2 | 16 | Zweite Chance
Es ist wieder ein XXL-Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch. An der Stelle einen lieben Dank an jeden einzelnen von euch, der liest, kommentiert und/oder votet. Nur wegen euch denke ich mir den ganzen Schund überhaut nur aus :p
Cassie ließ ihren Blick müde aus dem kleinen Fenster in den strahlend blauen Himmel gleiten. Sie liebte den Ausblick über die weißen, watteartigen Wolken, die von der Sonne in einen zauberhaften Glanz getaucht wurden. Immer, wenn sie hier oben war und in die unendlichen Weiten der Welt blickte, wurden ihre Sorgen und Probleme ganz klein. Am liebsten hätte sie Momente wie diesen festgehalten, doch nicht mal ein Foto konnte haltbar machen, wie frei sie sich hier oben fühlte.
„Was möchten Sie trinken?", riss die höfliche Stimme der Stewardess sie aus ihren Gedanken. Sie drehte ihr den Kopf zu und erwiderte ihr freundliches Lächeln.
„Einen Tomatensaft bitte", antwortete sie.
Rome, der neben ihr saß, verzog angewidert das Gesicht, doch Cassie ließ sich davon nicht beeindrucken. Es war ihr erster Job, zu dem Rome sie begleitete. Er hatte dafür gesorgt, dass sie rechtzeitig am Flughafen angekommen waren, und sie zum richtigen Gate geleitet, ohne, dass sie hatte auf ihre Bordkarte schauen müssen. Keine Kunststücke, doch er strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, die sie ihm vorher gar nicht zugetraut hätte. Statt eines gesunden Tomatensafts entschied er sich für einen Kaffee.
„Wie kriegst du so was nur runter?", fragte er kopfschüttelnd.
„Frisch gepresst finde ich ihn auch besser", kommentierte sie, was nur dazu führte, dass Rome eine weitere Grimasse schnitt.
„Ekelhaft", murmelte er, bevor er an seinem Kaffee nippte. Sie schmunzelte, trank einen Schluck von ihrem Tomatensaft und schaute noch einmal zum Fenster hinaus. Es gelang ihr nicht, ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken.
„Schlaf doch noch was", schlug er vor. Seine dunkle Stimme war leise und hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Vermutlich konnte es tatsächlich nicht schaden, nach der kurzen Nacht noch ein wenig Schlaf nachzuholen. Sie trank einen weiteren Schluck aus dem Plastikbecher und warf einen Blick auf die Anzeige über sich. Bis zur Landung in Zürich würde es noch eine gute Stunde dauern, also hatte sie tatsächlich noch genug Zeit. Kurzerhand trank sie aus, klemmte den Becher in die Zeitungsablage im Sitz vor sich und kuschelte sich in Romes Hoodie, den er vor dem Start ausgezogen und ihr gereicht hatte. Sie schloss die Augen und versuchte, die vielen Nebengeräusche der anderen Fluggäste um sich herum auszublenden. Der Duft seines Parfums war in den weichen Stoff des Hoodies gezogen und stieg in ihre Nase. Es war eine Mischung aus Holz und Vanille. Sie mochte es.
Als eine harte Erschütterung ihren Sitz durchrüttelte, schlug sie überrascht die Augen auf und drehte Rome ihren Kopf zu. Erst jetzt bemerkte sie den Gegenschub und realisierte, dass sie soeben gelandet waren. Der hübsche Mann an ihrer Seite schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln.
„Alles gut, du hast geschlafen. Wir sind gerade gelandet", sagte er überflüssigerweise und sie streckte sich in ihrem Sitz, genoss einen Moment das erleichternde Gefühl, als ihre Muskeln ineinander spielten und sich zunächst an- und schließlich entspannten. Als der Flieger seine Parkposition erreicht hatte, warteten sie, bis die ersten Passagiere das Flugzeug verlassen hatten, bevor Rome als Erster aufstand und ihre kleine Tasche aus dem Handgepäckfach nahm. Anschließend ließ er ihr den Vortritt und folgte ihr aus dem Flugzeug. Kurz darauf fanden sie sich am Gepäckband wieder. Während sie auf die Ausgabe warteten, sendete sie eine kurze Nachricht an John, dass sie gut gelandet waren. Rome hielt dabei nach ihrem Gepäck Ausschau. Als Cassie ihr Gepäck entdeckte, bahnte er sich seinen Weg durch die anderen Passagiere und nahm zuerst ihren Trolley, dann seine Reisetasche vom Band. Dann kehrte er mit den Gepäckstücken zu ihr zurück.
