20 | Herzensentscheidung
Heartbreak.
2012.
John nahm einen tiefen Zug von seinem Joint und schloss seine Augen, so, als könne er sich so vor seinem Problem verschließen, davor davonlaufen und es einfach abschütteln. Doch das konnte er nicht. Es war inzwischen jeden Tag präsent.
Er wusste noch nicht einmal mehr, wann genau es ihm das erste Mal so richtig bewusst geworden war. Vor ein paar Monaten noch war alles in Ordnung gewesen. Es musste irgendwann passiert sein, nachdem er Cassies Nachbarn krankenhausreif geschlagen und Cassie sofort zugesagt hatte, mit ihr zusammenzuziehen. Seine grenzenlose Wut hatte ihm vor Augen geführt, wie sehr er Cassie liebte und dass er dazu bereit war, einen Schritt weiter mit ihr zu gehen.
Doch seit sie zusammenwohnten, schien sich ihre Beziehung unbemerkt verändert zu haben. Jetzt war er seit Anfang November mit den Jungs auf der großen Free-Gzuz-Tour unterwegs und es fühlte sich an wie Urlaub. Schlimmer noch; er vermisste Cassie nicht einmal.
Erst hatte er geglaubt, dass er gar nicht dazu kam, weil er momentan so viele Eindrücke sammelte und sie gar nicht sortieren, aufnehmen und begreifen konnte. Die Resonanz war unglaublich und er hatte nicht damit gerechnet, dass die Leute derart ausrasten würden.
Zu Beginn der Tour hatte er Cassie noch jeden Tag geschrieben und sie angerufen, so oft es ging, doch inzwischen fehlte ihm nicht einmal mehr ihre Stimme; im Gegenteil, es fiel ihm nicht einmal mehr auf, wenn sie länger nicht auf seine Nachrichten reagierte.
Oder war das vielleicht normal, wenn man so lang in einer Beziehung war?
Hatte er sich einfach an sie gewöhnt?
John zog ein weiteres Mal an seinem Joint und wischte über seine Augen.
Er hatte sich den gesamten Tag über nicht ein einziges Mal gefragt, was Cassie überhaupt machte. Sie hatte ihm eine Nachricht geschickt, in der sie schrieb, dass sie im Laufe des Tages einen Workshop in einer Tanzschule geben würde und er hatte bis jetzt nicht darauf reagiert. Sein Blick fiel auf die Uhr an seinem Handgelenk. Ob er ihr jetzt noch antworten sollte? Sie schlief vermutlich sowieso schon.
Einen Moment lang schaute er gedankenverloren auf das Display seines Handys und versuchte zu verstehen, was mit ihnen passiert war und an wem es lag.
Cassie war ein hübsches Mädchen und hatte einen tollen Charakter; eigentlich eine Frau, wie er sie sich an seiner Seite immer gewünscht hatte. Sie war in den vergangenen dreieinhalb Jahren mit ihm durch Höhen und Tiefen gegangen, hatte ihn immer in allem unterstützt und war nie von seiner Seite gewichen, selbst dann nicht, wenn es mal schwierig geworden war.
Natürlich hatten sie sich auch oft gestritten, doch das lag einfach daran, dass Cassie nur schwer damit umgehen konnte, dass er seine Karriere so stark fokussiert und sie deshalb oft vernachlässigt hatte. Selbst der längste Geduldsfaden erreichte eben irgendwann mal sein Ende. Auch, dass sie jetzt zusammenwohnten, änderte nichts daran, dass er zu wenig Zeit mit ihr verbrachte. Er verstand das auch, schließlich hatte sie jedes Recht, Ansprüche an ihn als ihren Freund zu stellen.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte sie ihn in den letzten Monaten mehr unterstützt als er sie; statt sie zu den letzten zwei wichtigen Battles zu begleiten, hatte er lieber Videos gedreht und die ersten Auftritte der Tour auf eines der Tanz-Wochenenden gelegt.
Er sah einfach, dass es endlich gut lief und sich alles in die richtige Richtung bewegte. Doch er wusste auch, dass Cassie dabei auf der Strecke blieb. Gerade ihr gegenüber, die immer hinter ihm gestanden hatte, war das nicht fair.
Ob es ihr genauso ging wie ihm?
Ob sie auch merkte, dass sich etwas zwischen ihnen veränderte?
