09 | Rosarot

Viel Spaß mit dem heutigen, rosaroten Kapitel. Als Dank für eure Votes und Kommentare wieder etwas länger. Auch, wenn du die Geschichte eigentlich nicht liest, möchte ich es dir widmen, Saelamju. Aus Gründen, du weisst. :)

2009.  

„Hast du jetzt alles?"

Cassie fuhr hektisch zu John herum.

„Stress mich doch nicht so, Shorty", erwiderte er, als er hinter ihr in den Flur trat. Sie seufzte schwer.

„Wegen dir kommen wir noch zu spät", sagte sie genervt und schlüpfte in ihre bunten Sneakers.

„Ich bin doch fertig", protestierte er und schulterte seine kleine Tasche.

Wie konnte er nur immer so entspannt sein? Ob es daran lag, dass er so viel kiffte? Die ungemütliche Couch im Wohnzimmer seiner Oma, auf der er übergangsweise schlief, konnte es jedenfalls unmöglich sein.

Cassie zog die dunkle Winterjacke über und zog die Wohnungstür auf. John schnappte sich seine dicke Collegejacke und folgte ihr ins Freie. Es war bitterkalt. Riesige, weiße Schneeflocken tanzten am Himmel und verfingen sich in Cassies Locken. Sie suchte in den Taschen verzweifelt nach ihrer Mütze, stellte dann jedoch fest, dass sie sie zuhause vergessen hatte.

„Hier."

Erst jetzt fuhr sie zu ihrem Freund herum. Er lief mit reumütigem Blick neben ihr her und hielt ihr seine dunkle Mütze entgegen. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.

„Nimm schon, mir ist nicht kalt", versicherte er ihr, bevor er ihr die ihr viel zu große Mütze auf den Kopf setzte.

„Danke", sagte sie leise.

„Tut mir leid, dass wir wegen mir zu spät kommen", murmelte er und schob seine warme Hand in ihre, während sie den verschneiten Gehweg entlang zur Haltestelle liefen.

„Wir sagen einfach, der Bus ist wegen dem Wetter nicht gekommen", schlug sie vor.

Er grinste.

„Ich habe einen schlechten Einfluss auf dich", sagte er.

„Hast du wirklich", bestätigte sie grinsend.

Einen Moment gingen sie schweigend nebeneinander her. Sie ließ ihren Blick über den weißen Bürgersteig schweifen. Sie konnte es kaum glauben, dass Weihnachten schon vor der Tür stand. Dabei hatten sie doch vor ein paar Wochen gefühlt erst ihren Geburtstag gefeiert. Ein gutes halbes Jahr waren sie jetzt schon zusammen.

Einen Tag vor Weihnachten hatte John Geburtstag und Cassie wollte sich unbedingt bei ihm für die Reise nach Amsterdam revanchieren. Doch bis heute war ihr nichts eingefallen, das mit seinem Geschenk annähernd mithalten konnte. Zum Glück hatte sie noch ein paar Wochen Zeit.

Cassie atmete erleichtert auf, als sie eine Dreiviertelstunde später mit nur fünfzehn Minuten Verspätung das kleine Restaurant erreichten. Wie an jedem 1. Advent fand heute das obligatorische Adventsessen statt, zudem sich Cassies gesamte Familie mütterlicherseits versammelte.

John hielt ihr die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Das kleine, italienische Restaurant war bereits weihnachtlich dekoriert und der Raum war in Gold- und Beigetöne getaucht. Cassie entdeckte ihre Familie an einem der hinteren Tische und hielt zielstrebig darauf zu. John folgte ihr. Ihre Mutter saß am Kopf des Tisches, Willow, ihre Großeltern, ihre Tante, ihr Onkel und ihre Cousinen an den Seiten um den Holztisch herum.

„Da seid ihr ja endlich", stellte ihre Mutter lächelnd fest, als sie die beiden erblickte.

„Der Bus hatte Verspätung", entschuldigte Cassie ihr Zuspätkommen und schloss zunächst ihre Großeltern, dann nach und nach den Rest der Familie in ihre Arme. Ihr Herz wurde weich, als sie beobachtete, wie herzlich ihre Familie John begrüßte. Es war bereits die dritte Familienfeier, die er sich ihr zuliebe antat, und sie war erleichtert darüber, dass ihre Familie ihn so herzlich aufgenommen hatte.

Anfangs hatte sie Bedenken gehabt, schließlich war er mit seiner Statur, seinem bedrohlichen Blick, seinen vielen Tattoos und seiner lockeren Art nicht unbedingt der Vorzeigeschwiegersohn. Doch sie akzeptierten ihn so wie er war, vom ersten Augenblick an.

