2 | 20 | Gewissensbisse
Ich will heute gar nicht viel drum herum reden; hier direkt das neue Kapitel. Viel Spaß damit :)
Als Cassie die Augen aufschlug, fiel bereits helles Tageslicht durch die Vorhänge ins Schlafzimmer. Sie strich sich müde über das Gesicht und streckte sich, schloss ihre Augen noch einen Moment und versuchte, in den neuen Tag zu finden. Nach wie vor fühlte sie sich wie gerädert; als würde ihr Schlaf fehlen.
Sie seufzte lautlos und streckte ihren Arm nach dem iPhone auf dem Nachttisch aus. Sie runzelte irritiert die Stirn, als sie merkte, dass sie noch immer den Jogginganzug von gestern trug. Sie musste sofort eingeschlafen sein, als sie sich ins Bett gelegt hatte. Müde rieb sie sich über die Augen und warf einen Blick auf das Display. Auch, wenn sie mehr als zwölf Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich schlapp. Sie lächelte, als sie zu Johns Seite des Bettes herüberschaute. Er lag auf dem Bauch, schien tief und fest zu schlafen.
Sie blieb noch einen Moment liegen, dann stahl sie sich so leise sie konnte aus dem Bett und schnappte sich etwas Frisches zum Anziehen. Kurz darauf fand sie sich in der Küche wieder. Sie hatte unglaublichen Hunger, also hatte sie damit begonnen, Pancake-Teig zusammen zu rühren. Ihre Haare hatte sie grob zu einem Messy Bun zusammengebunden, ihren Jogginganzug durch ein T-Shirt und ein knappes Paar Shorts ersetzt. Auf ihrem iPhone, das sie zur Seite gelegt hatte, lief irgendein alter RnB-Song aus den 2000ern und ihre Laune war inzwischen wieder in den positiven Bereich gestiegen. Sie erwischte sich sogar dabei, wie sie leise mitsang, während sie den Teig in die heiße Pfanne gab.
Als sich auf einmal zwei warme Arme von hinten um sie schlangen, lächelte sie. Sie schloss die Augen und sog Johns Duft ein.
„Du hast mir ewig keine Pfannkuchen mehr zum Frühstück gemacht."
Seine Lippen kitzelten an ihrem Ohr. Sie drehte sich in seinen Armen zu ihm um.
„Genau genommen sind das Pancakes", antwortete sie. Er sah eindringlich auf sie herab.
„Alles wieder gut?"
Sie lächelte.
„Ja. Ich brauchte einfach nur etwas Schlaf", antwortete sie.
„Willst du drüber reden?", hakte er nach.
Sie seufzte lautlos. Sie selbst erinnerte sich nach wie vor nur schemenhaft an den Abend des Dance-Battles. Den ganzen Tag über hatte sie versucht, sich nicht von der ungewohnten Doppelbelastung aus der Ruhe bringen zu lassen und sich bemüht, professionell zu bleiben und zu funktionieren. Sie erinnerte sich daran, wie sehr sie sich selbst damit unter Druck gebracht hatte, den Kunden nicht enttäuschen zu wollen. Sie war zeitweise so überfordert gewesen, dass sie um ein Haar alle Videos von der Kamera gelöscht und den gesamten Arbeitstag mit einem Schlag vernichtet hatte. Zum Glück war alles nochmal gut gegangen und Rome hatte die Videos wiedergefunden. Sie hatte das Gefühl des ständigen Hungers und der emotionalen Ausgelaugtheit nicht vergessen, doch irgendwann war es verschwunden; einfach so. Sie hatte sich schlagartig besser gefühlt; freier und unbeschwerter. Die Sorgen und Zweifel waren von ihr abgefallen, sie hatte nur noch Erleichterung und Glücksgefühle verspürt.
Doch dann, urplötzlich, riss die Erinnerung ab irgendeinem Zeitpunkt im Club ab. Sie wusste noch, dass sie sich mit Carla auf der Tanzfläche herumgetrieben hatte. Sie hatte sich lang nicht mehr so losgelöst gefühlt, aber dann war ihre Erinnerung schwarz. Sie wusste nicht, was zwischen ihrem ausgelassenen Treiben auf der Tanzfläche und ihrer Rückkehr zum Hotel passiert war, und auch Rome konnte nur wenig Licht ins Dunkel bringen, denn er selbst hatte sie zwischenzeitlich aus den Augen verloren und nach ihr gesucht. Er hatte gesagt, er hätte sie draußen beim Türsteher gefunden; ohne ihre Schuhe. Sie konnte sich nicht daran erinnern, was mit ihnen geschehen oder wie es dazu gekommen war, dass sie sie ausgezogen hatte.
