2 | 43 | Flucht nach vorn
Meine Lieben, ich weiß, es ist Weihnachten und irgendwie wollen wir alle Harmonie, aber dafür haben wir ja den Adventskalender :p Hier gehts erstmal weiter mit dem nächsten Kapitel.
„Kannst du mich abholen?"
Cassies Schluchzen ließ ihn schwer seufzend seine Augen schließen. Sie saß weinend auf dem Wohnzimmer und wischte sich verzweifelt über das Gesicht, während er sie mit versteinertem Gesicht beobachtete.
„John und ich, wir-"
Sie brach ab, schien nach der Kraft zu suchen, diese Worte tatsächlich auszusprechen.
„Es ist vorbei."
Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er die Worte aus ihrem Mund hörte.
„Bitte beeil dich einfach", fuhr sie fort, strich sich ein paar Locken aus dem Gesicht und warf John einen flüchtigen Blick zu. Auch ihr war der Schmerz anzusehen, den die Situation in ihr ausgelöst hatte. Zu sehen, wie sie ein paar Klamotten in ihre kleine Sporttasche geworfen hatte, hatte ihm das Herz gebrochen, doch es war ihre Entscheidung und er hatte keine Energie gehabt, dagegen anzukämpfen; zu sehr hatten die letzten Wochen ihn ausgelaugt, die ständigen Streitereien an ihm gezerrt, sodass er es jetzt mehr oder weniger wie in Trance über sich ergehen ließ.
Vermutlich würde er noch bereuen, nicht heftiger gegen ihren eisernen Willen argumentiert zu haben, doch jetzt in diesem Augenblick fühlte es sich richtig an, sie gehen zu lassen – ganz egal, wie sehr es ihn innerlich zerriss. Schließlich hatten sie bisher alles zusammen durchgestanden und immer zusammengehalten. Sie hatten aus jeder Krise einen Weg gefunden. Dass Cassie sich ausgerechnet für diesen Weg hinaus entschied, zog ihn in ein tiefes Loch und er wusste nicht, wie er aus eigener Kraft wieder herausfinden sollte.
„Bis gleich", riss ihre traurige Stimme ihn aus seinen Gedanken und er schaute wieder zu ihr herüber. Sie musterte ihn kurz, dann stand sie auf und machte ein paar Schritte auf ihn zu.
„Ich-", setzte sie an, etwas zu sagen, doch er brachte sie mit einem düsteren Blick zum Schweigen.
„Ich hoffe wirklich, du weißt, was du tust", erwiderte er kühl.
„Es ist besser so", versicherte sie ihm. „Für uns beide."
Er schüttelte ungläubig den Kopf über sich selbst; darüber, dass er sie tatsächlich gehenließ.
„Ja. Klar", erwiderte er, bevor das Klingeln seines Handys ihn unterbrach und er einen Blick auf das Display warf. „Carlos ist da."
Er seufzte lautlos, als er in ihre großen, traurigen Augen schaute. Er rang mit sich selbst, war hin- und hergerissen, wie er sich von ihr verabschieden sollte.
„Ich hole die anderen Klamotten morgen oder so", sagte sie bedrückt und sein Herz zog sich einmal mehr zusammen, als er die unendliche Traurigkeit in ihrem Gesicht sah.
„Okay", erwiderte er, dann wandte er sich von ihr ab.
„John?"
Er fuhr hoffnungsvoll zu ihr herum, wünschte sich, dass sie es sich noch einmal anders überlegt hatte, doch sie schenkte ihm lediglich einen eindringlichen Blick.
„Bitte, mach nichts, das du irgendwann bereust", sagte sie eindringlich. Er schnaubte verächtlich.
„Keine Sorge", knurrte er, bevor er sich seinen Schlüsselbund schnappte und sie allein zurückließ. Er konnte nicht glauben, dass sie sich mehr Gedanken darum machte, was er Rome antun würde, als darum, was Rome ihr antat. Mit einem lauten Krachen zog er schwungvoll die Haustür hinter sich ins Schloss, lief die kleinen Treppenstufen hinunter und hielt zielstrebig auf Carlos' Wagen zu.
