es verstand, ihre Tochter glücklich zu machen. Für sie war John wie der Sohn, den sie nie bekommen hatte. Auch andersherum war die Liebe groß. Cassie wusste, dass ihre Mutter John so viel bedeutete, dass er bedingungslos alles für sie tun würde.
„Das Album kommt bald. Viel zu tun. Du weißt ja, wie viel ich dann immer um die Ohren hab. Aber wir haben das erste Video abgedreht. Das ist ganz gut geworden", sagte er. „Und wie ist es bei dir?"
Ihre Mutter seufzte schwer.
„Viel zu tun, momentan schiebe ich auf der Arbeit ständig Überstunden", antwortete sie.
„Du solltest dir wirklich mal Urlaub nehmen. Du kannst nicht immer die Welt retten", sagte Cassie kopfschüttelnd.
„Ist wirklich so", pflichtete John ihr bei. „Pass mal besser auf dich auf, bevor ich dich in eine Nervenheilanstalt bringen muss."
„Du kannst ja mal ein paar Tage für mich einspringen", schlug ihre Mutter vor. John schüttelte entschieden den Kopf.
„Nee, danke. Aber ich besorge dir eine Krankmeldung, wenn du willst."
„Ich muss leider direkt los, sonst komme ich zu spät zu meiner Schicht. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich", sagte sie lächelnd zu Cassie. „Ihr kennt euch ja schließlich aus."
„Klar", sagte sie. „Ich bin dir sowieso schon dankbar genug, dass du uns deine Wohnung zur Verfügung stellst."
„Das ist wirklich kein Problem. Auch, wenn ich keinen besonderen Wert auf deinen Vater lege, möchte ich euch zumindest eine Chance geben, euch auszusprechen. Danach kannst du immer noch in Ruhe darüber nachdenken, was du damit machen willst", betonte ihre Mutter.
Cassie konnte es ihr nicht verübeln, schließlich hatte ihr Vater sie verlassen und jahrelang kein Interesse für sie oder seine Töchter gezeigt. Sie drückte ihre Mutter kurz gerührt an sich und schloss die Augen.
„Das ist wirklich toll von dir", sagte sie, ehe sie ihre Mutter freigab. Die wandte sich an John.
„Ich hab euch ein paar Flaschen Bier in den Kühlschrank gestellt."
„Echt jetzt?", fragte John lächelnd. „Hast du vielleicht auch noch was Gras da?"
Cassies Mutter grinste.
„Da musst du dich schon selbst versorgen."
Cassie schüttelte den Kopf. Bereits seit sie sich kennengelernt hatten, machte John keinen Hehl aus seinem Cannabis-Konsum, doch ihre Mutter hatte seltsamerweise nie ein Problem damit gehabt. Ihr war lediglich wichtig, dass er nicht irgendwo versackte. Anders sah es allerdings mit harten Drogen aus.
„Geraucht wird nur auf dem Balkon", wies sie ihn an.
„Ist aber voll kalt draußen", protestierte John. Cassie schmunzelte.
„Vergiss es, John", konterte ihre Mutter. „Du weißt, ich liebe dich, aber ich will nicht wieder drei Tage lüften müssen, um den Gestank loszuwerden."
„Weil du keine Ahnung hast. Wenn du endlich mal mit mir einen rauchen würdest, dann würdest du erkennen, wie gut das duftet", grinste John. Cassies Mutter wurde ernst.
„Also. Ich bin weg. Keine Schlägerei in meiner Wohnung, ganz egal, wie beschränkt sich mein Ex verhält, okay?"
Er lachte.
„Mach dir keinen Kopf, Rosi. Du kennst mich. Ich kann mich benehmen, auch, wenn es mir schwerfällt", grinste er.
„Ich weiß", entgegnete sie und schloss auch ihn nochmal in die Arme, ehe sie im Flur verschwand, um sich die Schuhe und die Jacke anzuziehen. Nur einen Moment später stand sie wieder mit der geschulterten Handtasche im Türrahmen, winkte den beiden noch einmal zum Abschied zu und verschwand.
„Willst du auch'n Bier?"
Cassie runzelte die Stirn, als er den Kühlschrank öffnete.
„Sie ist nicht mal zwei Sekunden weg und du fängst schon an zu saufen", kommentierte sie trocken. „Nein, danke. Ich mag eh nicht so gerne Bier, und wahrscheinlich bleibe ich auch besser bei Wasser, bevor die Situation später unangenehm eskaliert."