Die beiden setzten sich auf die letzten freien Plätze am Tisch, nachdem sie ihre Jacken ausgezogen hatten. Ihre Großmutter verwickelte John unmittelbar in ein Gespräch und Cassie unterhielt sich mit ihrer Cousine Larissa. Sie sahen sich nicht besonders häufig, auch, wenn sie in derselben Stadt wohnten. Die Familienfeiern waren praktisch ihre einzigen Berührungspunkte. Cassie hatte sich mit den Jahren daran gewöhnt und bemühte sich nicht mehr um eine bessere Beziehung zu ihr. Trotzdem verstanden sie sich gut, wenn sie einander begegneten. Mit Larissas Schwester Lilly war das anders, doch die war gerade in ein Gespräch mit Willow und ihrer Mutter vertieft.

Das Essen mit ihrer Familie verlief sehr harmonisch. Zu sehen, wie gut John sich mit ihrer Familie verstand, gab Cassie ein gutes Gefühl. Sie selbst fühlte sich in Johns Familie ebenfalls sehr wohl. Auch sie hatten sie vom ersten Tag an mit offenen Armen empfangen.

„Was wünscht ihr euch denn zu Weihnachten?", schnitt Cassies Großmutter nach dem Essen das für sie aktuellste Thema an.

„Nichts, Oma. Wir sind wirklich wunschlos glücklich", sagte sie und meinte es auch so. Sie wollte nicht, dass ihre Großeltern ihr Geschenke machten, schließlich hatten sie selbst nicht so viel Geld und konnten es gut gebrauchen.

Jetzt mischte sich auch ihr Großvater in die Unterhaltung mit ein, doch John lenkte ihre Aufmerksamkeit kurz auf sich. „Ich muss los, Schatz", sagte er leise und schenkte ihr einen entschuldigenden Blick. Sie lächelte. „Okay."

Sie beobachtete, wie er aufstand, um sich höflich für die Einladung zu bedanken und sich anschließend von ihrer Familie verabschiedete.

„Wie schade, gehst du schon?"

Cassies Großmutter musterte ihn traurig. Sie mochte John vermutlich von allen am meisten.

„Ja, wir haben heute Abend noch einen Auftritt", erklärte er.

„Das ist ja toll!", platzte es euphorisch aus Cassies Großvater heraus.

John lächelte verlegen, während er seine Jacke anzog.

„Na denn man tau", sagte der Großvater.

Cassie biss sich auf die Zunge. Irgendwie war er süß, aber manchmal schoss er übers Ziel hinaus.

„Ich bring dich raus", sagte sie, als ihr Freund seine Tasche nahm, und begleitete ihn nach draußen.

„Danke, dass du mitgekommen bist", sagte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals, um ihn zu verabschieden. John schob seinen freien Arm um ihre Taille und zog sie zu sich heran.

„Kommst du später nach?"

Sie nickte.

„Denkst du, das lasse ich mir entgehen?"

Er lächelte zufrieden, beugte sich zu ihr herunter und verschloss ihre Lippen mit einem Kuss. Sofort breitete sich ein angenehmes Kribbeln von ihren Lippen in ihrem gesamten Körper aus. Als sie ihre Lippen wieder von seinen löste, grinste er.

„Küss mich mal richtig", forderte er und seine Stimme jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Er zog sie fordernd zu sich zurück, dann presste er seine Lippen erneut auf ihre. Einmal, zweimal, bevor seine Zunge sich ihren Weg suchte. Cassie ließ ihn gewähren, schloss ihre Augen und genoss diesen zärtlichen Kuss. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf ihrem Körper, als er sich zunächst wieder zurückzog, sie dann jedoch viel stürmischer küsste. Die Blicke der Passanten auf der Straße waren ihr inzwischen egal, seine Küsse kein bisschen mehr unangenehm. Stattdessen wünschte sie sich, dass er – wie so oft – seine Hände auf ihren Po schieben und sie fest bei sich halten würde.

Sie seufzte in den Kuss hinein, als er es jetzt tatsächlich tat, zumindest mit einer Hand, da er mit der anderen noch immer seine Tasche festhielt. Sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder mit ihm allein zu sein.

Schon bei der Erinnerung an ihre letzte gemeinsame Nacht wurde ihr gleichzeitig heiß und kalt und ein bedächtiges Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. Der Sex mit John war stürmisch und wild, aber auch zärtlich, verspielt und leidenschaftlich. Seit der ersten Nacht in Amsterdam konnten sie gar nicht genug voneinander bekommen. John biss sanft in ihre Unterlippe, dann löste er den Kuss und schenkte ihr einen tiefen Blick, der sie erschaudern ließ.