Vielleicht, denn auch sie hatte sich zurückgezogen. Den letzten Off-Day, den sie in Hamburg gemeinsam verbracht hatten, waren sie sich nicht einmal körperlich nähergekommen, dabei hatte es eine Zeit gegeben, in der sie nicht die Finger voneinander lassen konnten. John wusste, dass es ihr gegenüber nicht fair war, doch er hatte sich in den vergangenen Monaten immer öfter dabei erwischt, wie er anderen Frauen hinterhergeschaut und sie abgecheckt hatte. Er hatte sie nicht angesprochen und bis heute hatte er Cassie auch nicht betrogen, doch er interessierte sich eindeutig für andere Mädchen.
Zu all dem kam, dass sie sich in letzter Zeit immer häufiger stritten; inzwischen bereits wegen Kleinigkeiten, über die sie vor ein paar Jahren noch nicht mal ein Wort verloren hätten. John wusste, dass Cassie das belastete, doch er konnte einfach nichts dagegen tun. Es passierte einfach. Sie reizte ihn dann mit ihrer Art und er hatte keine Lust mehr, sich ihr zuliebe zusammenzureißen. Schließlich hatte er sowieso schon kaum Zeit für sich und wollte sich in seiner wenigen freien Zeit nicht auch noch von seiner Freundin nerven lassen.
Wenn sie sich mit anderen Tänzern traf und mit ihnen auf Veranstaltungen oder beim Training herumhing, ließ ihn das inzwischen völlig kalt. Cassies Eifersucht hatte sich unterdessen verstärkt, was vermutlich daran lag, dass er sich so sehr vor ihr zurückgezogen hatte und durch Verlustangst begründet war.
John verstand nicht, warum ihnen das passierte. War das einfach der Lauf der Zeit?
Die Gewohnheit?
Er zog ein letztes Mal an seinem Joint, dann drückte er ihn aus. Er wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Er musste einfach mit ihr sprechen, auch, wenn das vielleicht bedeutete, dass sich eine heftige Diskussion zwischen ihnen entwickeln würde. Aus ihrer Sicht war er bestimmt nicht unschuldig an der Situation.
Er fühlte sich noch schlechter, als er Cassie das nächste Mal in Hamburg traf. Sie hatten sich trotz der kühlen Jahreszeit zum Spazierengehen verabredet. Er hatte einfach das Gefühl, dass die Wohnung ihn erdrückte.
Als Cassie auf der anderen Straßenseite auftauchte, löste es rein gar nichts in ihm aus. Auch nicht, als sie ihre Lippen zur Begrüßung kurz auf seine presste. Er zwang sich zu einem Lächeln, doch er fühlte sich nicht wohl in ihrer Gegenwart.
„Wie geht's dir?", wollte sie wissen.
„Geht. Kaputt von den letzten Tagen", sagte er.
„Zum Glück hast du jetzt erst mal ein paar Tage frei", sagte sie.
„Ja, zum Glück", wiederholte er matt.
„Alles okay?", fragte sie und schaute prüfend in seine Augen.
John schluckte. Er konnte auf keinen Fall länger warten und es unnötig hinauszögern. Er musste es ihr jetzt sagen.
„Ich glaube, ich liebe dich nicht mehr."
Cassie starrte ihn aus großen Augen an.
„Was heißt das, du glaubst?"
„Meine Gefühle für dich haben sich verändert", versuchte er, sich anders auszudrücken und hoffte, dass sie es jetzt verstand. Zu sehen, wie traurig ihre Augen wurden, brach ihm beinah das Herz.
Dass es zwischen ihnen nicht mehr so lief wie früher hieß schließlich auch nicht, dass sie ihm egal war; ganz im Gegenteil. Sie bedeutete ihm sehr viel, doch wenn er ehrlich war, empfand er für sie eine ähnliche Zuneigung wie für seine Schwester. Doch die Liebe, die er einst für sie gespürt hatte, war nicht mehr da.
„Wie – verändert?"
Cassie wich ein Stück zurück und schaute ihm aus großen Augen enttäuscht ins Gesicht.
John seufzte schwer.
„Du bist mir immer noch wichtig, aber mehr wie eine Freundin oder eine Schwester."
Cassie schüttelte ungläubig den Kopf.
„Du hast mir vor ein paar Tagen noch gesagt, dass du mich liebst", sagte sie verständnislos.
