04 | Gewinnen und verlieren
Vielen Dank an jede einzelne von euch, die mir zum letzten Kapitel so viel positives Feedback dagelassen hat. Ich freue mich wie ein kleines Mädchen, dass die Geschichte so gut ankommt und ihr Cassie und ihre Art bis jetzt so sehr mögt. Ich will nicht spoilern, dewegen wünsche ich euch einfach viel Spaß beim nächsten Kapitel. Lasst mir gern wieder eure Meinung da :)
2009.
Schwer seufzend schloss Cassie ihre Augen und atmete tief durch, während Malia ihre Hand losließ. Sie waren was zweite Mal hintereinander im Halbfinale ausgeschieden. Zwar konnten sie gleich noch um den dritten Platz tanzen, doch das tröstete sie nicht über ihre Enttäuschung hinweg. Schließlich hatte sie hart dafür trainiert, aber es hatte wieder nicht gereicht.
Sie öffnete ihre Augen und schaute zum Bühnenrand zurück. John stand nicht mehr dort.
Hatte ihr Gehirn ihr vor lauter Nervosität doch nur einen Streich gespielt?
Sie schaute sich suchend um, doch sie konnte ihn nicht mehr entdecken. Sie musste erst einmal wieder runterkommen. Also verließ sie zusammen mit den anderen Mädchen die Bühne und verschwand auf der Toilette. Dort schloss sie sich ein, ließ sich wütend auf den Toilettendeckel sinken und schloss ihre Augen. Sie wusste nicht einmal, was schlimmer für sie war: die Möglichkeit, gegen Diablos Crew im Finale zu verlieren oder gar nicht erst die Chance dazu zu bekommen.
„Cas?"
Esra klopfte leise an die Holztür.
„Ich bin okay, ich komme gleich", antwortete sie leise.
„Wir haben alles gegeben. Wir waren gut. Rachid und die Jungs waren einfach nur besser", sagte Esra.
„Ich weiß. Trotzdem nervt es mich", gestand Cassie und biss sich vor lauter Wut in die Wange.
„Wir müssen noch um den dritten Platz tanzen", erinnerte Esra überflüssigerweise.
„Weiß ich. Lass mich jetzt", bat sie ihre Freundin.
„Kann ich nicht. Wir sind vor dem Finale dran", gab Esra zurück.
Cassie öffnete frustriert die Toilettenkabine. Sie liefen zurück zu den anderen und versuchten, sich mit Witzen und dummen Sprüchen wieder auf Competition-Niveau zu pushen. Schließlich wollten sie wenigstens nicht mit einer noch schlechteren Platzierung als im Vorjahr nach Hause fahren.
Bevor sie wieder auf die Bühne ging, schloss Cassie ihre Augen und sammelte sich. Sie wollte es jetzt allen zeigen; sie waren eine starke Crew und würden jetzt alles zerstören, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie würden nicht zulassen, dass sie ihnen auch noch den dritten Platz nehmen konnten! Sie tanzten gegen eine Crew aus England. Cassie mochte die Jungs, aber sie waren so gut, dass sie wirklich Respekt vor der Runde hatte.
Als Kashmir, einer der britischen Tänzer, seine Runde mit einer provokativen Geste in Richtung von Cassies beendete, hatte Cassie bereits in den Beat gefunden und ertanzte sich Schritt für Schritt die Aufmerksamkeit der Jury, der französischen Crew, der anderen Teilnehmer und des Publikums. Sie glühte förmlich vor Ausstrahlung und Energie, während sie sich zum Beat bewegte und mit der Musik eins wurde. Der Druck, den sie sich wegen diesem Battle gemacht hatte, fiel von ihr ab. Sie wollte einfach nur noch frei sein, sich selbst verlieren und schließlich wiederfinden.
Viel zu schnell begann Jay, die letzten Sekunden der Minute herunterzuzählen, bevor ihre Runde vorbei war. Sie tanzte rückwärts zu ihrer Crew zurück, während der DJ den Beat wechselte und die Tänzerin Alexis die nächste Runde einläutete.
Als sie nach diesem Battle auf die Entscheidung der Judges warteten, fühlten sich diese Sekunden an wie die Schlimmsten ihres Lebens. Cassie konnte an nichts anderes denken. Sie wollte nur wissen, ob sie es geschafft hatten. Sie konnte wirklich überhaupt nicht einschätzen, welche Crew besser gewesen war. Also versuchte sie, ein neutrales Gesicht aufzusetzen und sich ihre innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. Vielleicht lag es aber auch an Johns unerwarteter Anwesenheit, obwohl sie ihn nicht noch einmal gesehen hatte.
Cassie beobachtete Jay aufmerksam, als er seinen Blick zwischen der britischen und ihrer eigenen Crew hin- und hergleiten ließ. Als er schließlich Cassies Crew aufrief, fiel Esra ihr erleichtert in die Arme. Cassie lächelte, doch wirklich freuen konnte sie sich nicht. Sie war eben Pessimistin, wie Malia. Vermutlich war sie ihr deshalb von allen Mädchen aus der Crew am Nächsten. Auch für sie war dieser Sieg nur eine bessere Niederlage. Trotzdem umarmten sie sich.
Cassie hatte eigentlich keine Lust mehr auf das Finale. Doch sie respektierte die Jungs und wusste, dass sie allein deshalb bleiben und sie hypen musste. Also setzten sich die Mädchen an den Rand der Tanzfläche, um sich das Finale anzusehen.