Zum Glück hatte sie ein zweites Paar Schuhe mitgenommen, sonst hätte sie vermutlich in ihren pinken Adiletten zurückfliegen müssen, die John ihr irgendwann mal geschenkt hatte. Nicht zu wissen, was mit ihr passiert war, hatte eine tiefe Hilflosigkeit in ihr ausgelöst, und die Erkenntnis, dass ihr jemand irgendetwas ins Glas geschüttet haben musste, hatte sie regelrecht in Panik versetzt.
Wenn sie ehrlich war, erinnerte sie sich nicht einmal richtig an die folgenden Stunden im Hotel; nur daran, dass Rome sie nicht alleingelassen, sondern sich um sie gekümmert hatte. Aber diese Bilder waren so blass, dass sie im Grunde nur eine unklare, verschwommene Sequenz in ihrem Gedächtnis bildeten.
Ausgerechnet, als sie endlich müde geworden war, hatten sie auschecken müssen. Wie in Trance hatte sie die Fahrt zum Flughafen, den dortigen Aufenthalt und den Flug erlebt. Als sie endlich gelandet waren und ihr Gepäck eingesammelt hatten, hatte sie nur noch eines gewollt: Schlaf.
Sie war nicht einmal in der Lage gewesen, John angemessen zu begrüßen, doch sie wusste auch nicht, wie sie ihm überhaupt unter die Augen treten sollte. Sie schämte sich viel zu sehr vor ihm, auch, wenn sie im Grunde nichts für die Ereignisse konnte. Aber Rome hatte ihr erzählt, dass sie total anhänglich gewesen war, und sie wusste, dass John die Vorstellung nicht gefallen würde.
„Ich weiß nicht; war einfach alles etwas viel", sagte sie vage und versuchte, sich von ihm abzuwenden, doch er ließ sie nicht.
„Guck mich mal an", forderte er.
Sie seufzte lautlos. Er wusste es. Sie sah es in seinen Augen. Rome musste es ihm gesagt haben. Er strich über ihr Gesicht, runzelte die Stirn und schaute sie erwartungsvoll an.
„Du weißt es, oder?", seufzte sie frustriert.
„Ja. Rome hat es mir erzählt", antwortete er, ohne seinen Blick abzuwenden.
Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne.
„Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los ist, bis er mich angebrüllt hat", sagte sie reumütig.
Johns Augenbrauen schnellten in die Höhe.
„Er hat dich angebrüllt?", wiederholte er gereizt.
„Er dachte wohl, ich hätte mir freiwillig irgendein Zeug eingeworfen, um lockerer zu werden. Er war richtig sauer, bis er gemerkt hat, dass ich nichts davon wusste. Aber als ich Angst bekommen habe, hat er sich gut um mich gekümmert und mich keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen, bis es vorbei war", versuchte sie, ihren Freund zu besänftigen. Der schüttelte schwer seufzend den Kopf.
„Ach, da hat er dich auf einmal nicht mehr aus den Augen gelassen, ja? Hat er dich angemacht?", fragte er und sein Blick wurde düster.
„Nein, ehrlich nicht", beteuerte sie.
„Oder weißt du das nur nicht mehr, so wie alles andere von diesem Abend?", hakte er provokant nach.
Sie biss sich auf die Zunge.
„Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst, aber für mich ist es auch nicht besonders prickelnd, dass ich an diesen Abend kaum Erinnerungen habe. Aber das Letzte, woran ich gedacht habe, war, mit Rome rumzumachen", fauchte sie und machte sich von ihm los.
„Er hat mir gesagt, wie anlehnungsbedürftig du warst", warf er ihr vor.
„Weil ich Panik hatte, was mit mir passiert! Tut mir leid, dass ich in solchen Dingen nicht so erfahren bin wie du! Ich fasse es nicht, dass du ernsthaft wütend auf uns bist", platzte es anklagend aus ihr heraus, ehe sie sich von ihm abwandte, um sich um die Pancakes zu kümmern.