Statt ihr das Gepäck zu reichen, zog er es hinter sich her. Als sie sich dabei erwischte, wie sie das Zusammenspiel seiner Muskulatur betrachtete, die sich unter dem Stoff seines Hoodies abzeichnete, biss sie sich schlechten Gewissens auf die Zunge. Sie konnte sich nicht dagegen wehren; er war einfach unglaublich attraktiv. Andererseits: gucken war ja wohl erlaubt.
Sie holten den Leihwagen am Terminal ab und machten sich auf den Weg zum Hotel. Dabei sah Cassie immer wieder auf die Uhr. Durch die Verspätung ihres Fliegers waren sie etwas später dran als geplant. Sie hoffte, dass sie trotzdem pünktlich kommen würden.
„Entspann dich. Wir sind gut in der Zeit", versicherte Rome, als er ihre Nervosität bemerkte.
„Wir müssen schon in einer Stunde dort sein und haben noch nicht mal im Hotel eingecheckt", sagte sie.
„Vertrau mir", sagte er sanftmütig. „Du schaffst es sogar noch, vorher etwas zu essen."
Sie runzelte die Stirn.
„Meinst du was Richtiges oder diesen unappetitlichen Snack aus dem Flugzeug?", fragte sie und zog zur Bestätigung den kleinen Snackbeutel aus ihrer Tasche, die sie als Handgepäck mitgenommen hatte. Rome schmunzelte.
„Das sagst du nur, weil du noch nie im Knast gegessen hast", kommentierte er und wandte seinen Blick wieder auf die Straße.
„Naja, ist ja auch kein Luxusurlaub dort", erwiderte sie amüsiert.
„Stimmt", sagte er und warf einen Blick auf die Route auf dem Navigationsdisplay.
„Wieso musstest du eigentlich ins Gefängnis?", fragte sie neugierig und musterte ihn von der Seite.
„Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Urkundenfälschung, Bedrohung und bewaffneter Raub."
„Wieso hast du das gemacht?", wollte sie wissen.
„Weil ich ein besseres Leben wollte", antwortete er offen.
„War dein Leben denn vorher so scheiße?", fragte sie.
„Ich habe mich häufig mit anderen verglichen", antwortete er. „Das, was die hatten, wollte ich auch. Aber wenn du nie einen Schulabschluss gemacht hast, ist das nicht so leicht. Da ist dein Leben meistens schon irgendwie vorherbestimmt."
„Aber es gäbe doch auch Alternativen, an Geld zu kommen", sagte sie nachdenklich.
„Deshalb sitze ich jetzt auch mit dir im Auto", lächelte er. Sie erwiderte es. Mittlerweile hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, dass sie beide von der Situation profitierten; sie konnte ihre Jobs stressfreier abwickeln und Rome hatte einen mehr oder weniger vernünftigen Job und wurde von John dafür gut bezahlt, dabei rissen sich viele seiner Jungs darum, die Sicherheit auf den Konzerten umsonst zu machen, nur, um ein Teil der ganzen Bewegung sein zu können.
„Hast du je bereut, dass du diesen Weg gegangen bist?", fragte sie.
„Klar. Vor allem, als meine Mutter aufgehört hat, mich im Knast zu besuchen, weil sie so enttäuscht von mir war", erzählte er.
„Tut mir leid", sagte sie.
„Muss es nicht. Sie ist ne versoffene Schlampe, die die Kontrolle über ihr Leben verloren hat", erwiderte er verbittert. Cassie biss sich auf die Zunge.
„Wow."
Erst jetzt merkte sie, dass sie ihren Gedanken ausgesprochen hatte.
„Tut mir leid", schob sie schnell hinterher.
„Muss es nicht", sagte er.
„Und dein Vater?", hakte sie vorsichtig nach.
„Hat uns irgendwann für eine andere Familie verlassen", antwortete er kühl.
Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie Väter so etwas ihren eigenen Kindern antun konnten. Ihr eigener Vater hatte sie ebenfalls verlassen, deshalb wusste sie, wie zurückgewiesen Rome sich fühlen musste.