„Geh rein, Schatz. Es ist kalt", sagte er leise.

Erst jetzt merkte Cassie, wie sehr sie eigentlich fror. Sie drückte ihm einen letzten Kuss auf.

„Bis nachher", sagte sie, dann löste sie sich von ihm und kehrte zu ihrer Familie zurück, während John sich auf den Weg zu der kleinen Halle machte, in denen sie heute Abend ein Konzert spielen würden.

Es war bereits kurz vor neun, als Cassies Mutter sie dort absetzte. Im Auto hatte Cassie ihre lässige Jeans und den bunten Pullover gegen ein partytauglicheres Outfit getauscht. Sie trug eine ärmellose, bunt gepunktete Bluse, die sie auf Bauchnabelhöhe verknotet hatte, dazu eine schwarze, enge Destroyed Jeans, rote High Top Sneakers und ihre Winterjacke. Seit sie mit John zusammen war, hatte er ihr ihre Komplexe rund um ihren Po ausgeredet und sie zeigte ihre Kurven. John gefiel das, denn auch er präsentierte gern die attraktive Frau an seiner Seite.

Johns Cousin Marten stand bereits am Eingang, um sie abzuholen. Er war genauso groß wie John, genauso tätowiert und konnte genauso böse gucken. Doch als er Cassie sah, setzte er ein einnehmendes Lächeln auf; eines, bei dem die Knie der Mädchen reihenweise weich wurden.

„Bin ich zu spät?", fragte sie, als Marten sie nach innen brachte.

„Du bist genau rechtzeitig da", antwortete er, „Hat sich alles etwas verzögert. Gab Probleme mit dem Sound, die Jungs davor haben später angefangen."

In der kleinen Halle, die vielleicht ein paar hundert Leute fasste, herrschte trotzdem eine ausgelassene Stimmung. Inzwischen hatten John und die Jungs seiner 187 Straßenbande sich zu einer aufstrebenden Untergrundgröße Hamburgs entwickelt und die Leute rissen sich darum, sie live zu sehen. Die kleine Location wirkte jedenfalls überlaufen, doch Marten führte sie durch düstere, schlecht beleuchtete Gänge in einen kleinen Raum hinter der Bühne.

Als John sie sah, lächelte er, kam zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Sofort begann Cassies Herz schneller zu schlagen. Auf seinen Lippen bildete sich ein strahlendes Lächeln, was vermutlich nicht zuletzt an seinem Alkohol- und Graskonsum lag. Seine kleinen, geröteten Augen verrieten ihn.

„Wir sind jetzt dran, Shorty. Wenn du was trinken willst, nimm dir einfach, was du möchtest. Marten zeigt dir, von wo du gucken kannst", sagte er, küsste sie ein letztes Mal und machte sich dann auf den Weg zur Bühne.

Auch jetzt wirkte er kein bisschen gestresst. Er war vollkommen tiefenentspannt und souverän.

Cassies Blick fiel auf den kleinen Tisch, der vor einer Couch in der Ecke des kleinen Raumes stand. Auf ihm türmten sich diverse Flaschen Henessy, Vodka, Bier und Whiskey, dazwischen halbleere Flaschen Cola, Fanta und Sprite. Sie schüttete sich selbst eine Mische ein, dann zeigte Marten ihr, wie sie vor die Bühne kam. Sie wollte sich den Auftritt von vorne anschauen. Sie hatte schon ein paar Konzerte von den Jungs besucht und war immer wieder beeindruckt, wie die Leute auf die Jungs reagierten. Auch heute rasteten sie wieder komplett aus und feierten mit ihnen eine einzige, große Party. Diese ging für John und die Jungs nach dem Auftritt hinter den Kulissen mit Alkohol und Gras weiter, bis sie die Location kurz vor Mitternacht schließlich verlassen mussten.

„Alles gut?", fragte John, als sie ins Freie traten. Er hatte beschützend seinen Arm um sie gelegt.

„Ja, alles okay", sagte sie und versuchte, ihre Müdigkeit zu verdrängen. Außerdem hatte sie etwas zu viel getrunken.

„Digga, lass noch auf'n Kiez!", schrie Toni durch die Nacht. Cassies Blick fiel auf ein paar Mädchen, die mit den Jungs mitliefen. Cassie hatte sie noch nie gesehen. John jedoch hatte nur Augen für sie.

„Kommst du noch mit?", wollte er wissen, sah tief in ihre Augen und legte seine Finger an ihr Kinn.

„Ich hab keinen Bock auf Kiez", antwortete sie.

„Nur kurz. Danach verschwinden wir, okay?"

Seine vom Auftritt raue Stimme machte sie schwach. Sie wünschte sich einfach nur, endlich wieder mit ihm allein zu sein.

