2 | 40 | Spiel mit dem Feuer
Langsam wird es auch für mich unerträglich. Nur, dass ihr es wisst.
Cassie warf Rome einen schüchternen Blick zu, als sie zu ihm ins Auto gestiegen war. Er schenkte ihr ein Lächeln.
„Alles gut?", fragte er und nahm ihre Hand. Sie zog sie automatisch weg.
„John ist zuhause", erklärte sie schnell, bevor er wütend werden konnte. Sein Gesicht verdunkelte sich trotzdem, doch er startete kommentarlos den Wagen und rollte aus der Einfahrt.
„Hast du ihm gesagt, dass du heute länger wegbleibst?", fragte er irgendwann.
„Ja. Ich habe ihm gesagt, ich würde mich später noch mit Willow treffen", erzählte sie. „Es war ein beschissenes Gefühl, ihn zu belügen."
Ihr Herz schmerzte bei der Erinnerung daran. Doch die Stimmung zwischen ihm und ihr war so angespannt, dass er sowieso nicht vorhatte, den Abend mit ihr zu verbringen, sondern sich stattdessen mit den Jungs für eine Studiosession verabredet hatte.
„Ich weiß, aber die andere Option wäre, ihm die Wahrheit zu sagen, aber dazu bist du noch nicht bereit", erwiderte Rome, bevor er den Wagen auf der Schnellstraße beschleunigte. Sie atmete tief durch.
„Nein. Bin ich nicht", sagte sie. „Weißt du, Rome, ich hoffe immer noch, dass ich mich endlich an etwas erinnere."
Er nahm ihre Hand. Diesmal ließ sie es geschehen.
„Vielleicht kommt das ja noch", lächelte er zuversichtlich.
„Hoffentlich", murmelte sie. Möglicherweise half es ihr dabei, sich zu erinnern, wenn sie später Zeit mit ihm allein verbrachte. Sie hoffte, dass irgendein Ereignis so etwas wie einen Flashback auslösen würde, auch, wenn sie das eher für ein Klischee hielt.
„Was kochen wir eigentlich?", fragte sie und rang sich ein vorfreudiges Lächeln ab. Er grinste bedeutsam.
„Lass dich überraschen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen."
„Du bist blöd, Rome", sagte sie.
„Nein, ich will bloß die Spannung steigern", lachte er. Sie seufzte lautlos. Würde sie ihn nicht so sehr verabscheuen, würde sie sein Lachen vermutlich sogar attraktiv finden können.
„Ich freue mich auf heute Abend", log sie und drückte sanft seine Hand. Er lächelte zufrieden.
„Solltest du auch, denn ich werde dafür sorgen, dass er unvergesslich wird."
Sie schluckte unmerklich. Hatte er etwa vor, mit ihr zu schlafen? Das würde auf keinen Fall passieren, doch das würde sie ihm erst sagen, sollte er einen Versuch unternehmen.
„Versprich nichts, das du nicht halten kannst", feixte sie jedoch, um ihre innere Anspannung zu überspielen.
Es war ein seltsames Gefühl, zwei Stunden später seine Wohnung zu betreten. John hatte ihm dabei geholfen, sie zu finden, weshalb Cassie sich augenblicklich noch schlechter fühlte. Wie konnte Rome derart undankbar sein und seine Freundschaft zu John so sehr mit Füßen treten? Es verletzte sie für ihren Freund, wie illoyal Rome war. Sie streifte ihre Sneakers von den Füßen, dann folgte sie ihm ins Wohnzimmer. Es war minimalistisch eingerichtet. Der Ankerpunkt war eine große, helle Couch, die gegenüber dem Fernseher stand. Vor der Couch lag ein weißer Teppich auf dem dunklen Laminatboden, ein kleiner, runder Glastisch stand darauf. An der Tür zum Balkon stand eine grüne Zimmerpflanze. Er trat von hinten so nah an sie heran, dass sie seine Körperwärme spürte.
