3 | 03 | Befreiung
Habt viel Spaß mit dem neuen Kapitel ❤
„Redest du jetzt vielleicht mit mir, oder was?"
Johns scharfe Stimme ließ Cassie herumfahren. Er war ihr ins Bad gefolgt, als sie – nur in BH und Leggings bekleidet – regelrecht vor ihm geflohen war. So sehr sie ihn auch begehrte; sie hatte seine Nähe einfach nicht mehr ertragen. Ihr Herz hatte sich schmerzhaft zusammengezogen, als er so liebevoll auf sie herabgeschaut hatte. Sie wusste, dass er etwas bemerkt hatte. Er hatte es in ihren Augen gesehen. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Doch es fiel ihr unendlich schwer, mit ihm darüber zu sprechen. Wenn ihre Beziehung tatsächlich daran zerbrach, würde es ihr das Herz in Stücke reißen.
Sein durchbohrender Blick ruhte auf ihr und sie versuchte, das Gefühlschaos unter Kontrolle zu bringen, das sie bereits seit einigen Wochen beherrschte.
„Gleich, okay?", schluchzte sie und strich über ihre tränennassen Wangen.
„Nein. Jetzt", blieb er hartnäckig. Es war keiner der Momente, in denen er zeigte, wie sehr ihre Tränen sein Herz erweichten. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Er schaute währenddessen erwartungsvoll in ihr Gesicht.
„Fertig mit heulen und bereit zu reden?", fragte er nach einer Weile ungeduldig und machte ein paar Schritte auf sie zu. Sie sah enttäuscht zu ihm auf.
„Warum bist du manchmal so beschissen unsensibel?", fragte sie verletzt.
„Wieso heulst du manchmal, als wäre jemand gestorben?", konterte er kühl. Dann auf einmal veränderte sich sein Gesichtsausdruck von gereizt zu betroffen. „Es ist doch niemand gestorben, oder?"
Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief durch.
„Nein", seufzte sie schwer, bevor sie wieder in sein Gesicht sah. Er machte einen letzten Schritt an sie heran, dann wischte er ihr die restlichen Tränen von den Wangen.
„Also, was ist los?", fragte er beharrlich. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du bist schwanger."
Seine Worte schnitten tief in ihr Herz, denn er bohrte damit nur tiefer in ihrer offenen Wunde herum. Sie schluckte und umfasste seine Handgelenke.
„Nein, ich bin nicht schwanger, aber genau das ist es, was mich langsam um den Verstand bringt!", platzte es aus ihr heraus.
„Was meinst du?", fragte er verständnislos.
„Immer, wenn du zuhause bist, geht es nur noch um Sex. Ficken, vögeln, bumsen, jede freie Minute! Ich habe das Gefühl, es gibt kein anderes Thema mehr zwischen uns."
Er schaute sie aus großen Augen überrascht an.
„Macht dir der Sex mit mir keinen Spaß mehr, oder was?", fragte er hilflos.
„Doch, schon, aber... Vielleicht sollten wir damit aufhören, so dringend zu versuchen, ein Baby zu bekommen."
Es fühlte sich an wie eine Befreiung, es endlich offen auszusprechen. John runzelte irritiert die Stirn.
„Aber ich dachte, wir sind uns einig, dass wir beide ein Baby wollen", erinnerte er sie.
„Ja, aber es scheint ja nicht zu klappen, oder?", seufzte sie. „Und mich frustriert das."
Es war das erste Mal, dass er das Gefühl hatte, die Situation würde sie überfordern.
„Mich frustriert das auch", gab er ehrlich zu. „Aber deshalb gebe ich doch nicht unsere Familie auf."
Sie schluchzte laut auf, als seine Worte sie tief in ihrem Herzen berührten. Verdiente sie diesen Mann überhaupt?
„Jede normale Frau wäre längst zehnmal schwanger geworden, bei so viel Sex, wie wir haben", sagte sie.