„Hier", sagte John und reichte ihr eine Flasche. Sie nahm sie lächelnd entgegen. Anschließend ließ sie sich an den Küchentisch fallen, während John die Flasche mit einem Feuerzeug öffnete, bevor er sich zu ihr setzte. Sie schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk.
„Er ist zu spät", seufzte sie.
„Wenn er nicht kommt, saufe ich das Bier trotzdem weg, okay?"
Sie warf ihm einen düsteren Blick zu. Er lachte.
„Tut mir leid, Baby", sagte er versöhnlich und drückte ihr einen Kuss auf, als es schließlich klingelte.
„Sieht so aus, als müsstest du dich von dem Gedanken verabschieden, das alles allein zu trinken", kommentierte sie, stand auf und ging in den Flur, um die Tür zu öffnen.
„Wer weiß, vielleicht trinkt er ja auch Cola oder so", grinste er, als er hinter ihr auftauchte. Sie hatte bereits den Türöffner betätigt und die Wohnungstür geöffnet. Heute war ihr Vater deutlich legerer gekleidet als beim letzten Mal, trug einen beigefarbenen Strickpullover und eine Jeans. Als er sie sah, lächelte er und überspielte das unschöne Ende ihres letzten Treffens. Nach einer kurzen Begrüßung bat Cassie ihn ins Wohnzimmer. Als sie ihm etwas zu trinken angeboten und auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich zu John. Malcolm musterte die beiden neugierig.
„Du bist also ihr Freund", sagte er an John gewandt.
„Richtig", bestätigte der.
„Schön, dass du mitgekommen bist", sagte Malcolm.
„Als Cassie gesagt hat, dass sie sich mit ihrem Vater trifft, wollte ich mir das nicht entgehen lassen."
Sie warf ihm einen kritischen Seitenblick zu.
„Verständlich. Ihr seid schließlich schon ziemlich lang zusammen, oder?", hakte ihr Vater nach.
Sie hob misstrauisch eine Augenbraue.
„Woher weißt du das?", wollte sie wissen.
„Du hast John damals schon erwähnt, als wir kurz vor Weihnachten über ein Treffen gesprochen haben."
Sofort flammten Erinnerungen an die Vorweihnachtszeit von vor elf Jahren auf. Sie hatte die Enttäuschung zwar inzwischen verarbeitet, jedoch nicht vergessen, wie hilflos und unerwünscht sie sich damals gefühlt hatte.
„Du meinst damals, als du erst um ein Treffen gebeten und es dann kurzfristig wieder abgesagt hast?", fragte sie anklagend.
„Andre hat es dir ja schon erzählt", entgegnete er reumütig. „Die Umstände damals haben es einfach zu dem Zeitpunkt nicht zugelassen. Rianas Mutter wäre beinah gestorben. Ich hatte wirklich viel um die Ohren damit, mich um alles zu kümmern."
„Und danach?", warf John provokant ein. „Was hat dich all die Jahre daran gehindert, für deine Tochter da zu sein?"
„John", zischte Cassie, denn sie fand, dass er übers Ziel hinausschoss, auch, wenn er eigentlich nur auf ihrer Seite war und dieselben Fragen stellte, die sie selbst beschäftigten.
„Ich war einfach zu feige. Ich dachte, du würdest mir sowieso die Tür vor der Nase zuschlagen", sagte Malcolm an Cassie gewandt.
„Warum dann auf einmal jetzt?", wollte sie wissen.
„Ich habe immer bereut, nicht den Mut gehabt zu haben, trotzdem auf euch zuzugehen. Neulich ist ein guter Freund von mir überraschend verstorben und da habe ich realisiert, dass das Leben zu kurz, um mich länger vor meinen Ängsten zu verstecken", antwortete er.
Sie seufzte lautlos. Zu hören, dass auch er kürzlich jemanden verloren hatte, machte sie nachdenklich. Sie selbst hatte nach Paolas Tod ähnlich gedacht.
„Tut mir leid, das zu hören", sagte sie aufrichtig. „Auch in meinem Umfeld ist jemand gestorben; eine ehemalige Freundin. Ich kann deine Beweggründe also nachvollziehen."
„Oh. Mein Beileid", erwiderte Malcolm betroffen.
„Wir hatten keinen Kontakt mehr miteinander. Aber durch ihren Tod habe ich über mein derzeitiges Leben nachgedacht und bin zu einer ähnlichen Erkenntnis gekommen", erzählte sie. John warf ihr einen verhaltenen Blick zu.
