2 | 54 | Familie
Eigentlich sollte das Kapitel erst morgen kommen, aber ich hab gerade Lust :) Habt viel Spaß.
Nur langsam schlug John seine Augen auf. Das grelle Licht blendete ihn, also schloss er sie sofort wieder. Er fühlte sich seltsam betäubt und versuchte, sich an das Geschehene zu erinnern. Doch jedes der Bilder, das er zu greifen probierte, verschwamm vor seinem inneren Auge. Er fühlte sich leer und kraftlos, ein wenig wie auf Wolken. Nach wie vor hatte er das Gefühl, von einer tiefen Dunkelheit eingenommen zu werden, die ihn noch nicht loslassen wollte. Er konzentrierte sich auf seine Atmung, sog gleichmäßig Luft in seine Lungen und verspannte sich automatisch, als ein dumpfer Schmerz seinen Körper durchfuhr. Automatisch öffnete er seine Augen und schaute in ein dunkles, schwarz umrandetes Augenpaar einer hübschen Asiatin. Sie schenkte ihm ein Lächeln.
„Ausgeschlafen?", lächelte sie und präsentierte dabei ihre nahezu perfekten Zähne, ehe sie sich dem Bett, in dem er lag, mit einem freundlichen Gesicht näherte. Er runzelte fragend die Stirn. Er hatte keine Ahnung, wer sie war oder wo er sich befand. Bei dem Versuch, an sich herabzuschauen, konnte er jedoch nur einen Teil der Bettdecke erkennen, die über seinem Körper lag. Er wollte etwas sagen, doch seine Stimme versagte. Sein Hals fühlte sich widerlich kratzig an, sein Kopf schwer wie ein Backstein. Erst jetzt bemerkte er, dass er lediglich ein dünnes, blauweiß gemustertes Stück Stoff trug, das unter der Bettdecke hervorschaute. Er ertastete den weichen Stoff, ließ seinen Kopf in das weiche Kissen zurücksinken und atmete tief durch. Er war abgeschlagen, hatte kaum Energie, sich zu bewegen, doch er verstand jetzt, dass er sich in seiner persönlichen Hölle befand. Er hatte Krankenhäuser; nicht erst seit dem Tod seines Vaters. Träumte er? Oder war das hier die Realität?
Er schlug seine Augen wieder auf und erfühlte seinen Körper, probierte Hinweise auf seinen vermeintlichen Traum zu entdecken. Die schöne Asiatin, die ihre üppigen Brüste zu seinem Leidwesen unter einem weißen Kittel versteckte, sprach jedenfalls schonmal dafür. Er probierte erneut zu sprechen, doch ihm gelang lediglich ein unverständliches Gemurmel.
„Sie sind im Krankenhaus", erklärte sie mit einer engelsgleichen Stimme. Vielleicht war das wirklich ein Traum. Wenn das hier tatsächlich ein Krankenhaus war, war sie möglicherweise der Teufel in einem verführerischen Gewand. Er streckte seine Hand nach ihr aus, um zu prüfen, ob sie wirklich existierte und glaubte, jede Sekunde aufzuwachen.
„Ruhen Sie sich noch etwas aus", lächelte die Krankenschwester und strich ihm sanft über den Oberarm. Ihre Berührung hinterließ ein sanftes Kribbeln und er realisierte, dass er nicht träumte. Was war mit ihm passiert? Wie kam er hierher? Angestrengt legte er die Stirn in Falten, so, als könne er sich auf diese Weise besser erinnern, dich in seinem Kopf herrschte nach wie vor bedrückende Dunkelheit. Dann erinnerte er sich tatsächlich an etwas; an Fragmente seines verstörenden Traums. Er bekam ihn nicht mehr zusammen, doch es dämmerte ihm, dass er etwas mit Rome zu tun hatte.