Während des Finales musste sie sich jedoch selbst eingestehen, dass die Jungs tänzerisch sehr viel weiter waren als sie selbst und schlussendlich verdient gewannen – wieder einmal. Sie gönnte es ihnen von ganzem Herzen, ganz egal, wie enttäuscht sie über sich selbst war. Als das Finale vorbei war, kehrte sie mit ihren Freundinnen in den Tänzer-Backstage zurück, um dort nach diesem langen, nervenaufreibenden und anstrengenden Tag ihre Tasche zusammenzupacken, in der sie heute Morgen ein paar Wechselklamotten mitgebracht hatte. Langsam fiel die Anspannung des Tages von ihr ab, obwohl ihre Laune unverändert schlecht war.
„Ich gehe schon mal vor, okay?"
Cassie fuhr zu Esra herum. Sie waren die Letzten aus ihrer Gruppe. Die anderen waren schon vorgegangen. Cassie fand es süß, wie Esra sich um sie kümmerte. Sie wusste einfach, dass sie sich ärgerte, und versuchte, ihr eine gute Freundin zu sein – auch, wenn sie in solchen Situationen manchmal lieber allein war.
„Ich komme sofort. Ich muss nur noch mal auf die Toilette."
Cassie schulterte ihre Tasche. Dann trennten sich ihre Wege. Esra ging in Richtung Ausgang, sie in Richtung Toiletten. Anschließend machte auch sie sich auf den Weg nach draußen.
„Wow, was für eine heiße Frau!"
Cassie fuhr irritiert herum und schaute in ein seltsam aufgeplustertes Gesicht. Ein Typ mit dunklen Haaren in Jogginghose, der offenbar ein paar Mal zu oft auf der Sonnenbank eingeschlafen war, musterte sie aufmerksam.
„Ich bin vergeben", sagte sie schnell, als sie die Anmache erkannte, und schob sich mit einem höflichen Lächeln an ihm vorbei.
„Wie alt bist du?", fragte er und folgte ihr in Richtung Ausgang. Cassie verdrehte die Augen. Sie wollte nicht gemein zu ihm sein, weil das Schicksal ein mieser Verräter sein konnte.
„Neunzehn", antwortete sie also, während sie ihren Weg fortsetzte.
„Ich werde bald vierundzwanzig", gab der Typ ihr weiter Informationen, um die sie ihn gar nicht gebeten hatte. Dann drückte sich der braungebrannte Jogginghosenträger an ihr vorbei und stellte sich ihr in den Weg. War das sein Ernst? Hatte der Tag sie nicht schon genug Nerven gekostet?
„Lass mal einen Kaffee trinken gehen", schlug er vor.
„Kann ich meinen Freund dann mitbringen?", fragte Cassie bissig.
„Nur freundschaftlich", versuchte er erneut sein Glück.
„Ich kann dir auch freundschaftlich mal dein Gesicht brechen, Digga."
Cassie fuhr zu der Stimme herum, die plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und schaute in dieses blaue, leicht gerötete Augenpaar. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt, als sie John erkannte, der mürrisch auf sie herabschaute. Sie hatte sich also doch nicht verguckt.
Er trug einen dunklen Hoodie, eine dunkle Jogginghose und darüber eine schwere Lederjacke. Durch seine kurz rasierten Haare wirkte er in Kombination mit diesem düsteren Blick und seiner Statur noch etwas bedrohlicher. Er war einfach riesig im Vergleich zu ihr.
„Alles okay, Baby?"
Klang seine Stimme dunkler? Er war nicht mal ihr Typ, aber er machte Cassie verrückt – zumindest ein Bisschen. Das Baby musste sie ihm allerdings dringend abgewöhnen, Scheinfreund hin oder her!
John schaute Cassie mit einem Blick in die Augen, der sie beinah aus der Fassung brachte.
„Ja, alles okay", antwortete sie.
Der unbekannte Verehrer beobachtete sie kurz vorsichtig, bevor er abwehrend die Hände hob.
„Tut mir leid, man", sagte er zu John.
„Okay. Und jetzt verpiss dich."
Cassie schaute dem Typ im Jogginganzug erleichtert nach, dann wandte sie sich an ihren Retter.
„Danke", lächelte sie.
„Gar nichts los", erwiderte er.
„Der Typ fing echt an, mich zu nerven", sagte Cassie.
„Gut für dich, dass ich in der Nähe war, um dich wieder mal aus einer brenzligen Situation zu retten."
Cassie grinste.
„Was machst du überhaupt hier?"
John lächelte. Irgendwie war er süß. Seine Augen strahlten mit seinen Zähnen um die Wette.
„Der Veranstalter von diesem Battle ist ein Freund. Er hat uns eingeladen, also bin ich mit ein paar Jungs hergekommen. Glückwunsch übrigens zu Platz drei."
Cassie versuchte zu lächeln, schließlich konnte John nicht wissen, dass ihr Ehrgeiz ihre Freude darüber boykottierte. „Danke."
Cassie kam sich unendlich dumm vor. Schließlich hatte sie sich so lang darüber geärgert, ihn nicht schon beim letzten Aufeinandertreffen nach seiner Nummer gefragt zu haben. Alessas Idee, ihn einfach bei Myspace oder Facebook anzuschreiben, war daran gescheitert, dass sie nicht mal seinen kompletten Namen kannte und es tausende Johns gegeben hatte.
Jetzt stand er einfach so vor ihr und sie bekam kein Wort mehr heraus.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich auch fürs Tanzen interessierst", sagte Cassie schließlich.
Obwohl es ziemlich schwachsinnig war, war sie erleichtert, denn immerhin hatte sie überhaupt irgendetwas gesagt. John schob seine Hände in die Taschen seiner Jogginghose. „Gibst du mir deine Nummer und wir reden zuhause mal darüber?"
Ich hoffe, Johns kleiner Auftritt am Ende hat euch gefallen. Der Mini-Cliffhanger am Ende erübrigt sich vermutlich von selbst, oder glaubt ihr, sie würde ihm tatsächlich einen Korb geben?
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