3 | 23 | Welcome Home

Beinah hätte ich es vergessen. Tut mir leid. Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch 😁

Cassie schaute perplex in Andres Gesicht, als sie ihm die Haustür öffnete. Er stand wie selbstverständlich vor ihr, hatte die Hände in den Taschen seines kamelfarbenen Mantels vergraben und musterte sie. Wie hatte er herausgefunden, wo sie wohnte und weshalb tauchte er einfach ungefragt hier auf?

Seit sie ihn vor ein paar Tagen wutentbrannt hatte stehenlassen und mit Marten verschwunden war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Weder er noch ihr Vater hatten bisher versucht noch einmal Kontakt aufzunehmen. Umso überraschter war sie, dass er auf einmal unerwartet vor ihr stand.

„Was machst du denn hier?", fragte sie wenig begeistert, darauf bedacht, die Tür nicht weiter als nötig zu öffnen. Sie hatte nach wie vor keine besonders große Lust, mit ihm zu sprechen.

„Ich wollte nochmal mit dir reden", sagte er und schaute eindringlich in ihre Augen.

„Und da besorgst du dir einfach so meine Adresse und tauchst unangemeldet hier auf?", fragte sie gereizt.

„Ich war mir sicher, dass du einfach auflegen würdest, wenn ich dich anrufe", sagte er. Sie seufzte theatralisch. Er hatte vermutlich Recht.

„Kann schon sein", sagte sie ehrlich.

„Siehst du."

„Aber ich könnte dir auch die Tür vor der Nase zuschlagen", überlegte sie.

„Ich hatte gehofft, dass du mir zumindest vorher zuhören würdest", erwiderte er.

Sie atmete tief durch und kaute auf ihrer Unterlippe herum.

„Komm schon, Cassie. Ich bin extra allein hergekommen, um mich nochmal mit dir ohne Publikum zu unterhalten", versuchte er sie weiterhin zu überzeugen.

„Nachdem ihr mich neulich so eiskalt überrumpelt habt, meinst du?", konterte sie und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich gebe zu, das war weder besonders geschickt noch einfühlsam", räumte er diplomatisch ein. „Aber deshalb bin ich ja jetzt hier. Also, was hast du schon zu verlieren – außer etwas Zeit vielleicht?"

Sie musste zugeben, dass seine charmante Art etwas Bezirzendes hatte. Nach wie vor nicht sicher, dass sie das Richtige tat, trat sie einen Schritt zurück und ließ ihn herein. Dabei fiel ihr Blick auf seinen teuren Sportwagen.

„Hübsches Auto", sagte sie.

„Gleichfalls. Du hast Geschmack", grinste er.

Sie schüttelte den Kopf, als er auf den dunklen Mercedes GLS deutete, der neben seinem in der Einfahrt stand.

„Der gehört meinem Freund. Ich fahre ihn nur, bis er ihn selbst braucht", erzählte sie, als Andre den Eingangsbereich betrat.

„Verstehe. Dann gilt das Kompliment wohl Marten."

Erst jetzt fiel ihr die kleine Schwindelei wieder ein. Sie hatte bisher nicht aufgeklärt, dass Marten gar nicht ihr Freund war, wusste jedoch auch nicht, ob sie das überhaupt sollte. Noch ging Andre ihr Privatleben nichts an. Dafür kannte sie ihn viel zu wenig. Also widersprach sie ihm nicht, sondern führte Andre ins Wohnzimmer.

„Ist er auch da?", fragte er, während er sich interessiert umsah.

„Nein, er ist unterwegs", antwortete sie.

„Schönes Haus", kommentierte er. „Gefällt mir."

„Danke", erwiderte sie unbeholfen und deutete auf die große Couch im Herzen des Raums. „Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?"

„Nein, danke", lehnte er ab, zog seinen Mantel aus und legte ihn neben sich auf die Couch, als er sich setzte. Sie ließ sich mit etwas Sicherheitsabstand zu ihm in die weichen Polster sinken und schaute ihm erwartungsvoll ins Gesicht.

„Also, worüber wolltest du reden?", fragte sie.

„Du bist so schnell verschwunden bei unserem letzten Treffen", eröffnete er das Gespräch. Seine dunkle Stimme war leise und hatte etwas Beruhigendes an sich.