„Alles okay, Digga?", begrüßte ihn sein Freund, als er Johns angespanntes Gesicht bemerkte.
„Nee. Fahr", forderte er, als er sich angeschnallt hatte.
„Was ist passiert?", fragte Carlos, als sie die Straße erreicht hatten.
„Später, Diggi", sagte John kurz angebunden und tippte auf seinem Handy herum.
„Wohin?", wollte Carlos wissen.
„187ink erstmal, dann gucken", erwiderte John, ohne seinen Blick vom Display seines iPhones abzuwenden. Carlos folgte seiner Aufforderung schweigend. Eine ganze Weile lenkte er den Wagen durch den Verkehr und John war ihm dankbar dafür, dass er nicht weiter nachfragte. Er würde es ihm erzählen, aber noch nicht jetzt. Er brauchte noch etwas Zeit, sich zu sammeln, und zu verarbeiten, was gerade mit ihm passierte.
Cassie war seine große Liebe und er war bereit, alles für sie zu tun. Die Gewissheit, dass tatsächlich mehr zwischen Rome und ihr gewesen war und sich seine Vermutung quasi bestätigt hatte, lastete schwer auf ihm.
Als er die Videos auf Cassies Handy gesehen hatte, war er komplett eskaliert. Nur Cassie hatte Rome es zu verdanken, dass er nicht hinfuhr, um ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen. Er konnte nicht fassen, dass sie versucht hatte, ihre vermeintliche Nacht mit Rome vor ihm zu verheimlichen, dabei hatte er immer gedacht, dass sie ein Team waren. Er wusste genau, wieso sie ihm verschwiegen hatte, was zwischen ihr und Rome in den vergangenen Wochen und Monaten passiert war – sie hatte sich so sehr in die Angst hineingesteigert, dass er sie verlassen würde, dass sie sich lieber einem anderen Risiko ausgesetzt hatte – nämlich Rome, der es irgendwie geschafft hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen, obwohl sie von Anfang an gegen ihn gewesen war.
„Halt mal bitte an der Tanke", bat er Carlos, als sie an einer vorbeifuhren. Als sein Freund den Motor abstellte, sprang John aus dem Wagen und betrat den kleinen Verkaufsraum. Er lief zielstrebig auf den Alkohol zu, schnappte sich eine Flasche Hennessy, eine Flasche Vodka und ein paar Softdrinks und kramte an der Kasse ein paar Schokoriegel zusammen.
„Noch ein Päckchen Kaugummis dazu?", fragte ihn die hübsche Blondine hinter dem Schalter.
Er ließ seinen Blick kurz über ihren kurvigen Körper gleiten, den sie in einer knackig-engen Jeans und der typischen Tankstellen-Weste versteckte. Sie war süß und jetzt, wo er praktisch Single war, durfte er auch wieder flirten. Also setzte er ein charmantes Lächeln auf.
„Und Blättchen und deine Nummer", grinste er frech.
Die Blondine lächelte, legte die Blättchen dazu und musterte ihn auffordernd.
„Macht dann 55,96 €", sagte sie. Er kramte ein paar Scheine aus seiner Tasche und legte ihr 60 Euro auf den Tresen.
„Stimmt so."
Sie schob ihm die abkassierte Ware wieder über den Tresen.
„Und deine Nummer?", hakte er nach. Sie lächelte entwaffnend.
„Ich bin nicht so eine."
„Sie war genauso eine!", platzte es empört aus John heraus, als er schließlich wieder bei Carlos im Wagen saß und ihm von dem Korb erzählte, den die Kleine ihm gegeben hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann das das letzte Mal passiert war – allerdings hatte er auch während seiner Beziehung mit Cassie nicht mehr versucht, Handynummern abzugreifen, und war es gewöhnt, dass sich ihm alle Frauen in der Zeit vor seiner Beziehung willig an den Hals geschmissen hatten.
„Hat also nicht so gut geklappt, deinen Marktwert zu testen", lachte Carlos amüsiert und fädelte sich wieder in den laufenden Verkehr ein.
„Wenigstens habe ich einen Marktwert", pöbelte John.
„Erzählst du mir jetzt, was los ist?", hakte Carlos ernst nach.
