3 | 07 | Aussprache mit Hindernissen
So, meine Lieben. Es geht weiter. Vielleicht gibt es ja heute eine Aussprache :)
„Und dann ist er abgehauen, oder was?", fragte Malia und reichte Cassie die Wasserflasche.
„Unglaublich, oder?", fragte sie und nahm einen großen Schluck.
Als John gefahren war, war ihr zuhause die Decke auf den Kopf gefallen, also hatte sie eine Kopfschmerztablette gegen den Kater eingeworfen, geduscht und sich jetzt mit Malia im Tanzstudio getroffen, eigentlich, um ein wenig über ihre Show zu sprechen, Ideen auszutauschen und Gedanken aufzuschreiben, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Das ganze Gefühlschaos hatte sie viel zu sehr im Griff.
Cassie ärgerte sich darüber, schließlich hatte ihre Begegnung mit Paola in der vergangenen Nacht ihr wieder vor Augen geführt, dass sie nicht hart genug an der Erreichung ihrer Ziele arbeitete und ihre ehemalige Freundin inzwischen karrieretechnisch an ihr vorbeigezogen war.
„Dabei war ich wirklich bereit, mit ihm zu reden und ihm alles zu erzählen", seufzte Cassie frustriert. Bei der Vorstellung, es endlich hinter sich bringen zu können, wurde sie augenblicklich wieder nervös. Die Frage, wie er auf ihre Offenbarung reagieren würde, hatte sie kaum schlafen lassen. Der viele Alkohol hatte dafür gesorgt, dass sie sich regelrecht in ihre Verlustängste hineingesteigert hatte.
„Es klingt abgedroschen, aber das läuft dir ja nicht weg", sagte ihre Freundin ermutigend und schenkte ihr ein Lächeln.
„Aber mein Mut verlässt mich vielleicht bis dahin wieder", beichtete Cassie niedergeschlagen und strich sich eine Locke hinters Ohr.
„Je länger du wartest, desto schmerzhafter wird es vielleicht", erinnerte Malia sie an ihre eigene Erkenntnis der vergangenen Nacht. Nachdem sie den Club verlassen hatten, hatte Cassie ihr noch im Auto ihr Herz ausgeschüttet. Malia hatte ihr einfach nur zugehört, keine wertenden Kommentare abgegeben oder sie angeklagt. Stattdessen war sie einfach nur für sie dagewesen, hatte ihr dabei geholfen, sich ihre Schuldgefühle von der Seele zu reden und ihr schlussendlich dazu geraten, das Gespräch mit John zu suchen, ehe er selbst Nachforschungen anstellen und ihr zuvorkommen konnte. Durch die Unterhaltung mit Malia hatte Cassie eingesehen, dass es das Beste war, so schnell wie möglich mit ihrem Freund zu sprechen, denn nur so konnte sie Klarheit über ihre Beziehung und eine etwaige gemeinsame Zukunft erhalten - wenn es nach ihrer Beichte überhaupt noch so etwas wie eine gemeinsame Zukunft gab.
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich vorstellte, dass John während dieses Gesprächs möglicherweise ungehalten werden oder die Beherrschung verlieren konnte. Sie hoffte, dass es nicht so weit kommen würde, doch sicher konnte sie sich angesichts seines Temperaments nie sein. Sie wusste jedenfalls, würde er ihr ein ähnliches Geständnis machen, würde sie sehr emotional reagieren.
„Ich weiß", sagte Cassie leise. „Ich rede mit ihm; am besten direkt heute Abend, wenn er aus dem Studio nach Hause kommt."
Malia lächelte zuversichtlich.
„Ihr seid beide erwachsen. Wenn du es ihm so erklärst wie mir letzte Nacht, wird er es möglicherweise sogar verstehen", entgegnete sie.
Cassie atmete tief durch.
„Ich wünschte, ich hätte es hinter mir."
Die Vibration ihres Handys unterbrach die Unterhaltung. Cassie zog es aus der Tasche und warf einen Blick darauf.
„Redest du nicht mehr mit mir, Specki?"
Cassie hatte Martens letzte Nachrichten nur knapp beantwortet; die aus der vergangenen Nacht, in der er gefragt hatte, ob sie sicher zuhause angekommen war, hatte sie lediglich mit einem Daumen nach oben quittiert und auf seine Frage nach einem nächsten Treffen hatte sie bisher nicht reagiert, dabei wusste sie, dass es wichtig war. Sie wollte schließlich auch mit ihm sprechen.
„Alles okay", tippte sie knapp zurück, damit er für eine Weile ruhiggestellt war. Sie wusste, es war ihm gegenüber nicht fair, doch sie wollte gerade nicht mit ihm reden. Bevor sie die Nachricht absendete, setzte sie schnell noch einen lächelnden Emoji dahinter. Anschließend klickte sie sich in ihre letzte Unterhaltung mit John.