„Jede normale Frau wäre längst weggelaufen, so häufig, wie ich dir an die Wäsche will", korrigierte er grinsend und entlockte ihr dasselbe. „Und jetzt komm. Wir gehen zurück ins Bett und schlafen nur so miteinander, einfach, weil wir Bock aufeinander haben."
„John...", sagte sie leise und machte sich von ihm los. Trotz seiner aufbauenden Worte war ihr nicht danach, mit ihm zu schlafen.
„Wir müssen nicht im Bett bumsen, wenn du nicht willst. Ich kann dich auch direkt hier durchnehmen", schlug er vor und schlang wie zur Bestätigung seine Arme um sie, um sie hochzuheben.
„Mir ist jetzt echt nicht danach, okay?", sagte sie leise und sah ernst in sein Gesicht. Er seufzte, bevor er sie wieder runterließ.
„Okay", sagte er, bevor er sich von ihr abwandte und vor ihr das Bad verließ. Sie schluckte und fuhr sich verzweifelt durch die Haare. Noch nie hatte sie sich in einer derart verfahrenen Situation befunden. Sie war völlig überfordert von ihren Gefühlen und wusste nicht, wie das alles weitergehen sollte. Sie fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, aber vielleicht war sie bisher aus einem guten Grund noch nicht schwanger geworden. Vielleicht sollte es nicht sein; nicht jetzt, während sie-.
„Komm schon mit. Ich lasse auch meine Finger von dir."
Sie erschrak, als John ins Bad zurückkehrte, offenbar, um sie zu holen. Sie rang sich angesichts dieser für ihn recht süßen Geste ein Lächeln ab. Es war einer dieser Augenblicke, in denen sie realisierte, wie unfair sie ihm gegenüber häufig war. Auch, wenn sie oft vor seinen Wünschen zurückstecken musste, kümmerte er sich rührend um sie, wenn es ihr schlechtging und bemühte sich, der starke Partner an ihrer Seite zu sein, den sie brauchte. Sie wusste, dass er die Wahrheit verdiente, doch sie hatte viel zu viel Angst vor seiner Reaktion.
„Ist Kuscheln okay oder willst du das auch nicht?"
Erst jetzt merkte sie, dass sie bereits wieder mit John im Bett lag. Er musterte sie eindringlich. Sie schluckte unmerklich. Er war einfach toll. Direkt fühlte sie sich noch schlechter. Als sie nicht reagierte, schlang er wortlos seine Arme um sie. Sie ließ es geschehen, schloss die Augen und genoss das Gefühl von Geborgenheit, das er ihr gab.
„Ich liebe dich", sagte sie leise und meinte es auch so.
„Wenn es dich so sehr belastet, dass wir versuchen, ein Baby zu bekommen, machen wir erstmal eine Pause damit, okay?", schlug er vor. Selbst mit geschlossenen Augen füllten ihre Augen sich mit heißen Tränen. Der Versuch, sie herunterzuschlucken, schlug fehl.
„Hmm", machte sie und hoffte, dass er nicht bemerkte, dass sie schon wieder weinen musste.
„Guck mich mal an", forderte er sanft. Sie schüttelte schweigend den Kopf.
„Hör bitte auf zu weinen, Löckchen. So beschissen ist unser Sex auch nicht", flüsterte er.
Sie lachte schluchzend auf, ehe sie die Augen wieder aufschlug. Sie liebte ihn für seinen Humor; und nicht nur dafür. Doch sie hatte Angst, dass seine Liebe zu ihr verblassen würde, wenn er die Wahrheit erfuhr. Zweifelnd biss sie sich auf die Zunge. Sie wusste, dass sie es ihm sagen musste; besser früher als später, doch noch war sie nicht bereit dazu. Sie hatte zu viel Angst vor seiner Reaktion. Sie strich mit den Fingerspitzen über sein Gesicht. Er lächelte.
„Es wird alles gut", versprach er.
Sie hoffte, dass er wusste, wovon er sprach, und auch, wenn sie selbst daran zweifelte, nickte sie zuversichtlich.
„Ich weiß", sagte sie hoffnungsvoll, bevor er ihre Lippen mit einem sanften Kuss verschloss.