„Gefällt es dir?", fragte er und schlang einen starken Arm um sie. Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte zu ignorieren, wie unangenehm ihr seine Nähe war.
„Ja, ist ganz schön hier", sagte sie und wandte sich aus seinem Arm, schenkte ihm jedoch ein entwaffnendes Lächeln. „Kannst du mir zeigen, wo das Bad ist?"
Als sie kurz darauf die Badezimmertür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Das erste Mal zweifelte sie daran, das Richtige zu tun. Konnte sie das hier wirklich durchziehen und Rome vorspielen, sich für ihn zu interessieren, wenn sie nicht einmal ertrug, wenn er sie anfasste? Sie betrachtete sich einen Moment im kleinen Badezimmerspiegel, der an der Wand über dem Waschbecken auf einer kleinen Ablage lehnte. Vermutlich hatte Rome ihn noch nie geputzt, denn er war übersät von Wasserspritzern. Mit Schrecken stellte sie fest, wie ausgelaugt sie aussah. Das Strahlen ihrer Augen war verschwunden und einem matten Blick gewichen.
Sie wünschte, John wäre hier, um sie einfach in den Arm zu nehmen und ihr zu versichern, dass alles gut werden würde, aber wie könnte er das mit dem Wissen, dass sie vielleicht mit Rome geschlafen hatte? Sie musste die Wahrheit herausfinden, um voll und ganz vor John dazu stehen zu können, was passiert war. Das war sie ihm schuldig, so, wie er sich jahrelang für sie starkgemacht hatte.
„Alles okay?", hakte Rome nach, als sie zu ihm ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er saß mittlerweile auf dem Sofa und hielt sein Handy in der Hand. Sie setzte ein Lächeln auf.
„Ja, mir geht's gut", versicherte sie und setzte sich zu ihm. Dabei versuchte sie, etwas Abstand zu halten, um nicht direkt wieder auf Kuschelkurs gehen zu müssen.
„Was macht der Fuß?", fragte er und ließ seinen Blick auf ihren Knöchel sinken.
„Geht ganz gut. Ich kann fast wieder schmerzfrei laufen", lächelte sie zuversichtlich. „Vielleicht kann ich schon bald wieder mit dem Tanzen beginnen."
„Aber sei vorsichtig damit, okay?", bat er sie und strich sanft über ihr Kinn. Sie ignorierte das scharfe Brennen, das seine Berührung auslöste.
„Mach dir keine Sorgen, ich kann das ganz gut einschätzen", versicherte sie.
„Ich will nur nicht, dass du dich übernimmst, Babe", sagte er ernst. Sie nickte.
„Mache ich nicht. Sollen wir anfangen zu kochen? Ich habe schon einen riesigen Hunger", erwiderte sie und schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.
„Wenn du möchtest..."
Sie folgte ihm in die kleine Küche und beobachtete, wie er ein paar Zutaten aus dem Kühlschrank holte. „Du weißt, ich kann das nicht, also musst du die Arbeit machen", grinste sie.
„Das könnte dir so passen", sagte er entschieden.
„Ich dachte, ich wäre deine Prinzessin", erinnerte sie ihn amüsiert.
„Bist du auch. Aber das heißt nicht, dass ich dich bediene", stellte er klar.
Kurz darauf beugte sie sich neugierig an Rome vorbei, um in einen der Kochtöpfe zu sehen. Wider Erwarten machte er tatsächlich die meiste Arbeit allein und sie schaute ihm einfach nur dabei zu. Hin und wieder hatte sie ein paar Zutaten geschnitten, doch alles in allem übernahm er die meiste Arbeit.
„Kann ich irgendwas tun?", fragte sie und warf dabei einen Blick auf das Gemüse, das gerade vor sich hinköchelte.
„Ja", sagte er und fuhr zu ihr herum. „Du kannst warten, bis es fertig ist."