„Sie haben das Ziel erreicht", unterbrach die Stimme des Navigationssystems ihre Unterhaltung und Cassie schaute automatisch aus dem Fenster. Rome stellte den Wagen auf einer der Parkflächen vor dem modischen Hotel ab, stieg aus und nahm das Gepäck aus dem Kofferraum. Sie schaute sich unterdessen neugierig um. Auch, wenn sie hier nur übernachten und sonst keine Zeit finden würden, sich hier aufzuhalten, mochte sie das jugendlich-moderne Ambiente. Im Foyer empfingen sie zeitgemäße, weiß lackierte Möbel, warme Gelb- und quirlige Lila-Töne sorgten für ein frisches, jugendliches Flair. Sie folgte ihrem Begleiter zur Rezeption, wo er den Check-In übernahm und ihr anschließend ihre Zimmerkarte reichte.
In ihrem kleinen Zimmer gab es ein großes, einladendes Bett, einen Fernseher und eine gut gefüllte Minibar. Sie stellte jedoch lediglich ihren Trolley ab, bevor sie sich schnell frischmachte, sich aus ihrem Jogginganzug schälte und ihn gegen einen Pullover und eine Jeans eintauschte, ihre wilden Locken etwas bearbeitete, damit sie definierter wirkten, und sich schließlich mit Rome im Foyer wiedertraf.
„Was möchtest du essen? Eine Pizza oder lieber was Leichtes?", fragte er, als sie wieder im Auto saßen.
Sie schaute erneut auf die Uhr.
„Was Schnelles", antwortete sie. Er lächelte.
„Entspann dich. Vertrau mir. Du hast echt genug Zeit."
„Nicht mal mehr eine Dreiviertelstunde", kommentierte sie, doch er tippte bereits auf seinem Handy herum, bevor er es sich ans Ohr hielt und aus der Parklücke fuhr. Fasziniert beobachtete sie ihn dabei, wie er ihr eine Portion Reis mit Hühnchen bestellte. Nur etwa fünfzehn Minuten erreichten sie das elegante Kulturzentrum. Es war im Stil der Moderne entworfen, bestand aus drei eleganten Gebäuden und verschiedenen Räumlichkeiten für Aufführungen. Im Inneren befanden sich ein Theater und eine Oper, in denen zahlreiche Aufführungen stattfanden. Sie glaubte, in ihrem Leben noch nie etwas dermaßen Schickes und Stilvolles gesehen zu haben.
„Oh mein Gott, da kann ich niemals reingehen, ohne mich unwürdig zu fühlen", kommentierte sie trocken.
„Steig aus. Warte hier auf mich."
Sie schüttelte lächelnd den Kopf, ehe sie seiner Aufforderung nachkam. Während sie wartete, warf sie einen Blick auf das Display ihres iPhones. John hatte ihr mittlerweile geantwortet.
„Wie läuft's?", wollte er wissen.
„Gut", tippte sie zurück.
Er schickte einen auf dem Kopf stehenden, lächelnden Emoji zurück.
„Und bei dir?", wollte sie wissen.
„Studio. Muss los."
„Okay", schrieb sie zurück, bevor sie das iPhone wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ. Sie hatte es gerade weggesteckt, als Rome auftauchte.
„Ich glaube, wir müssen da rein", sagte sie und deutete auf die großen, gläsernen Flügeltüren des Hauptgebäudes.
„Ich dachte, du hast Hunger", kommentierte er, bevor er sie in die entgegengesetzte Richtung dirigierte. Sie wollte gerade protestieren, als ihr Blick auf das große Schild des dritten Gebäudes fiel. Sie schüttelte beeindruckt den Kopf, als sie kurz darauf das schicke Restaurant betraten. Die hellen Lichter, die großen Kerzenleuchter an den hohen Decken aus Stuck und die offene, elegante Gestaltung boten vermutlich nur einen Vorgeschmack dessen, was Cassie in der Location erwarten würde. Bei den ganzen Düften lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Rome meldete sie am Empfang an und ließ sich von einem der Keller zu einem Tisch bringen. Sie folgte ihm staunend. Nur ein paar Minuten später brachte einer der Kellner das vorbestellte Essen.