„Ich bin nur wütend auf ihn", korrigierte er. „Und auf mich selbst."
Sie drehte ihm irritiert den Kopf zu.
„Wieso auf dich selbst?", wollte sie wissen.
„Weil ich dir zu viel zugemutet habe und nicht bei dir war, als du mich gebraucht hast", räumte er ein.
„Vielleicht solltest du dann statt wütend eher dankbar sein, dass Rome an meiner Seite war. Allein hätte ich das nicht so unbeschadet überstanden", ließ sie ihn wissen.
Er atmete schwer.
„Kann sein", murmelte er.
Sie wendete die Pancakes, bevor sie sich wieder zu ihm umdrehte und in seine Augen sah.
„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Du hättest auch nichts weiter tun können", stellte sie klar.
„Vielleicht wäre es gar nicht so weit gekommen, weil ich im Gegensatz zu ihm mitbekommen hätte, dass dir irgendjemand was untergemischt hat", entgegnete er entschieden und verschränkte seine Arme vor der Brust. Sie spiegelte seine Körperhaltung.
„Das kannst du nicht wissen", gab sie zurück. „Es ist jetzt nun mal passiert. Es war keine Erfahrung, die ich nochmal machen muss, aber in Zukunft achte ich ganz genau darauf, was ich trinke."
„Und du weißt echt nicht, wer das gewesen sein könnte?", hakte er nach.
Sie zuckte mit den Schultern und seufzte.
„Nein. Ehrlich nicht. Am Tag des Battles war ich zeitweise ziemlich unter Druck, aber irgendwann ist die Anspannung von mir abgefallen und ich habe mich völlig losgelöst gefühlt", erzählte sie.
„Im Club, meinst du?", fragte er.
„Davor schon, glaube ich. Ich bin mir aber nicht sicher. Vielleicht war es auch einfach nur die Erleichterung, dass sich der anstrengende Tag dem Ende neigt", erwiderte sie nachdenklich.
„Also könnte es auch schon nachmittags passiert sein?", wollte er wissen.
Sie griff nach seiner Hand. Er zog sie nicht weg, sondern drückte ihre Finger sanft.
„Das führt doch jetzt zu nichts. Ich denke nicht, dass wir rekonstruieren können, was passiert ist. Ich erinnere mich schließlich nicht einmal mehr daran, wer alles im Club war, mit wem ich gesprochen oder getanzt habe", seufzte sie frustriert.
„Was ist denn das letzte, woran du dich erinnerst?", hakte er nach.
„Weiß nicht. Die Siegerehrung beim Battle. Dann sind wir in den Club. Plötzlich lag ich im Hotel auf dem Bett und Rome hat mich wüst angeschrien und mich geschüttelt, mich gefragt, was ich genommen habe."
Johns Gesichtszüge blieben hart, doch er schlang einen Arm um sie und zog sie wieder zu sich heran.
„Wie soll ich dich jetzt guten Gewissens zu den Proben für die Show fahren lassen?", fragte er leise und lehnte seine Stirn gegen ihre. Sie schluckte, denn sie konnte seine Sorge verstehen.
„Ich bin sicher, dass Rome jetzt noch besser auf mich aufpassen wird, als er es sowieso schon getan hat. Du musst dir keine Sorgen machen", versicherte sie ihm. Er sagte nichts, hielt sie stattdessen einfach nur nah bei sich, ehe er ihr einen sanften Kuss aufdrückte.
„Lass uns frühstücken", sagte er dann und gab sie frei.
„Willst du lieber frische Früchte oder Ahornsirup dazu?", fragte sie und nahm ein paar der kleinen Teigkuchen aus der Pfanne.
„Alles", schmunzelte er. „Wenn du schonmal extra was machst, muss ich das ausnutzen – erst recht, seit Rome nicht mehr bei uns wohnt und ich alles für mich allein habe."
Etwas später liefen sie händchenhaltend ein Feld unweit ihres Hauses entlang. Chopper schnupperte hier und da an ein paar Grashalmen, ein leichter Wind wehte über die weiten, grünen Wiesen und wirbelten Cassies Locken durcheinander. Ein paar Strähnen hatten sich bereits gelöst und sie musste sie immer wieder hinter ihr Ohr stecken, damit sie ihr nicht ins Gesicht wehten. Trotz des Windes war es jedoch angenehm warm, sodass sie lediglich einen Pullover und eine lange Hose übergezogen hatte.