Sie schaute in seine Augen und ließ es zu, dass sein Blick sie für einen Moment fesselte. Der Duft des Essens stieg in ihre Nase und verstärkte ihr Hungergefühl. Er schlang einen Arm um sie und zog sie zu sich heran. „Du bist wunderschön, Kleines. Weißt du das?"
Sie senkte gespielt beschämt den Blick.
„Schau mich an", forderte er. Sie sah in seine Augen und versuchte, den Instinkt zurückzuweichen zu unterdrücken. Stattdessen legte sie ihre Finger an seine Brust und strich sanft darüber. „Wenn ich dir ein Kompliment mache, musst du dich dafür nicht schämen."
Sie rang sich ein Lächeln ab.
„Und jetzt deck den Tisch. Das Essen ist gleich fertig", forderte er und gab sie frei.
Sie warf einen letzten Blick in den blubbernden Kochtopf, dann machte sie sich daran, Besteck, Teller und Gläser auf den Hochtisch zu stellen. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er Paprika und Ananas in Stücke schnitt und sie in eine Pfanne warf. Dann nahm der den blubbernden Topf vom Herd. Vorsichtig näherte sie sich erneut, um einen Blick in die Pfanne zu erhaschen. Er schüttete den Reis aus dem Kochtopf auf die Ananas- und Paprikastücke. Als er sich zu ihr umdrehte, fühlte sie sich ertappt und änderte sofort ihren Kurs.
Sie öffnete den Oberschrank und versuchte krampfhaft darin nach irgendetwas Nützlichem zu suchen. Rome gab ein wenig Kokosmilch und Ananassaft in die Pfanne. Cassie kämpfte gegen das Hungergefühl an so gut es eben ging, doch sie verlor. So stibitzte sie sich eines der Mandarinenstücke.
„Cas..." Romes mahnende Stimme ließ sie kurz zu ihm herübersehen.
"Was?", fragte sie so unschuldig es ihr möglich war.
„Setz dich hin."
Cassie musste zugeben, dass Romes Früchtecurry mit Reis geschmacklich das Beste war, was sie in der vergangenen Zeit gegessen hatte. Sie aß sogar noch eine zweite Portion, weil sie nicht genug davon kriegen konnte. Erst, als sie den Teller geleert hatte, schob sie ihn lächelnd von sich.
„Hat es dir geschmeckt?", fragte Rome. Sie nickte.
„Und wie."
Es war nicht einmal gelogen.
„Danke fürs Kochen", sagte sie dann und lehnte sich wieder nach vorn.
„Glaub nicht, dass es das schon gewesen wäre", sagte er dann doch sie hob abwehrend die Hände. „Ich hab keinen Platz mehr für Dessert", offenbarte sie ihm, „Tut mir leid."
Er musterte sie kurz grinsend, dann nickte er.
„Okay. Kein Nachtisch", sagte er dann, „Aber dafür musst du noch ein Glas Wein mit mir trinken."
Sie musterte ihn verwundert.
„Seit wann trinkst du Wein?"
Der Gesichtsausdruck, mit dem er sie jetzt anschaute, duldete keinerlei Widerspruch. Also lächelte sie und nickte.
„Okay", sagte sie, „Hier oder lieber im Wohnzimmer?"
Sie hasste Wein, doch sie wahrte den Schein. Sie tat das schließlich alles für ihre Beziehung zu John. Eine gefühlte Ewigkeit saßen sie nebeneinander auf der Couch und unterhielten sich. Er erzählte ihr von seiner Schulzeit, seiner Jugend und seinen Problemen mit seinen Eltern und dem Jugendamt, davon, wie er auf die schiefe Bahn geraten war und wie er Ava kennengelernt hatte. Cassie seufzte lautlos und suchte nach einem Ausweg. Sie vertrug Wein nicht sehr gut und spürte auch schon wie sich die Wirkung der ersten zwei Gläser entfaltete. Um eine Katastrophe zu vermeiden und ihm wieder schutzlos ausgeliefert zu sein, musste sie auf Wasser umsteigen.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass der Abend bereits weit fortgeschritten war. Ihr Freund würde sicherlich auch bald anrufen und sie würde ihm nur ungern erklären, weshalb sie mit ihrer Schwester, die keinen Alkohol trank, wild gebechert hatte. Sie versuchte, sich müder zu geben, als sie eigentlich war, um Romes Beschützerinstinkt zu wecken.