„Kannst du es mir verübeln?", erwiderte sie. „Ich wusste nicht, wo mir der Kopf steht. Für mich war es schon eine riesige Überwindung, einem Treffen zuzustimmen, aber dann auch noch zu erfahren, dass ich weitere Geschwister habe, hat mich überfordert."

„Ich weiß ganz genau, wie du dich gefühlt hast; schließlich habe ich es auch erst kürzlich erfahren."

Sie schüttelte verächtlich den Kopf.

„Wie konnte er uns das jahrelang verheimlichen?", fragte sie traurig.

„Das hätte er nicht tun dürfen", pflichtete er ihr bei.

„Das kann er nie wieder gut machen", knurrte sie.

„Aber er kann es zukünftig besser machen als in der Vergangenheit, und zumindest die Möglichkeit werde ich ihm geben. Was du tust, ist natürlich dir überlassen. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können. Also bleibt uns – meiner Meinung nach – nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Und dazu gehört für mich, dich besser kennenzulernen, damit wir vielleicht doch eines Tages so etwas eine Familie werden können", erzählte er.

„Für mich ist das nicht so einfach wie für dich", erwiderte sie. „Für uns ist er nie dagewesen; all die Jahre sind wir ohne ihn aufgewachsen und er hat sich nie nach uns erkundigt. Mir fällt es schwer zu akzeptieren, dass er seine Vaterliebe anderen Kindern geschenkt hat."

Er schüttelte den Kopf.

„Für mich ist er auch nie dagewesen. Er hat meine Mutter verlassen, als er deine kennengelernt hat", stellte er klar. Sie schüttelte traurig den Kopf.

„Also hat er dich auch im Stich gelassen", schlussfolgerte sie. Er tat ihr wirklich leid, denn sie wusste genau, wie er sich sein Leben lang gefühlt hatte.

„Glaub nicht, dass, nur, weil ich in dieser Sache auf seiner Seite stehe und mich um dich bemühe, ich nicht wütend oder enttäuscht bin", offenbarte er.

„Warum unterstützt du ihn dann trotzdem?", wollte sie wissen.

„Ist das nicht offensichtlich?", fragte er lächelnd. „Ich habe drei kleine Schwestern. Natürlich will ich euch kennenlernen."

Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen, bevor sie einen ratlosen Seufzer ausstieß.

„Schon traurig, dass du offenbar bereit wärst, die Verantwortung zu übernehmen, um die er sich jahrelang herumgedrückt hat. Ich weiß nicht einmal, wie ich Respekt für ihn aufbringen soll", sagte sie kopfschüttelnd.

„Vielleicht hilft es, mit ihm zu reden und sich anzuhören, was er zu sagen hat", schlug er vor.

„Und dann musst du wieder für ihn antworten, weil er die Sprache verliert, sobald er ein wenig Gegenwind bekommt?", fragte sie beißend.

„Du könntest dich auch allein mit ihm treffen; ohne mich. Dann hättet ihr die Gelegenheit, euch noch einmal neu kennenzulernen", entgegnete er.

Sie atmete tief durch, während sie innerlich ins Wanken geriet. Wenn er ihrem Vater eine Chance geben konnte, konnte sie es möglicherweise auch. Schließlich hatte sie erst kürzlich erkannt, dass das Leben zu kurz für Streitigkeiten war und sich vorgenommen, sich davon nicht mehr einschränken zu lassen. Die Situation mit ihrem Vater schien ihr eine geeignete Möglichkeit, ihre Vorsätze in die Tat umzusetzen. Ihr ganzes Leben hatte sie tief im Herzen einen Vater vermisst, der sie auffing oder unterstützte. Es fühlte sich falsch an, die Chance abzulehnen, jetzt, wo sie zum Greifen nah schien.

„Ich brauche ein paar Tage, um darüber nachzudenken", erwiderte sie dennoch verhalten, darauf bedacht, nicht zu viel zu offenbaren.

„Nimm dir alle Zeit, die du brauchst, und wenn du dich entschieden hast, ruf mich einfach an", lächelte er.

„Mache ich, wenn du mir deine Nummer gibst."

Nachdem Andre ihr seine Nummer diktiert und Cassie sie gespeichert hatte, stand er auf und nahm seinen Mantel.

„Okay, dann verschwinde ich jetzt wieder."

Sie lächelte verhalten. Plötzlich erregte eine Bewegung im Flur hinter Andre ihre Aufmerksamkeit. John stand wie erstarrt dort. Er hatte seine Reisetasche achtlos fallengelassen und starrte angespannt in ihre Richtung. Sein Gesichtsausdruck war düster, das Funkeln in seinen Augen kalt wie Eis.