Als Cassie am nächsten Tag gemeinsam mit ihrer Schwester in dem kleinen Café saß, lag ihr die vergangene Nacht noch immer schwer auf der Seele. Doch nicht nur emotional fühlte sie sich wie auf einer Achterbahnfahrt; auch körperlich schien es wieder bergab zu gehen. Wie bereits in den vergangenen Monaten kündigte sich ihre anstehende Periode durch starke Schmerzen an; ein Leid, mit dem sie früher nur selten zu kämpfen gehabt hatte. Doch seit sie diesem ganzen Stress rund um ihre eigene Show ausgesetzt war und darüber hinaus ihre Aufträge koordinieren musste, reagierte ihr Körper viel extremer auf den Druck, den sie sich selbst auferlegte. Sie wusste, dass ihre einzige Chance auf eine Familie darin bestand, etwas in ihrem Leben zu verändern.
„Aber zum Glück habe ich dieses Seminar doch bestanden", riss Willows Stimme sie aus ihren Gedanken. Sie hatte ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, denn im Grunde genommen hatte sie ihrer kleinen Schwester kaum zugehört und mittlerweile den Faden verloren.
„So wie immer also", lächelte sie. „Schließlich bist du schlau genug, dich irgendwie durchzumogeln."
„Genau dasselbe hat Carlos auch gesagt", grinste Willow und strich ihre glatten Haare nach hinten. Cassie bewunderte sie für ihre Geduld. Sie selbst hatte weder die Zeit noch die Lust, ihre Haare zu glätten. Doch ihrer Schwester stand die zeitweilige Veränderung wirklich gut. Cassie lächelte, als Willow von ihrem Freund sprach und ihre Augen dabei glücklich zu leuchten begannen. Auch, wenn sie zunächst skeptisch gewesen war, schien er ihr gutzutun. Erst jetzt bemerkte Willow offenbar, dass sie ihre Beziehung zu ihm durchblicken ließ, senkte den Blick und rührte in ihrem Milchkaffee herum.
„Carloooos", stichelte Cassie amüsiert grinsend.
„Hör auf damit", forderte Willow mürrisch, lächelte dann aber doch.
„Aber ihr seid so süß zusammen", schmunzelte Cassie.
„Findest du?", hakte Willow fröhlich nach.
„Ja."
„Das klang am Anfang aber noch ganz anders", erinnerte Willow sie an ihre mahnenden Worte.
„Weil ich deine große Schwester bin und immer das Bedürfnis habe, auf dich aufzupassen", erwiderte Cassie. Willow lächelte versonnen.
„Du warst richtig hysterisch", korrigierte sie Cassie.
„Naja, ich habe einen braven Jungen erwartet; so einen wie Milo", sagte sie. Willow grinste.
„Milo ist nicht umsonst mein Ex", sagte Willow.
„Dabei mochte ich ihn echt gern", entgegnete Cassie. „Er war immer nett und hilfsbereit."
„Und ein totaler Langweiler", fiel Willow ihr ins Wort. „Und ein Muttersöhnchen."
Cassie lachte.
„Stimmt. Vermutlich hast du dir deshalb jetzt so einen frechen Typen wie Carlos ausgesucht."
Willow lächelte.
„Er ist wirklich das komplette Gegenteil von Milo. Aber gerade das mag ich so an ihm", gestand sie.
„Weil dir endlich mal jemand zeigt, wo es langgeht", lachte Cassie.
Willow wurde ernst.
„Ich weiß nicht, was du für Vorstellungen von unserer Beziehung hast, aber bei uns habe ich die Hosen an", stellte sie klar. Cassie grinste.
„Bis er sie dir auszieht, vielleicht."
„Cas!", lachte Willow.
„Was denn?", grinste sie. „Ist doch keine Schande, dass du endlich aus dem Club der eisernen Jungfrauen ausgetreten bist."
„Er war nicht mein Erster!", protestierte Willow.