„Wahnsinn", sagte sie, als sie feststellte, dass sie noch ganze zwölf Minuten Zeit hatten, und machte sich über ihren Reis und das Hühnchen her. Ihr Begleiter verdrückte eine Portion Ente mit gebratenen Nudeln. Bis jetzt machte er wirklich einen verdammt guten Job. Während sie aßen, gab er ihr den Inhalt des Briefings noch einmal wieder, das der Auftraggeber ihr vor dem Dreh zugeschickt hatte. Es ging um die neue Kollektion eines Streetwear-Herstellers, welche auf einer großen Plattform im Internet präsentiert werden sollte. Neben ein paar klassischen Fotos würde es ein 90-sekündiges Werbevideo geben, das heute im Laufe des Tages und der kommenden Nacht gedreht werden würde. Rome fasste ihr das Skript des Videos kurz zusammen, während sie die Zeit zum Essen nutzte.
„Satt?", hakte er nach, als sie kurz darauf auf den Eingang des Hauptgebäudes zuliefen. Sie nickte.
„Ja. Danke", lächelte sie. „Es gibt sicher auch ein Catering, aber ich hätte es nicht länger ausgehalten, zu warten."
Rome schaute auf die teure Uhr an seinem Handgelenk, als sie die großen Türen passierten und das Gebäude betraten.
„Siehst du. Pünktlich auf die Minute", sagte er und ließ ihr den Vortritt. Bereits im großzügig geschnittenen Eingangsbereich des durch die riesigen Fensterfronten tageslichthellen Theaters schaute sie sich beeindruckt um. Modern, elegant und stilvoll waren die Attribute, die das Schauspielhaus am ehesten beschrieben. Hohe Decken, große Kronleuchter, ein komplett offen gestaltetes, vollverspiegeltes Treppenhaus – es wirkte wie eine Filmkulisse für einen kitschigen Liebesfilm, und sie war mittendrin.
Ein lässig gekleideter Typ in Hoodie und Jeans, der sich ihnen als Assistent des Kunden vorstellte, begrüßte sie. Er führte sie zum Rest des Teams, das sich im riesigen, prunkvollen Theatersaal zusammengefunden hatte. Noch immer war Cassie damit beschäftigt, die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Sie war völlig überfordert damit, sich die Namen des gesamten Teams, bestehend aus der Videoproduktion, Vertretern der Werbeagentur und des Kunden, einer Visagistin, einer Stylistin, einem Requisiteur, einem Fotografen und einem weiteren, männlichen Tänzer zu merken. Es war ein gutes Gefühl, dass Rome an ihrer Seite war, und ebenfalls zuhörte.
Zunächst ging das Team noch einmal das Skript durch, das der Auftraggeber gemeinsam mit der Werbeagentur erarbeitet hatte. Die Geschichte war ziemlich simpel. Cassie besuchte in einem atemberaubenden Kleid eine elegante, langweilige Abendveranstaltung, deren einziger Lichtblick der hübsche Keller war, der ihr immer wieder neuen Wein brachte, bis sie schließlich in einen Tagtraum abdriftete, in dem sie der quälend trockenen Realität zusammen mit dem Kellner entfloh und an unterschiedlichen Schauplätzen des Theaters in ihrem neuen Outfit gemeinsam mit dem anderen Tänzer, der Momo hieß, aus der Reihe tanzte.
Da Cassie sich im Laufe des Drehs körperlich sehr verausgaben würde, begannen sie mit der ruhigen, steifen Szene der Veranstaltung. Diese fand im Inneren des Theaters in einem festlich dekorierten Saal ohne Fenster statt, sodass kein Tageslicht durch die Fenster dringen und den Eindruck einer spießigen Abendveranstaltung brechen konnte.
Die Stylistin reichte ihr in der Garderobe hinter der Bühne ein schickes, grünes Abendkleid und goldenen Schmuck. Als sie sich umgezogen hatte, betrachtete sie sich in den großen Spiegeln. Die einfache A-Linie machte eine unglaubliche Figur. Das Kleid betonte ihre Rundungen genau an den richtigen Stellen, setzte ihre Oberweite gekonnt in Szene, ohne zu viel Haut zu zeigen, und bestach durch seinen Rückenausschnitt. Nachdem die Visagistin sich um das Make-Up gekümmert und ihr die Haare hochgesteckt hatte, brachte ein Drehassistent sie in den präparierten Festsaal.