„Hast du noch was von Marten gehört?", fragte sie irgendwann.
„Nee. Bisher nicht", antwortete er. „Aber wir regeln das. Bald ist er wieder draußen."
„Finde ich gut, dass du Chopper abgeholt hast", sagte sie und hielt Martens Hund im Auge.
„Solang wir beide Zeit dafür haben, dachte ich, wäre es besser, als ihn nur ab und zu aus der Wohnung zu holen. Seine Eltern wollte er nicht fragen. Will sie damit nicht belasten", erzählte er.
„Verstehe."
„Ich hoffe, diese Nika, macht jetzt keinen Rückzieher", sagte er. Sie runzelte hellhörig die Stirn.
„Dieses Mädchen, das gegenüber von ihm eingezogen ist? Die neue Nachbarin?", hakte sie neugierig nach.
„Genau die", entgegnete er.
„Läuft da mehr zwischen denen?", fragte sie interessiert.
„Scheint so. Er hat mich jedenfalls gebeten, ihr Bescheid zu sagen, dass er erstmal nicht nach Hause kommt, damit sie sich keine Gedanken macht – und als ich neulich bei ihm war, hat er eingeräumt, dass das mit ihr exklusiv ist", erzählte John.
„Heißt das, er führt jetzt so eine richtige Beziehung?", fragte sie skeptisch, denn wenn sie sich jemanden nur schwer in einer Beziehung vorstellen konnte, dann war es Johns Cousin.
„Er mag sie auf jeden Fall. Alles andere wird sich zeigen", antwortete er.
„Ich würde es ihm wünschen", lächelte sie.
„Also ist es okay für dich, wenn wir Chopper behalten, bis er wieder nach Hause kommt?"
„Klar", sagte sie. „Aber wenn ich in die Tanzschule muss, musst du ihn nehmen. Dort möchte ich ihn nicht mit hinnehmen. Ich glaube, das ist zu viel Stress für ihn."
„Bist du sicher, dass du dich nicht ein paar Tage schonen willst, nach der anstrengenden Woche?", fragte er. Sie runzelte die Stirn.
„Das kann ich nicht machen. Ich war jetzt schon seit über einer Woche nicht dort. Ich muss meine Kurse geben und dringend schauen, ob im Büro nichts liegengeblieben ist", entgegnete sie.
John schüttelte ungläubig den Kopf.
„Gönnst du dir jemals eine Pause?", wollte er wissen.
Sie blieb stehen, zog ihn zu sich zurück, schlang ihre Arme um seinen Hals und sah zu ihm auf. Er legte seine Hände an ihre Taille und runzelte erwartungsvoll die Stirn.
„Wenn du mit mir Urlaub machst", stellte sie klar. „Aber so lang du dafür keine Zeit hast, gönne ich mir auch keine Auszeit. Außerdem stehen jetzt sowieso die Proben für die Show an."
„Wenn deine Show-Tour vorbei ist, fliegen wir ein paar Tage weg. Ich verspreche es dir", lächelte er zuversichtlich. Sie seufzte.
„Versprich es nicht, John."
„Was soll das denn heißen?", wollte er wissen. Auch er hatte also die Traurigkeit in ihrer Stimme gehört.
„Dass du nichts versprechen sollst, was du nicht halten kannst", sagte sie. „Du hast so viel zu tun, dass wir es seit über einem Jahr nicht schaffen, wegzufliegen."
„Ich weiß", räumte er reumütig ein. „War einfach viel los in der letzten Zeit. Aber ich regel' das schon. Vertrau mir."
Sie lächelte. Die Vorstellung, einfach mal ein paar Tage rauszukommen und abzuschalten, gefiel ihr sehr. Natürlich konnte sie jederzeit mit einer ihrer Freundinnen verreisen, doch das war einfach nicht dasselbe.
„Aber zuerst kümmere ich mich um ein paar Sachen für deine Proben", ergänzte er entschieden.
Sie hob skeptisch eine Augenbraue.
„Wie meinst du das?"
„Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf, Löckchen."
Was auch immer er da jetzt wieder vorhat - wir werden es sicher noch erfahren :) Wie hat euch das Kapitel sonst gefallen? Ich dachte, etwas Harmonie kann nach dem ganzen Stress nicht schaden.
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