„Ich bereue, dass ich euch verlassen habe", sagte Malcolm ernst und sah ihr dabei fest in die Augen.
„Warum hast du es dann getan?", wollte sie wissen. Es fühlte sich wie eine Befreiung an, ihm diese Frage zu stellen.
„Meine Gefühle zu eurer Mutter haben sich verändert, nachdem deine Schwester auf die Welt gekommen ist", erwiderte er.
„Aber du hattest Kinder mit ihr", sagte sie und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Ich kann einfach nicht begreifen, wie du uns einfach so verlassen konntest."
„Die Army hat mir einen neuen Job angeboten und ich musste eine Entscheidung treffen", antwortete er. „Ich habe geglaubt, dass das in der Situation der richtige Schritt war; ein Neuanfang in einer neuen Stadt."
„Wie konntest du mit deinem Gewissen vereinbaren, dich um diese Verantwortung zu drücken? Waren wir dir wirklich so egal, dass du dich nicht in der Pflicht gesehen hast, dich um uns zu kümmern?", wollte sie wissen.
„Ihr seid mir nicht egal gewesen", beteuerte er.
„Warum hast du dich dann nicht mehr gemeldet? Warum musste Mum dich erst verklagen, damit du Unterhalt für uns zahlst? Was haben Willow und ich dir getan?"
Erst jetzt merkte Cassie, dass Tränen der Enttäuschung in ihren Augen brannten. Sie schluckte sie herunter.
„Weil ich eine Frau kennengelernt habe."
Seine Worte verletzten sie tief in ihrem Herzen.
„Du hast eine Frau deinen Kindern vorgezogen?", platzte es getroffen aus ihr heraus.
„Ich weiß, dass das nicht richtig war. Damals habe ich geglaubt, dass ein klarer Schnitt das Beste für alle Beteiligten ist", machte er einen lahmen Versuch, sich zu erklären.
„War es aber nicht", fauchte sie. „Wir haben dich gebraucht, Willow und ich. Kannst du dir vorstellen, wie beschissen es sich angefühlt hat, auf diese Weise von dir verstoßen zu werden? Nicht mal ein Anruf zum Geburtstag oder ein Brief an Weihnachten... Was haben wir dir getan, dass es dich nicht einmal interessiert hast, wie es uns geht? Was aus uns wird? Ob wir einen Abschluss machen oder einen Freund haben?"
Sie merkte erst, dass sie sich in Rage redete, als John besänftigend ihre Hand nahm. Sie atmete tief durch.
„Ich weiß, dass ich das nie wieder gut machen kann. Ich habe euch wahnsinnig enttäuscht und euch den Vater vorenthalten, der ich hätte sein müssen. Das tut mir alles so unendlich leid", räumte er ein.
„Das stimmt allerdings", kommentierte sie kühl.
„Aber ich war damals ein anderer, Cassie. Heute habe ich aus all diesen Fehlern gelernt und will mein Bestes geben, es in Zukunft besser zu machen", schwor er eindringlich. Sie schüttelte traurig den Kopf.
„Das Schlimme ist, dass du es bei Andre genauso gemacht hast", stellte sie fest. „Ihn hast du auch einfach verlassen; für uns."
Er nickte.
„Das weiß ich. Auch er hätte jedes Recht gehabt, mich abzuweisen."
Sie seufzte lautlos und schluckte die Tränen herunter.
„Ich weiß nicht, ob ich dir eine Chance geben kann", sagte sie ehrlich.
„Das ist in Ordnung", erwiderte er. Sie ließ Johns Hand los und strich sich durch die Locken.
„Weißt du, Malcolm. Ich habe mir mein ganzes Leben gewünscht, dass du eines Tages vor meiner Tür stehen würdest, um mir zu sagen, dass du es bereust, uns im Stich gelassen zu haben und du ab jetzt für uns da sein wirst, doch jetzt, wo ich nicht mehr damit gerechnet habe und es auf einmal Wirklichkeit wird, überfordert es mich; genauso wie die Gewissheit, dass ich weitere Geschwister habe."
„Es tut mir leid, dass ich sie euch so lang vorenthalten habe", beteuerte Malcolm. „Ich tue alles, um euch endlich zusammenzubringen."
„Elf Jahre ist meine kleine Schwester alt und ich weiß nicht einmal, wie sie aussieht", sagte sie leise. Malcolm schwieg einen Moment, bevor er das Handy aus der Tasche zog und darauf herumtippte.