Im ersten Moment war sie so überwältigt, dass sie den Atem anhielt. Sie fühlte sich wie in einem Märchen. Der prunkvolle Saal war elegant geschmückt, teures Geschirr und schicke Kristallgläser auf den Tischen angerichtet. Rome lehnte an der Wand und tippte auf seinem Smartphone herum, doch als er sie sah, ließ er es sinken und betrachtete sie einen Augenblick wohlwollend. Sie lächelte unsicher, als er ein paar Schritte auf sie zumachte.
„Ganz schön ungewohnt, hm?", fragte sie und strich über den weichen Satinstoff.
„Du siehst wahnsinnig aus", versicherte er lächelnd. „Und gewachsen bist du auch."
Sie betrachtete die hohen Sandaletten skeptisch, bevor sie sich ihm entgegenbeugte.
„Ich finde die super hässlich", flüsterte sie ihm ins Ohr. Er lachte.
„Alle bitte einmal zum Briefing", rief der Drehassistent und lotste Cassie zu einer Gruppe elegant gekleideter Statisten. Nach einer letzten kurzen Einführung nahmen alle ihre Plätze ein. Cassies Aufgabe bestand lediglich darin, gut auszusehen, auffällig gezwungen zu lächeln und mit der Gesellschaft an ihrem Tisch – einem biederen älteren Ehepaar und zwei Models – einem Redner auf dem festlich geschmückten Podium zu folgen. Hin und wieder kam Tänzer Momo als Kellner vorbei und goss neuen Wein in ihr Glas, der sich als Traubensaft herausstellte.
Rome stand hinter einem der Kameramänner und verschränkte die Arme vor der Brust, hielt sie unentwegt im Auge und beobachtete die Situation ganz genau. Hin und wieder grätschte er zum Leidwesen des Regisseurs grimmig dazwischen und wies Cassie darauf hin, sich gerade hinzusetzen, um keinen zu tiefen Einblick in ihr Dekolletee zu gewähren. Auch, wenn er die Crew nervte: er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und ihr gefiel das.
„Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast", murmelte sie leise, als sie einige Zeit später nach Abschluss der Festsaalszene zur Garderobe zurückgingen. „Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass irgendjemand von der Crew mir sagen würde, wenn meine Brüste beinah aus dem Körbchen fallen."
„Nicht, dass es ein unangenehmer Anblick wäre", schmunzelte er frech. Sie schlug ihm spielerisch gegen den Oberarm.
„Hör auf damit", zischte sie grinsend, dann wurde sie ernst. „Ich bin wirklich froh, dass du dabei bist."
Er schob die Tür zur Garderobe auf und reichte ihr eine Flasche Wasser. Die Stylistin erwartete sie bereits mit dem nächsten Outfit. Da die Location nur für den heutigen Tag und die anstehende Nacht gemietet war, blieb kaum Zeit für Drehpausen.
„Ich warte draußen. Wenn du noch irgendwas brauchen solltest, sag Bescheid."
Cassie nickte dankbar, bevor sie sich von der Stylistin das Outfit reichen ließ und hinter dem Raumtrenner verschwand, um sich aus dem sündhaften Abendkleid zu schälen. Das Apparel der kommenden Kollektion bestand aus einer knappen Shorts und einem bauchfreien Hoodie. Dazu passend reichte die Stylistin ihr ein Paar weiße Sneakers.
Als sie sich umgezogen hatte und die steife Hochsteckfrisur ihren wilden Locken gewichen war, brachte der Drehassistent sie zum nächsten Set; dem Wartebereich vor den großen Türen, die in den Theatersaal führten. Das Set war bereits aufgebaut und ausgeleuchtet, sodass der Dreh direkt weitergehen konnte. Rome zog skeptisch eine Augenbraue hoch, als er sie sah, und nahm sie zur Seite.
„Ist das echt cool für dich?", fragte er und deutete an ihrem knappen Outfit herunter.
„Ja. War so ausgemacht", bestätigte sie lächelnd. „Alles gut."
„Obwohl dich die Wichser so anschauen?"