„Was soll schon sein?", sagte John schulterzuckend.
„Du fragst ne Kassiererin an der Tanke nach ihrer Nummer, du kaufst massenweise Alkohol und redest nicht, seit du zu mir ins Auto gestiegen ist. Hast du Stress mit Cassie?"
John seufzte lautlos.
„Lass mich erstmal n bisschen was trinken, dann erzähl ich dir alles", versprach er und fuhr sich frustriert übers Gesicht. Vermutlich würde es sich befreiend anfühlen, es endlich auszusprechen, doch er bekam es einfach nicht über die Lippen. Wie sollte er auch? Schließlich liebte er sie über alles und dass sie tatsächlich eine Tasche gepackt und ihn verlassen hatte, fühlte sich an wie ein Weltuntergang; ganz egal, ob er sie kurz zuvor noch bei einer Lüge erwischt hatte.
Er warf einen Blick auf sein iPhone, in der Hoffnung, sie würde es sich nach seinem Ausraster doch noch einmal anders überlegen und das Gespräch mit ihm suchen, doch offenbar hatte sie nicht vor, zu ihm zurückzukommen. Sie hatte sich entschieden und sich nicht von ihm davon abbringen lassen.
John atmete tief durch und lehnte sich in den weichen Sitz zurück, schloss seine Augen und versuchte, nicht mehr an Cassie zu denken. Dabei stürzte er jedoch nur noch tiefer in das schwarze Nichts, dass ihn nach und nach immer mehr einnahm. Die Vorstellung, von ihr getrennt zu sein, stach wie tausend Scherben in sein Herz und schmerzte so sehr, dass er glaubte, daran zugrunde zu gehen. Nie hatte er gedacht, sie noch einmal zu verlieren, und doch-.
„Willst du schon aussteigen?", unterbrach Carlos seine Gedanken, als sie das Tattoo-Studio erreichten. John nickte, schnappte sich all seine Flaschen und Schokoriegel und stieg umständlich aus dem Wagen. Carlos schüttelte den Kopf, als John beinah eine der Flaschen fallenließ, doch es gelang ihm noch gerade rechtzeitig, sie aufzufangen. Mit dem Fuß trat er die Beifahrertür zu, bevor Carlos davonbrauste und er voll bepackt seinen Laden betrat.
Auf der rechten Seite befand sich so etwas wie eine Verkaufsnische. An der rauen Backsteinfassade prangte ein blau hinterleuchtetes, böses Krokodil mit einer lilafarbenen Mütze auf dem Kopf. Darunter waren Regale mit Trophäen und Baseball-Caps angebracht, weiter unten hingen weitere 187-Merchandise-Artikel. An der Wand auf der linken Seite stand ein dunkler Verkaufstresen mit einem aufgeklappten Laptop darauf, doch er ließ all das hinter sich und lief über den Gang zwischen Verkaufsfläche und Tresen direkt ins Hinterzimmer, wo sie diverse Merch-Artikel lagerten und er bereits die eine oder andere Nacht mit Marten durchgesoffen hatte.
Dort fiel er auf einen der Stühle und stellte alle Gegenstände auf einer Ablagefläche ab. Eine ganze Weile saß er einfach nur so da und versuchte, die Leere zu greifen, die ihn ausfüllte, doch es gelang ihm nicht. Er wusste, dass es praktisch nur einen Menschen gab, der ihm jetzt noch helfen konnte, doch der saß im Gefängnis.
„Sicher, dass du nicht reden willst?"
Carlos hatte den Raum betreten und musterte ihn aufmerksam. John fuhr sich müde übers Gesicht und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber.
„Cassie und ich, wir haben uns getrennt."
Ich weiß. Ich weiß. Es tut mir selbt in der Seele weh. Ich weiß, ich habe eure Herzen gebrochen, aber meins ist auch gebrochen. Glaubt mir. Aber ich kann beide verstehen; an seiner Stelle wäre ich total wütend. Und sie... ja, müssen wir gar nicht drüber reden. Aber ich versuche, es an anderer Stelle wiedergutzumachen :) Haltet morgenn die Augen offen :p
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