„Das ist sie", sagte er, als er ihr das Handy gab. Sie warf mit nervösen Fingern einen Blick auf das Display. Als sie das kleine Mädchen auf dem Foto sah, schlug sie die Hand vor den Mund, denn die Ähnlichkeit mit ihr selbst war unverkennbar. Das Mädchen mit dem blauen Pullover hatte wie sie wilde Afrolocken, große Augen mit langen Wimpern und volle Lippen. Auch John betrachtete das Bild.
„Sie sieht aus wie ich in dem Alter", stellte Cassie fest, bevor sie Malcolm das Handy wiedergab. „Hast du dich wenigstens um sie gekümmert?"
„Ihre Mutter hat mich vor zwei Jahren verlassen", antwortete er. „Es hat einfach nicht mehr gepasst."
„Was heißt das? Hast du oder hast du nicht?", wollte sie wissen.
„Ich sehe sie alle zwei Wochen, ja", bestätigte er. Sie wusste nicht, ob sie innerlich erleichtert oder getroffen sein sollte. Einerseits freute sie sich darüber, dass ihrer kleinsten Schwester dasselbe Schicksal erspart geblieben war, andererseits beneidete sie sie um die Jahre, denen ihr selbst der Vater gefehlt hatte.
„Das ist schön", kommentierte sie und schluckte ihre Wut herunter. „In der wievielten Klasse ist sie?"
„In der sechsten", antwortete Malcolm lächelnd. „Englisch und Kunst sind ihre Lieblingsfächer."
„Wie ist sie sonst so?", hakte sie neugierig nach.
„Ein sehr aufgewecktes, neugieriges Mädchen; so wie du damals."
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
„Immerhin weißt du das noch", seufzte sie.
„Auch, wenn ich nicht bei dir war, habe ich nichts von dir vergessen", erwiderte er. „Ich erinnere mich an so Vieles; an den Spielplatz zum Beispiel, auf dem ich dich beim Schaukeln immer anschubsen musste, oder wie gern du mit Puppen gespielt und mich dazu gezwungen hast, mit dir zu spielen."
„Schade, dass du nicht da warst, als ich erwachsen geworden bin", sagte sie. „Zu meinen Geburtstagen, meinem Abschluss oder der Eröffnung meiner Tanzschule."
„Das würde ich sehr gern nachholen, wenn du mich lässt", beteuerte er.
„Da gibt es nichts nachzuholen", warf John kühl ein. „Verpasst ist verpasst."
Erst jetzt realisierte Cassie, dass er sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte.
„Ich würde mich trotzdem freuen, wenn du mir davon erzählst", probierte Malcolm, eine Eskalation abzuwenden.
„Müsste sie nicht, wenn du da gewesen wärst", knurrte John. Sie legte ihm besänftigend die Hand auf den Oberschenkel.
„John...", sagte sie leise.
„Nein, er hat ja Recht", räumte Malcolm ein. „Ich war ein schlechter Vater. Über viele Jahre. Jetzt muss ich dafür geradestehen – auch, wenn es unangenehm ist."
Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen, denn es schien ihm wirklich ernst zu sein.
„Cassie und ich, wir sind schon ziemlich lang zusammen. Ich habe damals mitbekommen, wie es ihr ging, und es hat ewig gedauert, sie aus diesem Loch zu holen, weil du einen Rückzieher gemacht hast. Ich lasse nicht zu, dass das nochmal passiert", erklärte John.
„Es ist schön zu sehen, dass du ihr den Rücken freihältst", lächelte Malcolm überraschenderweise.
„Ist doch normal in einer Beziehung", sagte John und nippte an seiner Bierflasche.
„Ich habe es erst in meiner dritten langen Beziehung verstanden", gab Malcolm zu. „Erst, als es Rianas Mutter so schlecht ging."
„Bist du denn gerade in einer Beziehung?", wollte Cassie wissen.
„Ja", bestätigte Malcolm. „Seit etwa einem Jahr."
„Weiß sie, dass du dich mit uns triffst?", hakte sie nach, um herauszufinden, ob die Gefahr bestand, dass er seine Kinder für die nächste Frau wieder verließ.
„Ja, ich war von Anfang an ehrlich zu ihr und habe ihr gesagt, dass es längst überfällig ist, dass ich meiner Verantwortung nachkomme und mich um euch kümmere", antwortete er.
„Und sie hat kein Problem damit?", bohrte sie weiter.
„Selbst, wenn sie eines damit hätte, würde ich denselben Fehler nicht noch einmal machen", erwiderte er. „Aber nein, sie hat kein Problem damit. Sie befürwortet es sogar."