Auch ihr waren die Blicke einiger Männer des Teams nicht entgangen, doch in den vergangenen Jahren hatte sie sich an die gierigen Augen und die lechzenden Zungen gewöhnt. Sie fand es zwar widerlich, von einigen Männern derart auf ihren Körper reduziert zu werden, doch der vierstellige Betrag, den sie für nur einen Drehtag vom Kunden erhielt, tröstete sie darüber hinweg. Solang sie sich nicht komplett ausziehen oder billig präsentieren sollte, war sie bereit, an ihre Grenze zu gehen.
„Ja. Ehrlich. Ich kann das ausblenden", versicherte sie ihm.
„Okay."
Die nächsten Stunden des Drehs verliefen reibungslos. Dabei wechselten sie ein paar Mal den Drehort; sie drehten nicht nur vor den Türen des Theaters, sondern auch im mit elegantem Marmor gefliesten, verspiegelten Gang, der zum Sanitärbereich führte, auf den Treppen nach oben und auf der geläufigen Empore.
Immer wieder wurde sie vom Kameramann dazu aufgefordert, zum wilden Dancehall-Song ihre Hüften zu bewegen, sich mal aufreizender, mal dynamischer zu bewegen, und führte die Anweisungen des Regisseurs wieder und wieder aus. Auch, als sie langsam müde wurde und ihr Limit erreichte, versuchte sie, ihre kraftvolle Ausstrahlung nicht zu verlieren.
„Können wir mal was ausprobieren?", fragte der Regisseur, als sie erneut den Drehort gewechselt hatten und nun im schön ausgeleuchteten Außenbereich auf einer Art romantischen Terrasse im Baustil der Renaissance standen. Die Sonne war bereits untergegangen, es war kühl geworden. „Ich würde gern ein wenig mehr Sex sehen."
Cassie runzelte die Stirn und warf ihrem Tanzpartner Momo einen kurzen Blick zu. Der hübsche, große Dunkelhaarige, der einen bunten Trainingsanzug der neuen Kollektion präsentierte, musterte den Regisseur fragend. „Wie viel Sex?"
„Ich will mehr Nähe. Mehr Leidenschaft. Mehr Körperkontakt."
„Von mir aus können wir das probieren", sagte Momo.
„Okay, alles klar", sagte der Regisseur und gab ein Handzeichen für die nächste Aufnahme. Cassie wusste nicht, ob sie noch mehr Körperkontakt zulassen wollte. Momo war ihr sowieso schon zu nah gekommen, hatte hin und wieder wie unauffällig seine Hand etwas tiefer wandern lassen. Andererseits wurde sie gut bezahlt und wenn er zu weit ging, konnte sie ihm immer noch ein Zeichen geben. Also lenkte sie ein und als der Song erneut zu laufen begann, ging sie vor Momo in Position und begann, sich gemeinsam mit ihm zu bewegen. Sie versuchte, all die Menschen um sich herum auszublenden und sich vorzustellen, dass es John war, der sich von hinten so dicht an sie drückte, seine Hand über ihren Bauch wandern ließ, merkte jedoch, dass das nicht funktionierte. Momos Berührungen und die Wärme, die er ausstrahlte, waren ihr unangenehm, also wandte sie sich aus seiner Umarmung und probierte, etwas mehr Abstand zwischen ihn und sich selbst zu bringen. Doch er folgte ihr, schmiegte sich wieder dicht an sie. Erst, als sie abwehrend die Hände hob und sich aus seiner Umklammerung drehte, ging er auf Abstand.
„Was ist los?", fragte der Regisseur. „Das sah toll aus."
„Das funktioniert so aber nicht", sagte sie entschieden.
„Wieso nicht? Das kommt super auf der Kamera. Tolle Bilder. Setzt euch als Tänzer gut in Szene, aber auch die Klamotten", erwiderte er. „Komm, noch einen davon. Diesmal ohne Notausgang."
„Hörst du schlecht?"
Rome war aus dem Halbdunkel hinter den Kameraleuten herausgetreten und baute sich vor dem Regisseur auf. „Sie hat nein gesagt."
Seid ehrlich - wie hat euch das Kapitel gefallen? Könntet ihr euch sogar vorstellen, Rome zu mögen? Möglicherweise ist er ja doch ein netter Kerl. Oder was meint ihr? Ich bin gespannt, wie euch die Geschichte bis hierher gefällt.
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