„Okay", willigte sie ein und brachte ihn zum Lächeln.

Eine halbe Stunde später schob er sie vor sich her, an einer langen Schlange vorbei, auf den Eingang des Clubs zu. Von innen waren bereits laute Hiphop-Beats zu hören. Einer der vielen Türsteher-Freunde von Marten ließ die Gruppe passieren. Ein paar andere Jungs waren bereits dort. Sie hatten sich gerade in einer Ecke niedergelassen und Getränke bestellt, als Cassie ihre Freundin Paola mit ein paar Freundinnen in der Menge ausmachte. Sie gab John kurz Bescheid, dann bahnte sie sich ihren Weg auf die Tanzfläche, um ihre Freundin zu begrüßen.

Einmal auf der Tanzfläche angekommen, hielt der Beat ihren Körper in Bewegung und Cassie ließ ihre Hüften zum Takt kreisen. Das flackernde Licht des Clubs tauchte sie in ein tiefes Rot, dann in ein schimmerndes Orange. Sie tanzten eine ganze Weile zu sich aneinanderreihenden alten Dancehall-Tunes. Irgendwann kamen irgendwelche Typen dazu. Cassie, Paola und ihre Freundinnen versuchten immer wieder, sie abzuschütteln, bis ein osteuropäischer Hemdträger mit dunklen Augen und kurzen Haaren sich zu Cassie beugte, um irgendetwas zu sagen, doch die Musik schluckte seine Stimme. Dabei legte er seine Hand an ihre Taille. Sie stieß genervt seine Hand weg. Er versuchte es ein weiteres Mal, tanzte sie dabei mit einem lüsternen Grinsen auf den Lippen an.

Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Cassie fuhr überrascht herum, als sie unsanft nach hinten gezogen wurde. Erleichtert und überrascht zugleich schaute sie in Johns düsteres Gesicht, der sich zwischen sie und ihren hartnäckigen Verehrer schob. Sie wusste, dass er schon zu viel getrunken hatte, um die Kontrolle über sich zu behalten. Ohne Vorwarnung schlug er dem Typen ins Gesicht, bevor dieser nach hinten schwankte und einfach umfiel wie ein nasser Sack. Perplex saß er am Boden, schaute von links nach rechts und hielt sich dabei seine Nase, die die Tanzfläche vollblutete. John zog sie von ihm weg.

„Spinnst du? Du hast ihm wahrscheinlich die Nase gebrochen!", platzte es aus ihr heraus.

„Nicht nur wahrscheinlich. Lass uns abhauen, bevor die Bullen hier auftauchen", schrie John über die Musik hinweg und schob sie zu den anderen zurück. Dort schnappte er sich ihre Jacken, dann verschwanden sie in Richtung Ausgang.

„Du musst echt damit aufhören, jeden zu schlagen, der mir zu nah kommt", sagte sie, als sie kurz darauf aus dem Taxi gestiegen waren.

„Das nächste Mal schaue ich zu, wenn einer dich anfasst und du das nicht willst, okay?", gab John gereizt zurück.

„Joe ist im Knast jetzt, weil er sich nicht im Griff hat", sagte sie.

„Joe ist doch nicht im Knast, weil er jemanden geschlagen hat", erwiderte er gedehnt.

„Stimmt, er hat den Typ bestimmt ganz nett um sein Geld gebeten, den er überfallen hat", kommentierte sie trocken, als sie den Hauseingang erreichten. Er hielt sie auf und schlang seine Arme um sie.

„Du bist mein Mädchen", stellte er klar.

„Du kannst keine Anzeige wegen Körperverletzung brauchen. Ich denke doch nur an dich. Die haben dich eh schon auf dem Kieker. Ich will dich nicht irgendwann auch im Knast besuchen, so wie du Joe", erinnerte sie ihn und legte ihre Hand in seinen Nacken. Sein Blick wurde weich.

„Mach dir keine Sorgen, Shorty", sagte er leise und schaute ihr dabei tief in die Augen.

Sie wollte etwas sagen, doch er verschloss ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss, küsste sie wieder und wieder, bis ihr Widerstand schließlich brach und sie seinen Kuss erwiderte. Dabei schlang er einen Arm fest um sie und vergrub die freie Hand in ihrem Haar.

„Ich schlafe heute bei dir. Lass uns hochgehen", raunte er irgendwann entschieden in den Kuss hinein. Cassies Lippen verzogensich zu einem vorfreudigen Grinsen, bevor sie sich von ihm löste, um die Haustür aufzuschließen. Sie konnte es nicht erwarten, ihn endlich wieder zuspüren.    

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