„Du weißt ganz genau, wieso ich das gesagt habe", grinste Cassie. „Und selbst wenn, wäre das auch vollkommen okay. Ich weiß sowieso nicht, woher dieser Irrglaube kommt, ein Mädchen müsste sich dafür schämen, erst spät Sex zu haben."
„Spät ist relativ", sagte Willow und nippte an ihrem Milchkaffee.
„Stimmt", räumte Cassie ein. „Ich hatte mein erstes Mal mit neunzehn."
Willow grinste.
„Irgendwie romantisch, dass John dein Erster war."
Cassie lächelte. Sie hatte tatsächlich noch nie mit Willow über Details gesprochen, da es sich nicht ergeben hatte.
„War es auch. In Amsterdam, auf einem Hausboot."
„Warst du aufgeregt?", wollte Willow wissen.
„Total", gab Cassie zu. „Ich wusste schließlich überhaupt nicht, was ich da tue. Zum Glück haben wir vorher Haschbrownies gegessen, das hat mich aufgelockert."
„Er hat dich also auf elegante Art und Weise abgefüllt", kommentierte Willow trocken.
„Genau."
„Eigentlich schade, dass ihr mal getrennt gewesen seid, sonst hättest du jetzt sagen können, er war dein erster und dein letzter", witzelte Willow. Im ersten Moment grinste Cassie, doch dann wurde ihr Herz schwer. Ihre Aussage erinnerte sie nicht nur an ihre Nächte mit Marten, sondern auch an ihre neuen Geheimnisse. Sofort waren all die Schuld, Zweifel und Unsicherheiten wieder da.
„Vielleicht war es aber auch gut für unsere Beziehung", sagte sie schnell. „So konnte jeder von uns sich nochmal wo anders die Hörner abstoßen. Wieso sagt man das eigentlich – die Hörner abstoßen?"
„Man sagt, wer sich die Hörner abgestoßen hat, lässt das Tierische hinter sich", antwortete Willow ernst. „Eigentlich geht das auf einen alten Studentenbrauch zurück. Neue Studenten haben sich als Böcke verkleidet. Die Hörner standen dabei für das Wilde und Unbeherrschte. Durch das Abstoßen der Hörner, zum Beispiel an einer Tür, sollten die Studenten ihre tierischen Wurzeln ablegen, um an ihrer geistigen Lehre arbeiten zu können. Meistens wird die Redewendung aber im Zusammenhang mit der Liebe benutzt. Bevor man sich ernsthaft bindet, stößt man sich die Hörner ab, genießt also das wilde, ungebundene Leben. Hat man sich die Hörner abgestoßen, ist man bereit, eine dauerhafte Bindung einzugehen."
Cassie starrte sie aus großen Augen überrascht an, schließlich hatte sie auf ihre mehr rhetorische Frage keine derart ernsthafte Antwort erwartet.
„Wow", sagte sie schließlich trocken. „Es ist ekelhaft, wie schlau du bist."
Ihre kleine Schwester lächelte.
„Irgendjemand muss ja die schlauen Kinder bekommen", konterte sie, nichts ahnend, dass sie damit Salz in die offene Wunde streute. Doch bevor ihre Worte Cassies Herz erreichen konnten, lenkte die Vibration ihres Smartphones auf dem Tisch sie ab. Eine neue Nachricht erschien auf dem Display. Sie seufzte lautlos, als sie Martens Namen sah.
„Gehst du jetzt eigentlich heute Abend mit den Mädels feiern?"
Willow musterte Cassie aufmerksam.
„Weiß noch nicht, ob ich das zeitlich schaffe", murmelte Cassie, bevor sie die Nachricht anklickte.
„Komm um acht in den Laden. Es ist niemand da."
Ich weiß, ich immer mit meinen miesen Enden, vor allem nach so einem emotionalen Kapitel 😭❤ Wie hat es euch denn gefallen? Könnt ihr Cassie verstehen? Und wie fandet ihr Johns Reaktion? Also ich fand es ja sehr süß. Und freut sich noch jemand, dass Willow und Carlos offenbar glücklich sind?
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