Noch während Cassie verstand, was sich gerade in seinem Kopf abspielen musste, stürzte er auf Andre zu.

„Warum redest du nicht mit jemandem, der dir gewachsen ist, du Bastard?!", schrie er und wirbelte ihren Bruder wütend herum.

„John, warte!"

Bevor er ausholten konnte, um Andre zu schlagen, drängte Cassie sich dazwischen. Es war, als würde er aus einer Art Trance erwachen, als er in Andres Gesicht schaute. In seinem Blick spiegelte sich blanke Wut, aber auch Überraschung.

„Wer ist der Typ?!"

„Dasselbe sollte ich wohl dich fragen", erwiderte Andre kühl.

„Willst du mich verarschen?!", fuhr John ihn an, ehe er sich an Cassie wandte. „Will der mich verarschen?! Was ist hier los, Cas?!"

Er schaute aufgebracht auf sie herab. Seine Gesichtszüge waren hart, sein gesamter Körper angespannt. Erst, als sie in seine Augen sah, wurde ihr bewusst, was der Anblick in ihm ausgelöst haben musste, denn sie hatte dieses Funkeln zuletzt gesehen, als er gegen Rome um sein Leben gekämpft hatte. Er musste Andre im ersten Moment für seinen ehemaligen Freund gehalten und die Kontrolle verloren haben. Sie legte besänftigend die Hände auf seine nach wie vor geballten Fäuste. Ihre Auseinandersetzung vor seiner Abreise schien zunächst nebensächlich.

„Es ist alles in Ordnung", sagte sie beruhigend.

„Gar nichts ist in Ordnung", pöbelte er. „Ich hab den Typ noch nie gesehen! Was macht der in unserem Wohnzimmer?!"

„Was machst du in ihrem Wohnzimmer?", konterte Andre, der – wie Cassie jetzt realisierte – nach wie vor nichts von John wusste und noch immer glaubte, dass sie mit Marten zusammen war.

„Was ich-. Was ich in ihrem Wohnzimmer mache?! Wer bist du Clown überhaupt, dass du mich das fragst?!", fuhr er ihn an und versuchte, sich an Cassie vorbei zu drängen, doch sie hielt ihn weiterhin zurück und legte ihre Hände an seine Brust.

„Er ist mein Bruder, okay?"

Es fühlte sich noch immer fremd vor, es auszusprechen. Sie umfasste Johns Gesicht mit ihren Händen, um endlich seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

„Was?", fragte er im ersten Moment perplex.

„Er ist mein Bruder", wiederholte sie hilflos. John sah erneut zu Andre herüber. Er schaute von ihm zu Cassie und wieder zurück, bevor er endgültig seine Hände sinken ließ. „Andre", fügte dieser hinzu, hielt Johns durchbohrendem Blick stand und hielt ihm versöhnlich die Hand hin. „Und du bist?"

„Wer ich bin?!", platzte es erneut ungehalten aus John heraus. „Ich bin ihr Freund!"

Andre runzelte irritiert die Stirn, ehe er wieder Cassie ansah. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt.

„Ich kann das erklären", wollte sie sagen, doch Andre schnitt ihr das Wort ab.

„Marten und du habt also so was wie ne offene Beziehung?"

John hob die Augenbrauen und durchbohrte Andre mit seinem Blick.

„Was labert der da?", fragte er aufgebracht und drehte Cassie seinen Kopf zu.

„Lange Geschichte", seufzte sie hilflos, dann wandte sie sich an Andre. „Marten und ich, wir sind nicht zusammen."

„Warum sollte er so etwas dann behaupten?", fragte Andre verständnislos.

„Ja, Baby, warum sollte er so etwas behaupten?", wiederholte John kühl und sah mürrisch in ihre Augen.

„Weil er mir helfen wollte; an dem Abend, an dem du nicht bei mir warst", sagte sie betroffen.

John zog eine Augenbraue hoch.

„Du bist mit Marten dort hingegangen?", fragte er enttäuscht.

„Genau genommen-", wollte sie unbeholfen erklären, doch er unterbrach sie.

„Das erzählst du mir gleich", stellte John klar, bevor er sich Andre zuwandte. „Du bist also ihr Bruder", wiederholte er misstrauisch und musterte ihn eingehend.

„Ja."