„Wann kommst du heute nach Hause?", hatte sie gefragt, doch bisher keine Antwort erhalten.
„Ich meine, er könnte wenigstens zurückschreiben", kommentierte sie genervt, bevor sie das Handy zur Seite legte.
„Du weißt doch, wie das ist, wenn er im Studio hängt", lächelte Malia aufmunternd.
„Macht es nicht besser", murmelte sie.
Plötzlich vibrierte ihr Handy erneut. Als sie Johns Namen auf dem Display sah, griff sie sofort danach und nahm seinen Anruf entgegen.
„Hey...", begrüßte sie ihn.
„Bist du in der Tanzschule?", wollte er wissen.
„Ja. Wieso fragst du?", fragte sie.
„Wir sind durch für heute. Wann kommst du nach Hause?"
Sie biss sich aufgeregt auf die Unterlippe.
„Ich könnte hier auch gleich Schluss machen", antwortete sie.
„Cool. Dann lass gleich zuhause treffen."
Sie runzelte angesichts seiner übermäßigen Eile die Stirn.
„Ist was passiert?", wollte sie wissen.
„Nee. Will einfach nur mit dir über was reden", entgegnete er vage. Sofort begann es in ihrem Bauch aufgeregt zu kribbeln.
„Worüber?", hakte sie unsicher nach. Ob er bereits wirklich etwas ahnte? Bewahrheitete sich ihre Vermutung?
„Nicht am Telefon", sagte er entschieden. „Also, wann bist du da?"
Sie schluckte. Es schien wirklich etwas Ernstes zu sein. Sie musste gegen eine kleine Welle der Panik ankämpfen, die sie zu erfassen drohte.
„Ich könnte so in einer halben Stunde zuhause sein", räumte sie ein.
„Dann bis gleich", sagte er und beendete das Gespräch.
„Scheiße. Er will auch mit mir reden", erzählte Cassie unruhig, ehe sie damit begann, die Unterlagen zusammenzuraffen, die sie während ihres Brainstormings auf dem kleinen Tisch im Büro ausgelegt hatten.
„Entspann dich, Cas. Vielleicht ist einfach etwas Gutes passiert, das er mit dir teilen möchte", versuchte Malia, sie zu beruhigen, doch Cassie war bereits in völliger Alarmbereitschaft.
„Was, wenn er wirklich schneller war als ich und es selbst herausgefunden hat?"
Malia schüttelte den Kopf.
„Glaube ich nicht. Dann hätte er möglicherweise überhaupt nichts von einem Gespräch gesagt. Du weißt doch, wie er ist. Er fällt gerne mit der Tür ins Haus und feiert sich dann für seinen hinterlistigen Überraschungseffekt", erinnerte Malia sie an eine von Johns häufigsten Gesprächsstrategien, wenn es tatsächlich um etwas Ernstes ging. In dem Fall gab er sich jedoch offenherzig, sodass sie nicht unbedingt von schlechten Motiven ausgehen musste.
Dennoch war sie nervös, als sie eine gute halbe Stunde später den Motor ihres Autos abstellte und ausstieg. Ihre Finger schwitzten, als sie den Schlüssel ins Schloss schob, um die Haustür zu öffnen. Ihr Bauch kribbelte so sehr vor Aufregung, dass ihr speiübel war. Doch sie setzte ein bemüht entspanntes Lächeln auf, als sie schließlich den Flur betrat. Dort zog sie die Sneakers aus und horchte in die Stille des Hauses hinein.
Sie konnte nicht glauben, dass der Moment der Wahrheit zwangsläufig immer näher rückte, doch sie würde keinen Rückzieher mehr machen. Ganz egal, worüber er mit ihr sprechen wollte - sie würde ebenfalls endlich mit der Sprache herausrücken und versuchen, ihre Beziehung zu retten.
„Shorty?"
Seine Stimme kam aus dem Wohnzimmer. Zunächst atmete sie erleichtert auf; wäre er wirklich sauer auf sie, würde er sie nicht mit ihrem Kosenamen ansprechen.
„Ja...", antwortete sie dennoch, ließ ihre kleine Tasche im Flur stehen und ging ins Wohnzimmer. John saß dort auf der Couch, hatte die Füße auf den Tisch gelegt und rauchte einen Joint. Vor ihm stand eine geöffnete Flasche Hennessy. Cassie runzelte misstrauisch die Stirn.
„Was ist los?"
„Es gibt was, worüber ich mit dir reden muss", sagte er und schaute zu ihr auf. In seinem Gesicht lag keinerlei Zorn, eher eine große Erleichterung.