Erst, als sie jetzt auf ihr Smartphone schaute, fiel ihr auf, dass John ihr längst geschrieben hatte. Sie setzte ein betroffenes Gesicht auf, denn es fühlte sich beschissen an, ihn zu belügen.
„Was treibt ihr?"
„Sitzen und erzählen", antwortete sie und biss sich reumütig auf die Unterlippe. Es war schlimm, ihn zu belügen.
„Wann kommst du nach Hause?"
„Bald. Wieso fragst du?"
„Was ist los?", fragte Rome und musterte sie eindringlich.
„Es fühlt sich schlecht an, ihn anzulügen", sagte sie ehrlich.
Er seufzte.
„Ich kann es nicht mehr hören."
„Wieso bist du so?", fragte sie. „Das alles ist nicht leicht für mich."
„Meinst du, für mich ist es leicht, dich gleich zu dem Mann zu fahren, mit dem du regelmäßig ins Bett gehst?"
Sie schluckte.
„Vielleicht sollte ich dich jetzt wirklich nach Hause fahren", sagte er düster. Sie nahm seine Hand, um ihn zu besänftigen.
„Es tut mir leid, dass es gerade so ist", erwiderte sie leise.
„Hmm", machte er.
„Gib mir etwas Zeit. Bitte."
Er schaute in ihre Augen, legte den Kopf schief und seufzte schwer. Dann legte er seine Hand an ihre Wange.
„Wie viel Zeit?", fragte er verzweifelt. „Ich halte das langsam nicht mehr aus."
Sie senkte ihren Blick, denn sie ertrug den seinen nicht länger. Er umfasste unterdessen ihre Taille und zog sie zu sich heran. Dann zwang er sie, sie anzuschauen, und sah tief in ihre Augen. Cassie konnte ihren Blick nicht abwenden, während er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich und dabei ein Brennen auf ihrer Haut hinterließ.
„Küss mich", forderte er. Cassies Wangen glühten, als sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte. Er sah in ihre Augen und nahm ihr Gesicht zärtlich in seine Hände, bevor er sich langsam zu ihr hinunterbeugte und sie küsste. Sein Bart kratzte über ihr Kinn, als er seine Lippen von ihren löste. Bevor sie reagieren konnte, fuhr er mit seinen Händen durch ihre Haare und presste seine Lippen erneut auf ihre. Sie brannten unangenehm. Sie wollte ihn wegstoßen, wusste aber, dass sie diesen Kuss ertragen musste, um den Schein zu wahren. Ein Klingeln an der Haustür rettete sie zum Glück aus der unangenehmen Situation.
„Erwartest du jemanden?", fragte sie, als er sich von ihr löste.
„Nee", antwortete er und ließ sie kurz allein. Sie warf in der Zwischenzeit einen neuen Blick auf ihr Handy. John hatte nicht mehr geschrieben. Sie musste dringend zu ihm. Es war falsch, was sie hier tat, und sie war heute nicht weitergekommen. Sie hatte nach Beweisen suchen wollen, doch es hatte sich einfach nicht ergeben, da Rome sie nicht allein gelassen hatte.
„Was machst du hier, Digga?", hörte sie Romes dumpfe Stimme aus dem Flur. Sie hielt den Atem an und ihr Herz schlug ihr augenblicklich bis zum Hals, als sie die andere Stimme hörte.
Ooooh. Wer könnte das wohl sein?
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