Er atmete tief durch, schloss seine schweren Augenlider und genoss kurz die Entspannung, während sich seine Lungen mit Luft füllten. Als er die Augen ein weiteres Mal öffnete, fiel sein Blick auf seine bandagierte Hand. Er drehte sie auf den Handrücken, betrachtete sie, kniff die Augen zusammen und bewegte vorsichtig seine Finger. Sofort brannte seine Handinnenfläche unangenehm und er biss knurrend die Zähne zusammen. Auf einmal wurde eines der vielen unscharfen Bilder klarer. Er sah Romes hasserfülltes Gesicht, seine beinah schwarzen Augen, die in seinen dunklen Augenhöhlen saßen und ihn anstierten und seine weit aufgeblähten Nasenflügel. Es war, als spürte er plötzlich Romes harten Griff, all die Kraft, mit der er sich auf ihn geschmissen hatte und die scharfe, kalte Klinge an seiner Hand, die ihm tief ins Fleisch geschnitten hatte beim Versuch, ihm das Messer zu entreißen. Das war kein Traum!
Von einer auf die andere Sekunde war der brutale Kampf zwischen ihm und seinem ehemaligen Freund so präsent in seiner Erinnerung, dass es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief. Noch immer spürte er das warme Blut, das seine Finger hinabgelaufen war, nachdem er ihm das Messer in den Bauch gestoßen hatte. Ohne, dass er es merkte, fuhr seine Hand an die Stelle, an der Rome ihn zuerst erwischt hatte. Der Schmerz, den er verspürte, fühlte sich seltsam unecht an, reichte jedoch aus, damit er erneut die Zähne zusammenbiss. Plötzlich brachen alle Bilder ungefiltert auf ihn ein wie ein Unwetter. Ihm wurde zeitgleich heiß und kalt, als er seine Freundin auf dem Boden des Schlafzimmers sitzen sah; verängstigt, verstört und verzweifelt.
„Cassie!"
Als er sich hektisch aufrichtete, zwang ein bisher ungekannter Schmerz ihn dazu, wieder in die Kissen zurückzusinken. Sofort eilte die Asiatin an sein Bett und legte ihm besänftigend die Hand auf.
„Bitte bleiben Sie liegen. Wir bringen sie schnellstmöglich auf Ihr Zimmer", sagte sie sanftmütig.
„Nein", protestierte er entschieden. „Ich muss hier sofort raus. Meine Freundin braucht mich."
„Ihre Freundin wartet draußen auf sie", sagte die Krankenschwester ruhig und legte vorsichtig ihre Hand auf seinen Unterarm. Er seufzte benommen auf. Cassie war hier. Er musste wissen, wie es ihr ging. Doch es gelang ihm nicht, erneut zu protestieren, denn seine Stimme versagte ein weiteres Mal. Er sank benommen in die Kissen zurück, ächzte schwer und schloss seine Augen, versuchte, neue Kraft zu sammeln.
Als er sie das nächste Mal aufschlug, lag er in einem kahl eingerichteten Krankenzimmer. Er konnte sich nur vage daran erinnern, dass zwei Krankenpfleger ihn hergebracht hatten. Als sie ihn durch die Gänge bis in den Aufzug und von dort in diesen Raum geschoben hatten, war es ihm wie ein Traum vorgekommen. Doch jetzt war er wach; endgültig. Er fühlte sich weniger benebelt, sein Kopf schien wieder völlig klar. Bei dem Versuch, die Bettdecke zur Seite zu schlagen, zog ein Schmerz durch seinen Körper, doch er setzte sich trotzdem auf und schwang die Beine aus dem Bett. Erst jetzt erkannte er, dass er wirklich nur das dünne Operationshemdchen trug. Trotzdem setzte er die nackten Füße auf den kalten Boden und probierte, aufzustehen. Er stand gerade auf wackligen Beinen, als die Zimmertür sich öffnete und Cassie ihren Lockenkopf durch den Türspalt steckte. Erleichtert, sie zu sehen, wollte er auf sie zugehen, doch er schwankte, hielt sich am Bettgestell fest und plumpste auf die weiche Matratze zurück.
„Spinnst du? Leg dich sofort wieder hin", forderte seine Freundin entschieden, als sie den Raum durchquerte. Erst jetzt bemerkte er Marten und Carlos, die hinter ihr auftauchten. Alle drei musterten ihn besorgt.
„Ich freu mich auch, dich zu sehen, Shorty", begrüßte er sie, ehe seine kratzige Stimme erneut versagte. Sie hatte unterdessen das Bett erreicht, nahm sein Gesicht vorsichtig in ihre Hände und drückte ihm einen langen Kuss auf die Lippen. Er genoss diese Geste, schloss seine Augen und spürte all die innere Unruhe von sich abfallen. Es ging ihr gut. Rome hatte ihr nichts getan. Er hatte sie beschützt.