„Worüber?", wollte sie wissen und durchquerte den Raum, bevor sie ihm einen Kuss zur Begrüßung aufdrückte. Er zog sie unmittelbar auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihren Körper.
„Ich war bei einem Arzt."
Sie musterte ihn Skeptisch.
„Was für ein Arzt?", fragte sie.
„Urologe", antwortete er knapp. Sie runzelte die Stirn.
„Weil?"
Dann auf einmal verstand sie. Er musste nichts mehr sagen. Ihr Herz schlug ihr augenblicklich bis zum Hals.
„Oh mein Gott", murmelte sie. „Du hast dein Sperma testen lassen."
„Stimmt", sagte er. „Ich meine, hätte ja sein können, dass es deshalb die ganze Zeit nicht klappt. Also, dass ich Schuld daran habe, weil ich so viel sauf und kiff und das alles. Ich dachte, vielleicht hab ich so sehr übertrieben, dass ich nicht mehr kann. Verstehst du, was ich meine?"
Ihre Augen weiteten sich.
„Du dachtest, du bist unfruchtbar, und hast nicht mit mir darüber gesprochen?", schlussfolgerte sie. Es war ein seltsames Gefühl, doch im selben Moment wurde sie sich ihrer eigenen Doppelmoral bewusst.
Schuldbewusst probierte sie, von ihm abzurücken, doch er ließ sie nicht. Stattdessen zog er sie noch dichter zu sich und schaute tief in ihre Augen.
„Verstehst du, Baby? Mit mir ist alles okay."
Sie schluckte, denn sein Blick ließ sie einerseits wohlig, andererseits unangenehm erschaudern. Ihr schlechtes Gewissen wurde noch verstärkt, als seine Hände unter den Stoff ihrer Jeans wanderten und seine Lippen ihren gefährlich nah kamen.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Zweifel hattest?", fragte sie enttäuscht. Die Gewissheit, dass er das allein mit sich ausgemacht hatte, bedrückte sie. Gleichzeitig fühlte sie sich unendlich verlogen.
„Ich wollte dich nicht beunruhigen."
Seine leise Stimme erzeugte eine Gänsehaut in ihrem Nacken, während seine Lippen die ihren streiften. Ihr Hals wurde staubtrocken. Sie schluckte. John schien ihr Unwohlsein nicht zu bemerken, vergrub stattdessen seine Hand in ihrem Haar und küsste sie. Sie wollte zurückweichen, doch er ließ sie nicht, drang stattdessen mit seiner Zunge in ihren Mund. Es war offensichtlich, dass er das Ergebnis des Tests direkt auf besondere Weise feiern wollte. Doch der Kuss fühlte sich für Cassie in diesem Moment nicht richtig an, also löste sie sich von ihm. Sie konnte nicht länger warten. John schaute ihr irritiert in die Augen.
„Was ist?", wollte er wissen.
Ihr Handy vibrierte. Sie ignorierte es, schaute stattdessen besorgt in sein Gesicht.
„Ich wollte auch mit dir reden", sagte sie für sich selbst kaum hörbar. Er schüttelte den Kopf.
„Es ist okay, Baby. Irgendwann klappt es. Und da ich vollkommen gesund bin, können wir sofort damit anfangen", raunte er und küsste ihren Hals. Sie schloss zerrissen die Augen. Sie konnte das nicht; ganz egal, was sie fühlte.
„John...", machte sie einen Versuch, ihn von sich zu schieben. Die Vibration ihres Handys verstummte, doch gerade, als er zurückwich und ihr prüfend in die Augen schaute, klingelte es erneut. Er schnaubte. „Wer is'n das?", wollte er wissen.
„Kann ich hellsehen?", fragte sie genervt und zog es aus der Tasche ihrer Jeans. Als ihr Esras Nummer entgegenblinkte, runzelte sie die Stirn. Ihre Freundin rief in der Regel nur so oft hintereinander an, wenn es wirklich wichtig war.
„Geh schon ran", forderte John, als das Vibrieren nicht aufhörte.
„Hey...", begrüßte Cassie ihre Freundin. „Ist alles okay?"
Stille am anderen Ende der Leitung, dann ein undefinierbares Geräusch.
„Esra?", hakte sie irritiert nach.
„Hast du's noch nicht gehört?", schluchzte ihre Freundin ins Telefon. Sofort versteifte Cassie sich auf Johns Schoß.
„Was ist passiert?", fragte sie alarmiert.
„Paola ist tot."
Whaaaaat? Okay, ich weiß, einige von euch sind jetzt sauer, weil nur einer von beiden dazu kam, etwas auszusprechen, aber whaaaat?
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