Sie atmete innerlich erleichtert auf.
„Wohnst du mit ihr zusammen?", fragte sie interessiert.
„Ja, sie ist zu mir gezogen", gab er zurück. „Und ihr?"
„Schon ein paar Jahre", entgegnete sie.
„Wie lang seid ihr jetzt genau zusammen?", erkundigte Malcolm sich interessiert.
„Lang", sagte John wortkarg.
„11 Jahre", fügte sie hinzu.
„Wow, das ist ja fast euer halbes Leben."
„Naja", nuschelte John.
„Mit Unterbrechung", korrigierte sie. „Waren ein paar Jahre getrennt."
John warf ihr einen seltsamen Seitenblick zu.
„Aber ihr habt wieder zusammengefunden", lächelte Malcolm anerkennend.
„Richtig", kommentierte John knapp.
„Wie habt ihr euch denn eigentlich kennengelernt?", wollte ihr Vater wissen.
„Auf einer Hiphop-Party", antwortete sie. „Haben aber vergessen, Nummern auszutauschen."
„Und wie habt ihr euch wiedergefunden?", fragte Malcolm.
„Wir haben uns bei einem Dance-Battle wiedergesehen", sagte sie. „Danach haben wir uns nochmal getroffen und er hat mich auf einen Burger eingeladen."
„Liebe geht eben durch den Magen", lachte Malcolm.
„Bei ihm auf jeden Fall", grinste sie.
„Du isst mindestens genauso gern wie ich", kommentierte John.
„Gemeinsamkeiten sind wichtig", gab Malcolm zurück. „Gibt es noch etwas, das ihr gern zusammen macht?"
„Schlafen", entgegnete John trocken.
Cassie seufzte lautlos. Es war offensichtlich, dass John nicht wusste, worüber er sich mit ihrem Vater unterhalten sollte. Sie konnte es ihm nicht einmal verübeln, schließlich ging es ihr ähnlich. Doch gerade schien es, als würde sich die Unterhaltung in eine gute Richtung entwickeln. Mehr über ihren Vater zu erfahren half ihr, mit der Distanz fertigzuwerden, die zwischen ihnen lag.
„Wenn wir die Zeit dazu finden", schob sie hinterher und lächelte versöhnlich.
„Hast sicher viel zu tun mit deiner Tanzschule", schlussfolgerte Malcolm.
„Ich gebe nicht mehr so viele Kurse wie früher. Einmal die Woche unterrichte ich Hiphop und Freestyle, die restliche Zeit kümmere ich mich ums Büro oder mache Jobs für externe Auftraggeber", erzählte sie.
„Was sind das für Jobs?", fragte Malcolm.
„Unterschiedlich. Workshops, Foto-Aufträge oder Videodrehs zum Beispiel."
„Klingt interessant", lächelte Malcolm. „Verdienst du damit gut?"
„Zusammen kommen wir ganz gut klar", erwiderte sie. John warf ihr einen mürrischen Blick zu und nippte an seiner Bierflasche.
„Was machst du denn beruflich?", fragte Malcolm ihren Freund neugierig.
„Ich bin Unternehmer", antwortete John mystisch.
„In welchem Bereich?", fragte Malcolm.
„Ich habe ein eigenes Tattoo-Studio", entgegnete John. Es war nicht einmal gelogen.
„Cool", antwortete Malcolm. „Also bist du Tätowierer."
„Nee, mir gehört nur der Laden. Das Tätowieren überlasse ich anderen", gab er zurück.
„Und davon könnt ihr euch ein Haus am Hamburger Stadtrand und ein so teures Auto leisten?", wollte er wissen. John runzelte die Stirn.
„Und?", fragte er abweisend.
„Nichts und. Es freut mich einfach zu hören, dass es euch gutgeht", erklärte Malcolm. „Wie bist du darauf gekommen?"
„Wozu?", fragte John verständnislos.
„Ein Tattoo-Studio zu kaufen."
„Du bist ziemlich neugierig für einen Typ, den ich nicht kenn'."
John, John, John... Ein bisschen netter könnte er schon sein, immerhin zeigt Cassies Dad endlich mal Interesse. Oder gebt ihr ihm Recht und findet, dass Malcolm sich vielleicht ein bisschen zu sehr für ihr Leben interessiert? Könnt ihr Johns abweisendes Verhalten verstehen? Und wie hat euch das Kapitel sonst gefallen? Ich bin gespannt auf eure Kommentare.
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