„Ich liebe dich", flüsterte sie an seinen Lippen, als sie sich von ihm löste.
„Ich dich-"
Seine Stimme brach erneut.
„Leg dich wieder hin", bat sie ihn und half ihm dabei. „Du hast riesiges Glück gehabt."
Marten und Carlos blieben am Fußende des Bettes stehen und beobachteten die Szenerie.
„Ich bin wirklich okay", log er und ignorierte den Schmerz der Stichwunde, die Rome ihm zugefügt hatte. Marten schob einen der Stühle zu Cassie hinüber. Die setzte sich zu John ans Bett und nahm seine nicht bandagierte Hand.
„Wie fühlst du dich?", fragte Marten und musterte ihn eindringlich.
„Ganz gut", log er. Sein Cousin grinste.
„Dasselbe habe ich auch gesagt damals. Erinnerst du dich?"
John nickte matt.
„Du weißt, dass das gelogen war, oder?", schmunzelte Marten.
„Wir sind eben aus einer Familie", erwiderte John heiser.
„Das Schwein hat dich richtig erwischt", sagte Carlos mit düsterem Gesichtsausdruck. Cassie warf ihm einen flehenden Blick zu. „Nicht jetzt, okay?"
„Ist er-?"
John brach ab. Auch, wenn Rome ihnen so viel Leid zugefügt hatte – die Vorstellung, er könnte ihn erstochen haben, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Immerhin waren sie eine lange Zeit auch Freunde gewesen und hatten viel miteinander erlebt.
„Nein, er kommt durch", knurrte Marten. „Alles andere bereden wir, wenn du wieder auf den Beinen bist."
Der restliche Tag lief wie ein Film an ihm vorbei. Cassie verbrachte den gesamten Tag an seinem Krankenbett, Carlos brachte Marten irgendwann zurück zur JVA. Obwohl sie allein waren, sprach er mit ihr nicht über den Vorfall. Er selbst brauchte Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten und er wusste, dass es ihr ebenso ging. Doch so schlimm die Situation auch war – sie hatten sie gemeinsam überstanden. Er hatte einen Stich für sie kassiert, war beinah draufgegangen, doch seine Zeit zu gehen war offenbar noch nicht gekommen. Trotzdem machte ihn die Gewissheit nachdenklich.
Das Leben konnte von einem Tag auf den anderen vorbei sein. Als Carlos Cassie an diesem Abend abholte, um sie zu Malia zu bringen, stellte er ich die Frage, ob er sich sein Leben wirklich so vorstellte und mit guten Gewissen sagen konnte, er hatte es in vollen Zügen ausgekostet, wäre er tatsächlich in dieser Nacht gestorben. Er merkte, dass er sich damit bisher nur unzureichend auseinandergesetzt hatte. Wäre er von jetzt auf gleich nicht mehr dagewesen, was wäre dann mit Cassie oder seiner Mutter passiert? Hätten sie genug Unterstützung gehabt, um seine Beerdigung vorzubereiten? Wären sie in der Lage gewesen, sich gemeinsam dadurch zu kämpfen? Hätte jeder seiner Jungs gewusst, was zu tun gewesen wäre? Wer hätte sich um seinen Nachlass gekümmert? Hatte er überhaupt ein Testament?
Er nahm sich vor, mit Cassie darüber zu sprechen, sobald etwas Gras über die Sache gewachsen war. Zunächst jedoch hoffte er, dass sie – solang er an dieses Krankenbett gefesselt war – genug Beistand ihrer Freundinnen hatte, die Situation durchzustehen. Er wusste, sie würde es ihm nicht sagen, damit er sich darauf konzentrieren konnte, gesund zu werden. Doch eine Sache wusste er: auf seine Jungs konnte er sich immer verlassen.
Ich hoffe, nach dem ganzen Trubel und dem Drama hat euch die Harmonie gefallen. Vor allem JuleJC hat bestimmt aufgeatmet haha.
Ich schreibe gerade übrigens an einer Kurzgeschichte. Die ist bis jetzt gar nicht dramatisch. Also irgendwie fehlt mir ja da immer was... 😂😂😂
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