„Aber ich habe inzwischen erkannt, dass ich mir seit Monaten etwas vormache. Das zwischen uns hat sich einfach verändert. Vielleicht ist es die Gewohnheit, die Routine. Aber die Liebe zu dir ist einfach nicht mehr da."
Cassies Augen füllten sich mit Tränen, doch es gelang ihr, sie wegzublinzeln.
„Seit Monaten?", platzte es enttäuscht aus ihr heraus.
„Ich dachte, es ist nur so eine Phase", sagte John hilflos.
„Eine Phase?!"
Cassie stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Ich will dich nicht verletzen, Cas. Gerade, weil du mir trotzdem wichtig bist, will ich dir nicht wehtun."
„Ich weiß nicht, ob du es dir vorstellen kannst, aber zu hören, dass du mich nicht mehr liebst, tut mir schon sehr weh", gab Cassie beißend zurück.
John wusste nicht, was er sagen sollte. Er hielt ihrem vorwurfsvollen Blick stand.
„Hast du mich betrogen?"
„Was? Nein!", erwiderte John sofort.
„Liegt es an mir? Habe ich irgendwas falsch gemacht?"
John schüttelte den Kopf.
„Nein, du bist perfekt, so wie du bist."
„Dann verstehe ich es nicht", sagte sie traurig.
„Guck mal, Cas. In der letzten Zeit haben wir uns kaum gesehen, weil ich so sehr mit der Musik beschäftigt war. Früher hatte ich ein schlechtes Gewissen dir gegenüber, doch momentan ist es mir egal. Verstehst du? Und du verdienst das nicht. Du bist so eine tolle Frau, du verdienst einen Mann, der dich liebt und dich vermisst. Es wäre nicht cool von mir, dir etwas vorzumachen, nur, um deine heile Welt nicht kaputtzumachen. Ich will mich lieber von dir trennen, statt dir eines Tages fremdzugehen."
„Wieso setzt du dich nicht erst mal mit mir hin und versuchst zusammen mit mir, eine Lösung dafür zu finden, wie es vielleicht wieder anders werden kann? Warum wirfst du all das, was wir uns aufgebaut haben, einfach so weg, wenn ich so eine tolle Frau bin?", fragte sie anklagend.
„Ich habe die letzten Monate darauf gehofft, dass ich nur vorübergehend so empfinde, weil ich so gestresst war. Aber ich weiß einfach, dass ich dich nicht mehr liebe. Liebe ist nichts, was du einfach so wiederherstellen kannst wie gelöschte Fotos auf deinem iPhone."
Sie schüttelte den Kopf.
„Wie stellst du dir das vor? Wir sind praktisch gerade erst in diese Wohnung gezogen."
„Du kannst da natürlich wohnen bleiben und ich suche mir-"
„Als ob ich in der Bruchbude wohnen bleiben will!", platzte es wütend aus ihr heraus.
Er seufzte schwer, doch er fand in diesem Moment keine weiteren Worte mehr. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Die Enttäuschung in ihren Augen würde ihn bis in den Schlaf verfolgen. Doch er wusste, dass er das Richtige tat. Als er nichts sagte, straffte sie stolz ihre Schultern und musterte ihn entschlossen.
„Dir ist klar, dass – wenn ich jetzt gehe – ich nicht mehr zu dir zurückkomme? Nicht in fünf Tagen, nicht in fünf Monaten und nicht in fünf Jahren. Wenn ich jetzt gehe, dann ist es für immer vorbei."
Er schluckte. Auch sein Herz brach, als er es aussprach.
„Wenn wir etwas Abstand voneinander gewonnen haben, können wir doch trotzdem versuchen-"
„Wag es nicht, das jetzt auszusprechen", zischte Cassie.
John wusste, dass sie es ernst meinte. Wenn er das jetzt wirklich durchzog, würde sie nie wieder mit ihm sprechen. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, denn er wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Er hätte nicht gedacht, dass es so höllisch wehtun würde, Cassie zu verlassen; das erste Mädchen, dass er aufrichtig und von ganzem Herzen geliebt und das ihm die Welt bedeutet hatte. Als sie ihm jetzt enttäuscht in die Augen schaute, wusste er, dass er ihr Herz gebrochen hatte.
I. Am. Sorry. Ich weiss, ich habe nicht nur ihr Herz gebrochen, sondern auch eures. Aber habt ihr das vielleicht auch schon selbst erlebt? Irgendwann verändern sich Gefühle für den Partner manchmal und man kann nichts dagegen tun.
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