„John", erwiderte er und Cassie beobachtete mit wild klopfendem Herzen, wie ihr Freund Andre einen kräftigen Händedruck gab. „Der richtige Freund", setzte er hinzu, ehe er sich an Cassie wandte, sie zu sich zog und ihr einen Begrüßungskuss aufdrückte. Auch, wenn sie sich nicht bei ihm gemeldet hatte, hatte er ihr trotzdem gefehlt. Der Kuss bedeutete dennoch nicht, dass sie ihren Streit einfach so vergessen würde; im Gegenteil. Sie erwartete, dass sie sich noch einmal darüber unterhielten, wenn Andre gegangen war.

„War es das, worüber dein Dad mit dir reden wollte?", fragte John. Sofort war ihre Enttäuschung wieder da, doch sie entschied, sich ihre weiteren Vorwürfe für später aufzuheben.

„Unter anderem", antwortete sie vage.

„Hmm", machte John unentschlossen, bevor er sich nochmal an Andre wandte. „Tut mir leid, man. Hab gedacht, du wärst ein Einbrecher oder so."

„Dann sollte ich vermutlich froh sein, dass ich keiner bin", erwiderte Andre argwöhnisch und lächelte über die befremdliche Situation hinweg. „Tut mir leid, dass du wegen mir ein schlechtes Gefühl hattest."

„Schon okay", seufzte John und fuhr sich schwerfällig über die Augen, bevor er sich wieder an Cassie wandte. „Ich gehe duschen. Hatte ein paar anstrengende Tage."

Er reichte Andre noch einmal die Hand, bevor er die beiden alleinließ.

„Tut mir leid. Er ist normalerweise echt in Ordnung", versicherte sie.

„Ich kann ihn verstehen. An seiner Stelle hätte ich vielleicht ähnlich reagiert", räumte Andre ein. „Hör zu, ich denke, wir sollten ein anderes Mal weiterreden. Ihr habt scheinbar einiges zu klären."

Sie lächelte mild.

„Wie lang bleibst du denn noch in Hamburg?", wollte sie wissen.

„Ein paar Tage bin ich noch hier. Du kannst mich sonst auch jederzeit in Berlin besuchen", schlug er vor.

Sie nickte.

„Ich melde mich bei dir, okay?", sagte sie, während sie ihn zur Haustür begleitete.

„Ich würde mich freuen, wenn du Willow überreden würdest, unserem Vater eine Chance zu geben", entgegnete er. Sie seufzte schwer.

„Sie hat eine noch größere Abneigung unserem Vater gegenüber als ich", erzählte sie. „Die Chancen stehen also denkbar schlecht."

„Verständlich; sie hat ihn schließlich nie wirklich kennengelernt", sagte Andre und blieb unschlüssig vor ihr stehen. „Also, bestell deinem Freund nochmal einen Gruß. Es hat mich gefreut, ihn kennenzulernen, auch, wenn es etwas ungewöhnlich verlaufen ist."

„Mache ich", versprach sie. Andre zog die Tür auf, warf ihr ein letztes Lächeln zu und trat an ihr vorbei ins Freie.

„Bis dann, Cassie."

Mit einem mulmigen Gefühl drückte sie die Haustür hinter ihm ins Schloss. Noch immer fühlte es sich seltsam an, einen Halbbruder zu haben. Doch sie rechnete es Andre hoch an, dass er sich trotz ihrer Abneigung um sie bemühte und sogar bei ihr zuhause aufgetaucht war, um noch einmal das Gespräch mit ihr zu suchen. Es schien ihm also tatsächlich ernst zu sein.

Sie versuchte, ihm gegenüber nicht unfair zu sein, denn er konnte schließlich nichts dafür, dass auch ihm seine Geschwister sein Leben lang vorenthalten worden waren.

Ein leises Geräusch ließ sie überrascht herumfahren. John hatte sich nahezu lautlos angeschlichen und musterte sie düster. Sie schluckte. Er hatte offenbar nur auf die Gelegenheit gewartet, sie zur Rede zu stellen.

„Marten und du, ihr führt also eine offene Beziehung."

Jaaaa, ich weiß, das Ende. Aber immerhin war es, wie einige bereits vermutet haben, Andre, und nicht Rome. Wie findet ihr es, dass er sich so um Cassie bemüht? Und wie hat euch die Diskussion mit John gefallen? Also ich muss zugeben, ich hatte wirklich Spaß beim Schreiben 😆

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